Auch eine Nordpolfahrt.
- Gerhard Zauner

- 14. Jan. 2021
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Auch eine Nordpolfahrt.
Aus Gmunden wird uns geschrieben:
Gewöhnliche Menschenkinder stellen sich vor, das Eismeer befinde sich nur im hohen, Norden.
Irrthum! nichts als Irrthum!
Auch in den mittleren Zonen findet sich Eismeer.
Erlauben Sie mir, daß ich mich Ihnen, sämmtlichen Herren Geographen, Naturforschern ec. ec. als Entdecker dieser für die Wissenschaft höchst interessanten Erscheinung hiermit vorstelle und Ihnen eine kleine Beschreibung meiner Entdeckungsreise mittheile.
Am 12 April fuhr ich mit dem Dampfer von Gmunden nach Ebensee; die Geschäfte daselbst waren bald abgewickelt, und fort ging's mit flüchtigen Rossen nach Ischl. Aber auch dort war keines Bleibens, unwiderstehlich zog es mich weiter, in meinem Cabriolet fühlte ich mich unbehaglich, als echte „Theerjacke" sehnte ich mich nur nach Wasser. Meine Ungeduld ließ mich nicht merken, daß, je weiter ich vorrückte, desto mehr alles Naturleben, alle Vegetation aufhörte. Ein eisiger Boreas zog schneidend durch das immer mehr sich verengende Thal, kein Laut war vernehmbar, immer eisiger, immer kälter pfiff es über die schneebedeckten Felder, kein Vogel ließ sich sehen, nur ein Paar hungrige Krähen, die an der Straße begierig nach Futter suchten, flogen krächzend aus, wenn mein Wagen ihnen zu nahe kam; die Berge, die immer mächtiger und steiler sich emporhoben, hüllten ihre schneeigen Häupter in weißliche Wolken, die sich hier drohend zusammen ballten, dort in Flocken sich lösten, die der Wind brausend vor sich hertrieb, — Hatte bei meiner Abreise von Gmunden bereits ein warmer Hauch des Frühlings die Natur zu neuem Leben geweckt, so schlief hier noch Alles den langen Winterschlaf.
Endlich gelangte ich zum „Steg". —
Hier gewinnt die Landschaft ein total verändertes Aussehen. Die Hügel verschwinden gänzlich und die waldbewachsenen Berge gehen in kahle riesige Felsmaffen über, die steil emporragen, „wo in schwindelnder Höhe die Adler kreisen".
Am Fuße dieser Steinriesen und rings umgeben von Schnee und Eis breitet sich der Hallstätter See aus, — das Eismeer des Kammerguts — denn nicht Wasser, nein, eine gewaltige Decke von Eis liegt vor meinen staunenden Blicken, am 13. April!!! — Nur eine schmale Fährte ist offen, und diese führt in zahllosen Windungen, oft unterbrochen von treibenden Schollen, zum Ziele meiner Reise — nach Hallstatt.
Nichts fehlt, um das Bild der arktischen Meere zu vervollständiges, als die Seerobben und Eisbären, sonst ist jeder Zoll ein Sibirien.
Ich miethe mir einen kleinen Nachen, hülle mein irdisches Theil in Ermanglung eines Pelzes sorgsam in einen Überrock, und die „Nordpolfahrt" beginnt. Gleich anfangs fiel mir auf, warum die durch Aushacken des Eises künstlich hergestellte Wafferfährte nicht in gerader Linie nach Hallstatt führe; allein die beiden „Matrosen" belehrten mich, daß die gerade Linie wohl die kürzeste, aber nicht immer die beste sei. Nicht ohne ein gewisses malitiöses Lächeln über meine Unwissenheit in Seemannssachen gaben sie mir zu verstehen, daß die Arbeiter, welche das 12 bis 15 Zoll dicke Eis aufgehackt, um einen Wasserweg zu bahnen, sich immer an die Nähe des Ufers halten mußten, um sich vorkommenden Falls leichter retten zu können, wenn eine treibende Eisscholle ihr Boot zu gefährden drohte.
Also auch schwimmende Eisberge! schöne Gegend das!
Jetzt nur noch ein bischen Sturm, Zerschellen oder Einfrieren des Schiffes und die Katastrophe Franklin's ist fix und fertig! So dachte ich mir, gerade nicht sonderlich erbaut Aber die erfreuliche Perspektive, die sich mir bot; da bemerkte ich, daß die bisher offene, mindestens vier Klafter breite Wasserstraße sich allmälig verenge und endlich ganz mit Eismassen schließe. Ich zweifle, ob Loth's Ehehälfte ein unangenehmeres Gefühl als ich verspürte, nachdem sie zur Strafe ihrer Neugierde zu einer Salzsäule krystallisirte; ich glaube sogar, daß ich mich in diesem Augenblick genau untersuchte, ob ich nicht schon theilweise in einen „Hexandrischen Eismann" verwandelt sei- Indeß meine kritischen Reflexionen währten nicht lange — ein unterirdischer oder vielmehr unterseeisches Rollen, als ob das Schiff auf Klippen auffahre, ein Heben und Sinken und Schwanken des Nachens, und die Gefahr war beseitigt, die kräftigen Arme der Schiffer brachen sich Bahn durch das Eisgeschiebe. Die Affaire wiederholte sich zwar noch später ein paar Mal, aber die Gewohnheit benimmt alle Schrecken, und so ging es meinerseits mit einen, leichten „Gruseln" ab.
Indeß vollkommene Beruhigung ward mir erst, als ich das treulose Element nicht mehr unter meinen Füßen fühlte, und in Herrn Seeauer's Gasthaus (zu Hallstatt) bei einer Schale dampfenden Mocca's sitzend und eine echte Stinkatores schmauchend, die Leiden meiner „Nordpolfahrt" vergessen dürfte.
22. Aprill 1870



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