Ein Gosauer Jäger.
- Gerhard Zauner

- 12. Okt. 2020
- 6 Min. Lesezeit

Wer nie auf den Bergen zu beiden Seiten des Thales gewesen ist, der kann sich keinen Begriff von der Schönheit und Großartigkeit der Gosau machen. Der Dachstein, die trotzigen
Donnerkegel, das Tännengebirge ragen überall hervor, und am Horizonte blitzt da und dort in der Ferne ein weißes Berghaupt herüber. Unten im Thale liegen die einzelnen Häuser zerstreut; im Schooße der Felsen und der alten Fichten blinkt der untere Gosausee, und höher oben, zu Füßen des Gletschers liegt ein tiefgrüner Smaragd, eine kleine Wasserfläche, die wie ein dunkler Krystall zwischen den schwarzen Felszacken leuchtet.
Die volle, herrliche, einsame Schönheit dieses Alpengebietes wird nur dem Jäger kund, der hier den ganzen Tag mit der Büchse den Wald und die Felsen durchstreift, der Jagd- und Waldaufsicht zu pflegen hat, und zu schießen was er will und was er trifft. Die Gosau ist weit und breit das prächtigste Revier, der beste Boden, der ebenso reich an Gemsen wie an Rehen und Hirschen, an Schildhähnen und Auerwild ist. Die Felsen, die unzugänglichen Stellen der Berge bieten Deckung genug, so daß der Adler seine Kinder ungestört aufbringen kann und daß so manche vierfüßige Familie da oben hauset, die noch nie einen Menschen
zu Gesicht bekommen hat.
Tagelang lebt der Jäger auf den höchsten Bergen des Reviers, bald in einer Sennhütte, bald in einer Holzknechtstube übernachtend; eben dort wo ihn Beruf oder Zufall hinführen.
Das Nothwendigste an seiner Jagdausrüstung sind ein guter Kugelstutzen sammt Schießzeug, der Schnärfer, der Bergstock, etwas Brod und Speck, und womöglich ein leidliches Fernglas, mit dem sich nach den Winkeln und Zacken der Felsen ringsher ausspähen läßt.– Und so gewappnet tritt er im dämmrigen Morgen seine Bergfahrt an. Am Tage ist er allein mit Wind und Wetter, mit der blinkenden Sonne und mit den eigenen Gedanken; am Abend kann er sich dem Luxus der Geselligkeit hingeben und diese dort aufsuchen, wo sie hier oben, zwischen Himmel und ragender Erde zu finden ist. Eine Holzknechthütte tief drinnen im Walde, an irgend einem vor den Wasserstürzen geschützten Platze, aus rohen Stämmen aufgebaut, bietet den Salon, in welchem sich die Arbeiter aus dem Forste und der Jäger des Abends zusammenfinden. Ein großer, aus plumpen Steinen gefügter Herd ist das Centrum, um welches sich die Gäste des Hauses gruppiren, um an dem hochlodernden Feuer die Abendmalzeit zu bereiten. Jeder von den Anwesenden hat seine „Nockerlschüssel“, seinen Löffel, seinen Topf und seine Pfanne. In den vielen Töpfen, die im Kreise um die Flamme stehen, brodelt und kocht es, in den Schüsseln wird der Teig aus Mehl und heißem Wasser bereitet, mit dem hohlen eisernen Löffel werden mit großer Gewandtheit
die runden Nocken gedreht und dann für ein paar Secunden in das brodelnde Wasser gebracht. Auf eins, zwei, drei– verschwinden die Töpfe vom Herde und die Pfannen rücken an ihre Stelle, mit dem Schmalz, in welchem die Nocken gebacken werden, je sieben im Kreise, der achte in der Mitte, ein „Nockenkranzel“, das zum Verkühlen vor die Thüre der Hütte gebracht wird, während die Suppe aus Wasser, gerösteten Zwiebeln, Salz und Brodschnitten an die Reihe kommt und den Anfang der leckeren Abendmalzeit bildet.
Und der Jäger thut da mit, hantirt an dem Herde herum, wirft hie und da ein mächtiges Scheit zu, daß die Funken mächtig aufsprühen und läßt sich die Suppe und die Nocken köstlich munden, wenn dieser Jäger auch eben nicht einer von den Eingebornen des Thales, sondern vielleicht ein fremder, ein Zugereister, der Sohn einer Weltstadt ist, den Zufall, Schicksal oder eigener Wille– wer kann diese Motoren im Leben so genau trennen?– hieher verschlagen haben, und der eigentlich auf die braunen Männer an dem Herde, auf die tanzende Flamme, die qualmenden Töpfe, die Wände der Hütte und auf das harte, aus Brettern gefügte Lager dort an der Wand, wie auf die wundersamen Bilder einer laterna magica schaut, die gar nicht zu dem passen, was an der Vergangenheit, an der Jugend oder Kindheit des Mannes vorübergezogen ist.
So einen jungen, blonden, schicksalverschlagenen Jäger habe ich vor Jahren gekannt und ihm danke ich die genauesten Berichte über das Gosauthal und sein Revier. Dieses ist sehr groß und bedarf eingehender Aufsicht. Das Wild, das hier hauset, lockt nicht blos den befugten, jagdberechtigten Mann hinauf, sondern so manchen ungebetenen Gast, der oft weit herüber, über Berge und Felsklippen geklettert kommt, um einmal sein Glück zu versuchen.
Solch' wagehalsige Schützen heißt es nun im Zaume halten, sie aufsuchen, ihnen die Freude an dem Handwerk verderben, und das hält schwer, wie wir längst wissen.
Auf solcher Mission war unser blonder, schicksalverschlagener Jäger einst aus; damals noch ein Neuling in seinem Fache.
Man war seit längerer Zeit schon einem Wilddiebe auf der Spur, ohne daß man ihn je fassen konnte. Da, an einem sonnigen Morgen, als unser Jäger zur Höhe klimmt, fällt über ihm ein Schuß; hoch oben– weit genug– aber die Richtung war deutlich zu erkennen. Einem Verdachte folgend, der lange schon in ihm wachte, klomm der Jäger von Fels zu Fels, immer höher und höher, bis er nach ziemlich langer Frist vor einer niederen Hütte stand, einer verdächtigen kleinen Spelunke, in welcher die Holzknechte sich an Samstagabenden ihren Bedarf an Schnaps und Brod zu decken pflegten. In der schmutzigen einzigen Stube waren nur der Wirth und seine Frau; er, ein sinsterer, zornmüthiger, verrufener Geselle, saß mit beiden Armen auf den Tisch gestützt und stierte auf ein Glas Branntwein herab, das vor ihm stand und that als sähe er den Jäger nicht, der in die Stube getreten war.– Dieser aber ging ruhig auf den ungastlichen Wirth zu, legte seine Hand auf dessen Schulter und sagte: „He! Mann! wo habt Ihr das Stück, das Ihr heute Früh geschossen habt? ich bin herauf gekommen es zu holen.“
Wie der Blitz war der Mann emporgesprungen und stürzte mit einem lästerlichen Fluche und einem Messer, das er im Nu gezückt, auf seinen Besucher ein. Der Jäger hatte sich halb und halb eines solchen Empfanges versehen und nahm den Kampf auf, den wilden furchtbaren Ringkampf, der sich nun entspann.
Erst hieß es die umklammernden Arme des Weibes abschütteln, das sich schreiend in einer Ecke verkroch, und dann den Mann bändigen, das wilde, ergrimmte Thier, das sich in seiner einsamen Höhle bedroht sah und nun mit Klauen und Zähnen, mit Armen und Füßen, die Mordlust im Auge, Verwünschung und Wuth auf den Lippen, seinen Gegner zu Fall und Tod zu bringen suchte. Es waren das ein paar heiße, entsetzliche Minuten, bis der Mann niedergeworfen, entwaffnet und entmuthigt unter dem Knie seines Bändigers lag und sich reumüthig zu dem Schuß am Morgen bekannte und den Ort angab, an welchem die Gemse unter Felsen geborgen lag.
Zu anderer Zeit war unser Jäger mit noch einem Kameraden hinter ein paar Wilddieben her, welche sie endlich, reich mit Beute beladen, an einer schwer zugänglichen Stelle antrafen. Die Wildschützen, Fremde, die über die steirische Grenzeherübergekommen waren, hatten kaum ihre Verfolger entdeckt, als sie sich hinter einigen
Felsen niederkauerten und ihre Gewehrläufe über die Steine weg so gegen die Jäger richteten, daß für diese jeder Versuch einer weiteren Verfolgung Thorheit war. Es blieb ihnen somit keine andere Wahl, als sich ebenfalls durch Felsen zu decken, die eigenen Flintenläufe gleich denen der Wilddiebe als drohende Geschütze auf die Feinde zu richten und diesen somit ein Entkommen unmöglich zu machen.
Und so war hüben und drüben ein wohl befestigter Hinterhalt eingerichtet, und viele tausend Fuß über dem Meere, in dem friedlichen Gebiete der Alpen, eine Belagerung auf Aushungern der Besatzung in vollem Zuge. Der Morgen war vorüber gegangen, der Mittag
rückte heran, die Sonne legte ihre heißen Strahlen auf die Felsen und auf die Häupter der Männer, keiner rührte und regte sich, die Flintenläufe blitzten unausgesetzt hinter den dunklen, sonnendurchglühten Steinen hervor. Hüben und drüben starrten, zwischen den Spalten der Felsen durch, die Augen der Männer nach dem Feinde im jenseitigen Lager.–
Endlich, nach einem furchtbar langen Tag, begann die Sonne zu sinken; die Luft wurde kühler, sanftes Dämmerlicht kam vom Thale herauf. Noch eine Stunde und die Gefahren der Nacht brachen an, hieroben, zwischen den gähnenden Abgründen, angesichts der Waffen, die aufgehört hatten zu blinken, weil das Tageslicht ausgelöscht war, das ihre gefahrbringende Existenz verrieth.
Die beiden Jäger sprachen nicht, aber jeder sagte sich selbst:– „Jetzt geht es zum Ende;– und es ist gut so für uns todtmüde Leute;– mag es kommen wie
es will!“
Darührte und regte sich's plötzlich drüben hinter den Felsen, und ein Bergstock erschien über einem der Steine und an dem Stocke ein weißes Tüchlein, das matt an dem Stabe niederhing.
„Was gibt's?“ schrieen unsere Jäger in höchster Erregung zwischen ihren Felsen durch nach dem jenseitigen Lager hinüber.
„Laßt uns abziehen,“ rief eine mächtige Lunge von drüben herüber.
„Es sei,“ war die einmüthige Antwort; „aber vorher gebt dem Kaiser was des Kaisers ist. Nicht ein Stück darf fehlen.“
„Wer holt das Wild?“
„Ihr bringt es auf halben Weg und wir holen es!“
„Einer von uns und Einer von Euch – ohne Waffen!“
„Gut!“
Und damit war die Verhandlung zu Ende.
Langsam kam von drüben ein schwer beladener Mann herüber, ohne Gewehr, ohne Waidmesser; und ohne Waffe, langsam und aufrecht kam ihm unser Jäger entgegen und nahm die gewilderte Beute in Empfang. Dreimal wiederholte sich der Gang des beladenen Mannes; dann sagte er ruhig: „So, jetzt ist's Alles,“ und der Jäger nickte ihm Abschied zu.– Einige Augenblicke später hörte man die schweren Tritte hinter den Felsen, das eilige Rollen der losen Steine den Abgründen zu, das Emporklimmen der Männer zwischen den Legföhren und Alpenrosen, das Klingen der Bergstöcke auf dem steinigen Pfade– und dann war Alles stille und die Jäger mit der Erinnerung an ihr heutiges Abenteuer allein.
Die Heimat
Wien, 1876 - 1901
illustriertes Familienblatt Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rep/108D7044



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