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Die Tochter des Invaliden.


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Ein Bild aus dem Volksleben, von Friedrich Steinebach.

1863




Einer Spiegelfläche gleich, so eben und ruhig, aber schwarz von Färbung, wie die hohen Berge die ihn umgeben und in ihn sich niedersenken, so liegt der Hallstädtersee im felsigen Gebirgskessel.

Ernstes Schweigen und die Düsterheit der Umgebung des See's wirken melancholisch ergreifend auf Geist und Gemüth, bis man im Bergeswinkel am schmalen Gestade hingebaut den kleinen Markt Hallstadt erblickt; theilweise an die Felswand angelehnt und auf den Abhang angeklammert, bietet er ein anmuthend trauliches Bild, eine reizende Idylle im großartigen Rahmen der erhabenen Natur.


Vor dem Hause des Sonnenwirthes sitzt unfern vom Ufer auf einem Baumstrunk ein Greis im abgetragenen Soldatenrock, sein Bart ist weiß, seine Haare sind spärlich und von einer verblaßten Militärmütze bedeckt. Seine alte, bereits etwas zitternde Hand hält eine Holztafel auf die Kniee gestützt, welche ab und zu seine Finger sorgsam betasten, wonach seine Rechte wieder gar vorsichtig mit dem kleinen Messer daran weiterschneidet.


Bisweilen verklärt seine Züge ein zufriedenes Lächeln, wenn nämlich seine Schnitzerei zu gedeihen scheint und er es tastend fühlt, daß das Bild von der Schlacht bei Leipzig unter seinen Händen gedieh, denn sehen konnte der alte Invalide es nicht, seine Augen blieben geradeaus unbeweglich auf den See gerichtet, sie waren erblindet. Seine Züge dagegen sind noch immer voll gewinnender Freundlichkeit, offen und ehrlich, und seine Seele ganz und gar erfüllt von dem Gegenstande, welcher seine Schnitzerei darstellt.


Oft versetzt er sich so lebhaft in die erhebendste Erinnerung seines Lebens, daß er laut commandiren, zu befehlen und zu trommeln beginnt, bis sein getreuer Führer und Beleiter, ein kleiner, altklug zu ihm aufblickender Pinsch zu seinen Füßen unruhig wird und laut zu bellen beginnt. Diese Thierstimme nun zerstört freilich gar schnell all seine kriegerischen Bilder, welche so lebhaft vor seiner Seele standen, daß er darüberauf die traurige Gegenwart vergaß, aber sie hinderte ihn nicht, bei der nächsten Gelegenheit wieder so lebhaft zu träumen; lag doch darin sein größtes, einziges Glück.


Paulmann, oder wie er hier in seinem Geburtsorte genannt wurde, der alte Jakob ist daher auch der Lieblingserzähler in der Gegend und wenn er den Sieg über den Franzosenkaiser schildert, wobei er so wacker mitgeholfen hatte, da leuchtet sein Auge, als hätte es Sehkraft, da röthen sich seine Züge und seinen Körper scheint neue Jugendkraft zu beleben, während seine Hand nach dem „Kanonenkreuz“ an seiner Brust greift, das er nicht hingegeben hätte um alle Schätze der Welt–


Das wunderliche Treiben, die militärische Begeisterung vermag nur ein Mann im Orte nicht zu begreifen, der Sonnenwirth, welcher eben von einem Jagdausfluge heimgekehrt vor ihm steht, sich auf sein Gewehr stützt und mitleidig lächelnd auf den Invaliden herabsieht.

Es ist dies ein großer, gewaltig kräftiger Mann, wohl schon hoch in den fünfzig, aber rüstig, und Muth, fester Sinn und unbeugsame Entschlossenheit sprechen aus seinen straffen Zügen aus seinen wildblitzenden Augen.


Es war nicht gerathen, dem Sonnenwirth sich in den Weg zu stellen, denn er war gewohnt, seinen Willen schonungslos durchzusetzen und rasch und geradeaus auf sein Ziel loszugehen, mochte brechen, was sich vor ihm nicht beugen wollte. Der resolute, stets auf's

praktische Leben seinen Sinn richtende Mann konnte natürlich ein Gefühlsleben nicht verstehen, das ihm fremd war und vor Lachen sich schüttelnd sagte er daher zum Alarm trommelnden Alten:

„So alt und noch so kindisch?"

Diese wenigen Worte ernüchterten den Träumer und seine Züge wurden finster, indem er entgegnete:

„Der Stimme nach seid Ihr der Sonnenwirth, wohl auch der Rede nach, denn was versteht Ihr von meinen Erinnerungen? Die Zeit muß man mit erlebt, mitgefühlt haben, um sie zu begreifen– geht Euren Geschäften nach und laßt mich in Ruhe.“

„Holla, alter Jakob, nicht so verwegen– denkt nach zuvor, mit wem Ihr redet.“

„Wie man in den Wald ruft, so hallt's zurück und glaubt Ihr das Obdach, welches Ihr mir gebt, durch Hohn und Spott bezahlt machen zu sollen, so sagt es ungescheut– für arme Teufel, wie ich bin, gibt es hier zu Land noch offene Thüren.“

„Haltet das, wie Ihr wollt; vor der Hand aber sagt mir lieber, wie es denn eigentlich mit der Monica steht.“

„Was soll ich sagen von Ihr?“

„Was Ihr aller Welt verschweigt und doch zu wissen nothwendig wäre. Die Dirne ist sechszehn Jahre alt, beginnt sich umzuschauen unter den heirathsfähigen Burschen und ihr Aug' scheint mir auf meinen Niklas gefallen zu sein. Daß mir das nicht gleichgültig sein kann, werdet Ihr begreifen, also rückt heraus mit der Farbe!“

„Was Ihr von Monica sagt, Sonnenwirth, das kann ich nicht glauben, mein Kind ist brav und ehrlich, es hat vor mir keine Geheimnisse, will ich hoffen. Ist es aber Wahrheit, so seh ich nicht ein wo das Unglück wäre?“

„Mag sein, nach Eurem Sinn gewiß, es wär' nicht bitter für ein Soldatenkind mit eins die Reichste daherum, die Frau im Haus und die Schwiegertochter des Elias Moser zu werden.“

„Sonnenwirth!!“ rief entrüstet der alte Jakob und erhob sich heftig von seinem Sitze, so daß der Pintsch feindliche Position gegen Moser annahm.

„Wagt's nicht noch einmal ein Soldatenkind herabzusetzen, denn nur in dem Sinn könnt Ihr's Eurer eingebildeten Hoheit entgegengestellt haben. Monica ist ein treues rechtschaffenes Herz, eine frische, muntere Dirne, und besitzt ein unverdorbenes Gemüth; im Haus wie in der Wirthschaft ist Eure Crescenz mit ihr zufrieden, Jugendmuth, Genügsamkeit, Frohsinn und ein gesunder Leib, wie ein richtiges Denken sind ihr eigen– was wollt Ihr mehr, um einen glücklichen Hausstand zu gründen? Arm ist sie freilich, arm wie ich selber– darüber hab' ich nichts zu bekennen.“

„Ihr haltet dennoch hinterm Berg,“ sagte gelassener Moser und setzte sich auf einen mit Moos überdeckten Steinblock nieder, „denn ich erinnere mich auch der Vergangenheit und da kömmt mir nicht alles ganz richtig vor. Seht, Ihr habt zu „Franosenzeiten“ Eure Dienstzeit durchgemacht und im Pulverdampf zu Leipzig beinahe das Augenlicht eingebüßt, weßhalb Ihr heimgekommen seid mit ehrenvollem Abschied. Statt aber Eure Augen zu schonen seid Ihr vor fünfzehn Jahren, sobald wieder unruhige Zeiten ausgebrochen waren, abermals auf und davon, habt als Freiwilliger die Waffen ergriffen, wohl hierdurch Eure Augen so sehr geschwächt, daß sie später ganz erblindeten, und seid erst nach hergestellter Ruhe nach Hallstadt heimgekehrt. Aber Ihr seid dießmal nicht allein gekommen: ein krankes, sterbendes Weib war bei Euch und ein Kind– es ist die Monica, wie sie leibt und lebt. Alle Welt nun wollte es nicht glauben, daß die Frau, welche am sechsten Tag schon hier gestorben ist, die Eure war, niemand hielt Monica für Euer Kind und habt Ihr gleich tausendmal es betheuert– in mir ist noch derselbe Zweifel lebendig.“

„Und warum zweifelt Ihr noch immer?“

„Seht, wie ich die Frau hier aus dem Schiff steigen sah, wie sie nachher da oben vor Eurer, nun schon lange abgebrannten Hütte ein paar mal im Sonnenschein sich wärmend saß, und zuletzt, wie sie im Schrein lag, da schien sie mir so zart, so vornehm, so adelig, daß ich es nicht sagen kann. Monica selbst, obwohl sie Bauernkleider trägt, und arm ist wie hundert daherum, hat doch so was Stolzes, was feines im Gesicht, wie in ihren Manieren an sich, daß ich denk– es steckt ein Geheimniß dahinter.“


Der Invalide horchte sinnend diesen Worten zu und schien von wehmüthigen Erinnerungen bestürmt zu sein, wenigstens schwieg er lange und als er die Worte wieder fand, hielt er seine erblindeten Augen so fest auf Moser gerichtet, als wollte er dennoch in dessen Zügen seine Gedanken lesen, indem er sagte:„Nun, Sonnenwirth, wenn Eure Vermuthung Wahrheit wäre– was dann?“„Wie ich mein'– so gäb's dann allerlei zu überlegen und es wär' mir weniger bedenklich, daß ich Monica wiederholt mit Niklas in traulichem Geplauder angetroffen hab'. Ich hab' nur diesen Einzigen aus meiner ersten Ehe und ihm gehört einmal alles, was mein Eigen ist. Der Sonnenwirth ist geehrt und geachtet weit und breit, er gilt was im Land und hat ein ansehnliches Besitzthum, sein Erb' kann wählen unter den reichsten, schönsten Dirnen im Land und die ich zur Sohnsfrau annehmen will, die kann sich brüsten über die Ehr' und Gnad', die ihr widerfahren ist. Stefan Ramsau, der reichste Hammerwerkbesitzer in der Steiermark ist mit mir handelseins geworden und seine bildschöne Tochter Rosalia sollt das Glück haben, daherum zu hausen und als Frau nach uns einzuziehen in diese Wirthschaft, wenn sie meinem Niklas gefallen kann; täglich erwart' ich sie und ihre Leut' bei uns da als Gäste,– nun, da dächt' ich, es wär’ Zeit zum reden für Euch.“„Wirklich? Ich verstehe: wenn Monica die natürliche Tochter eines unnatürlichen, aber reichen Vaters wäre, wenn sie an der Straße gefunden, aber nur von vornehmen Leuten hingelegt wäre, das hätt' nichts zu sagen, wenn's ein großer Geldsäckel aufwiegt. Da ging Euer Handel zurück, da dürft' die schöne Rosalia wieder heimfahren, da wär' Eure Lieb, Eure Herzenskammer mit eins weit offen für Monica?!Nicht so? Aber ich will Euch nicht in Versuchung führen, will zum Wortbruch Euch nicht verleiten, und wünsch' Euch Sonnenwirth vor allem, daß Ihr Euch bei Eurem Handel nicht verrechnet habt. Monica ist und bleibt ein armes Invalidenkind, trotzdem ist sie aber zu gut um verhandelt zu werden. Komm Philax, führ' mich in's Haus hinein!“


Tief bewegt und mit zitternder Stimme hatte der Alte gesprochen, denn seine Worte konnten ihn von der Schwelle seines Asyls vertreiben, aber er fühlte sich erleichtert, als er seinem Grolle Luft gemacht hatte und ging vom Hunde geführt mit seiner Schnitzerei in die Stube, denn es war bereits die Sonne im Sinken und es wurde außen kälter, als es der alte Jakob

vertrug.Mit zornig funkelnden Blicken sah der Sonnenwirth dem Alten nach und indem er drohend die Hand gegen ihn erhob, flüsterten eine Lippen: „Du sollst's bereuen, so wahr ich der Sonnenwirth heiße!“...


Während sich die beiden Männer am Seeufer so hart mit einander sprachen, trat– nichts davon ahnend– eine Dirne zum Brunnen im Sonnenwirthshaus, füllte einen Kübel mit Wasser und nahm eine Schaufel zur Hand; es ist dieß die sechszehnjährige Monica, die Tochter des Invaliden.


Ihre Gestalt ist voll und reizend, so daß man sie für fünf Jahre älter halten konnte, der kurze Rock, das schlichte Mieder, die reichen, in Flechten um den Kopf geschlungenen tief schwarzen Haare hoben ihre Schönheit vortheilhaft hervor, deren größter Zauber in ihrem großen, seelenvollen Auge und in ihren Zügen lag, welche der rosige Hauch unentweihter Jugendkraft übergossen hatte.


Einen Kranz von Immortellen trug sie am Arm und schickte sich eben an, die steile Dorfstraße hinanzugehen, als aus dem Hause heraus und auf sie zu der Sohn des Sonnenwirths kam. Es war eben Samstagabend, man hatte für heute die Arbeit beendet und erhebende Ruhe, den kommenden Sonntag einleitend, lag über der Gegend.



Niklas hatte sich sonntäglich gekleidet, war ein hübscher, lebensfroher Bursche und setzte eben seine Pfeife in Brand, als er zur Dirne sagte:-„Wo hinaus, Monica, hast Du's so eilig?“„Die Sonn' ist im Sinken, ich will zum Friedhof hinauf, morgen ist der Sterbtag meiner Mutter und ich war acht Tag nicht mehr oben.“ Dabei blickte sie recht wehmuthsvoll hinauf zur Felsenterrasse, auf welcher dort Kirche und Friedhof ruhen, nahm ihr Geräthe zusammen und schritt die schmalen Wege zwischen den Häusern hinauf.Niklas, dem diese Antwort offenbar nicht recht zu dem paßte, was ihm auf den Lippen saß, blieb die Gegenrede anfangs schuldig, und ging dann hinter der Dirne her, bis sie zur Steinermühle kam und dort ein wenig neben dem Wasserfall rastete, welchen dort der Mühlbach fast mitten um Ort bildet.


Waren nun früher seine Blicke mit heißer Begierde ihren Schritten gefolgt, so weidete er sich jetzt vollends an der anmuthigen Gestalt und sagte, ihr vertraulich zuwinkend: „Nun, Monika, hast Du Dirs überlegt?“„Was soll ich überlegt haben, Niklas?“„Wovon wir gestern und schon viele Tag' her reden, daß Du nicht so spröd' thun sollst, da wir niemand gestanden haben, daß wir Liebsleute sind, kannst Du mir's nicht verwehren, an Deinem Fenster anzuklopfen auf die Nacht.“


„Anklopfen kannst Du freilich, aufgethan wird’s aber nicht werden.“„Also hast mich nicht lieb– hast einen andern im Herzen?"„Nein, Niklas! Und ob ich Dich lieb hab!? Ach, wer das sagen könnt!... glaubst mir nicht? Es gibt keine Wort, Dirs zu schildern, wie sehr ich Dich lieb!...“


„Wirklich? Warum hast Du dann kein Vertrauen? Schau die andern Dirnen an und thu' nicht so spröd'... nicht wahr ich darf kommen?“


„Nein, Niklas, laß es sein, so wie's ist. Mißtrauen thu' ich nur mir selber, weil ich Dich so viel lieb hab'... wär' ich Dir weniger gut, es gäb' keine Gefahr dabei. Ich denk an die arme Anne Marie, die sich im Frühjahre dort in den See gestürzt hat, ihre Schand und ihr Unglück mit sich selber zu begraben.“.„Hör auf mit solchen Gedanken, glaubst Du, ich bin auch so falsch wie der Lois? Thu nicht so vornehm, oder bist eine Prinzessin?“


„Das nicht, aber eine arme Dirn und Du bist der reiche Sonnenwirthssohn; Dir verschlagt ein lustiges Abenteuer nichts, im Gegentheil die Dirnen schauen nur um so freundlicher nach Dir, mir aber geht alles verloren mit meiner Ehr', und meinen alten Vater brächts in die Grube... Gott soll mich bewahren.. .“


„Hm! Hm! wenn Du so denkst, könnt’st eine alte Jungfer werden, Monica.“„Besser eine alte Jungfer, als eine junge Verlorne.“„Schau wie altklug, wie und was hätt' denn zu gescheh'n nach Deiner Moral?“„Ist's Dir Ernst mit mir, Niklas, so geh dort hinunter: siehst dort steht Dein Vater und der Meine– sag wie's steht mit uns beiden und geben sie ihren Segen dazu– nachher komm wieder Niklas und ich bin Dein, bin Dein überglückliches Weib und Du sollst Dich niemals zu beklagen haben über mich!“


„Schaut's daher, sonst verlangst nichts? Das wär' ja mit der Thür ins Haus gefallen, zuerst dächt' ich, muß man sich gut kennen lernen, ob man zu einand' taugt– nachher erst kommt's End vom Lied bei uns da in den Bergen.“


„Vor fünfzehn Jahren haben die Eltern mich in das liebe Oertel gebracht, die Mutter haben's wohl eingesargt, eh' ich's recht gekannt hab'– aber mit dem Vater hab' ich dort drüben am Fuß vom Kalvarienberg in der Hütte gelebt mit Dir und allen Lieben, die da herin im Bergwinkel wohnen. Anderthalb Jahr sind's her, daß zur Nachtzeit der rothe Hahn auf unserem ärmlichen Dach saß, der blöde Hanns vom Sudhaus soll's angelegt haben und der heftige Sturm legte in Asche unser Hab und Gut, eh' Hilfe noch möglich war. Bettelarm und hilflos sind ich und mein alter Vater händeringend vorm Trümmerhaufen gestanden– aber Deine junge Stiefmutter war unser Rettungsengel, sie hat beim Sonnenwirth gebeten für uns, bis er uns aufgenommen hat für nichts als ein herzliches „Vergelt's Gott.“


Seither verdient sich mein armer Vater manchen Gulden durch die Holzschnitzerei und ich bin wie das Kind bei Deiner guten Mutter im Haus. Arbeiten ist alles, was ich zum Dank zu thun im Stand bin, beten für meine Wohlthäterin, die uns in Schutz nimmt, so oft uns auch der harte Sonnenwirth fort jagen will, gehorsam sein, ihren Lehren, mehr versteh' ich nicht für so viele, viele Gutthat. So, Niklas, hab ich Dich kennen gelernt, lieb gewonnen, wie's keine Worte sagen und hab' doch in mein Herz verschlossen, was ich gefühlt hab'– denn ich kenn' den Abstand zwischen uns beiden. Letzthin erst, wie wir herüber gerudert sein von der Gosau-Mühl'– da hast Du mir in einem schwachen Augenblick herausgelockt, wie's steht um meine Lieb' und mein Herz... weiß Gott, es wär’ besser, ich hätt noch immer nichts gesagt.... Das aber, Niklas, das ist mir in den langen Jahren klar geworden, daß ich glücklich werden könnt' mit Dir, glücklich über alle Maßen.Bist Du darüber noch jetzt in Zweifeln... dann ist's besser, Du laßt mich in Frieden und gehst einer anderen Lieb' nach–– die Dich glücklicher macht...


Rasch nahm die Dirne das Geräthe wieder auf und schritt ohne sich umzusehen zum Friedhof hinan. Sie hatte gehofft, er werde ihr nacheilen und antworten auf alles, was sie aus tiefster Seele gesagt hatte... aber als sie an der Mauer stehend sich umsah– war sie allein.


Ein heftiger Schmerz erfaßte ihre Brust– „er liebt mich nicht wahrhaft“ hieß der tiefe Seufzer, der ihr entfuhr und ihre lieben Augen mit Thränen füllte, während sie daran: ging das Grab ihrer Mutter zu schmücken....Niklas hatte mit zunehmendem Unmuth ihre Worte gehört, sein frohes Blut, sein leichter Sinn wollten von so altklugen Reden nichts wissen und als Monica geendet hatte, sah er ihr beleidigt und zürnend nach, daß er mit seinen raschen Hoffnungen abgewiesen war.„Da steckt was dahinter“ flüsterte er für sich und setzte in der rauhen Denkweise seines Vaters hinzu: „entweder liegt ihr noch ein Anderer im Sinn oder sie will's erzwingen Frau Sonnenwirthin zu werden.Aufgepaßt, so schnell geht nicht einmal ein Gimpel auf den Leim– unser einer lauft aber einer solchen Dirne doch nicht nach, das Abtrumpfen soll's noch bereuen. Freilich sauber und lieb ist's und ich könnt ihr gut sein vom ganzen Herzen, wie sie ist keine so gut und brav daherum... wahr ist's, sie muß mein sein, mag der Vater noch so bös' thun, die Monica ist mir in's Herz gewachsen wie keine. Deßwegen aber laß ich keine Traurigkeit merken, je lustiger ich thu' und je freundlicher ich mit andern Dirnen bin, um so eher wird sie zahm werden uud zugeben, wovon sie jetzt die kindische Einfalt noch abhalten will.“


Zufrieden mit seiner Philosophie ging er in das Haus zurück, wo ihn sein Vater, Elias Moser, schon erwartete, denn er hatte ihm eine wichtige Nachricht von den Ramsauer Leuten zu sagen.–


Als Monica ihre Arbeit am Friedhof beendet hatte ging sie nochmal hinaus, um sich aus dem Mühlbach Wasser für die Blumen zu holen, aber sie hatte keinen Blick für die entzückend schöne Fernsicht, welche man von dieser Stelle über den See, die Gebirge und den Ort Hallstadt genießt, denn sie war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt. Sie achtete es daher gar nicht, daß eben die Salzarbeiter vom Berghaus singend herabkamen und unfern von ihr vorüber eilten, während sie sich zum Wasser nieder beugte.


Die Leute beeilten sich, um nach schwerem Tagwerk zu den Ihrigen in den Ort zu kommen, nur der letzte von ihnen blieb zurück, umfaßte mit Eins Monica von rückwärts um die Mitte und drückte ihr einen Kuß auf die Wangen, bevor sie es hindern konnte.


Johann war's, ein Arbeiter, der vor einem Jahre von Leonfelden hiehergekommen war, ein verschlagener, toller Bursche, der nie um einen Spottreim oder Vierzeilige verlegen war; immer dabei zu finden sein konnte, wenn die Schlagringe zu thun hatten und seiner frohen Laune wegen überall gern gesehen wurde.


Wie er aber keine Dirne ungemeckt lassen konnte, so blieb auch Monica nicht von ihm ungeneckt, obwohl sie es ihm oft und derb gezeigt und gesagt hatte, daß sie nichts wissen wollte von ihm. Erzürnt über seine Keckheit erhob sich die Dirne und rief ihm unwillig zu: „Johann, ich sag Euchs zum letzten Mal, laßt mich in Ruh' oder Ihr sollt's bereuen. Gibt's doch Dirnen genug, die Euch zulachen, warum müßt Ihr mich peinigen, die Euch nicht leiden mag und dies Euch ehrlich gesagt hat?“


„Weil's mich freut und weil ich just von Euch noch mehr haben will, als einen Schmatz.Tragt die Nasen nicht so hoch und laßt Euch nichts träumen, von Niklas, der nur lacht über das Soldatenmädl, das ihm alleweil nachlauft. Ehe eine Monica einzieht beim Sonnenwirth, bevor geht der Dachstein durch eine Nadelöhre, eher trink ich den See da unten auf einen Zug aus.“„Das Niklas über mich lacht, ist eine Lüge, und daß ich ihm nachlaufe, ist eine elende Nachred, wie sie nur ein verlaufener Bursch, wie Ihr seid, erfinden kann. Geh, sag ich, Lügenmaul und laß mich in Ruh.“„Holla, was wär das? Dafür gibst mir einen Schmatz und laß dich umhalsen, oder“– rief der lustige Johann, während er abermals die Dirne umfassen wollte; diese aber erhob den Kübel zur Abwehr und traf ihn so derb an die Seite, daß der Verwegene taumelte und das Wasser von seinen Kleidern herablief. Glühroth vor Zorn wischte der Getroffene die Tropfen ab und schüttelte den Rock ab, aber er wagte es nicht mehr, mit der Dirne anzubinden, die sich so gut zu vertheidigen wußte. Dagegen lachte er voll Hohn und Ingrimm, indem er auf den See hinabzeigte und voll Schadenfreude ausrief:„Schlag nach mir, wie Du willst, hochnasige Hexe, was da unten vorgeht, gibt Dir's zehnfach heim, ohne daß ich mich anzustrengen hab'. Siehst dort die zwei Schiffe, die ans Ufer kommen, siehst die bildhübsche Dirn', mit der grad der Niklas gar so schön thut und plaudert, siehst im zweiten Schiff die zwei alten Leut' mit dem Sonnenwirth in Eintracht und Freundschaft? Schau gut hin, Monica, daß Du's erkennst, denn das sind die Ramsauer Leut aus der Steiermark, das ist die schöne reiche Rosalia und vom Niklas die künftige Braut. Nicht wahr, die Dirn ist schön und ihre Kropsperlen, ihre Ring und goldenen Schließen funkeln, ihre Goldhauben ist prächtig und– schau nur gut hin, wie's der Niklas eben aus dem Schiff hebt, wie sie sich festhaltet an seinem Hals und wie er sie im Arm völlig erdrückt, damit sie ja nicht fallen kann.... Na, Monica, warum starrst Du denn so wild hinunter, wegen was schlagst denn nicht nach dem kecken Burschen und Lügenmaul?Nicht wahr, das freut Dich? Na gute Nacht, Monica, für heut wirst' genug haben, glaub' ich," höhnte voll Schadenfreude Johann, indem er es sah, wie die Dirne die Augen voll Wasser hatte und nicht wußte, wie ihr geschah.


Es floigt da koan brat'ner Vogl in's Maul!

Drum verdean da dein Oessen,

Und los' nöt a Weil!


Spat kemma is zwida,

nix kriegn is's nu mehr!

Und es geht Oan gar oft

An an Tag völli sper.


A leichtfertigs Zeiserl

fliegt um überall,

und ihr Sach is dös Umfliegn!

Bis s'– aufsitzt amal!“


Solche Spottverse sang der rachsüchtige Johann indem er hinter Monica stand und gemächlich seine Pfeife stopfte; er sang sie immer lauter, selbst als er die steile Straße hinabging, so daß die Worte wie schneidige Messer der Dirne in die Brust dringen mußten.


Endlich ging sie recht betrübt und in Gedanken und Zweifeln verloren in den Friedhof zurück, begoß die Blumen und saß darnach neben dem Grabe der Mutter. Mit eins aber erwachte sie aus ihrem Sinnen, sie hörte eine Stimme, die ihr bekannt war, sie hörte lachen, scherzen und singen– und sie erkannte Niklas, der mit Rosalia den Kirche heraufkam, um sie in die Tremitsch zu führen, mit ihren malerischen Felsen und Häusergruppen die reizende Begleiterin bekannt zu machen, welche nicht ermüdete, Hallstdts seltsame Bauart zu bewundern, welche der Art ist, daß man aus dem Eingange der höher gelegenen Häuser auf die Dächer der tiefer liegenden tritt, weßhalb auch die meisten nebst dem gewöhnlichen Eingange auch noch einen an der entgegengesetzten Seite der Bedachung haben.Rosalia war eine wahrhaft verführerische Erscheinung, eine halb städtisch, halb bäurisch gekleidete Sirene, ihre schwarzen Augen schienen eben so viel zu verheißen als zu fordern, ihre feuchten halb geöffneten Lippen ließen zwei Reihen schneeweißer Zähne erblicken und ihr Rock war wohl nicht ohne Vorbedacht kürzer, als es üblich ist. Mit kecker Manier wußte sie sich auf ihren breiten Hüften zu wiegen und ihr Benehmen zeigte es, daß sie lange genug in der Hauptstadt gelebt haben mußte. Wie berechnend wußte sie sich an Niklas zu lehnen, bald zu stolpern, zu rutschen, oder gar zu fallen, um von seinen Armen gestützt, gehoben, umschlungen zu werden, und vielsagende Blicke setzten den Leichtfertigen in ungewöhnliche Aufregung. Schäckernd, tändelnd, in vertraulichster Weise sich neckend, haschend und –findend, kamen sie an der Friedhofmauer vorüber und Monica stand im Schatten einer Trauerweide, als beide sich umschlungen haltend, flüsternd und kosend wie alte Vertraute außen vorbeigingen. Lautlos hörte die arme Dirne ihre Reden, wie vernichtet sah sie es, daß Niclas in Feuer und Flammen für seine Begleiterin zu stehen schien und Monica ließ ihren Kopf an die Mauer sinken, ihre Augen brannten heftig, denn es fehlten ihr sogar die Thränen und in dumpfem brütenden Schmerz stand sie einsam am Friedhof, unter ruhig Schlummernden das einzige, leidende Herz:...


Der letzte Abendstrahl streifte nur mehr die Spitzen der Berge, als ein lautes Gebell die Träumerin erweckte– Philax sprang an sie hinauf und führte den Invaliden daher, der seine Monica suchte. Uebervoll wie ihr Herz war, sehnte es sich nach Mittheilung und alsbald wußte der Greis wie es um die Ruhe. des Mädchens stand, das sein Alles, sein Liebstes auf Erden war.– Wohl suchte er die Dirne zu trösten und auch Philax, der treue Genosse, legte seine Pfoten auf ihre vor die weinenden Augen gedrückten Hände, als wollte er dieselben herabziehen und Monica heiter stimmen durch seine possirlichen Sprünge... aber es gelang nicht. Der alte Mann war selbst bekümmert und wischte verstohlen mit dem verblaßten Aermel seiner verflickten Uniform das Naß weg, welches sich in seinen schneeweißen Schnurrbart verlief, der arme Pintsch sah winselnd zu den Trauernden hinauf und erst beim Schein der Sterne gingen sie heim in die bescheidene Hütte, welche hinter dem Sonnenwirthshause stand. Es war eine traurige, schlaflose Nacht, die Vater und Kind dort verbrachten, indeß es bei Moser hoch herging und das Singen, Jubeln, Tanzen und Musiziren, zu Ehren der Gäste, aus dem Hauptgebäude laut herübertönte in die Kammer der Armuth.– Gar nahe neben einander geht auf Erden der Schmerz und die Freude durch's Leben und Jubellieder klingen vermischt mit Seufzern der Wehmuth zum Himmel empor. Der nächste Morgen war klar und heiter heraufgezogen, frisch und kalt wehte der Wind über den See und schon in der ersten Dämmerung steht Crescenz, die Sonnenwirthin, beim Eingang des Hauses, ein dralles, rüstiges Weib, schweigsam, regungslos wie eine Statue, in sich versunken, so steht sie an die Schwelle gelehnt und sieht auf den See hinaus.


Von dort her sollte heute kommen, was den Festtag besonders verherrlichen sollte, was die ganze Umgebung in freudige Aufregung versetzte, nur sie allein nicht, denn gerade für dieses Weib erweckte der heutige Tag gar trübe Erinnerungen, die sie eingesargt und überwunden glaubte, und die mit eins in ihrem Herzen so lebhaft erwachten. Cenci war noch vor einem Jahr unverheirathet gewesen, lebte als Tochter eines geachteten Landwirths zu Abtenau und war die Braut des hiesigen Bergmeistersohns Hubert Schlager gewesen– alle Welt beneidete das frohe, heitere Paar.Da kamen unglückselige Zeiten voll Krieg und Hader, das Vaterland rief nach seinen Söhnen, die Urlauber mußten ihre Heimath verlassen und viele Freiwillige zogen mit ihnen voll edler Begeisterung die Heimat zu schützen. Hubert, zum Jäger erzogen, muthig und kühn wie einer, litt es nicht daheim, während es galt Gut und Blut zu opfern, er zog mit den Genossen für die Kriegsdauer fort in die Fremde und wie weh die Trennung der guten Cenci fallen mochte, sie fühlte wie er, sie war stolz auf ihren Geliebten, sie schieden auf ein fröhliches Wiedersehen und sodann auf glückliche Hochzeit.–


Es sollte anders kommen; im ersten Treffen schon blieb er auf dem Schlachtfeld, ein heimkehrender Verwundeter brachte seine letzten Grüße, sein Lebewohl in die Heimat and Crescenz weihte seinem Gedächtniß manche bittere Thräne.–Ein paar Monate waren seit dieser Trauernachricht vorübergegangen, als eines Morgens der Sonnenwirth in die Abtenau kam und bei Cenci's Vater einkehrte, der seit langem mit ihm befreundet war.


Der Hallstädter Moser war Witwer geworden, hatte auf die Tochter seines Geschäftsgenossen sein Auge geworfen und hoffte nunmehr, da ihre Hand frei war, auch die Braut heim zu führen. Der praktisch denkende Elias speculirte dabei ganz vorzüglich, gewann nicht nur ein rüstiges, jugendfrisches Weib, wornach sein Sinn, trotz der achtundfünfzig Jahre, die er alt war, sehnlichst begehrte, sondern er gedachte auch durch deren Aussteuer seinem Geschäft, seinem Namen und seiner Familie neues Ansehen zu verschaffen.


Cenci's Vater, der gerade mit barem Geld in Verlegenheit war, und eine runde Summe an Schulden zahlen sollte, die sein lustiger Sohn gemacht hatte, fand diesen Antrag gelegen und gegen Ueberlassung von Aeckern und Vieh um so sehr günstige Preise übernahm es Moser alle Differenzen zu begleichen, dagegen sollte Cenci sein Weib werden. Die Alten waren einig, bevor die Dirne vom Handel eine Ahnung gehabt hatte, und von einem Widerspruch ihrerseits wollte Keiner etwas wissen.


Crescenz nun war anfangs voll Widerspruch, wollte nichts von Moser wissen, der nicht nach ihrem Sinn zu sein schien, sie begehrte, daheim bleiben, oder lieber weit fort in Dienst gehen zu wollen. All das gab aber der Bauernstolz nicht zu, gar derb und verständlich wurde es ihr zu Gemüthe geführt, wie es an ihr wäre, das vierte Gebot durch Dankbarkeit und Gehorsam zur Wahrheit zu machen, wie durch sie das Ansehen der Wirthschaft erhalten, die Zukunft ihres Bruders noch einmal gerettet werden könne und, der ewigen Qual und Vorwürfe müde, wurde sie nach weitern zwei Monaten das Weib des Sonnenwirths. Wie bang ihr dabei zu Muthe war, wie schwer es ihr wurde, ohne innere Neigung einem Manne anzugehören, rauh, hart und herrisch wie der Moser war, wie schwer sie sich lossagte von aller Erinnerung an ihre wahre Liebe– all das sah nur Gott allein, die Welt um sie beneidete das überglückliche Weib.


Als sie aber den ewig bindenden Schritt gethan hatte, gelobte sie sich, in Züchten und Ehren ihre Pflicht zu erfüllen, und keiner lebte in den Bergen weitaus, der nicht bald mit Achtung von der Frau Wirthin sprach, die mild und gut und liebevoll war in demselben Grad, als der Sonnenwirth unerbittlich streng, zornig und herzlos.


Die Leiden und Freuden eines solchen Ehestandes schildert wohl keine Feder, sie stehen aber um so tiefer eingegraben in den Herzen der Menschen. Bei Crescenz kam kein Wort, keine Klage über ihre Lippen, die Welt erfuhr nichts davon, wenn es Sturm gab daheim und selbst ihre Erinnerung kämpfte sie mannhaft darnieder. Aber heute sprengte der erste Morgenstrahl schon die Gruft der Vergangenheit, denn ganz Hallstadt schmückte sich, von nah und fern waren Leute erwartet, denn das kleine Gebirgsdorf beging heute ein großes Fest: die Hallstädter, welche ihre Dienstzeit beim Militär beendet hatten, so wie einige Freiwillige, die im letzten Kriege verwundet worden und zu leidend gewesen waren, um vor ihrer Heilung heimgesendet zu werden, sollten endlich wiederkehren an den heimischen Herd und man rüstete sich, sie feierlich zu begrüßen. Schiffe mit Musikern, mit Blumen geschmückt wurden ihnen entgegen gesendet, Pöller wurden vorgerichtet, eine Ehrenpforte erbaut und der Sonnenwirth ließ es sich nicht nehmen, sie den ersten Tag hindurch bei sich zu bewirthen.


Was nun alle Leute mit Freude erfüllte, das erfüllte Crescenz mit Wehmuth, indem sie des Gefallenen gedachte, der in fremder Erde ruhte, und mit dem ihr Lebensglück eingesargt worden war. Lange sollte sie indeß das Glück nicht genießen, ihren Gedanken nachhängen zu können, denn alsbald wurde es auch im Hause lebendig und der Sonnenwirth, der auch nicht zu ahnen vermochte, was ihr Innerstes bewegte, schalt sie ob ihrer trüben Miene, hieß sie freundlich mit den Gästen sein und wollte heute nur lustige Gesichter sehen. Warum er dies wollte? Weil er selber in bester Laune war, denn der alte Ramsau hatte sich Tags zuvor sehr freigiebig erwiesen, seiner Tochter eine unverhofft reiche Aussteuer zugesagt und war so gefügig und eilig bei dem Abschluß der Hochzeitsberathungen für Rosalia und Niklas gewesen, daß ein unbefangenes Auge es hätte ahnen müssen, der Vater habe es sehr dringend, sein Kind unter die Haube zu bringen.


Mehr als den Sonnenwirth aber erfüllte dieser Tag den alten Jakob mit Freude, denn heute kamen „Kriegskameraden“ hier an, heute gewann seine alte Uniform wieder an Bedeutung, heute konnte er wieder seine Soldatengeschichten zum besten geben und er putzte sich so gut heraus, als es seiner Armuth möglich war.


Der beste Soldatenrock, die neueste Mütze wurde gewählt, „das Kanonenkreuz“ funkelte wie neu an seiner Brust, und selbst Säbel und Stock schienen sorgsamer als jemals gesäubert. Monica mußte ihre besten Kleider hervorsuchen, mußte den guten, treuen Philax sogar auf den Glanz herstellen, und längst bevor noch ein Schiff zu sehen war, standen alle drei am Ufer des Sees: der Invalide den Burschen Geschichtn erzählend, von der Leipziger Schlacht, der Pintsch zu seinen Füßen, jeden Winkes gewärtig, Monica dagegen still und sinnend, sie sah nur zu oft zum Niklas hinüber, der Auge und Ohr, Herz und Sinn nur für die verführerische Rosalia zu haben schien, welche ihn nicht von ihrer Seite lies.


Schon war es fast Mittag geworden, als die versammelten Leute am Ufer in Bewegung geriethen– ein Schiff wurde sichtbar, ein zweites,- ein drittes und Musik, Pöllerschüsse, Glockengeläute, Gesang und betäubender Jubel begrüßten die Theuren, die Braven, welche in raschen Ruderschlägen näher kamen.


Blühende Lippen, liebevolle Arme, herzliche Händedrücke empfingen Bruder, Sohn oder Bräutigam, führten ab und zu auch einen Verstümmelten ans Ufer, der gar rüstig ausgezogen war. Da gab's ein Küssen, Lachen, Umarmen, Erzählen und Weinen, in Wiedererkennen oder Bedauern für den mit Medaillen geschmückten Krüppel, daß es betäubend war und daß man beinahe einen Mann übersah, der als letzter an das Ufer sprang, in der Menge sein Theuerstes suchte, suchte und– nicht fand.


Mit eins erblickt der zunächst stehende Johann von Leonfelden den jungen, etwas bleichen und noch leidend aussehenden Mann, der im allgemeinen Jubel allein steht und seine kräftige Stimme ruft: „Ist's denn möglich, Ihr seid am Leben?– Hubert Schlager? Hubert Schlager ist wieder daheim?" und eine Gruppe des Schreckens, der Verwunderung, des Staunens steht wie gelähmt um den jungen Mann – der Kreis öffnet sich gegen das Haus des Sonnenwirthes, an dessen Schwelle Crescenz stehen geblieben war.Ist es der Hubert selbst oder sein Geist? schienen alle Blicke zu fragen, während Schlager, selbst in höchster Freude, so gut es seine noch nicht ganz geheilte Wunde erlaubte, hineilt zur Sonnenwirthin, „Cenci! Cenci!“ rufend aus tiefster, liebender Brust. Aber kein Laut antwortete ihm von ihren Lippen- ihr Blick starrt auf ihn– ihre Wange erbleicht– ihre Hände wollen ihn abwehren -Ihre ganze Gestalt beginnt zu zittern– sie schlägt die Hände jammernd vor das blasse Gesicht.....„Cenci! Cenci! Ja, ich bin's, komm an mein Herz, mein Alles, nicht wahr die Freude ergreift gar gewaltig? Endlich, endlich, hab ich Dich wieder---------------Mit einer raschen Geberde, zog er die halb Bewußtlose in Arme, presste sie an sein Herz, deckte ihre Hände mit Küssen und bemerkte es in Übermaß der Freude kaum, daß sein Jubel nicht erwidert wurde, daß Crescenz nur wie ein willenloses Wesen in seinen Armen lag


Starr vor Schreck standen alle Leute, nur der Sonnenwirth gewann rasch

seine Ueberlegung und Härte wieder.Mit finsterer Miene schritt er auf die verhaßte Gruppe zu, zog mit einem derben Griffe seiner eisernen Faust das Weib aus Huberts Armen und sagte mit vor Zorn bebender Stimme: „Halt da, laßt in Frieden, denn in der Schrift steht geschrieben: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Hausfrau."„Was sagt. Ihr Sonnenwirth, und wer tritt da zwischen Cenci mich?“

„Ich. Elias Moser von Hallstadt und mit Recht– sie ist mein Weib, und hat mit keinem Anderen etwas gemein.“„Crescenz! Crescenz?! rief voll Aufregung Hubert.„Nein, Nein! Er lügt, es ist nicht, es kann nicht sein!!“-„Wer lügt?" schrie zornroth Moser und hob drohend die Hand, „hüte Dich, Bursche, das nochmal dem Sonnenwirth zu sagen, Du bist für meinesgleichen doch zu niedrig, um eine Nothlüge nothwendig zu machen. Glaubst Du mir nicht, so soll sie's Dir selber sagen und dann geh Deiner Wege.“-„Red'– red' Crescenz– sag' daß es nicht wahr ist!“--„Der Sonnenwirth spricht die Wahrheit, Hubert– ich bin– sein Weib"... stieß die Weinende mühsam hervor und ging wie eine Träumende schluchzend ins Haus zurück, ihr Unglück vor den tausend Blicken zu verbergen, die sie jetzt nicht ertragen konnte.Rasch folgte ihr Moser, Zorn im Herzen, Verwünschungen auf den Lippen; den Schmerz der unverhofft sich wieder findenden Liebesleute konnte er nicht verstehen, daß aber einer an das Leben griff, das er sein Eigenthum, das er ehrlich erstanden hatte,– wie es seine Denkweise zu bezeichnen liebt, das versetzte ihn in namenlose Entrüstung.....---


Lange blieben außen die Leute in tiefster Theilnahme wie gefesselt, sprachlos stehen, während Hubert auf dem Baumstrunk vor dem Hause saß und kaum wußte, wie ihm geschah. Der alte Jakob, von seinem getreuen Philax und von Monica geführt, ging dann auf den Betrübten zu, ihm treuherzig die Hände zu schütteln, ihm zuzusprechen und ihm so manche Erinnerung aus seinem Leben über unverhofftes Wiedersehen verloren geglaubter Soldaten– als einzigen ihm verfügbaren Trost, zu erzählen. Das herzliche Wort des Invaliden, die Aufmunterung zur Mittheilung lösten die Betrübniß des betäubten Hubert in etwas und, von seinen Genossen umstanden, erzählte er die Geschichte seiner Genesung-„Ich bin ausmarschirt voll Muth und froher Hoffnung, aber eine der ersten Feindeskugeln war für mich gegossen– sie traf mich hier in die Seite. Am Grabenrand unfern von einem kleinen Dorf sank ich nieder, flüsterte einem Kameraden meine Abschiedsgrüße für die Meinen zu und verlor das Bewußtsein.Die Unsern mußten retiriren, die Feinde kamen an mir vorüber und plünderten mich bis auf's Hemd aus– für todt lag ich im Freien, nur für Augenblicke erlangte ich das Bewußtsein. Spät Abends war es, ein feiner Regen fiel von Himmel nieder und labte mich durch seine Frische, ich sah die Sterne am Himmel über mir flimmern, als die Wolken vorüber gezogen waren, und lautlose Stille herrschte am Schlachtfeld, als die Besinnung wieder zu schwinden begann, es lag wie Blei auf meinen Sinnen, Schleier deckten meine Augen... Für todt hab ich bei den Soldaten gegolten, ich flüsterte mein letztes Gebet...


Als ich wieder zu mir selber gekommen bin, lag ich auf einem weichen Bett in einem netten Zimmer und eine Wärterin sagte mir, wo ich war und wie ich hieher gekommen bin. Ein reicher Bauer, ein echter Menschenfreund, hatte auf dem Schlachtfeld zur Nachtszeit diejenigen aufgesucht, in denen noch ein Lebensfunke zu finden war, nahm sie heim und übte an ihnen das Werk der Barmherzigkeit ohne zu fragen, ob sie seine Freunde oder Feinde waren.Mein Retter sprach mir Trost zu, war erfreut mich nach Monatelangem Fantasiren besser zu finden, verbot mir aber zu reden, denn der Arzt konnte sonst für meine Heilung nicht bürgen. Der gute Bauer wußte nicht, ob ich sein Landsmann sei oder nicht, aber er war und blieb mein guter Engel mit gleicher Lieb', als er es später hörte, daß ich zu den Seinigen gehörte.


Meine Besinnung währte nur kurz, erst nach weitern Wochen war ich wirklich etwas besser geworden, aber die Gegend war noch unsicherer als je– der Krieg tobte gerade um uns herum mit rasch wechselndem Glück und ich mußte mich verborgen halten, denn manche Landsleute meines Beschützers wären nicht abgestanden davon, mich fortzuschleppen oder zu tödten, wenn sie es erfahren hätten, daß ich zu den Feinden gehörte. Als ich zum erstenmal wieder ins Freie trat, marschirte eine kleine Abtheilung meiner Landesbrüder sich flüchtend durch den Ort und einem der Soldaten entdeckte ich mich rasch, sagte ihm alles, was er dahier zu melden versprach und gab ihm überdieß einen Brief mit für meine Crescenz..... Beide kamen nie an Ort und Stelle; eine Abtheilung von Reitern sprengte eine halbe Stunde später den Unsern nach durch das Dorf, holten die wenigen Leute ein und hieben sie nieder.... Wochen währte es abermals, man wußte nicht, wem man angehörte, so wechselnd war das Schlachtenglück und ich fühlte mich endlich so weit gekräftigt, daß ich entschlossen war, dem ersten Trupp der Unsern, der vorbeikommen würde, mich anzuschließen und wieder das Gewehr für mein Vaterland zu ergreifen. Ein kurzer, aber rührender Abschied von meinem Lebensretter, den Gott erhalte, für den ich täglich Zeit Lebens beten will, bleibt mir unvergeßlich und der durchgehenden Post gab ich abermals einen Brief mit an die Meinigen, während ich selbst Tags darauf zu den Freunden stieß....


Das Glück war abermals nicht mit mir... Ich wurde gefangen genommen, den Postwagen sah ich ein paar Tage später zertrümmert und ausgeplündert im Straßengraben liegen und der Verzweiflung nahe ging ich an dem Hause, das mich so liebevoll aufgenommen hatte, vorüber, von Feinden umgeben, mit mehreren Kameraden in die Gefangenschaft. Weit im Land wurden wir herumgeschleppt– ich bekam das Fieber wieder– lag wochenlang im Spital– und als ich mich besser fühlte, gab ich mein letztes, meinen Ring von Crescenz hin an meinen Wärter, der mir dafür versprach, einen Brief an meine Dirn" zu bestellen. Der Elende verkaufte mein größtes, letztes Gut, vertrank das Geld im Branntwein und warf meinen Brief in den Koth der Straße, dort habe ich einige Tage später einen Fetzen desselben gefunden.


Nochmals schrieb ich durch einen heimkehrenden Soldaten– Gott weiß es allein, wo er und der Brief geblieben sind– damals glaubte ich, die Meinigen seien beruhigt– jetzt seh' ich es wohl, daß auch diese Hoffnung eine Täuschung war.


Endlich war der Friede geschlossen, ich kam wieder los, wollte die Meinigen überraschen, eilte heim, traf gestern zu Linz mit meinen Landsleuten zusammen und –bin wieder da!... Warum hat mich der Bauer vom Feld aufgelesen, warum mußt' ich so viel ertragen– wenn ich daheim nichts als Kummer und Unglück finden sollte? Wär' ich damals gestorben, ich wär' glücklicher daran, als jetzt mit dem Schmerz in der Brust.


Theilnehmend umstanden die Leute den Burschen, suchten ihn zu trösten, dann zerstreuten sie sich nach allen Seiten, beim Sonnenwirth blieb aber Niemand, dort war es bald still und öde– seine große Tafel konnte er mit den Rämsauer Leuten allein genießen.


Crescenz schloß sich in ihre Stube ein und war, trotz den Drohworten Mosers nicht zu sehen.


Elias und Niklas dagegen hoffirten ihre Gäste ohne Ende, besonders der letztere war in den Netzen der schönen Rosalia ganz und gar gefangen. Monica war rastlos thätig, um die arme Hausfrau zu erseten, und Mosers Willen an den Augen abzulesen, damit sich über ihrer Wohlthäterin kein Wetter entlud. In Haus und Hof, in Küche und Keller wirthschaftete die Dirne rastlos, um so im Kleinen wenigstens ihre Dankbarkeit zu beweisen, obwohl auch ihr nicht leicht ums Herz war, wenn sie Niklas mit seiner neuen Begleiterin sah und oft und oft mußte die gute Dirne während der Arbeit die Augen trocknen, denn sie wurden immer wieder naß, sie wollte wollen oder nicht.–


Hubert Schlager gefiel sich noch am besten in der Nähe des alten Invaliden, denn ihre Gemüthsstimmung paßte heute um sich leicht zu verstehen und beide blieben beisammen. Sie gingen mit einander hinauf zum Rudolfsthurn, wo früher Huberts Vater gewohnt hatte, da er Bergmeister gewesen war. Dort war für ihn noch immer eine Stube frei, dort war sein väterliches Erbtheil aufbewahrt, und dort verbrachten die zwei gewesenen Soldaten bei traulichem Geplauder und frugalen Male den Tag. Dort erzählten beide einander bei einem Glase Wein ihre Erlebnisse, ließen das Vaterland leben, und vergaßen zeitweise die traurige Gegenwart über die Schlachtenscenen, die sie gesprächsweise so lebhaft ausführten, daß bisweilen Philax unruhig werdend an ihnen hinaus sprang und laut bellend– ihre kriegerischen Träume zerstörte.


Beim Sonnenwirth war es inzwischen still geworden, an nächsten Mittag zogen die Gäste aus der Steiermark wieder fort, die Alten waren einig und von Niklas sahen sie, daß Rosalia seine Sinne vollends gefangen hielt; das weitere dachten sie, wird schon kommen und sie hatten wohl recht, diesem lustigen, leichtfertigen Jungen gegenüber. Bisweilen freilich mahnte es ihn an die liebe, treuherzige Monica, aber diese schien ihn ja jetzt gerade zu meiden, war immer traurig, still verschlossen und das verdroß ihn, reizte ihn zum Zorn. Zudem war sie gar so schlicht, einfach ärmlich und sittenrein, daß die prächtige immer scherzende, gefällige Tochter Ramsaus ihn wieder zu verblenden wußte. Er begleitete daher auch die Gäste bis Aussee und auch der Sonnenwirth erwies ihnen diese Ehre, alle fuhren Nachmittag von Hallstatt ab und über den See. Monica dagegen war unabläßig bemüht die betrübte Crescenz durch Erzählungen und Scherzreden aufzuheitern, was ihr indeß nicht gelingen wollte. Das arme Weib athmete tief auf, als es des Zwanges ledig und im Hause allein war; sinnend saß sie in der Stube, wie betäubt kam sie zu keiner Ueberlegung, keinem Entschluß. Immer tiefer fraß der Geier der Reue sich in ihre Seele, immer wehmüthiger wurde ihr bei dem Gedanken uns Herz wie glücklich sie nun wäre, wenn sie ausgeharrt hätte in Treue und Glauben. Namenlos gequält von diesen furchtlosen Ideen, saß sie am Fenster, die Hände im Schooße gefaltet, als mit eins die Thüre aufging– Hubert stand vor ihr. Ein Schrei rang sich los von ihren Lippen, ihm an den Hals zu stürzen trieb sie ihr Herz, auf den Sitz stieß die Pflicht sie zurück und ein Zittern ging durch ihren Leib. Finster, trüb und bleich stand Schlager vor ihr, sein Blick schien sie wie Feuer zu brennen, seine Züge waren von Aufregung wie verzerrt, als er sich ihr gegenüber auf die Fensterbank setzte.


Was sie sich zu sagen hatten, war die verhängnißvolle Geschichte zweier Herzen, die sie an seinen Tod glauben ließ, die durch Ueberredung und Qualen seine Braut zum Weib eines andern gemacht hatte. Sie standen beide am Grabe einer lachenden Vergangenheit und an dem Rande eines Abgrundes; fanden sie in sich die Stärke zur Lösung, zum Scheiden, zum neuen Denken und Fühlen so war eine Zukunft in Ehren möglich, fanden sie diese nicht– so war endloses Unheil gewiß. Ein drückender, ein drohender Schatten lag über beiden und Hubert erfaßte Erbitterung wenn er des Geschehenen gedachte: „Dein ist die Schuld“ rief er aufstehend „denn Du bist ein treuloses Herz. Das sind Deine Versprechungen, das ist Deine Lieb' gewesen? Nicht ein Jahr lang konntest Du leben für mich, der alles Unheil trug in der Hoffnung auf Dich! Im Kugelregen, im Spital und in meiner letzten Stund' hab'ich nur an Dich gedacht und Deine Lieb' ist mir das höchste geblieben. Du aber hast Eil' gehabt, mein Grab zuzuwerfen, Deine Schwüre, Dein Gedächtniß sogar mit hinab zu versenken und im weichen Ehebett Trost und ein besseres Glück zu suchen. Hätt' ich's gewußt, Crescenz, was ich daheim sinden soll– Gott ist mein Zenge, ich hätt' den gedankt, der mir's Messer in die Brust gestoßen hätt!... Cenci, Cenci; es gibt eine Vergeltung, mög' sie Dich nicht so entsetzlich strafen, wie mich Deine Untreu' elend macht für's ganze Leben.“...


„Hubert!“ Hubert!“ klagte die Wirthin. „Wie kannst Du mich so bitter kränken, so herzlos verdammen? Du weißt nicht, was ich litt, wie sie mich quälten, mir drohten und mich verfolgten, bis ich dieses Leben hingab, das ja doch ein verlorenes war, seit ich glaubte, Du seist gestorben. Ob ich hier Freude hoffte, ob ich sie fand– das sieht der Vater im Himmel allein! Meine Freiheit, mein Glück, mein Alles hab' ich dem Glück der Meinen geopfert, aber mein Herz blieb frei, mein Herz hat niemand lieb auf Erden als Dich, und Dir soll's treu sein und bleiben, muß es auch in Entsagung schweigen für ewig!“...


„Crescenz“ rief bewegt ihre Hände fassend der Geliebte. „Wenn's so ist, dann bist Du mein, dann mußt Du mir angehören, dann will ich Dich erkämpfen und gilts ein Menschenleben!“ und in höchster Leidenschaft zog er sie an sich.„Jesus Maria! bewahre uns vor Sünde Vater im Himmel!“ schrie Crescenz und wehrte ihn ab. „Unglücklich sind wir, mach' uns nicht elend auch noch dazu. Geschworen hab' ich ihm Treue, das ist heilig und das will ich halten."-In höchster Aufregung wollte Hubert widerstreben, während sie ihn zu beruhigen suchte, da drückte sich außen in der Dunkelheit ein männliches Gesicht an die Fensterscheibe– es war der Sonnenwirth, der nur bis Obertraun mit dem Ramsauer gefahren war und unverhofft schnell heimgekehrt war. Als er, welchen die Sprechenden im Zimmer nicht sehen konnten, Hubert erblickte, der Cenci's Hände umschlungen hielt, da verzerrten sich seine Züge vor Wuth und Rachsucht, mit einem dumpfen Schrei sprang er zurück und stand rasch darnach in der Stube.


Entsetzt gewahrte das Weib seine Aufregung, trotzig blickte Hubert auf Moser, dieser aber fand kaum Worte, seinen Grimm auszusprechen und er sagte keuchend zu Schlager:-„Was sucht Ihr ja in meinem Haus? Ich weiß nichts davon, daß ich's Euch erlaubt hab', daher zu kommen, wo ich ungebetene Gäste mir verbieten will. Ihr habt einmal, wie sie sagen, mit Crescenz eine kindische Liebelei gehabt– das mag sein, doch es ist vorbei, muß vorbei sein ein für allemal, denn fremde Jäger duld' ich nicht in meinem Geheg' und seid hr ein guter Schütz, so laß ich mich auch nicht spotten, gilt's einen Wilddieb im Wald, oder einen Marder im Haus, oder gar einen Schurken, der nach Weibern herumschleicht, mir gilt es gleich und ich weiß zu treffen. Gewarnt hab' ich Euch, weiter haben wir nichts zu reden– find ich Euch nochmal auf verbotenen Wegen, so wahr ich der Sonnenwirth bin, Ihr sollt's bereuen Zeit Lebens!“


Mit furchtbarer Aufregung vernahm Hubert diese herzlose Rede, seine Hände ballten sich, seine Lippen wurden weiß, seine Augen blitzten von wildem Feuer und er schrie sich kaum bezwingend: „Sonnenwirth!

Habt Ihr denn kein Herz im Leib?! Sonnenwirth, Ihr sollt mir“– da fiel sein Blick auf Crescenz, die ihn mit erhobenen Händen, von Thränen überströmt um Nachgiebigkeit und Schonung bat. Sie zu schonen, über die der Sturm sich wohl am meisten entladen hätte, sprach er nicht weiter, kämpfte

alle Qual hinab, fuhr sich mit der kalten Hand über die glühenden Augen und stürzte fort und in die Nacht hinaus.–


Crescenz blieb regungslos, schweigend, in der Ecke sitzen, Elias ging dröhnenden Schrittes mit verschrenkten Armen auf und nieder. Endlich schien er mit sich einig zu sein, ein tückischer Gedanke entlockte ihm ein schlaues heimliches Lächeln, er trat finstern Blickes vor sein Weib hin, und sagte mit fester, rauher Stimme zu ihr:„Das Jammern und Klagen hab' ich satt, Crescenz, es ist Zeit, nach der Wirthschaft zu schauen, sie braucht die Hausfrau und doppelt jetzt, denn ich muß morgen früh schon nach der Abtenau wegen dem Getreidehandel hinüber, vor zwei, drei Tagen kann ich nicht heimkommen und Du mußt mich vertreten. Hast Du übrigens einmal den Hubert gern gesehen und nachher geglaubt, er sei todt– so ist jetzt nichts mehr zu ändern, was inzwischen geschehen ist, und der Mensch muß das Leben nehmen, wie es sich fügt, nicht wie er's sich selber ausmalen möcht! Dem Burschen hab' ich den Text gelesen und er kennt mich genug, um sich's gesagt sein zu lassen, Du aber, Crescenz, laß das süß thun und die Mondscheingedanken, ich leid sie nicht und sie führen zu nichts. Du hast ein gesichertes Auskommen, eine hübsche Wirthschaft und ein ruhiges Leben– was willst Du mehr?Wegen Hubert hat's gute Wege, heut und morgen etwa macht der Trotz und der Eigensinn ihn noch übellaunig, in acht Tagen lacht er selber über seine Dummheit, nimmt sich eine andere Dirn' und kein Hahn kräht mehr nach Euren Kindergeschichten von damals. Richt' mir, was ich morgen mitnehmen muß und nachher laß' uns bei Zeiten schlafen gehen, Ich muß mit der Sonn' schon auf und unter Wegs sein.“–


Schweigend hörte Crescenz seine Worte an, befolgte seinen Befehl und als sie einen Augenblick allein blieb, schlich sie in den Hof hinaus, zog Monica zu sich und flüsterte ihr so leise zu als es anging: „Wenn Du mir gut bist– geh zum Hubert- er ist in größter Aufregung fort– Gott weiß, was er beginnt,– sag' ihm, er soll nicht verzagen– der Sonnenwirth muß verreisen– daher kann der Schlager nicht kommen– er soll mich morgen auf die Nacht um 9 Uhr beim Rudolfsthurm erwarten– ich komm' und muß noch einmal reden mit ihm- ich kann nicht anders– vielleicht kann ich ein Unglück verhüten, mir ist so bang, als stünd' das Schrecklichste bevor. Geh, lauf– aber daß Dich Niemand sieht, sag' er soll hoffen und vertrauen auf den Vater im Himmel– vielleicht wird noch alles gut.“


Eilig wie ein Schatten huschte sie wieder ins Haus und bald darnach herrschte lautlose Stille beim Sonnenwirth. Crescenz aber betete voll heißer Inbrunst: „Vergib mir's Allmächtiger, daß ich die Dirn' zu solcher Botschaft brauche, aber ich habe niemand daherum, der mich nicht verrathen kann, als diese treue Seele, die Monica. Und ist es Unrecht, daß ich Hubert noch einmal sprechen will, so sei gnädig mit mir, es soll das letzte Mal sein für alle Zeit.Ich will ihn ja nur vor einer Uebelthat warnen, will ihn recht herzlich bitten, daß wir uns trennen in Ehren, daß er in der weiten Welt sein Glück suchen und finden möge– und Du Herr da oben, mach ihn recht, recht froh und glücklich und laß ihn heiß geliebt sein von einer andern– ich will dann gern dulden, leiden und schweigen.“........


Sobald ringsum kein Auge wachte, schlich Monica hinauf zum Rudolfsthurm, überglücklich, der armen Frau beistehen zu können. ihr eigener Schmerz trat in den Hintergrund, dankte sie doch so viel der jungen Frau, welche alles besaß, um glücklich zu sein und doch schlummerlos die schleichenden Stunden der Nacht unter Thränen zählte.–


Der nächste Morgen war unfreundlich düster, schwarze Wolken stiegen auf, ein kalter Wind strich über den See, Moser ließ sich nicht abhalten nach der Abtenau zu reisen und als er das Haus verließ spielte ein tückisches Lächeln, wie ein lauernder Gedanke, um seine Lippen. Trüb und unheimlich, wie außen war es im Hause und als die Thurmuhr die achte Stunde verkündet hatte, steigerte sich das Unwetter, sodann fiel in dichten, wirbelnden Flocken der erste Schnee auf Berg und Thal hernieder.


In der Eßstube beim Sonnenwirth saß Monica spinnend, der alte Invalide ihr zur Seite erzählte ihr von der „Befreiungsschlacht,“ denn eben war die Nachricht gekommen, daß man deren Jahrestag festlich begehen wollte und das erweckte alte Erinnerungen, so wie die Sehnsucht, an der Feier zu Leipzig Theil nehmen zu können. Philax lag geduldig zu den Füßen des Erzählers die Dirne aber hatte heute kein geneigtes Ohr, ihr bangte unendlich um „die Frau“ und sie hätte Crescenz so gerne abgehalten von dem Gange zum Rudolfsthurm. Die Sonnenwirthin selbst fühlte ihre Aufregung mit jeder Minute steigen, preßte die Hand auf's pochende Herz und zitterte um so heftiger, je näher die entscheidede Stunde kam. Endlich als es halb neun Uhr Abends schlug, warf sie entschlossen ein großes Tuch über, flüsterte der Dirne zu: „Bleib inzwischen da und bet für mich!“ und huschte. in die finstere Nacht hinaus und bergan.



Monica brachte kein Wort der Erwiderung hervor, ihr Athem stockte, sie wußte, daß die Frau keinen schlechten Schritt that, sondern, daß ihr Gang das Beste bezweckte, aber dennoch war ihr völlig unheimlich zu Muth. Bald saß sie betend, bald nahm sie das Spinnrad wieder zur Hand, bald stand sie am Fenster und blickte in die beschneite Landschaft hinaus– bald ging sie auf und nieder ohne Ruhe und Rast, als mit eins die Thür aufgestoßen wurde und der Sonnenwirth steht in der Stube. Leidenschaftlich erregt, eilt er durch die Kammern, schlägt Thüren auf und zu und tritt dann so heftig und drohend auf Monica zu, daß Philax auf ihn knurrend losfährt, was ihm indeß nur einen derben Fußtritt einbringen sollte. Mit einem leisen, gewaltsam unterdrückten Schreckensruf hat die Dirne den unverhofft Heimgekehrten erblickt, und während der alte Jakob seinen winselnden Freund begütigend streichelt, herrschte ihr Moser zitternd vor Wuth zu: „Wo ist die Frau? Wo ist Crescenz?“ Kaum ihrer mächtig zögerte Monica in höchster Angst und erst seiner erneuerten Frage entgegnete sie kaum hörbar: „In die Echern zu ihrer kranken Schwester.“ Es war wohl ihre erste Lüge.– „In die Echern?“ schrie Moser, Monica finster anblickend. „Ich will sehn, ob's wahr ist; weh Dir, wenn Du lügst. Weh ihm und ihr, wenn ich sie wo anders finde, blutige Rache will ich haben.“


Damit riß er das doppelläufige Gewehr von der Wand, und war aus dem Hause verschwunden, bevor Monica aufsah. „Allmächtiger Gott!“ stöhnte die Dirne die Hände ringend, sprang empor, überlegte, sann und bat den Himmel um Rath. Dann fiel sie dem Alten um den Hals und sagte tonlos: „Vater, ich muß fort– ich muß hinauf– es gilt Crescenz– ich kann nicht anders– mir sei der Himmel gnädig.“ Damit floh sie aus der Stube, lief in athemloser Hast trotz Schneewirbeln und Wind die öden Gassen dahin und ins Freie, dem Berg zu.


Mit ihren Haarflechten spielte der Sturm, ihr leichtes Gewand flatterte lose um sie, doch Monica fühlte nicht Kälte, nicht Dunkelheit, in ihr glühte es gewaltig, es galt zwei Leben, es galt den Engel ihres Daseins zu retten. Lautlos lag die Gegend vor ihr, und Niemand begegnete der Dirne, aber sie ward dennoch gesehen. Johann, der Arbeiter von Leonfelden, saß im Dunkeln einer Kammer mit mehreren Genossen noch unfern vom Fenster, leise plaudernd beim Rauch ihrer Pfeifen, als sein scharfes Auge plötzlich einen Schatten vorbeihuschen sieht. Alsbald springt er auf, erkennt Monica und sein beleidigtes, rachesüchtiges Gemüth ahnt ein Geheimniß, eine Gelegenheit zur Genugthuung. Eilig ist er mit sechs bis acht Kameraden entschlossen, der Dirne so leise und rasch als möglich zu folgen, wie Schatten heften sie sich an ihre Spuren und behalten sie im Gesicht, obwohl die Kleine Flügel zu haben scheint und einen Vorsprung gewonnen hat.–


Nichts von all' dem ahnend, was ihr so gewitterschwer drohte, war inzwischen Crescenz zum Rudolfsthurm gekommen, den sie kaum zu erreichen gehofft hatte, so schwer lag es auf ihrer Seele. Beinahe brachen die zitternden Füße unter ihr zusammen, es war die erste heimliche scheinbar schlechte That ihres Lebens und oft und oft rief es in ihr: „Kehr um, kehr' um, eh’s zu spät ist!“ aber sie wollte ja Gutes stiften, Unheil verhindern, ein unseliges Verhängniß ehrlich und entsagend lösen. Vom Rudolfsthurm her glänzte ihr der schwache Schein eines Lichtes entgegen aus der ebenerdigen Stube eines Anbau's, wo Hubert sie erwarten mochte und sie folgte erschöpft dem freundlich winkenden Schimmer.


Endlich war die Höhe erstiegen, Schlager erwartete sie auf der Schwelle, zog sie stürmisch an sich und wollte sie mit Küssen bedecken. Es gab einen langen, gewaltigen Streit der Gefühle: Hubert wollte mit ihr fliehen wollte sie dem Moser entreißen, sie sein nennen wäre es um den Preis eines Lebens.


Die ganze Größe des unseligen Schicksals stand vor ihm und namenloser Schmerz nagte an seiner Brust.Aber Crescenz blieb standhaft, erlahmte nicht ihn zu bitten, zur Ueberlegung und Ruhe zu ermahnen und sagte von Thränen überströmt mit erhobenen, gefalteten Händen:- „Hubert, Hubert! nicht zum Glück, zur Freud', bin ich daher gekommen– nein nur Abschied zu nehmen in Ehren. Hubert, mach' mir das Herz nicht noch schwerer, hadere nicht mit dem Geschick, nimm in Ergebenheit hin, was der Himmel gefügt hat, wir tragen ja beide zusammen, beide gleich schwer. Mach' uns nicht noch unglücklicher als wir ohnedem sind, rett unser reines Gewissen, laß uns nicht elend werden auch noch. Glaub mir, Hubert, ich gäb' mein halbes Leben dafür, wenn ich ungeschehen machen könnt– was uns für ewig trennt– aber bevor ich mein Wort dem Sonnenwirth brechen will, meine Ehr', meine Pflicht mit Füßen trete,– eher stoß mir das Messer ins Herz. Du hast mich beschuldigt, Du hast mir harte bittere Worte gesagt- es mag sein, daß ich gefehlt hab', schwer gefehlt- aber Gott ist mein Zeuge, ich büße meine Schuld täglich– in jeder Stund' wie's keine Worte sagen. Hubert, Hubert, denk an den Vater im Himmel, denk an unsere Lieb und unschuldigen Kinderjahre, denk an unsere Eltern, die auf uns herabschauen– wir steh'n hart am Abgrund, stoß uns nicht alle hinunter..... Dein denken werd' ich immer, bei Dir sein kann und darf ich nicht...Mich bindet an den Bergeswinkel meine Pflicht. Du bist vollkommen frei, beginnst Dein Leben erst zu gründen, Dir steht die Welt offen, Du bist frisch, stark, gesund und hast was gelernt,– es ist so schön allerorts auf der Erde, such' Dir eine andere Heimat, eine andere, schönere, bessere Dirn wird Dich glücklich machen und Du wirst–– vergessen.“


... Bewegt durch ihre Rede, zum Bessern bekehrt, reichte der verlorenen Geliebten eben Hubert tief bewegt aber zustimmend die Hand, da wurde an das Fenster gepocht. Monica stürzt athemlos, bleich, wankend herein und ruft hastig: „Hinab Frau– lauft auf dem Seitenweg heim– der Sonnenwirth ist gekommen– ich hab' gesagt– Ihr seid in der Echern– der Herr ist fort mit dem Gewehr– eilt heim und gebt an, daß das Wetter Euch abgehalten hat bis zur Schwester zu gehn– um alles in der Welt! lauft– sonst geschieht ein Unglück!


Starr vor Schreck waren Hubert und Crescenz einen Augenblick lang gestanden,“ dann sagte die Wirthin zum gehen gewendet: „Hubert, erhör meine Bitt'– Schwör mir's zu– wenn Du mich lieb hast– versprich's um meiner Ruhe willen!“ Schlager ergriff ihre Hand, und sagte tief betrübt aber entschlossen: „Um Deiner Ruh' wegen– ich schwör's Dir zu, denn ich hab' Dich ewig lieb'– eil' heim und leb wohl.“ Ein unsagbar tiefsinniger Blick dankte dem Entsagenden, dann lief sie fort, auf Seitenpfaden abwärts und in das Haus des Sonnenwirths zurück, wo sie nur den Invaliden mit Philax fand. Hastig ging sie in ihre Stube, fühlte sich unsagbar ermattet, warf die Kleider ab und fiel auf ihr Bett zurück– Ermü-

dung schloß ihre Augen.–


Betrübt sah Hubert der Forteilenden nach und erst als sie seinen Blicken entschwunden war, bemerkte er Monica, welche nach Athem ringend, in fiebernder Aufregung auf der Bank saß und er suchte sich zu beruhigen. Mit lebhaften Farben schilderte sie die Aufregung Mosers, seine Verwünschungen gegen ihn und Crescenz so wie seinen Schwur, er wolle beide tödten, wenn sie beisammen gefunden würden. Mit der Beredsamkeit eines dankbaren Herzens ermahnte sie Hubert, er möge diese Gegend verlassen und als sie sich erholt hatte, nahm sie eilig Abschied, um heim zu eilen. Unter der Thüre stehend sagte sie noch zum Schlager: „Laßt nur ja nichts davon verlauten, wer da heroben war, denn wenn's der Moser erfährt, wär's ein Unglück.“


Aber im selben Augenblick ließ sich ein lautes Lachen mehrerer Burschen vernehmen, Johann mit seinen Genossen stand unfern unter den Bäumen und rief: „Na, was hab' ich gesagt? Es ist die saubere Monica und justament soll's der junge Moser erfahren." Ein neuerliches Spottgelächter folgte, während Hubert auf sie zugehen wollte, um mit ihnen anzubinden. Monica aber hielt ihn rasch zurück und sagte: „Nichts da, sagt nicht die Wahrheit, sonst ist alles verloren, der Sonnenwirth halt seinen Schwur, wenn er was ahnt. Laßt's die Leute beim Glauben, daß ich Euch da heroben aufgesucht hab'– das ist ein Glück, denn morgen erzählt man's im Ort und der Moser ist beschwichtiget– Crescenz aber hat Ruh'– die arme Seel hat's nothwendig in ihrem Kummer und mir verschlagt's nichts, auf mich schaut ohnedem kein Bursch– mir wird Gott Vater im Himmel schon helfen."


Ihrem wiederholten Zureden gab endlich Hubert nach, Monica schloß die Thüre und eilte davon, und da die Spötter am Weg nach abwärts standen, lief sie, um ihnen zu entgehen hinauf dem Berghause zu.Aber laut tönte einige Zeit lang hinter ihr her das Gelächter der Burschen, und da ihr dieß doch schmerzlich in die Seele schnitt, floh sie so rasch sie konnte weiter ohne die Richtung oder den Weg zu beachten.Als es endlich still hinter ihr geworden war, lehnte sie sich Athem holend an den Stamm eines Baumes, sah aber zu ihrem Schrecken, daß sie sich nicht auskannte, wo sie sich befand. Die Nacht war düster, die Schneewirbel dichter als früher und sie entschloß sich auf gutes Glück abwärts zu eilen, oft gehemmt, denn Abgründe, Felsen und Waldbäche befanden sich auf ihrer Bahn. Fünf Minuten lang mochte sie so fortgegangen sein, als sie an eine Stelle kam, an welcher nur ein dicker Baumstamm über eine Felsenspalte geworfen war und sie schickte sich so eben an, hinüber zu eilen, als nach wenigen Schritten ihr gegenüber ein lauter Anruf: „Halt, wer da!“ erfolgte.Monica war zum Tode erschrocken, ein zweiter, ein dritter Ruf folgte, ehe sie die Sprache fand, sie wankte auf dem schmalen Pfad– ein Schuß krachte durch die Stille der Nacht weit hin verhallend und mit einem Schrei stürzte sie in die Tiefe hinab.– Alsbald beugte sich der Schütze, der kein anderer als der Sonnenwirth war, am entgegengesetzten Rand zum Abgrund hinab und rief hinunter, aber nur ein Äechzen antwortete ihm. Eilends lief er heim, um Hilfe zu holen und Gewißheit zu erlangen, denn er war in rasender Eifersucht in die Echten gelaufen, hatte Crescenz nicht gefunden und eilte, von dunkler Ahnung getrieben zum Rudolfsthurm, als er unterwegs die Frauengestalt sah. Eine rothe Wolke zog in diesem Augenblick vor seinen Augen hin, entfesselte Leidenschaft raubte ihm die Besinnung, er glaubte sein Weib zu erkennen und die unselige That war geschehen.


In seltsamer Gemüthsstimmung verfolgte Moser seinen Weg, denn bald drängte ihn seine innere Stimme rasche Hilfe zu bringen, bald erlangte sein Rachegefühl und die Befriedigung der Stimmung gegen Crescenz und Hubert die Oberhand.


Hastig rief er im Hause seine Leute zusammen, hieß die Laternen, Stricke und Stangen mitnehmen und eilte in die Stube, um sein Gewehr abzulegen. So rasch er auch eingetreten war, eben so schnell stand er an der Schwelle, still und wie in Stein verwandelt, starrte er auf die Betten in der Kammer–Crescenz lag schlafend daheim, und es begann zu schwindeln vor seinen Augen.–– Entsetzt wichen alle zurück, als der Sonnenwirth fahl und wankend wenige Augenblicke darnach wieder zu den Leuten zurückkam und mit zitternder Stimme zur Eile ermahnte. Gebrochen und erschüttert war sein Inneres in diesem Momente, denn sein Gewissen regte sich und fragte ihn: „Womit vermagst Du Deine That zu entschuldigen, wen traf Deine rachebethörte Leidenschaft, wer liegt draußen unschuldig durch mich in der Tiefe des Abgrundes?!....


Die Stelle, wo Moser beim Abfeuern des Schusses stand, war bald erreicht, auf wiederholtes Rufen antwortete eine feste Stimme von unten, an welcher man Monica erkannte und als Stricke hinabgelassen waren, erfaßte sie alsbald einen derselben. Nach kurzer Mühe stand die Dirne unter den Männern oben, sie hatte die Kleider zerrissen und leichte Verletzungen erlitten, Mosers Kugel aber hatte sie nicht getroffen, sondern nur Schwindel und Schrecken waren es, in Folge deren sie vom Steg gestürzt war. Ein Engel schien aber dieses junge Leben beschirmt zu haben, denn im Fall war sie in halber Höhe von den Aesten eines von einer Felsenzacke weit in die Schlucht hineinragenden Baumes aufgefangen worden und also vor sicherem Tode gerettet.–


Von Hausleuten geführt wankte Monica heim, wo sie der bekümmerte Blinde erwartete, so wie ihr Philax schon von weiten bellend entgegen gelaufen war und seine Freude in wahren Seiltänzersprüngen kund gab. Jakob hatte das Unheil geahnt und schreckhaft bange Augenblicke verlebt, bis er sein geliebtes Kind wieder in den Armen hielt und mit demselben in seiner Kammer verschwand, wo die Arme wie im Fieber zurückfiel.............


Der Sonnenwirth war kaum dessen gewiß, daß sein Schuß kein Unglück angerichtet hatte und daß die Dirne gerettet war, so kehrte sein alter Zweifel, sein Groll und Unmuth wieder. Er hatte von einigen Burschen gehört, daß Monica eine heimliche Zusammenkunft mit Hubert gehabt hatte, und dabei überrascht worden sei und dieß paßte in seinen Plan, denn nun konnte er die Dirne mit Recht aus dem Hause jagen, war sie ihm doch längst schon lästig, weil sie zu Crescenz hielt, und weil sie noch immer Gewalt

besaß über das Herz des Niklas, der doch für Rosalia bestimmt war, obgleich er selbst in seinem Leichtsinn zwischen den Dirnen zu wählen zögerte. Hierbei erwachte aber auch wieder das Mißtrauen gegen Crescenz, denn er hatte sie nicht in den Echern getroffen, sie konnte ihn doch hintergangen haben und finster, von entsetzlichen Gedanken erfüllt, beugte er sich, heimgekehrt, über das Lager der Schlafenden indem er für sich flüsterte: „Ist's Trug oder Wahrheit?– Bin ich betrogen oder nicht– wenn ich's wüßt?! Bei Gott– sie sollten beide sterben, beide noch in dieser Stunde!“ seine bebende Hand hatte das Gewehr ergriffen und es gegen Crescenz haltend, riefen seine bebenden Lippen: „Crescenz! Wo bist Du gewesen?“ Erschrocken fuhr das Weib empor, das namenlose Ermüdung in eine Art von letargischen Schlaf gewiegt hatte und starrte den Sonnenwirth an, sagte aber gelassen: „Ich wollt' zur Anna in die Echern, s'Wetter war aber zu schlecht– ich konnt' vor Sturm nicht weiter und so bin ich ungekehrt.“Wie ein Träumer sah Moser vor sich nieder, lehnte das Gewehr weg und entgegnete ruhiger:– „Und wo war die Monica? Wann hast Du sie fort geschickt?“– „Wo wird sie sein? Beim Invaliden drüben. Sie hat mir gesagt, daß Du heim gekommen warst, ich wollt' Dich erwarten– mir war aber übel und endlich mußt ich eingeschlafen haben.“Moser entgegnete kein Wort weiter, ging aber noch lange im Zimmer auf und nieder, saß dann sinnend am Tisch und entschlief in später Nacht auf derselben Stelle. Das Licht flatterte auf und verlosch dann, er hatte es nicht gemerkt und der Sonnenstrahl am Morgen weckte ihn erst aus wirren Träumen.–


Als Monica die Augen bei vollem Bewußtsein wieder öffnete, waren seit jener unseligen Nacht acht Tage vergangen, Crescenz hatte sie voll Liebe gepflegt, der Invalide mit Philax hatte Tag und Nacht ihre Stube nicht verlassen, und sobald die Dirne sich regte, schloß der alte Jakob sie freudetrunken in seine Arme, während der gute Pintsch auf das Bett sprang und in possirlichster Weise seine Theilnahme bezeugte. Im Orte aber war vieles anders geworden. Hubert hatte Wort gehalten, sein Eigen zu Geld gemacht, Crescenz nicht mehr gesehen, sondern nur in einigen Zeilen von ihr Abschied genommen und war hinübergegangen nach Amerika, dort ein neues Leben zu beginnen. Weh genug that es ihm wie ihr, aber sie blieben standhaft, „eine neue Welt, ein neues Leben“ so lauteten Schlagers letzte Worte, „werde ich drüben finden, eine neue Lieb' nicht mehr, meine Crescenz geht im Herzen mit mir hinüber.“


Ramsau mit seiner heiratssüchtigen Tochter war schon wieder im Hause, denn seltsamer Weise

betrieb der früher so stolze Mann mit eins die Hochzeit unendlich emsig und spendete das Geld mit offenen Händen. Der Sonnenwirth war darüber ganz entzückt, so wie die schöne Rosalia durch ihr freies Benehmen die Sinne des lustigen Niklas ganz gefangen hielt. Bisweilen dachte er freilich an die engelsgute aber gar so schlichte Monica zurück, aber die war so kalt gegen ihn und jetzt nach seiner Ansicht vollens für ihn unmöglich geworden, seit der ganze Ort über sie redete, das Abenteuer mit Hubert glaubte und der Spottreim über sie populär geworden war. Die Dirne schmerzte wohl dieß alles, aber sie hoffte, daß Niklas nicht an ihre Schuld glauben werde, bis sie eines Sonntags Nachmittag auch darüber bitter enttäuscht werden sollte. Sie ging durch den Ort Lahn als die Bursche eben spielend und rauchend vor dem Wirthshause saßen und Niklas stand gerade am Wagen, die Stränge des Pferdes richtend. Kaum wurden die lustigen, etwas angetrunkenen Leute der Dirne ansichtig, welche auf dem nahen Waldwege vorüberkam, so begannen sie unter Gelächter einen Spottreim zu singen, Niklas aber sah auf sie über die Schulter hinweg und stimmte mit ein in einen Spottreim.- Da wurde ihr namenlos wehun's Herz, sie lief weiter in den Wald hinaus und warf sich weinend in das Moos nieder– jetzt war alles vorbei und „fort von hier“ war der Aufschrei ihrer Seele. Als daher Abends Crescenz zu ihr kam und meinte, sie könne es nicht länger dulden, daß man sie statt ihr für schuldig halte, da sagte Monica tiefsinnig:


„Nein, liebe Frau, laßt's sein wie's ist, laßt's mir die Freud am guten Werk. Der Herr ist jetzt mit Euch freundlich, mild und gut, wie nie früher, weil er glaubt, Euch damals Unrecht und Weh gethan zu haben ohne Grund. Wenn er aber die Wahrheit hören sollt'– fönnt er an einen Besuch in Ehren bei Hubert nach seiner Denkweis nicht glauben– sein kaum eingeschlafener Argwohn könnt' wieder erwachen– und reizt seinen Zorn nicht, da ist er furchtbar, ich hab's gesehen und kann's nie vergessen; ich glaub', er würd' heut' noch eine Uthat begehen. Daß ich nicht schuldig bin, wißt Ihr und mein Vater, das weiß der da oben und ich selber, sonst kümmert mich Niemand auf der Welt. Auch werd' ich's nicht lange mehr hören müssen, wie's mich verlachen, denn der Sonnenwirth hat uns ja die Thür gewiesen und ich könnt auch ohne dem nicht mehr da bleiben, wo ich so glücklich war. Ihr habt's wohl nicht gemerkt, wie unsagbar lieb mir der Niklas war–– aber es ist so. und seit er mit seiner Braut einig ist, seit er Spottlieder singen kann und mich für schlecht halten.... er– er, der mich so gut kennen soll, er, für den ich mein Herzblut geben könnt– seit dem ist alles vorbei..... Mein guter Vater soll die Freud' haben, durch wohlthätige Menschen die Leipziger Feier mitzumachen, das größte Glück in seinem ganzen Leben– und das ist ein guter Vorwand– ich werd' ihn hinführen– ganz im stillen verschwinden aus dem Ort– sagt Niemand etwas, daß es für immer ist, und daß der Sonnenwirth uns fortgeschickt hat, es thät mir zu weh– und weiter wird der Himmel sorgen. Was Ihr mir gethan habt, kann ich nicht vergelten, aber Euren Lehren folgen will ich für alle Zeit–– vielleicht kommen noch bessere Tage und bis dahin–– Vergelt's Gott für alles– behüt Euch der Himmel!“


Wie sie sagte, so war es wohl am besten und so blieb es, trotz mancher Gegenrede der Crescenz, die nicht lassen wollte von der lieben Dirne. Endlich war der Hochzeitstag für Niklas und Rosalia bestimmt, großartige Festlichkeiten beschäftigten den ganzen Ort und während dieser Feier sollte Monica mit Jakob fortziehen in die ferne Welt.– Der Sonnenwirth war dessen herzlich froh und ging am Morgen noch zum Invaliden hinüber, denn er war in guter Laune, und geneigt, sich generöse zu zeigen.


Dem Alten sagte er zwar dabei manches bittere, hochfahrende Wort und der Dirne hielt er eine Sittenpredigt, aber er legte dabei einen schweren Beutel auf den Tisch und dadurch glaubte er alles gut, Landesgemäß“ gemacht zu haben. Beim alten Jakob war's aber anders, er zitterte vor Aufregung und warf dem Stolzen sein Geld vor die Füße, ja er erhob sich so drohend gegen den eingebildeten Moser, daß auch der Pintsch sich bestimmt sah, feindliche Position hinter Elias zu nehmen, als wollte er gegen ihn den „Wadenkrieg“ beginnen.– „Behaltet Euer Geld, herzloser Mann“, rief der Invalide, „Almosen von Euch zu nehmen, bin ich armer Teufel doch zu gut. Was Euer Weib uns hier gutes gethan hat, mög' der Himmel vergelten, von Euch hat sie dafür zu leiden genug gehabt. Monica hat gearbeitet dafür von früh bis in die Nacht, meine Holzschneiderei hat manchen Gulden für Euch getragen– unser Dasein war Euer Schade nicht. Jetzt aber wo Ihr die Dirne da beschimpft, weil eine Hand voll elender Burschen sie verfolgen, die mein morscher Arm nicht mehr züchtigen kann, jetzt, wo ihr einen blinden Krüppel die Thür weist, damit um so mehr Platz ist für die reiche Schwiegertochter–– jetzt, Sonnenwirth bin ich stolz darauf ein armer, gemeiner Invalide zu sein, stolz, daß Monica ein schlichtes Soldatenkind ist, denn so erbärmlich wie Ihr vor uns steht, gibt's nichts mehr auf der Welt, der Stolz, der Reichthum haben Euch einen Stein dahineingelegt, wo andere Leute das Herz schlagen fühlen.Gern zieh ich fort, denn ich hätte hier keine ruhige Stund' mehr– behüt' Euch Gott und laß' er Euch niemals entgelten, was Ihr heut' gethan habt an uns beiden.“


Der Wirth war außer sich vor Zorn, aber eben trat der Hochzeitsbitter ins Haus, die Gäste strömten herbei, Musik, Gesang und Glockengeläute erfüllten die Luft und er eilte zu den Seinen hinüber. ---- Der alte Jakob, auf Monika gestützt, von Philax geführt ging unbeachtet aus dem Hause, während der ganze Ort in Freude und Lustbarkeit schwelgte.Der Hochzeitszug ging der Kirche zu, die Glocken klangen, die Pöller widerhallten in den Bergen, die Musikanten thaten ihr Bestes, Niklas hatte nur Augen für seine schöne Braut und Crescenz allein sah im Weitergehen zurück nach dem Seeufer, sie sah mit Thränen dahin, als ein Nachen sich vom Ufer löste, darin saß auf den Stock sich stützend der Invalide, Monica lag vor ihm knieend, das weinende Antlitz in seinen Schooß gelegt, und der Pintsch stemmte seine Vorderfüße gegen den Schiffsrand, sah auf den Ort zurück und bellte so laut und böse, als wollte er demselben seine ganze Verachtung ausdrücken, für all das Weh der Seinen, die hinaussteuerten in den See– fortzogen in die weite Welt hinaus.–––


Der Invalide kam durch seine Reise, welche das Besuchen des Leipziger Schlachtfeldes, somit den schönsten Traum seines Lebens verwirklichen sollte, in die höchste Aufregung, welche sich zusehends steigerte, je näher sie ihrem Ziele kamen. Für Monica war diese Wanderung eine Wohlthat, denn sie brachte ihr Zerstreuung, und die Erzählungen Jakobs leiteten ihre Gedanken ab von jener traurigen Rückerinnerung, der sie so gerne nachhing. Leipzig herrschte schon ein reges, froh bewegtes Leben und auch Jakob wurde mit den Seinen herzlich willkommen geheißen.


Er war gar bald der Mittelpunkt eines Kreises von alten Kriegern und war rasch beliebt, denn so lebhaft wie er wußte sich keiner der Befreiungs-Schlacht zu erinnern. Am andern Morgen ging er mit Monica aus der Stadt auf das Schlachtfeld selbst hinaus, wobei Philax etwas verdrossen war, denn er lief nun müssig nebenher, während er stolz darauf zu sein schien, der Führer des Blinden zu heißen. Jakob ließ sich bis Schönefeld führen und nahm Posto unter einer Baumgruppe daselbst, über ihn schien eine Art von Verklärung ausgegossen, fiebernd ging sein Puls, seine Glieder bebten vor Gemüthsbewegung und alle Lebenskraft schien sich in seine todten Augen concentriren zu wollen, so leuchtend glänzten dieselben, er betete zum Himmel, ihn noch einmal den theuren Ort sehen zu lassen. Bewegt von der Gewalt der Erinnerung rief er dann: „Dort zur rechten steht eine Mühle, quer vorüber rauscht der Bach, links stieg die Gegend sachte aufwärts und dort befindet sich eine Kapelle– ist es nicht, wie ich sage?“– „Ja, Vater Jakob, so ist es", bestätigte Monica.– „Hier, wo ich stehe, stand ich vor 50 Jahren mit unserer Compagnie, im Halbkreis aufgestellt waren Schwarzenbergs tapfere Krieger, von Paunsdorf her kam eine Division der jungen Garde unter Marschall Moutier– von der Kapelle her blitzte der erste Schuß, die Franzosen rücken in weiten Kolonnen an, und eröffnen ein verheerendes Feuer– unsere Artillerie antwortet tapfer– vorwärts! Hieß es und jubelnd stürmten wir darauf los.– Die Trommeln wirbeln, Musik spielt auf,– Gewehre dienen zum Schuß, zum Stich und Hieb– Mann an Mann kämpft man mit Heldenmuth– im Pulverdampf seh ich meinen Hauptmann sinken– ich stürze hin.“––„Paulmann bist Du's denn wirklich?“ rief ein vornehmer alter Herr welcher seit einiger Zeit ebenfalls mit andern Leuten das Schlachtfeld in der Nähe besichtigte und den Alten beobachtet hatte. „Du und drei Kameraden kamen mir zu Hilfe und unser Corps schlug die Feinde in die Flucht!“ Ein seliges Lächeln übergoß bei dieser Stimme die Züge des Alten– er zitterte vor Freude, er schien zu taumeln, schien wie verklärt und stieß mit eins einen heftigen Schrei aus, indem er um sich blickte und in wortlosem Entzücken Leute und Bäume, Felder und Häuser anstaunte. Mit namenlosem Jubel breitete er seine Hände aus und rief: „Ha! wie ist mir? mich schwindelt– mich tödtet das Licht– die Finsterniß weicht– ich seh' das Schlachtfeld– seh' mein Kind, meinen alten Hauptmann wieder“..... erschöpft sank er in Monicas Arme zurück und der vornehme Herr kniete bei ihm.


Die fiebernde Aufregung hatte das Band der Finsterniß zerrißen, aber auch feine Kräfte erschöpft, mit seligem Lächeln sah er nochmal um sich– er hatte den einzigen Wunsch seines Lebens erreicht.– Dann fühlte er sich aber so entkräftet und schwach, daß er den Kopf an Monicas Brust sinken ließ und die Hand des Hauptmanns fassend sagte: „Meine Stunden, ich fühl' es, sind gezählt, Gott ließ mich zuvor Euch noch finden und Euch mahnen an Euren Sohn.“– „Meinen Sohn? Ich habe keinen mehr– ich weiß nichts von ihm,“ sagte finster der Offizier.– „Hauptmann– aber ich– ich habe Euch sein Vermächtniß zu übergeben!“– „So ist er gestorben?“– „Ja, von Euch verstoßen, verflucht, enterbt, weil er die arme Waise eines Försters geheiratet hatte. Er ist gestorben als Ehrenmann, auf dem Schlachtfeld vor 16 Jahren in meinen Armen– seine Frau und sein Kind übergab er meinem Schutz– sie waren hilflos, arm so wie er– von Euch verflucht starb er mit Segensworten für Euch auf den Lippen!„Und seine Frau– sein Kind?“„Die Arme hatte zu viel gelitten, zu Hallstadt schloß sie bald ihre milden Augen für immer -

ihre Tochter ward mein Kind– in ihren Schoß ruht mein müdes Haupt.“Eine drückende Pause folgte, Monika erschrak gewaltig, der Hauptmann, dermal ein Graf und Gutsbesitzer in Deutschland, staunte das schöne Mädchen an und reichte ihr seine Hand. Sie aber schien es nicht sehen zu wollen, ihre Arme umschlangen Jakob, dessen Stirne sie mit Küssen bedeckte.


Mit schwacher Stimme sagte er der Dirne, sie möge zum Pfarrer von Hallstadt gehen, derselbe besitze ihr mütterliches Erbtheil, dem Grafen lieferte er die Beweise betreff seiner Angabe über Monica aus–dann schweifte sein Auge nochmal hin über die Gegend und schloß sich für immer, –– er hat nicht nur den theuern Ort noch einmal gesehen, er liegt auch in der lieben Erde begraben und ward von den Braven von Leipzig zur letzten Ruhestätte begleitet.–––


Als Monica am andern Morgen erwachte, standen Frauen mit kostbaren Kleidern vor ihr, welche der Graf geschickt hatte und welche sie anlegen sollte, um ihn zu besuchen. Sie verweigerte es aber entschieden, erklärte dort nichts zu thun zu haben und für so schöne Anzüge nicht geschaffen zu sein. Als der Hauptmann von ehedem sie selbst zu überreden suchte, blieb sie fest wie früher, und sagte voll resignirender Entschlossenheit: „Mein Vater heißt Jakob Paulmann, und liegt er auch hier begraben, ich will, ich kenn' keinen andern. Sie haben meinen Vater verflucht und verstoßen– meine Mutter verläugnet und verachtet.– Sie haben wohl nach dem Recht keinen Anspruch auf mich und nach meinem Herzen auch nicht, denn das gehört dem unvergeßlichen Jokob. Daß ich so denk und fühl', ist wohl nicht meine, ist Ihre Schuld allein– daß ich eine Bauerndirn', ein Soldatenkind geworden bin, ist es auch– jetzt ist's aber für mich zu spät, einen andern Sinn, ein anderes Denken und Fühlen in mich zu bringen und ich müßt mich selbst verachten, könnt ich verläugnen den Stand meiner Kindheit, und ich möcht's auch vergebens versuchen– mein Herzblut hängt daran, mein ganzes Leben. Ein Zufall hat mich hierher geführt und hat uns unverhofft einand' finden lassen– Ihnen folgen aber kann und will ich nicht, nur Gewalt soll mich dazu bewegen.“


So viel der Greis dagegen einwenden mochte, Monica blieb fest, und da er sich die Sache ruhig überlegte, fand es der elegante, nicht eben zartfühlende

Herr angezeigt, seinem Plane zu entsagen. „Ihr Wille soll geschehen“ sagte er vornehm und kalt. „Sollten Sie jemals andern Sinnes werden, oder in Noth kommen, so erinnern Sie sich meines Namens und Aufenthaltes, Sie sollen stets willkommen sein“...Der nie aus seiner Ruhe sich aufraffende Gentleman schied von Monica, welche froh war, als sie sich allein sah. Mit Philax, der an Jakobs Grab kläglich heulte und mit Gewalt entfernt werden mußte, reiste sie wieder ab, sie mußte noch einmal in die traulichen Berge zurück und dann– ein neues Leben beginnen.–


Es war ein klarer heiterer Herbstmorgen, als Monica mit dem alle Zeit getreuen Philax vom Seeufer her auf Hallstadt zuging, tief bewegt und von tausend Rückerinnerungen bestürmt. Der Pfarrer des Ortes, ein ehrwürdiger Greis, händigte ihr das Erbtheil ein, es bestand in einer Haarlocke ihrer Mutter, einen Schmuck und einigen hundert Gulden in Papieren. Dabei lag ein ansehnlicher Beutel mit Silbergeld, es war das mühsam für sie Ersparte des alten Jakob, abgedarbt durch 15 Jahre von seinem Invalidengehalt und Monika fand keine Worte vor Rührung, als sie das edle Geschenk in Händen hielt.


Da sie alsbald wieder forteilen wollte, sagte der Pfarrer:

„Seid Ihr denn so pressict, wollt Ihr das Sonnenwirthshaus nicht besuchen? Es ist jetzt gar still und traurig dort geworden.“–

„Traurig? Was ist denn geschehen?“–

„Seltsamer Weise kam der Moser fast zur selben Zeit ums Leben, als der alte Jakob starb. Trotz aller Warnung verfolgte der eigenwillige Mann einen Wildschützen auf den Schwindelsteg an der Salinenleitung– ein entsetzlicher Wettlauf begann, Elias stürzte und lag zerschmettert im Abgrund.“–

„Gott sei seiner Seele gnädig!“–

„Nun, um Niklas steht es auch nicht gut– seit der unterbrochenen Hochzeit ist er tiefsinnig und sein Gewissen straft ihn wohl, für sein Unrecht an Euch.“

„Unterbrochene Hochzeit? Was war's denn damit Hochwürden Herr Pfarrer?“–

„Schon wollt' die Braut in die Kirche eintreten, da stellten sich ihr zwei Männer aus der Steiermark in den Weg, die es nicht zugeben wollten, daß ein ehrlicher Mann betrogen werde und die freiwillig herübergekommen waren. Rosalia hatte sich mit einem reichen Herrn zu weit eingelassen, der sie im Stich ließ, sobald die Folgen zeigten. Deßhalb beschleunigte der Ramsau die Hochzeit so sehr und war freigiebig geworden, aber seine List mißlang– Niklas trat zurück und mit Spott zogen die Leute ab, die ein so schmachvolles Geschäft unternommen hatten.“


Monicas Empfindung bei dieser Nachricht zu schildern ist umsonst, sie küßte die Hände des Pfarrers, und eilte hinab zu ihrer Wohlthäterin, die lachte und weinte vor Freude als sie das liebe Herz wieder in ihren Armen hielt. Von einer Trennung war keine Rede mehr, und Niklas schien wie närrisch vor Jubel sobald er seinen einzigen Schatz wieder erblickte.

Bitter bereute er seinen Leichtsinn, gestand sein Unrecht, ermüdete nicht, Monica um Nachsicht und Vergebung zu bitten und Crescenz war eine so emsige Fürbitterin, daß Monica ihm die Hand endlich zur Versöhnung reichte. Wer wahrhaft liebt, ist ja so gern geneigt zu vergeben.

Dennoch mußte er noch eine lange Probezeit bestehen, bis sie sein werden wollte, aber es war auch Monicas seligster Tag als sie als Frau Sonnenwirthin einzog in diese liebgewordenen Räume.


Einen Monat lang mochte die neue Hausfrau bereits eingezogen sein, als eines Tages ein großes Schreiben an die Witwe Crescenz vom Boten abgegeben wurde. Die junge jetzt schöner als je aufblühende Frau erbrach mit zitternden Händen das Siegel, denn das Schreiben kam aus Amerika und zwar wie sie richtig ahnte von– Hubert Schlager in Neu-York.

Der wackere Mann war daselbst Director einer großen Bergwerks-Compagnie, hatte eine glänzende Stellung durch seine Kenntnisse und Thätigkeit errungen, Mosers Tod bereits erfahren und bat nun in rührenden Worten seine liebe Cenzi zu ihm hinüber zu kommen und sein zu werden für's ganze Leben.


Lange saß Crescenz sprachlos und sinnend, denn die Lieb für Hubert war in ihr so wahr und lebhaft wie früher, aber der Gedanke, ihre Heimat, ihre Berge, ihr Vaterland zu verlassen, fiel doch schwer auf ihre Seele.

Endlich siegte doch freilich die Stimme des Herzens, und daß sie ihr folgte, daran hat sie wohl gethan. Sie folgte dem Rufe des treuen Geliebten nach Amerika und fand daselbst ein Glück, wie es sie in der alten Welt wohl oft geträumt aber nie besessen hatte.


„Gleich fröhlich und still vergnügt lebt das Ehepaar Monica und Niklas Moser zu Hallstadt, selbst der treue Philax ist noch immer dort, aber er allein ist grämlich geworden, denn er ist gealtert und darauf angewiesen, das Gnadenbrod zu essen. Der treue Hund scheint den alten Invaliden noch immer zu vermissen, und er seufzt bisweilen kläglich, wenn er ganz allein auf jenem Holzstrunk liegt bei dem er einst zu Füßen seines Herrn gesessen ist–



Bozner Wochenblatt ;

Nachrichten für Stadt und Land.

Beilage zu der Bozner Zeitung

Bozen: 1862-1878

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