Unglück im Unglücke.
- Gerhard Zauner
- 24. Jan. 2021
- 69 Min. Lesezeit

Erzählung von Hans Alexis.
1. Die Maschine des Donaudampfers „Stephan“, der von Wien stromaufwärts eine große Anzahl von wanderlustigen Leuten führte, pustete und dampfte gewaltig und der anbrechende Morgen, von welchem die Passagiere noch ein Stündchen Schlafes zu erbetteln suchten, den sie während der Nacht nicht gefunden hatten, entfaltete ein reizendes Panorama. Geländer und Bänke auf dem Verdecke erster Classe waren schon von dem Nachtthaue trocken und blank gescheuert, dennoch wollte sich kein Passagier zeigen, der sich von der frischen Morgenluft anwehen ließe. Der Steuermann drehte, die Augen aufmerksam vorwärts gerichtet, das Rad, ließ es jetzt hastig kreisen, hemmte es dann wieder, ließ es von Speiche zu Speiche langsam durch seine Hand gehen und blies dabei Rauchwölkchen aus einer kurzen Pfeife stoßweise von sich. Der Capitän, der zu wiederholten Malen den über die Maschine gespannten eisernen Steg überschritt, sich niedergebeugt und an die Arbeiter Befehle ertheilt hatte, wechselte einige Zeichen mit ihm und verschwand wieder in seiner Cabine. Nun war der Steuermann aufs Neue allein; er blieb es aber nicht lange, denn schon tauchte ein reizender Mädchenkopf, der von einer dunklen Capuze umrahmt war, von der Stiege auf, und bald erschien auch das Ganze zu diesem heueren Antlitze, eine prächtige Gestalt, wie dirs ein halbwegs geübter Kenner trotz der sorgfältigen Umhüllung auf den ersten Blick erkennen wußte. Rasch war das Mädchen über der Treppe und auf dem Verdecke; mit einem lauten Ausrufe der Bewunderung leistete es den schuldigen Tribut an die Schönheit der Thalgegend; das Frühläuten klang von dem Thurme eines schmucken Dorfes, das wie verschlafen an dem Fuße eines Hügels lehnte, über den Strom. Das Mädchen faltete die Hände über der Brust und betete in stiller Andacht sein Morgengebet. Wie von einer Last erleichtert, athmete es nun wieder frei, lachte freudig aus und klatschte vergnügt in die Hände. Jetzt bemerkte es erst den Steuermann, der Zeuge seines Jubels und seiner Andacht gewesen war, erröthete fast verlegen, wachte aber seiner Verlegenheit bald durch einen freundlichen „Guten Morgen.“ und mit der Frage, ob man schon über das Kloster Melk hinaus sei, ein Ende. „O freilich,“ erwiederte der Alte, der seit dem Erscheinen dieses fröhlichen und frommen Kindes gleichsam mit frischerem Muthe seine Arbeit verrichtete, obgleich er ihr jetzt um die halbe Aufmerksamkeit widmete, „wir sind schon eine Weile vorüber, und die Sonne war noch nicht aus den Federn, wie Sie selber, Fräulein, als das Schiff an den Fersen des Klosters vorüberrauschte. Wird nicht recht mit dem Schlaf'n gegangen sein, nicht wahr, Fräulein?" „Es war mir eigenilch nicht darum zu thun, und wäre es nach meinem Willen gegangen, so hätte ich Euch die ganze Nacht Gesellschaft geleistet und mit Euch geplaudert.“ „Nun, mir wäre es schon recht gewesen.“ antwortete der Steuermann. „Mein Vater aber meinte, die Nachtluft bekäme mir nicht gut; so mußte ich also wie Andere zu den Käfig hinab, während Ihr hier allein den Genuß einer herrlichen Sommernacht hattet." • „Man gewöhnt's, und wären die schönsten Sommernächte nicht so kurz, ich würde das Vergnügen daran gerne einem Anderen gönnen, wenn er mir dafür sein Bett überließe. Doch es wäre sündhaft, wollte ich mich beklagen, und unsereins ist auch nicht von Holz geschnitzt, das erst aus der Schwemme rinnt, und fängt manchmal Feuer, wenn er Millionen Sterne auf sich niederschauen sieht und wenn ihn der heilige Gottesfrieden einer Nacht, wie eben die vergangene war. in seinen weiten Mantel nimmt, daß man es zu keinem bösen Gedanken bringen könnte und wäre man auch der schlechteste Mensch." „Und Ihr seid ein guter Mensch!" sagte das Mädchen herzlich. „Das nicht; aber mein Bruder ist es, oder wenigstens um eine Klafter besser gewachsen als ich, obgleich er um einen Kopf kleiner ist. Wenn ich fragen dürfte, wohin Sie reisen und Sie sagten mir darauf: ich komme auch nach Hallstatt, so würde ich Sie bitten, ihn von dem Jacob zu grüßen, der auf dem .Erzherzog Stephan' fährt." „Ja, mein Vater geht mit mir nach dem Hallstätter See und ich will Euch gerne den Gruß bestellen, sagt mir nur, an wen?" „Sie dürfen nur nach dem Sprichwörterhannes fragen; unter diesem Namen kennt ihn jedes Kind und die Fremden fahren gerne mit ihm über den See. Ich sage dies nicht vielleicht deshalb, um ihm Ihre Kundschaft zuzuschanzen, und es fragt sich auch, ob er Sie annehmen könnte, wenn er das selbst wollte, weil er den ganzen Sommer vollauf zu thun hat; wenn es sich aber zufällig schickt, daß Sie ihn treffen, so wird er Ihnen auch unbezahlt manche gute Auskunft geben, falls Sie darauf anstehen.“ Mittlerweile und während des weiter fortgeführten Gespräches waren schon andere Passagiere auf das Verdeck gekommen. Das Mädchen schlug nun die Capuze der Mamille zurück, und so konnte man die volle Schönheit des reizenden Kopfes sehen, der ohne alle Toilette-künste ein frisches Wunder der Natur war, wie man es nicht alle Tage trifft. Nußbraunes Haar fiel, wie bei Knaben gescheitelt, in den Nacken und ringelte sich in leichten Locken; die hochgewölbte Stirne zeugte von Verstand; die großen schwarzen Augen schauten noch voll Vertrauen in die Welt und hatten keinen vorwurfsvollen Blick für die Menschen, obgleich sie wieder nicht des seelenreichen Ausdruckes für Freud' und Leid entbehrten; die leicht gerötheten Wangen wußten von keinem Unglück zu erzählen, die Grübchen darin waren keine Thränenbecken, sondern Wiegen für lächelnde Scherze; die feingeformte römische Nase verrieth eine Energie, die nöthigenfalles bestrittene Rechte trotzig durchzusetzen verstand; der schönste Reiz dieses Antlitzes concentrirte sich aber in dem Munde, der aus zwei Rosenblättern gebildet schien und geschlossen verrathen ließ, daß er viele süße Räthsel zu lösen wisse, während er geöffnet zwei Perlenreihen von Zähnen zeigte, um die man die muthwilligsten Worte verzeihen konnte; das etwas vorgeworfene Kinn stimmte harmonisch zur Vollendung dieses Kopfes, für den sich jeder Maler, der sich auf Schönheit verstand, begeistern mußte, und dessen Copie er frischweg für eine ideale Studie ausgeben konnte. Der junge Mann, der in diese Schönheit, zu welcher der Steuermann wie zu einem Madonnenbilde selig niederblickte, wie versunken stand, war vielleicht ein Künstler, der ihr Couterfei in seiner Mappe haben wollte und deshalb nicht die Augen von ihr abwendete. Er mußte aber mit dem schönen Kinde schon näher bekannt sein, denn es lächelte ihm freundlich zu, als er ehrerbietig den Hut zog, und es würde gewiß sofort mit ihm ein Gespräch angeknüpft haben, wäre es nicht in diesem Vorhaben durch einen bejahrten Mann gehindert worden. Dieser wies in seinem ganzen Wesen den Charakter behäbiger Zufriedenheit; die rothen Backen seines Gesichtes waren mit den grauen Haaren, die noch ziemlich üppig aus einer mit Seidenstickerei reichverbrämten Sammtmütze hervorguckten, im lachendsten Widerspruche. Die Haare hatten nicht in Kummer und Sorge die Farbe gelassen; diese standen nicht in seinem Dienste, und seine Diener waren sorgenlose Leute; das konnte man an dem wohlgenährten, pfiffigen Schlingel sehen, der, mit einer reichen Livrée angethan, jetzt vor ihm stand und seine Befehle offenen Mundes hinnahm, dann nach der zweiten Elaste des Schiffes ging, sich mit den Schlüssen rasselnd an einem eleganten Reisekoffer zu schaffen machte und hierauf mit einer dunklen Flasche zurückkam, die er auf den Tisch vor seinen Herrn hinstellte, der in der besten Laune schien, obgleich er mit dem schönen Mädchen zankte, was ihm eigentlich doch nicht vom Herzen ging. „Daß man zu Dir aber auch nicht anders als mit Vorwürfen reden kann. Du wirst Dich nicht früher gegen die Morgenkälte verwahren, als bis Du fröstelnd und hüstelnd zu mir sagen mußt: Ach, hätte ich doch Deinen Rath befolgt; dann wird es aber zu spät sein. Ich will wetten, daß Du mit dieser leichten Mantille schon die längste Zeit auf dem Verdecke bist.“ schloß er und goß sich aus der Flasche ein Glas ein. „Zanke immerhin, Väterchen,“ sprach das Mädchen lächelnd, „und mache mich vor aller Welt recht klein wie ein Kind, dem man das Zuckerbrödchen verweigert, weil es unter dem Ave Maria mit seiner Puppe plauderte; ich will geduldig sein wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, aber auch nur so lange, bis Du es selber in Deinem Mantel nicht mehr vor Hitze aushalten kannst, wie ich schon jetzt Deine leichte Mantille zu schwer finde.“ Damit streifte sie diese ab. Diese neue Metamorphose, die nun erst recht die volle Schönheit des Mädchens zeigte, hätte einen Vater entwaffnen müssen, der allen Ernstes zornig gewesen wäre. Das aber war dieser nicht; dann war er aber überdies eitler Und stolzer als Viele, daß sein Kind schön war, und endlich fand er seinen eitlen Stolz noch durch viele Blicke der Bewunderung bestärkt und berechtigt. Er machte wohl eine scheinbar unwillige Bewegung, die er jedoch mit der scherzhaften Bemerkung paralystrte: „Aus Strafe sollst Du auch keinen Tropfen vou diesem köstlichen Weine haben."
„Das koumt mir vor," entgegnete das Mädchen, „als wenn Du zu einer Forelle, die schon ihres Henkers wartet, den man mit dem civilistrten Namen ,Koch' nennt, sagen möchtest: Aus Strafe mußt Du wieder In das rauschende Waldwasser!“
„Stille, Marie, ich weiß schon, daß an Dir ein Advocat verdorben ist; von der Güte der Weine verstehst Du doch nichts und brauchst eigentlich so wenig als möglich davon zu verstehen. Aber den Herrn ob Ich mich nun des Namens erinnern könnte, der mir gestern so geläufig war!“
„Herrn Robert Haller," fiel Marte rasch ein und erröthete über diesen unwillkürlichen Verrath einer Sympathie umsomehr, da diese auch ihrem Vater nicht entging, der sie darüber wie befremdet anblickte.
Entweder hatte der junge Mann, der früher wie versunken in ihren Anblick stand, diese Aufforderung gehört oder wollte er ihr den halben Weg ersparen, den sie auf Geheiß des Vaters zu ihm zu machen hatte; er ersparte ihr die Einladung und den Passagieren eine deutelnde Vermuthung, trat freiwillig und mit freundlichem Gruße an den Tisch des fröhlichen Alten und legte eine gewisse Vertraulichkeit mit diesem an den Tag, mit der er, obgleich sie erst das Recht eines Tages hatte, möglichen Vermuthungen eine andere Richtung geben wollte. Das war ein so richtig ritterliches Benehmen, mit dem er auf die beste Weise die gutmüthig unbesonnene Tactlosigkeit des Vaters verschleierte und wofür er sich den herzlichsten Dank der feinfühlenden Tochter verdienen mußte.
Er rückte sich einen Feldstuhl zurecht und nippte leicht aus dem angebotenen Glase. Es mochte dem heiteren Lebemanne nicht so sehr darum zu thun gewesen sein, einen Lobredner seines Weines zu gewinnen, als er sich vielmehr nach einem Gespräche zu sehnen schien; das ging schon aus dem ersten Anlaufe hervor, den er dazu machte.
„Wissen Sie, Herr Heller —"
„Mein Name ist Haller."
„Haben Sie Nachsicht mit meinem Gedächtnisse. Nun denn, Herr Haller, ich muß Ihnen gestehen, daß Sie mir mit ihrem gestrigen Urtheile den Kopf recht heiß gemacht haben. Sie meinen also, daß die Theorie der Koppelbewirthschaftung einen praktisch nachhaltigen Nutzen haben könne?"
„Ich bin zu sehr Laie in der Ökonomie," entgegnete der junge Mann bescheidenen Tones, „als daß ich mir irgend ein Urtheil erlauben dürfte. Was ich davon weiß, sind nicht Erfahrungssätze, es ist nur kümmerlich Erlerntes und Gelesenes. Dennoch kam es mir immer als nützlich und selbst als nothwendig vor,den bodenerschöpfenden Culturen andere folgen zu lassen, die ihm eine gewisse Ruhe gönnen, durch die er zu einer neuen und ergiebigeren Fruchtbarkeit tauglich wird.
Man muß demnach auf eine Pflanze von einer gewissen Art, Gattung oder Familie so viel als thunlich eine Pflanze von einer anderen Art, Gattung oder Familie folgen lassen, weil man nur so dem traurigen Folgen des Bodenaussaugens vorbeugt."
„Verzeihen Sie," fiel Marie ein, „die kurze Unterbrechung, die Sie nicht beleidigen soll, Herr Haller! Vater, muß ich diese landwirthschaflliche Abhandlung, die recht vortrefflich sein mag und nur den einzigen Fehler hat, daß ich sie nicht verstehe, geduldig anhören, oder willst Du diesen Kelch des Leidens an mir vorübergehen lassen?"
„ES könnte Dir auch nicht schaden, wenn Du Dir eine kleine Belehrung über diesen Gegenstand verschaffen würdest; sonst dürfte man Dich künftig bei der Verwaltung Deiner Güter noch mehr betrügen, als dies ohnehin geschehen wird."
„O, ich weiß schon mehr davon als mir eigentlich lieb ist; so weiß ich z.B. so viel von der Kartoffelkrankheit, daß ich mich oft aus lauter Mitleid verleitet fühle, für so eine arme Kranke eine wollene Decke zu häkeln, und daß ich über Hals und Kopf in die Küche laufen möchte, um ja recht eilig einen warmen Thee für sie zu kochen."
„Mit Dir ist doch kein vernünftiges Wort zu reden," sagte der Alte, mühsam das Lachen verwindend.
„Und deshalb," unterbrach sie ihn und schnellte von ihrem Sitze auf, „darf ich jetzt vielleicht von dem Schiffe aus die Ufer betrachten, ohne dabei herausgrübeln zu müssen, welche Fruchtgattung am besten auf ihnen zu bauen wäre."
„Nun, geh' nur und störe nicht unser ernstes Gespräch."
„Ich gehe schon; aber das Eine will ich Dir im Voraus sagen, daß ich nicht länger als eine halbe Stunde wegbleibe und dann vielleicht Herrn Haller ersuchen werde, mir eine unverständliche Stelle in einem Buche zu erklären, wenn er anders auch darüber so viel Bescheid weiß, wie über die garstige Koppelwirthschaft."
Sie ließ Roben nicht so viel Zeit, um eine artige Antwort sagen zu können, verneigte sich graziös, ging wieder zu dem Steuermanne und ließ ihren Vater mit dem jungen Manne allein, der entweder ein wirkliches Interesse an der Conversation hatte, oder sich so meisterhaft zu verstellen wußte, daß er auch den Sachverständigsten irreleiten konnte.
Die Beiden waren so eifrig in ihrem Gespräche, daß der Eine nicht zu bemerken schien, der Andere aber wirklich nicht bemerkte, daß Marie nach einiger Zeit mit der Uhr in der Hand vor ihnen stand.
Mit drohend erhobenem Finger sagte sie: „Noch immer Kraut und Rüben und heuer bauen wir Gerste und im nächsten Jahre Luzerner Klee. Es ist halb acht Uhr, wie Jedermann auf dieser Uhr sich überzeugen kann, die ich noch gestern nach der Sternwarte in Wien gerichtet habe. Jetzt will ich auch meinen kleinen Antheil an der Unterhaltung haben, wenn ich mich nicht allen Ernstes hinsetzen soll, um eine Schlafmütze für eine kranke Kartoffel zu stricken, was Du auch nicht leiden willst, weil Du eine Antipathie gegen Stricknadeln hast, ich weiß nicht, warum. Väterchen, wir wollen ein wenig die geistreichen Leute überhaupt und die Dichter insbesonders ausrichten, wie Kaffeeschwestern ihre Nachbarsleute; und da habe ich gerade mit einem ein Hühnchen zu rupfen, welcher einen gantz abscheulichen Satz aussprach, der auch Dich interessiren wird, weil er ein ökonomisches Bild enthält."
„Ach, laß mich mit dem albernen Zeug zufrieden; was kümmert es mich, ob Schiller oder Goethe größer sei; wenn ich nur wüßte, wie die Wollpreise auf der künftigen Breslauer- Messe stehen werden."
„Glauben Sie ja nicht, Herr Haller, daß mein Vater ein geschworener Feind der Poesie ist; er hat auch seine heimlichen Verse gesündigt, daß ihn die Fingergelenke vor lauter Scandiren schmerzten; ich weiß einige auswendig, soll ich sie recitiren?"
„Ob Du schweigen wirst!"
„Ja, aber unter der Bedingung, daß Du mich gewähren läßt. Der Dichter, der mich verdrießlich gemacht hat, sagt unter Anderem: „Der Rasenrain zwischen dem Felde der Wahrheit und dem der Lüge ist so schmal, daß er oft nicht ersichtlich wird und man dann nicht erkennt, wo die Wahrheit aufhört und wo die Lüge anfängt."
Robert heftete nach diesem Citate einen raschen, aber durchdringenden Blick auf das Mädchen, dessen natürliches Wesen, das sich am wenigsten in diesem Augenblicke verleugnen konnte, jede Absichtlichkeit und Berechnung ausschloß. Er ging nach einer kurzen, fast befangenen Phase der Ueberlegung frisch und mit einer sieghaften Zuversicht auf dieses gefährliche Thema ein.
„Wo die Wahrheit aufhört und wo die Lüge anfängt?
Wer das wüßte, der wäre eben ein Philosoph, dem man aber gewiß nach seinem Tode ein prahlendes Monument aufrichten würde. Ein Dichter hat es leicht; der springt waghalsig mit einem rasch hingeworfenen Bilde über eine solche Frage hinweg, die in Jahrtausenden nicht ihre Lösung fand. Und Sie wollen sie von mir, mein Fräulein? Was ist es auch weiter, wenn man an eine Lüge glaubt, die uns in der Maske der Wahrheit entzückt; und vielleicht hat Jener, der mit dem Vorsatze, zu lügen, ausging, sich mittlerweile in die Rolle der Wahrheit so eingelebt, daß er mit dem Handumdrehen tugendhaft geworden ist. Wäre es dann nicht besser, seinen ursprünglichen Vorsatz lieber gar nicht zu kennen, um nicht aus einem Himmel gestürzt zu werden, der, ob ihn auch die Lüge erschloß, doch vor uns eine entzückende Seligkeit entfaltet?
Sie können dem armen Mädchen, das sich mit einem Halsschmucke von falschen Perlen gefällt, sagen, daß die Perlen, die es trägt, unecht sind, und haben nach Ihrer Meinung etwas Gutes gethan; es ist aber eine andere Frage, ob Sie es dann auch glücklicher gemacht haben?"
„Das freilich nicht," entgegnete Marie mit fast traurigem Ernste; „ich habe aber das Mädchen in den Augen der Welt vor dem Fluche der Lächerlichkeit gerettet."
„Immerhin; doch haben Sie es um seinen Schmuck gebracht, der ihm vielleicht zeitlebens Freude gemacht hätte, weil es nicht selber zur Erkenntniß der Wahrheit gekommen wäre."
„Werdet Ihr endlich mit Eurem Streite fertig?" fuhr der alte Herr dazwischen. „Was kümmert es mich, ob der Wein, den ich trinke, direct aus der Champagne kommt, wenn er mir nur schmeckt und nicht Kopfweh macht; und ich hätte in einem solchen Falle immerhin Recht, ihn für echten Champagner zu trinken."
„Mein Vater spricht Ihnen das Wort, und ich bin zu schwach, um Ihre Sophismen zu widerlegen, obwohl sie einen bangen Zweifel in meinem Herzen, wie beunruhigte Bienen ihren Stachel zurücklassen."
„Weil Du eben von Bienen sprichst; a propos, Herr Haller, was halten Sie von der Bienenzucht?" fragte der alte Herr und brach so eine Erörterung ab, die ihn langweilte.
„Ich möchte auch hier Ihre Ansicht kennen, und vor Allem darüber, ob.Sie den Ständern oder den Lagern den Vorzug geben."
Es kann den geehrten Lesern und Leserinnen gleichgültig sein, wie diese Frage erledigt wurde, wesentlicher aber ist es für sie, zu erfahren, daß der junge Mann eine andere conventionelle Frage während der Fahrt beantwortete, daß sein Reiseziel Hallstatt sei, worüber Vater und Tochter gleich erfreut schienen.
Diese Frage fiel in der sogenannten „bösen Beuge", wo die Donau einen kleinen Halbkreis beschreibt. Marie kümmerte sich von da an nicht weiter um die beiden Sprecher, die wieder recht in das Dickicht eines praktischen Gespräches eingedrungen waren, aus dem sie sich gar nicht herausfanden; sie hatte nur Augen für die prächtigen Wunder der Natur, die hier in dem immer mehr verengten Stromthale sich Bild auf Bild entrollten. Hier das Lustschloß Persenbeug wie ein reizender Traum der Gegenwart, und höher hinauf die Ruine Sarmigstein wie eine ernste Warnung aus der Vergangenheit.
Was hat der Dampfer, daß er sich mit einem Male schaukelt und wiegt, gleich einem tanzlustigen Mädchen, wenn die ersten Tacte eines tollen Walzers erklingen? Das ist kein fröhliches Schaukeln und mehr ein furchtsames Zittern zu nennen; er hat Furcht vor dem Strome, den er bisher spielend bezwang, weil er jetzt seine Wellen wie boshafte Schlangen zusammenringelt und im Kreise herumjagt. Man sollte denken, daß die wilden Wogen, die gegen den „Hausstein" stürmisch anlaufen, zurückgeworfen werden und hartnäckig wieder anprallen, schon längst diese Felseninsel gebrochen haben müßten; die Belagerung dauert in die tausend Jahre und der Hausstein hält sie noch immer aus. Das war der „Wirbel".
Wie schauerlich schön liegt St. Nicola dort, und ein solcher Ort wäre wie geschaffen für einen Einsamen. Auf ein Neues und heftiger schüttelt sich der Dampfer oder er wird vielmehr geworfen. Die Wogen erheben ihre schäumenden Häupter und toben zornig, daß es weithin tönt. Das ist der „Strudel" mit seinen zwei Brüdern, dem „Wildwasser" und dem „Wildriß", die sich als übermüthige Wildfänge geberden und Tod und Verderben drohen. Wenn erst die Schiffer über die „Kugeln" und über das „Kachelt" hinweg sind, dann schlagen sie ein andächtiges Kreuz und danken dem Herrgott, der sie mit seiner Hilfe aus einer drohenden Gefahr errettet hat. Hier ist es entsetzlich und die Felsen rücken so nahe zusammen, als wollten sie den Strom in der Tiefe erdrücken, der sie vor undenklichen Zeiten gewaltsam auseinanderriß; der aber rauscht und braust wilden Hohnes vorbei und stellt seine Wuth erst hinter der „Greiner Schrak" ein.
Von da gewinnt das Thal, sich etwas erweiternd, wieder einen freundlichen Charakter, der sich am schönsten in dem herrlich gelegenen Nieder-Wallsee ausprägt. Enns, Mauthausen, das halbverfallene Spielberg und das imposante Tillysburg mit seinen vier Thürmen ziehen vorüber; nun schmücken sich die Ufer mit langen Alleen von Pappeln, Weiden und Erlen; reizend liegt St. Peter in der Au und melancholisch blickt die Burg Steyregg herüber; der Strom macht eine gewaltige Krümmung, und so wird das Bild einer großen Stadt vielfach verschoben und wendet sich nach allen Seiten wie eine eitel-muthwillige Kokette. Es ist Linz, wo der Dampfer sein Ziel erreicht hat.
Das waren wunderbare Genüsse, unter denen Marie hätte aufjubeln und weinen mögen, während ihr Vater und Robert von der Oekonomie sprachen.
2
Die Liebe schreitet rasch. Was erst noch eine stille Neigung war, wird bald zur starken Leidenschaft; was erst wie eine Ampel vor einem Madonnenbilde flimmerte, wird bald zur weithin leuchtenden Fackel. Das sind die heiligsten Stunden, in denen sie wie eine Rose am Strauche und wie eine Traube am Weinstocke, berauscht von ihren eigenen Düften und von ihrer eigenen Süßigkeit trunken, unbeachtet von der Menge und nur von Einem gesehen ist, für den sie freudig ihr ganzes Lehen opfern möchte. Das sind' die reichsten Stunden, da sie noch nicht den Schlüssel zu dem Zauberschreine gefunden hat, über dessen Inhalt sie selber erstaunt und vor Erstaunen außer sich ist, daß sie so viel Kleinodien hat, während sie sich für bettelarm hielt.
Ist die Liebe einmal selig bange zur Selbsterkenntniß gekommen, so wird sie auch die Zeichen und Worte finden, um sich zu offenbaren, und zumal dann, wenn sie auf ein Herz rechnen kann, das ihr ungeduldig verräth, was sie sehnsüchtig zu wissen verlangte. Die Zauber einer prächtiges Natur üben außerdem eine geheimnißvolle Macht über die Menschenherzen, daß sie es den Rosenknospen nachahmen und ihr duftiges Geheimniß willig erschließen, wenn ihre Stunde gekommen ist; daß sie es dem jungen Weine nachmachen, der im Fasse gährt, wenn die Reben wieder blühe.
Die Natur ist die Vermittlerin und die Botenrrägerin zwischen den Menschenherzen. Das Brausen der Wildwässer und das Rauschen der Bäume, wenn, der Schöpfungsgeist vorüberschreitet, ist eine verständliche Sprache für Jene, in deren Herzen das stärkste Gefühl wach geworden ist; und es ist kein muffiges Märchen, daß man es endlich so weit bringen kann, um auf das Wort auslegen zu können, was die Lerchen jubeln und was die Nachtigallen schluchzen. Wer sich nur recht in Liebe an die Brust der Natur legt, der wird ihren Athemzug und den Schöpfüngshauch verspüren, der in ihr geheimnißvoll waltet, und täglich neue Wunder verspüren.
Robert und Marie hatten sich schon durch Worte , und Blicke verständigt, die für ihre Herzen Zeugniß ablegten, daß sie sich nicht mehr fremd seien und daß sie nur der weihevollen Stunde warteten, in der sie ihren Bund frei verkündigen würden.
Herr v. Merk, so nannte sich Mariens Vater, hatte, ohne es eben zu wollen, den ausreichenden Succurs zu dieser Annäherung durch sein außergewöhnlich freundliches Benehmen gegen den jungen Mann geleistet; er schien da durch gleichsam dessen zauberhafte Macht über seine Tochter anzuerkennen und ihr noch die letzte Stütze zu geben, da er ja selber von ihm wie bezaubert war. Er hatte sich nachgerade, ohne mühsam und lange über Stand und Vermögensverhältnisse seines Reisegefährten, der seine Heiterkeit stets in Athem erhielt, nachzuforschen, fast mit dem Gedanken einer Verbindung zwischen diesem und seiner Tochter vertraut gemacht, den er zwar nicht voreilig aussprechen wollte und aus Schicklichkeitsrücksichten verbergen wußte, gegen den er sich aber auch nicht auflehnen wollte, wenn er durch eine gegenseitige, wahrhafte Neigung der
jungen Leute in seiner Annahme und in seinem halbreifen Wunsche bestärkt wurde.
Was Wunder also, daß diese, die in seinem passiven Verhalten und in seiner Toleranz jede und noch eine stärkere Unterstützung fanden, als sie erwarteten, mit jubelnder Sicherheit auf dem Terrain ihres Glückes, das ihnen nicht streitig gemacht wurde, die rothen Fähnlein der Liebe aussteckten und entfalteten.
Das waren sonnige Tage des Glückes, welche diese drei Menschen am Hallstätter See in unverkümmertem Genusse und wie berauscht von Seligkeit verlebten. Dieser See hatte gewiß schon seit Langem nicht so glückliche Menschen abgespiegelt, die ihn zugleich so dankbar für Alles, was sie an ihm erfuhren, und über seine eigene Schönheit lobten.
Man gewinnt die ärmliche Stube lieb, in der man eine innige Freude genossen hat, man gewinnt das Haus lieb und möchte es gegen die gerechteste Kritik vertheidigen, die an seiner Architektur nergelt, in dem wie in einer Muschel die Seele versteckt ist, die den einzigen Schmuck unseres Lebens bildet; man gewinnt die uninteressanteste Stadt lieb, welche der Reisende, um der Langweile auszuweichen, mit einem langen Umwege vermeidet, wenn man einen treuen Freund darin gefunden oder wenn man auch nur außer ihrem Weichbilde das Grab eines theueren Todten, zu suchen hat.
Um wie viel mehr muß das noch der Fall sein, wenn man seine Vorliebe von Vielen getheilt sieht und wenn man seine Bewunderung über einen zauberischen Winkel der Erde mit den berauschtesten Worten aussprechen kann und damit noch nicht genug gethan hat.
So war es eben an diesem See, der, von gewalttgen Bergen umschlossen, wie ein stilles Wunder der Schöpfung liegt und heimlich süße Sagen rauscht, wenn ein Windhauch über seine Wasser geht.
Als Wäre der Ort einzig und allein die Ursache des Glückes gewesen, konnte man sich von ihm nicht losreißen, obgleich man nach einer früheren Bestimmung sich dort nur einige Tage aufhalten wollte. Herr v. Merk hatte sich schon nach Thunlichkeit heimisch gemacht, und was noch mehr war, er vermißte kaum den Comfort seines Hauses, der ihm sonst überall abging. Er spielte sich selbst auf den Schwärmer für Naturschönheiten hinaus, was ihm etwas drollig ließ, weil er eigentlich, wenn er aufrichtig sein wollte, nur für die köstlichen Forellen begeistert war, was er auch einmal durch die Äußerung verrieth: „Es ist ein Heidenweg zwischen der Provence und Hallstatt, das muß Jeder eingestehen, der in der Geographie nur nothdürftig Bescheid weiß; deshalb muß man aber auch mit allem Lobe anerkennen, daß diese Gebirgsbewohner ihre Gäste würdig zu ehren wissen, indem sie sich das feinste Oel zu den besten Fischen, die ich je gegessen habe, zu verschaffen wissen."
Das also war der geheime Drücker zu der Tapetenthüre, die in das Tafelzimmer seiner Gourmandise führte, und darum spielte er sich auf den Naturbewunderer hinaus.
Marie hatte schon viele Stellen so herzlich liebgewonnen, daß es ihr schmerzlich gewesen wäre und als Undank geschienen hätte, sie allzu schnell zu verlassen, weil sie an ihnen wie an treuen Freundinnen hing, denen sie die süßesten Geheimnisse verrathen hatte.
Die Wilden suchen die Behausung ihres Gottes dort, wo sie das Feuer der Sonne flammend aufgehen sehen; man kann es in der Civilisation unendlich weit gebracht haben und doch in den Fehler ihrer Abgötterei verfallen; die Liebe thut es immer und sucht mit frommgläubigem Herzen dort ihren Gott, wo die Sonne ihres Glückes aufging.
Konnte es auf der weiten Gotteswelt irgendwo schöner sein als hier, wo ihr das Herz zum ersten Male jubelnd sagte:
Nun bist du glücklich wie nie; halte fest diesen schönen Traum, rege und rühre dich nicht, daß er dich nicht verlasse, denn du wärest dann namenlos elend !
Sie wäre zeitlebens in Hallstatt geblieben, wenn es nach ihrem Wunsche gehen durfte; sie fürchtete ja, daß sie ferne von dem stillen Gebirgssee auch von ihrem stillen Glücke ferne sein würde. Was galt ihr das Drängen und Trüben der Weltstadt, in der sie es nicht so friedlich und freudig haben konnte? Befreit von dem Zwange der Etikette und Mode, konnte sie es hier fast ebenso gut haben wie die Natur, die sich im freien Übermuthe ihrer frischen Kraft und nur von der unsichtbaren Hand des Weltenlenkers geleitet und geführt, der ihr die bindenden Gesetze vorschrieb, regte und bewegte. Was galten ihr die prächtigsten Schauspiele und Feste? sie sind das stümperhafte Werk von Menschenhänden. Das Alpenglühen, die Sonnenauf- und Untergänge, das märchenhafte Funkeln des Sees, die Wasserfälle waren Feste und Schauspiele die von einem Meister angeordnet sind, dem man kein Entree zu zahlen braucht, und die man am würdigsten loben würde, wenn man geneigten Hauptes in die Knie sänke und jubelnd hinnähme, was er verschwenderisch in jedem Augenblicke gibt.
Robert schien am wenigsten Lust zu haben, den See zu verlassen, an dem er immer einen neuen Ausflug vorzuschlagen wußte. Er hatte das beste Orientirungstalent und bewegte sich in dieser Gebirgswelt, als ob er in dem Hause wäre, das er seit seiner Kindheit bewohnte und in dem ihm alle Treppen und Winkel wie seine rechte Hand bekannt waren. Sein Orientirungstalent war eben ein neuer Grund, daß Herr v. Merk, der eine gewisse Hochachtung, die zeitweilig in Bewunderung umschlug, für den jungen Mann hatte, der überall, wo immer man anpochte, Rede und Antwort stehen konnte, vor Erstaunen außer sich gerieth.
„Ich wette," sagte er unter Anderem, „Sie sind, ob gleich Sie das Gegentheil behaupten, schon einmal in Hallstatt gewesen, denn anders könnte ich nicht begreifen, wie Sie sich so zurechtfinden; und wenn das nicht ist, so sind Sie wie gemacht zum Weltentdecker; dann thun sie aber Unrecht, Ihr Talent verkümmern zu lassen."
Das war eigentlich ein tactloser Ausbruch der Bewunderung, den man von einem Anderen für eine absichtliche Aufforderung halten konnte, daS belobte Talent anderswo als in seiner Gesellschaft geltend zu machen; er verbesserte ihn jedoch, ohne ihn eben gewahr zu werden, indem er noch hinzusetzte:
„Das aber müssen Sie mir versprechen, daß Sie mich mitnehmen, wenn es Ihnen einmal in den Sinn kommen sollte, eine neue Weit zu entdecken."
„Ich könnte keine schönere Welt entdecken," erwiderte Robert, „als die Welt, die mit diesen Bergen rundum abgeschlossen ist, und sie ist mir groß und reich genug; ich könnte in der weiten Welt, und entdeckte ich auch das verloren gegangene Paradies, keine besseren Menschen treffen als diese, mit denen ich eben lebe."
„Bedanke Dich, meine Tochter!" rief Herr v. Merk und schüttelte ihm herzhaft die Hand.
Er brauchte seine Tochter nicht an den Dank zu mahnen; sie hatte ihm seine schönen Worte schon durch den innigsten Blick, in dem ihre ganze Seele sich offenbarte, vergolten.
3
Marie hatte in ihrem Glücke nicht den Auftrag und die Bitte des Steuermannes auf dem „Erzherzog Stephan" vergessen. Ihre erste Frage, als sie vor der „Gosaumühle“ aus dem Wagen stiegen, der sie von Ischl nach dem Hallstatter See gebracht hatte und den man dort bis zur unbestimmten Rückkehr mit einem Diener in der „Post" einstellen ließ, war nach dem Sprichwörterhannes; und sie hatte'auch hier wieder Glück, denn der Fährmann, der sie von „Steg" mit seinem Boote über den See nach Hallstatt bringen sollte, war eben kein Anderer als der, nach dem sie sich angelegentlich erkundigt hatte. Von diesem Augenblicke an hatte sie auch das Boot des freundlichen, aber ernsten Alten, der das ehrliche Lob seines Bruders schon nach dem ersten Eindrucke seiner biederen Erscheinung nicht Lügen strafte, für die ganze Zeit ihres Aufenthaltes gemiethet, da es zufällig nicht von anderen Fremden in Beschlag genommen war. Ihr Vater, der das Arrangement ganz ihrem umsichtigen Wirken überließ, was ihn .erstens einer Mühe enthob und dann seine eigenen Anordnungen, die gewöhnlich fehlschlugen, nicht auf eine neue Probe stellte, hatte sich darüber nicht zu beklagen und mußte viemehr diese Wahl billigen, da die besonnene Geschicklichkeit des Fährmannes alle Garantie leistete, die, er brauchte, weil er sich dem tückischen Wasser, das keine Balken habe, wie er sich mit einem alten Sprichworte heimlich sagte, nicht ganz furchtlos vertraute.
Der Sprichwörterhannes war trotz seiner fünfzig Jahre und trotz der aschgrauen Haare noch immer ein rüstiger Mann, der mit seiner Hände Arbeit jeden Jüngeren meisterte; es wußten darüber die Knechte zu klagen, deren Arbeitskraft er ausnahmsweise zu einer-Fahrt über den See in Anspruch nahm, denn für kleinere Strecken brauchte er Niemanden.
Bei aller Höflichkeit erniedrigte er sich nie vor seinen Kundschaften, er mißbrauchte aber auch deren herablassende Freundlichkeit nicht mit jenen zutäppisch neugierigen Fragen, die man so oft bei Leuten seines Standes trifft.
Seine ernstklugen Augen hatten nichts von jenen bäuerlich zudringlichen Blicken, die in den Gegenständen, welche ihre Neugierde anregen, sozusagen stecken bleiben; er hatte vielmehr eine Art praktischer Geringschätzung, die er aber wieder nicht auffällig an den Tag legte, für alle jene eitlen Modestücke, mit denen die Reisenden so gerne Staat machen. Er fragte nie, außer nach dem Ziele einer Fahrt, oder nach sonst Nothwendigem; wurde er gefragt, so antwortete er mit kurzen, aber bestimmten Worten, die Hand und Fuß hatten und denen er gewöhnlich noch ein passendes Sprichwort anhing. Er ging in einer einfachen, doch sorgfältig netten Tracht, die ihn gut kleidete, und er war, wenn er Sonntags in der Kirche stand, der Zielpunct mancher Weiber, die ihre Gebete über dem Gedanken vergaßen, wie es doch sündhaft wäre, daß ein so „riegelsamer" Mann sich nicht entschließen könne, noch ein zweites Mal zu heiraten, was er doch eigentlich wegen seines Buben nothwendig hätte.
Dieser Bube, an dem die Weiber gerne Mutterstelle vertreten wollten, war acht Jahre alt und hatte, wie in ihrer Gebirgssprache zu reden, ein Aussehen wie Milch und Blut; die Mädchen in Hallstatt wurden nicht satt ihn abzuküssen, wenn sie seiner habhaft werden konnten, was freilich seine Schwierigkeiten hatte, weil er ihnen, wenn möglich, immer aüsriß.
Man sprach jetzt wenig von seiner Mutter, der Christel, und wenn man es that, mit ausweichenden, aber versöhnlichen Worten, weil man ihren Vater, den Sprichwörterhannes. schonen wollte, der von ihrem Unglücke an, das ihn anfänglich um den Verstand bringen wollte, seine frühere Aufgeräumtheit und Heiterkeit einbüßte, die sonst auf den Kirchweihfesten fast die Musikanten entbehrlich machten.
Der Knabe, der in der Taufe den Namen Friedrich und den Zunamen seiner Mutter erhielt, da sie ihn im ledigen Stande geboren hatte, was ihm in Hinkunft viel banges Herzklopfen verursachen und oft die Schamröthe auf die Wangen jagen wird, war der Hahn im Korbe und der Liebling aller Leute in Hallstatt.
Er war aber auch herzig und schön und, wenngleich frisch und gesund, doch nicht so derb wie die übrigen Kinder, die über eine Frage nach ihrem Vater nicht zu erröthen brauchten, was er freilich jetzt auch nicht that und ohne Bedenken sagte: der Sprichwörterhannes.
Er war ein Gefährte seines Großvaters bei allen Fahrten, und konnte er ihn auch noch nicht bei der Arbeit unterstützen, so erleichterte er ihm diese schon durch seine Anwesenheit. Er war übrigens so wohlgesittet und stille, daß die Fremden ihn bald gerne leiden mochten, der gewöhnlich voran im Boote saß und sich am liebsten damit unterhielt, die Wellen durch seine Finger rieseln zu lassen, was ihm ein träumerisches Vergnügen zu machen schien.
Marie hatte eine wahre Zuneigung zu dem Knaben gefaßt, die dem armen Fährmanne wohl that und die ihm fast die Thränen in die Augen trieb, zumal wenn sie seinen blonden Kopf mit beiden Händen faßte und ihn mit einer Leidenschaft abküßte, die kein Maß und Genügen fand.
Das schien Robert nicht gerne zu sehen. Es konnte nicht Eifersucht sein, was ihn gegen den Knaben aufstachelte, der für ihn gleichsam nicht da war; dennoch behandelte er ihn aus Ärger über diese leidenschaftlichen Liebkosungen, die ihm vielleicht am unrechten Orte angebracht schienen, mit einer konsequenten strengen Gleichgültigkeit, die insoferne auffällig wurde, weil er sich nie zu einem freundlichen Worte freiwillig herabließ oder auch nur zwang, während die Übrigen ihm oft ihre ganze Aufmerksamkeit zuwendeten.
Das that dem Alten wehe, der nämlich bald mit seinem gesunden Verstande herausgefunden hatte, daß der Bube dem jungen Manne, zu dem er, ohne zu wissen warum und vielleicht eben deshalb, keine rechts Zuneigung fassen konnte, wie er sich auch anstrengte, und der manchmal sein ruhiges Blut in Wallung brachte, eigentlich zu viel im Boote und zuwider war. Er. hatte von keinem Menschen verlangt und er sah es oft ungern, daß man ihn mit überbotener Zärtlichkeit verdarb; es konnte aber auch Niemand von ihm verlangen, daß er sich seine eigene und einzige Lebensfreude ohne Noth verkümmern und verderben ließ.
4.
Fast vier Wochen waren wie ein Traum von den Dreien verlebt, die sich zufällig gefunden hatten und die sämmtlich den Zufall segneten, der sie zusammengeführt hatte. Man war Alles abgewandert, was nur immer ohne gar zu beschwerliche Mühe möglich war. Man hatte selbst den Salzberg erstiegen und das wäre ein hartes Stück Arbeit für Herrn v. Merk gewesen, wenn nicht Andere für ihn diese Arbeit verrichtet hälten; er ließ sich nämlich auf einem Tragsessel über den „Rudolphsthurm" hinaus bis zum Berghause schleppen, wo er sich wirklich für die herrliche Aussicht begeisterte, aber gegen das Befahren des Salzberges Opposttion machte, mit der er auch glücklich durchdrang. Er hatte selbst beweisen wollen, daß er auch gut zu Fuße sei und beklagte sich nicht auf dem Heimwege zum „Waldbachstrub", der, wie ein tollköpfiger Wildfang mit dem Kopfe durch die Felsenwand will und seinen übermuthigen Willen auch brausend durchsetzt, was eben das schönste Schauspiel eines mächtigen Wasserfalles bietet. Die Müdigkeit stellte sich aber auf dem Rückwege schon bei dem Schleierfall" ein, der vom hohen Felsen herabstäubt, und stimmte ihn eigentlich mißmuthig, welchem Mißmuthe er durch eine heftige Diatribe gegen das „Echternihal" Luft machte, dem er nicht wie die Anderen die Romantik zugestand und das zu verfluchen er ein begründetes Recht- zu haben glaubte, weil es ja auch vom 17.- November bis 2. Februar nicht von der Sonne beschienen werde, welcher Touristenbemerkung er recht auffällig -wiederholt .lolegte.
Toleranter war er für andere Partien, wie für eine Wasserfahrt nach Obertraun, von wo er richtig nach dem „Hirschbrunnen" und zu dem „Kessel" mitging, die eben wieder, was die Mühe des Ausfluges lohnte, ihr nach und nach gesammeltes Wasser lustig hervorsprudelten. Er leistete mehr als er sich selber zugetraut hätte, weil er seiner Tochter nicht die Freude verderben wollte, die ja ohne ihn nicht ihrer Naturschwärmerei genugthun konnte.
In dem Zeitraume eines Monates kann das Loos von Staaten und Völkern eine Umwandlung erfahren; was Wunder, daß in zwei Menschenherzen, die freilich auch ihr kleines Stück Weltgeschichte haben, eine Umwandlung vorgeht. Alle die Stunden und Tage waren die goldenen Glieder einer Kette von Seligkeit, von der man keines verlieren mochte, war auch das nächste noch schöner und reicher.
Eines schien in das Andre sozusagen eingebürgert; man errieth sich schon auf die Gedanken, und es mußte also der im Vortheile sein, der diese Gedanken so zu bekleiden wußte, daß ihre äußere Erscheinung entzückte. Das aber konnte Robert. Herr v. Merk bewunderte es laut und Marie verehrte es schweigend an ihrem Geliebten. Das Mißtrauen war weit verbannt und das unbekümmerte Vertrauen hatte die Oberhand. Herr v. Merk hätte die wohlmeinendste Warnung vor dem jungen.Manne wie eine feige Verleumdung gerügt und verachtet und das" umso mehr, weil er seiner Tochter, sicher, war, welche die Freiheit, die er ihr ließ, nie mißbraucht hatte. Er hatte Proben von dem Stolze ihres Charakters, der sich wohl heimlich einem Gefühle hingeben konnte, der aber mit offener Stirne heraustrat, wenn dieses Gefühl zur That werden sollte.
Herr v. Merk hatte also in die jungen Leute das unbedingteste Vertrauen und er wollte ihrer Neigung, die für ihn nun volle Gewißheit war. einm steteren Spielraum gestatten; und wenn beides nicht der Fall gewesen wäre, so hätte er in dem Sprichwörterhannes einen Ersatz gefunden.
Deshalb wollte er das Vergnügen eines neuen Ausfluges über den See an den „Hirschbrunnen" der am vorigen Tage besprochen und abgekartet war, und nach dem sich seine Tochter kindisch sehnte, nicht vereiteln; er erklärte sich, weil er etwas unwohl, was er nicht sagen wollte, für nicht aufgelegt, eigentlich verhindert, an dieser Ausfahrt theilzunehmen, da er nothwendig Briefe abschicken müsse, die er schon lange verschoben habe; wollte aber und bestand mit dem freundlichsten Zureden darauf, daß man sie, wenn man ihm eine Freude und ihn nicht böse machen wolle, ohne ihn unternehme.
Robert war durch dieses Vertrauen wie berauscht; Marie war dadurch beunruhigt, obgleich sie ein Alleinsein mit dem Manne wünschen mußte, dem sie schon mit der flammenden Liebe ihres Herzens angehörte. Sie war zu fromm, um nicht Zeugen ihres Glückes haben zu wollen, sie gab sich diesem so selbst weniger hin, weil ihre Liebe auf diese Wette die Aureole bewahrte, mit der sie heiliger erschien. Sie gab nur widerstrebend nach, weil man es wollte und weil sie nicht den Mann betrüben wollte, der sonst ihren Widerstand für Mißtrauen halten konnte.
Bei dieser Ausfahrt fehlte aber nicht nur ihr Vater, sondern auch der Knabe, der ihr schon unentbehrlich geworden war. Robert nahm dieses nicht wahr, wie er auch nicht bemerkte, daß der Großvater des Knaben verstimmt war, was aber dem Mädchen nicht entging. Er war als Egoist von seiner eigenen Seligkeit so sehr eingenommen; was sollte ihn die Maschine kümmern, welche diese Seligkeit in Gang brachte? Denn für nichts Anderes schien er den Fährmann zu nehmen, dessen ganzes Glück er mit dem richtig ausbezahlten Lohne für erledigt hielt.
„Wo habt Ihr den Friedl gelassen ?" fragte Marie, als man schon ziemlich weit auf dem See war.
„Es macht ein Bube oft, daß viel fromme Leute entgelten müssen," antwortete der Sprichwörterhannes ernst und setzte rasch hinzu: „er wird nicht mehr mitfahren."
„Und warum das?"
„Kein Warum ohne Darum," erwiderte er und half, als ob er diese Antwort zu grob gefunden hätte, mit folgenden Worten nach, die er fast widerstrebend aussprach, als müßte er eine Lüge sagen:
„Er muß zur Schule, denn ich will nicht, daß er damit zufrieden sein soll, daß er einmal dem Lehrer einen guten Morgen geboten hat, wenn er auch nicht den Schulsack auffressen muß, weil er zuletzt doch nicht zehn Handwerke, von denen das elfte der Bettelstab ist, sondern eines, dessen er sich nicht zu schämen braucht, lernen und Nicht einer von den Gelehrten werden soll, von denen Christus am meisten leidet."
Er hatte diesmal Sprichwort auf Sprichwort gehäuft, was er immer that, wenn ihm das Antworten auf eine Frage schwer wurde, die ihm entweder der Antwort nicht werth schien oder ihn in Verlegenheit setzte.
Robert, der auch ein Wort an den Alten richten wollte, um nicht theilnahmslos vor Marie zu erscheinen, und nicht deshalb, weil er sich dazu innerlich gedrängt fühlte, jagte, da er nicht erst lange danach suchte:
„Ist der Friedl Euer Sohn?
Das war eine Frage, die dim Alten so wehe that, als ob ihm Jemand mit dem schwersten Ruder einen Schlag versetzt hätte; und obgleich er sie in anderen Fällen ohne viel Umstände mit Ja beantwortet hätte und dadurch sein gewissen nicht mit einer Lüge zu belasten glaubte, nahm er doch jetzt ein Bedenken, sie dem jungen Manne, dessen Munde sie ihm anders und fast böswillig vorkam, auf die gleiche Weise zu beantworten.
„Ja und nein," erwiderte er, „und begnügen Sie sich jetzt mit dieser christlichen Antwort, die ich, wenn Sie es durchaus verlangen, nur Ihnen allein weltlich anseinandersetzen kann.“
„Das wird überflüssig sein,“ meinte Robert fast geringschätzig.
„Nun, ich wollte Ihnen nur nicht mit Birnen geantwortet haben, da sie nach Äpfeln fragten.“
Marie, welche die Ungeschicklichkeit dieser Frage, wenn auch nur undeutlich, doch so ahnte, daß sie die Antwort in ihrer Gegenwart nicht wünschenswerth finden konnte, wollte dem Gespräche, das für sie fast einen peinlichen Charakter annahm, weil sie mit einer gewissen Härte und nicht mit vollem Unrechte den Mann ihrer Liebe behandelt fand, eine andere und versöhnliche Wendung geben und sagte:
„Ich muß Euch gestehen, daß es für mich ein großer Schmerz wäre, wenn ich den Friedl nicht mehr bei uns sehen könnte; und darum müßt Ihr mir versprechen, daß Ihr ihn noch öfter mit Euch nehmt. Nicht wahr, das versprecht Ihr mir?“
„Das kann ich nicht; denn heute ist er nicht mehr da, und morgen fahre ich selber nicht mehr; ich möchte Sie nämlich gebeten haben, sich nach einem anderen Schiff-Manne umzusehen, da ich von morgen an, wie gerne ich auch möchte, Sie nicht mehr führen kann.“
Robert hatte schon die Frage auf der Zunge: Müßt ihr vielleicht auch zur Schule? unterdrückte sie jedoch glücklich, was aber nicht verhinderte, daß man an seiner fast lächelnden Miene gewahr wurde, daß ihn eben kein trauriges Gefühl beherrschte, und darum klang es so gar nicht herzlich, obgleich er sagte:
„Das wird uns sehr leid thun."
Was dem Alten wieder nicht entging.
„Das läßt sich leicht verschmerzen, und Sie werden einen besseren als mich finden,“ versetzte der Alte, dem dieses Wort wie eine Katze mit eingezogenen Krallen vorkam und ruderte daun heftiger und geräuschvoller, um so gleichsam jede weitere Frage abzuschneiden, da ihm heute das Antworten keine Freude zu machen schien.
Robert war froh, die Zwischenreden des Alten, der ihm nie so lästig als heute war, los zu sein, und kümmerte sich weiters nicht um ihn. Bald war er für ihn sogar kein Gegenstand der Beachtung oder wenigstens nicht mehr als das Ruder in seiner Hand. Das ging daraus hervor, daß er heute fast zum ersten Male die Rücksicht vor einem Dritten außer Acht gelassen haben würde, wenn ihm Marie nicht durch ihre Würde imponirt hätte, die seinen Übermuth entwaffnete und zugleich seine Zärtlichkeit, die in ihrer Offenbarung kein Maß anerkennen wollte, in die Grenzen der Sitte verwies und mit jener Grazie abwehrte, welche die Liebe nicht erstickt, sondern nur noch mehr entflammt.
War er auch schon in früheren Tagen des Sieges gewiß, so zeigte er sich doch noch immer als Kämpfer; und das eben überwältigt ein weibliches Herz, weil man seiner Stärke, wenn auch nur scheinbar, jene Gerechtigkeit widerfahren läßt, die ihm schmeichelt, obgleich es sich selber der Schwäche anklagt. Heute aber wollte er mit einem Male den Triumphator spielen; und das soll kein Mann vor dem Weibe, das er liebt, weil er dadurch seine eigene Stärke zu sehr in den Vordergrund stellt und gleichsam Schadenfreude über eine Niederlage äußert. Wer die Gegenliebe eines Weibes wie eine Beute hinnimmt, der gleicht dem Soldaten, der nur deshalb siegen wollte, um plündern zu können.
Marie war zu glücklich, um Jemand verstimmt sehen zu können, und darum glich sie versöhnlich aus, was Robert verdorben hatte. Wie konnte sie das besser und wie ehrte sie den Alten mehr, als wenn sie ihn zum Zeugen ihres Glückes machte? Sie war diese Ehrenrettung ihrer Liebe sich selber schuldig, und deshalb wußte sie es mit der freundlichsten Aufforderung so zu wenden, daß er nicht von ihrer Seite kam. Sie krittelte heute selbst mißtrauisch an Roberts Terrainkenntniß und setzte sie in Zweifel, indem sie durchaus von dem Alten begleitet sein wollte. Wie wortarm er auch war, sie brachte ihn zum sprechen und fragte absichtlich mehr als sonst, wodurch sie erreichen wollte, daß er immer vor ihr herschritt, während sie ihren Weg in den Bergen machten.
Robert, der diese Absicht durchschaute, fand wieder jenen seinen Tact, den er schon etwas vernachläßigt hatte und gab sich nicht weiter rückhaltslos als Herr und Gebieter, wie viele Männer, sobald sie einmal an dem Ziele ihrer Wünsche angelangt sind; er war bald und ohne einen störenden Übergang, rücksichtsvoller als sonst. Marie hätte darüber vor Seligkeit aufjauchzen mögen; denn sie hielt dies für eine volle Bürgschaft, daß sie sich nicht in dem Manne ihrer Wahl geirrt habe, und war hingebend wie nie. Ihre Worte, offenbarten sie auch nicht das Glaubensbekenniß ihrer Liebe, waren dennoch herzlicher; ihre Blicke, suchten sie auch ihr seliges Geheimniß zu verhüllen, waren dennoch inniger; sie verrieth aber ihr liebendes Herz, wenn sie die Hand Roberts anfaßte, um mit ihrer Unterstützung über irgend ein Hinderniß am Wege geführt zu werden, und verrieth sie so mehr, als wenn sie ihm mit einem leidenschaftlichen Kusse an die Brust gesunken wäre, was sie heute gewiß in Gegenwart ihres Vaters ohne Rückhalt gethan hätte, um diesem endlich Alles zu gestehen, was sie nicht länger verbergen wollte, noch konnte.
Ihre Liebe war eben deshalb, weil sie durch das Vertrauen ihres Vaters außer jeden Zweifel der Billigung gestellt war, heute sozusagen heilig verklärt. Es war ihr so jubelselig zu Muthe, wie der Lerche sein muß, die sich liedertrunken in den Frühlingslüften wiegt. Diese Seligkeit, die sie in frommer Scheu bange zurückgedrängt hatte, brach stürmisch und in den berauschtesten Worten hervor, als sie im Sonnenuntergange bei ruhigem See über die funkelnden Wellen heimfuhren, wie eingewoben in den Zauberschleier der Natur, die nun den Athem einhielt, um nicht die Sabdatstille zu stören, die sich von den Bergen über die Wasser wie ein süßes Wunder verbreitete.
Sie konnte ihre innere Bewegung nicht weiter bemeistern; mit Freudenthränen warf sie sich ihrem Vater an den Hals, der sie am Ufer erwartete, und mit einem herzhaften Händedruck für Robert, die Bewegung seiner Tochter zu billigen schien.
Der Sprichwörterhannes machte sich mittlerweile am Boote zu schaffen, bis sich die drei Glücklichen von dem Landungsplätze entfernten, und er rasselte nur stärker mit der Kette, um gleichsam jedes Wort zu übertäuben, das man allenfalls an ihn richten konnte. Das war nicht nöthig ; sie waren zu selig, als daß sie sich mit ihm beschäftigen sollten. Er ließ im ersten Augenblicke den Friedl fast hart an, der schon in das Boot gesprungen war, machte aber diese Härte wieder dadurch gut, daß er ihn mit seinen Armen emporhob und herzhaft abküßte.
5.
Die Seelen dieser drei glücklichen Menschen, welche jetzt in das Haus gingen, waren zu harmonisch gestimmt; es mußte noch diesen Abend zu einer Erklärung kommen.
Entweder brach Herr v. Merk in der Ungeduld seines Herzens ohne viele Umstände heraus und dann wußten seine Worte allenfalls so lauten:
„Lieber Heller oder Haller, wie Sie heißen, wenn Ihnen meine Tochter in das Herz gewachsen ist, so haben Sie keine Furcht, es frischweg zu gestehen, denn Sie müssen mit Ihrem Scharfblicke es doch längst heraus haben, daß ich gegen einen Schwiegersohn nichts einzuwenden habe, der sich so meisterhaft auf die Ökonomie und auf Anderes versteht, was ich nicht näher erörtern will, um Sie nicht eitel zu machen.“
Oder Marie konnte nicht länger die Herrschaft über ihr Herz halten, gab die Zügel aus der Hand und verrieth das schon offenbare Geheimniß.
Vater und Tochter waren factisch auf diesen Punct gekommen ;
Das kleinste Wort konnte die Handhabe zu dieser Erörterung bieten; für die Tochter war es noch immer ein schwerer Kampf, für den Vater schon ein leichtes Spiel; dieser wollte in Abwesenheit Roberts dem ganzen Handel ein Ende machen, oder vielmehr mit der Thüre in's Haus fallen, als die Wirthin nach einem wiederholten leisen Pochen an der Thüre erschien und sagte:
„Der Sprichwörterhannes möchte gebeten haben, ob das gnädige Fräulein nicht auf einige Augenblicke und für wenige Worte zu ihm hinauskommen wollte.“
„Ah, ein Rendezvous mit unserem Fährmanne; und fürchtest nicht, daß ich es an Jemand verrathe?“ sagte Herr v. Merk lachend.
„Vater, Du mußt mir Deine Börse leihen, und dafür gebe ich Dir den Schlüssel zu diesem Geheimnisse; der Alte hat uns seine Dienste aufgekündigt.“
„Das wäre! —“ rief Herr v. Merk ärgerlich. „Was habt Ihr ihm gethan? Ich habe es heraus, er ist eifersüchtig“, schloß er lächelnd.
„Wenn es nichts weiter ist, so will ich ihn noch Herumkriegen.“
Mit diesen Worten nahm sie die dargebotene Börse und trat in das Vorzimmer zu dem Alten hinaus, der seinen Hut in der Hand herumdrehte und verlegen ihren heiteren Blicken auszuweichen schien.
„Ihr kommt um Eure Bezahlung?“
„Oh, das hat bis morgen Zeit; morgen ist auch noch ein Tag“, brachte er mühsam heraus.
„Ihr habt aber gefügt, daß Ihr morgen nicht mehr mit uns fahren werdet. O, wie würde es mich freuen, wenn Ihr Euch anders besonnen hättet. O ja, Ihr führt uns noch, nicht wahr?“
„Ja, ich habe mich anders besonnen; aber Freude wird es Ihnen doch nicht machen.“
„Wie soll ich das verstehen?“
„Fräulein, es liegt mir wie ein Mühlstein auf der Brust; ich muß es abwälzen, ich kann nicht anders.“
„Was habt Ihr, lieber Freund?“
Das Unglück sitzt nicht immer vor armer Leute Thüren, und man darf ihm keinen Boten schicken, es kommt ungerufen. Hätten Sie geglaubt, daß ich es Ihnen in's Haus bringen könnte?“
„So sprecht doch, um Gottes willen, sprecht! was ist geschehen?“ fragte Marie angstvoll.
„Kennen sie die Schrift des Herrn Robert?“ stieß er nach peinlicher Überlegung aus.
,Ja!"
"Stimmt das mit seiner Handschrift?"
Dabei zog er ein Packet aus der Brusttasche seiner Jacke, gab den Umschlag weg und reichte ihr zitternd einen Brief hin.
„Ja, es ist seine Handschrift", sagte sie nach einer flüchtigen Prüfung.
„Armes Kind!" rief er schmerzlich aus, und wischte sich die Thränen seines Mitleides mit dem Aermel ab.
„Um des Himmels Willen, was ist Euch? So sprecht doch, denn ich kann daraus noch immer nicht klug werden.“
„Es ist dies eine harte Stunde für mich", nahm der Alte mit bewegter Stimme das Wort, „und ich möchte sie nicht meinem Todfeinde wünschen. Als ob ich dazu gewachsen wäre, einem Christenmenschen, dem ich überdies noch vom Herzen gut bin, weh zu thun? Ich bin nun einmal, wie kernig ich auch aussehen mag, dazu nicht gewachsen; das weiß Gott, der in mein armes Herz sieht. Und dennoch muß ich es. Lesen Sie diese drei Briefe", fuhr er rascher und fast fieberhaft fort, indem er ihr dabei die Papiere in die Hand drückte, „und wenn sie morgen vor Tagesanbruch ein Boot brauchen, so werden Sie mich damit bereit finden, ohne es auch nur bestellt zu haben. Lesen Sie die Briefe, sobald Sie mich verlassen haben; oder Sie können sie auch ungelesen zerreißen, wenn Sie durch eine Lüge glücklich werden wollen."
Mit diesen Worten faßte er ihre Hand, küßte sie inbrünstig und brachte nur noch unter Schluchzen hervor:
„Nicht wahr. Sie sind mir nicht böse, wenn ich Ihnen recht schmerzlich weh thun muß? Ich leide aber dabei so viel, als Sie leiden werden."
Marie kam zu ihrem Vater zurück.
„Nun, wie war es: hast Du Dich wieder mit ihm ausgesöhnt?" rief er ihr entgegen.
„Noch weiß ich nichts; verzeih', wenn ich für kurze Zeit auf mein Zimmer gehe.“ antwortete sie, unsicheren Tones, doch so, daß sie ihren Vater nicht zu sehr beunruhigte.
„Und wenn Herr Haller zum Thee kommt?“
„Ich werde nicht lange wegbleiben."
„Da mag der Teufel klug werden," sagte Herr von Merk halblaut, als sie fort und er allein war, „das ähnelt ja fast den Romanen, die ich in meinen jüngeren Jahren unter der Schulbank gelesen habe, und an die ich eigentlich doch nie recht glaubte, obgleich sie mich ein wenig in die Hitze brachten, wofür man nicht das junge Blut -verantwortlich machen darf, das nun einmal rebellischer ist. Man möchte die Sache recht eben und einfach prosaisch zuwege bringen; ja, den Henker auch! Die Prosa steht dem verliebten Volke nicht zu Gesicht. Das muß seine Intrigue und Verwicklung haben, die Weiber glauben nun einmal, daß es anders nicht zum guten Ziele gebracht werden kann; der gerade Weg ist ihnen zu spießbürgerlich. Das will auf halsbrecherischen Fußsteigen immer höher und höher klimmen, daß ein nüchterner Mensch über diese Sonnambulen, an denen er Antheil nimmt auf die Folter gespannt wird, weil er sie nicht einmal anrufen darf, um sie nicht zerschmettert zu seinen Füßen zu sehen. Und ich hatte mir die Sache schon so fein ausgesonnen und dachte, was für eine Freude ich den Kindern machen würde, wenn ich nach einer kurzen scherzhaften Ouvertüre in die Scene getreten wäre und gefragt hätte: Da hebt Ihr Euch; das hättet Ihr schon längst wissen sollen, daß ich nicht die traumhaften Narretheien liebe mit denen man sich unnütz abquält und um den Appetit bringt, der ein Segen Gottes ist, wenn man anders nicht zu darben hat. Ihr paßt zusammen und was der Himmel zusammengefügt hat, würde der Sprichwörterhannes sagen, soll der Mensch nicht trennen; bedankt Euch bei ihm, daß er mir dieses Sprichwort ins Gedächtniß rief, und bedankt Euch auch ein wenig bei mir, daß ich fest daran glaube.
Für heute ist mir dieser Spaß schon verdorben; er ist mir wie ein Glas in der Hand zerbrochen, aus dem ich eben trinken wollte; nun mundet mir aber der Wein nicht so in einem fremden Glase, an das ich mich erst gewöhnen muß, bis es mir handsam wird. Nun, es wird doch nicht gar der Sprichwörterhannes eine Leidenschaft für meine Tochter gefaßt haben? Man kann nicht wissen, was für Gefühle in diesen Bauernjacken verborgen sind, und wenn man den Dorfgeschichtschreibern beistimmen müßte, so könnte man fast in Versuchung kommen, zu glauben, daß diese guten Leute die Liebe besser verständen als Unsereines. Im Spiele muß er jedenfalls sein; denn was hat meine Tochter mit ihm heimlich abzukarten und warum fordert er nicht sein Geld von mir, wenn er nur das und nichts anderes will?
So beiläufig war der Gedankengang des Herrn von Merk, der in manchem Ausrufe laut wurde. Er drehte es hin und wieder und fand nicht den rechten Gesichtspunct; er quälte sich mit Vermuthungen und Zweifeln, ohne zu einem Resultate kommen zu können. Es war ein wahres Glück für den alten Herrn, der heute, wo er es am wenigsten hoffte, zum ersten Male in seiner Bequemlichkeit gestört war, daß seine Tochter nach ungefähr einer halben Stunde wieder eintrat.
Wie war Marie verwandelt! Ihre Wangen waren blaß, sie mußte schmerzlich bitter geweint haben, dem Vater entging nicht diese rasche Umwandlung; besorgt rief er aus:
„Um Gotteswillen, was hast Du, mein Kind?"
Traurigen, aber energischen Tones sprach sie: „Frage mich jetzt nicht über das Wie und vertraue mir dies Eine Mal unbedingt und ganz. Ich ,habe Dich nie getäuscht und werde es diesmal am allerwenigsten. Noch vor einer halben Stunde war ich entschlossen, fehlte mir auch der sichere Muth dazu. Dir meine Liebe zu Herrn Haller zu offenbaren.
Ich hätte es freudigen Herzens gethan, weil ich die Zuversicht hatte, daß Dich meine Wahl nicht verdroß, daß Du sie billigen würdest. Ich war in Deiner Zustimmung gewiß, weil Du nie Deinem Kinde ein Glück mißgönnen oder verderben wolltest, von dem Du überzeugt warst, daß es dies nicht dort suchte, wo Du selber es nicht gerne gesehen hättest.
Du glaubtest, daß ich dieses Glück fand und dieser Glaube machte Dich selig, Du darfst es nicht leugnen. Vater, Dein Glaube war falsch; meine Liebe war in den Flugsand einer Lüge gebaut; das Gebäude meines erträumten Glückes fällt in Trümmer. Ich mache Dir mit blutendem Herzen das Geständniß, daß ich Herrn Haller nicht lieben darf, wenn ich Deiner werth sein will; daß ich meine Liebe, wie tief sie auch im Herzen wurzle, mit der letzten Faser ausreißen und vertilgen muß. Wenn ich Dir sage, daß ich noch vor einer Stunde selig war wie nie, so wirst Du mir auch glauben, daß ich diese Seligkeit nicht um einen müssigen Verdacht oder nur nach der verzweifeltsten Gegenwehr auf gegeben haben würde. Ja, ich hätte mit Dir selber, den ich liebe und ehre, mit aller Kraft gerungen, wäre es nicht anders gekommen. Ich habe die unwiderleglichsten Beweise in meiner Hand, Beweise, an die ich wie an das Evangelium glauben muß, daß man mit meiner Liebe ein berechnetes Spiel getrieben hat; ich habe diese Beweise und sie verwunden gleich scharfen Messern dieses arme Herz, das ja nichts Böses gethan hat, daß man es so zerfleischt, das mit jener frommen Glut der Begeisterung geliebt hat, die Gott nicht verdammen kann, weil sie sein eigenes Geschenk ist.
Meine Liebe, ob sie auch im Sonnenbrände der Leidenschaft ging, warf nicht den Schatten der Sünde. Ich will alle meine Lebenskräfte aufbieten, daß meine Seele nicht die Energie verliere, daß ich nicht der Schwäche verfalle, um die mich Niemand verdammen dürfte, um die mich Jeder entschuldigen müßte, die ich aber vor Einem nicht zeigen will, um nicht seinen Triumph zu vergrößern, um nicht ein Opfer für das Mitleid, für den Spott derjeniger abzugeben zu denen er sagen könnte: Seht, das leidet ein Weib, wil es meine Liebe verloren hat. Mein Körper wird vielleicht schwach werden und erliegen; der Schmerz ist ja so abgrundtief und müßte den stärksten Mann beugen und zugrunde richten, und ich bin ein armes Mädchen, das einem so grausamen Leide nicht gewachsen ist. Dennoch will ich mit dem letzten Aufgebote aller meiner Kräfte ringen, um mich aufrecht zu erhalten, um Dir nicht den Schmerz zu bereiten, mich hinwelken zu sehen, wie eine Blume, die dem ersten Sturme erlag. Mein Kampf wird Tage, Wochen, Monate dauern, endlich aber werde ich siegen, mir sagt es mein Herz, wie es auch aus hundert Wunden blutet. Ich werde siegen und ich werde stolz sein, wie ich war, weil ich die Wahrheit liebe und die Lüge verabscheue.
Versprich mir Eines, Vater, daß Du, wenn Herr Haller kommt, Dein Benehmen gegen ihn nicht änderst, wie schwer es Dir auch fallen mag; ich werde selber freudig scheinen, obgleich ich bis zum Tode betrübt bin. Wenn Du mir aber diese schwere Stunde leichter machen willst, so kürze die Unterhaltung möglichst ab. In dieser Nacht noch lassen wir unser Reisegepäck machen und morgen vor Tagesanbruch verlassen wir Hallstatt.“
Es lag in den Worten Mariens eine solche Kraft der Überzeugung, die noch durch den schmerzhaften, aber entschiedenen Ton der Stimme gehoben wurde, daß sich ihr Vater sofort und willenlos überwunden gab. Als er aus der schwindelnden Höhe, auf die ihn die Worte seiner Tochter versetzt hatten, wieder zur Erde und zu sich selber kam und zaghaft beschwichtigende Einwendungen machen und Fragen stellen wollte, war es schon zu spät; Robert, der seine Toilette gewechselt hatte, trat ein. Marie streifte ihren Vater mit einem letzten raschen Blicke, darin aber der ganze Inhalt ihrer früheren Worte lag, und er gewann — davon wie elektrisch getroffen — den Muth, den er brauchte, um seinem Kinde genugzmhun, das ihn nie getäuscht hatte, das also auch diesmal nicht ein launenhaftes Spiel mit ihm und seinem eigenen Herzen treiben konnte.
Das war eine große Gefahr, in die sich Marie tollkühn begab, in Gesellschaft des Mannes zu bleiben, der noch immer eine zu große, wenn auch physische Macht über ihr Herz hatte, als daß dieses nicht unwillkürlich Zeugniß ablegen konnte von Allem, was in ihm vorging. Dazu wurde noch ihr Antlitz zum Verräther, woraus die Spuren -eines vergangenen Schmerzens zu deutlich ersichtlich waren, als daß Robert diese kummervollen Blicke und wäre es nur aus Artigkeitsrücksichten geschehen, übersehen durfte.
Er that auch bald nach seinem Eintritte mit besorgter Miene die Frage:
„Fräulein, was ist Ihnen? Sie scheinen mit einem Male so leidend; sind Sie unwohl?“
Marie hatte sich vorgenommen und versprochen, stark zu sein; das war eine vermessene Vornahme, denn sie wurde schon durch diese Frage verwirrt und rang sichtlich nach einer Antwort. Hätte diesmal nicht ihr Vater ausgeholfen, der eine stolze und ernste Fassung gewann, die man diesem Lebemanne, der Alles scherzweise hinnahm, nicht zugetraut hätte, so wäre Alles vereitelt worden.
Er ergriff also für sie das Wort und sagte mit lächelnder Miene, wozu er sich freilich zwingen mußte:
„Herr Haller, Sie kennen ja meine Tochter; sie spielt sich ein klein wenig auf die Vorsehung hinaus und es ist in ihr eine graue Schwester verdorben. Sie sucht gerne die Hütten der Armuth auf und vertheilt ihr ganzes Nadelgeld auf Kraftsuppen und Medicamente. Ich will wetten, daß seit dem Monate, daß wir hier leben, es keinen Armen und Kranken in Hallstatt und in der Umgegend gibt, der nicht ihren Namen segnet; und dagegen hätte ich eigentlich nichts einzuwenden, obgleich ich befürchten muß, daß sie mir einmal von ihren barmherzigen Samaritergängen eine lebensgefährliche Krankheit heimbringt. Da hat man sie gewiß wieder durch eine Hiobspost traurig gemacht; was aber das Verdrießlichste dabei ist, man darf sie über solche Dinge nicht viel ausfragen, denn sie ist in diesen Stücken verschwiegen und geheimnißvoll wie daS Grab.“
Marie dankte ihrem Vater mit einem seelenvollen Blicke, für diese Unterstützung, die sie für den ersten Moment nothwendig gebraucht hatte. Nun gewann sie selber die Stärke, oder sie fand vielmehr das Geheimniß der Verstellung.
Freilich entging ihrem Vater nicht, daß ihre Scherze, die sie zur Genüge aufbrachte, die Merkmale eines fieberhaften Zustandes an sich trugen, und daß ihr Lachen zuweilen krampfhaft war.
Er bot selbst sein Möglichstes auf, um die Kosten der Unterhaltung zu tragen. Der gesellschaftliche Ton, der während des Thees herrschte, entzückte Robert; doch schien es ihm fast zu leichtfertig, als daß er schon heute, wie er sich vorgenommen hatte, eine ernste Werbung versuchen durfte.
Herr v. Merk aber durfte den Seelenkampf seiner Tochter nicht zu lange andauern lassen, wenn sie nicht zusammenbrechen sollte, und er fand auch das richtige Mittel, ihn abzukürzen.
„Sollte man es glauben,“ sagte er, nachdem die Unterhaltung schon ziemlich lange fortgeführt war, „daß man, wenn man sich ein wenig an das Schlaraffenleben gewöhnt hat, durch das Schreiben einiger Briefe so ermüdet werden kann? Dennoch ist es so und ich bin heute ein warnendes und gähnendes Beispiel davon. Ich bin offenherzig und gestehe prosaisch ein, weil ich mich im Voraus entschuldigt hatte, daß ich mich, wie mich auch das harmlose Plaudern unterhält, doch nach dem Bette sehne, als hätte ich einen Marsch von 16 Stunden gemacht, und ich bin kaum eine halbe Stunde gegangen, worüber mich der Arzt, wenn er's wüßte, auszanken würde.“
Dabei fingirte er ein Gähnen, ohne es aber unanständig zu markiren.
Das war eine zu deutliche Aufforderung; Robert nahm seinen Hut und empfahl sich. Er konnte den Blick nicht sehen, den ihm Marie nachschickte und in dem ihre ganze Seele, wie eine ersterbende Flamme, noch einmal aufflackerte; aber ihr Vater hatte ihn bemerkt, fing sie in seinen Armen auf und küßte sie auf die Stirne, als sie schluchzend an seiner Brust lag.
„Ich will ja Alles thun, was Du verlangst,“ sagte er mit einem schweren Seufzer; „aber versprechen mußt Du mir, daß Du mir, wenn auch nicht heute, doch recht bald Aufklärung verschaffst, was vorgefallen ist; denn sonst vergehe ich vor Herzleid, das mich um so tiefer schmerzen muß, da ich seinen verborgenen Grund nicht kenne.“
Er saß noch lange am Bette seiner Tochter, die ihm hierin den Willen thun und durch einen kurzen Schlaf die nöthige Kräftigung suchen wollte, obgleich ihr stürmischer Seelenzustand sie diese und vielleicht noch manche andere Nacht schlaflos lassen mußte. Schwer athmend lag sie und hielt manchen Seufzer zurück, der ihr die Brust zersprengen wollte.
Marie mußte oft ihr Antlitz abwenden, um die mit Gewalt hervortretenden Thränen zu verbergen, die aber, wenn sie auch das Schluchzen so viel wie möglich unterdrückte, doch das hörbare Auffallen verieth. Das war eine traurige Stunde, in der Vater und Tochter wehmuthsvoll ausrufen konnten: Herr, laß diesen Kelch des Leidens an mir vorübergehen ! Sie bezwang endlich ihren Schmerz mit aller Kraft so weit, daß sie nur Anordnungen für die morgige Reise gab, die zu machen sie ihren Vater bat, weil sie der Dienerschaft nicht das Schauspiel ihrer Schwäche bieten wollte; und zuletzt senkte sie die Augenlider und that, als ob sie einschlummere. Ihr Vater ging leisen Schrittes von dem Bette aus dem Zimmer; nun konnte sie ihren Thränen freien Lauf lassen und weinte bitterlich. 6. Der wohlgenährte Diener des Herrn v. Merk, der schon schlaftrunken in einem Lehnstuhle tunkte, wunderte sich nicht wenig und machte ein verblüfftes Gesicht, als er den Befehl erhielt, noch in dieser Nacht die Koffer zu packen. Nicht weniger verwunderte sich das Kammermädchen Mariens, das denselben Befehl erhielt, der ihm um so unwillkommener sein mußte, da es schon eine kleine Liebschaft angesponnen hatte, ohne welche die Wesen dieser Gattung eben nicht leben zu können scheinen und würde man auch mit ihnen in die Negerstaaten an den Quellen des Nils reisen. Am meisten verwunderte sich aber die Frau Wirthin, die sich nicht fassen könnte, daß die gnädigen Herrschaften schon nach so kurzer Zeit abreisen wollten. Sie strich die reichliche Geldsumme mit einem zufriedenen Schmunzeln ein, weinte aber ihrem Danke mit einigen Thränen noch den gehörigen Nachdruck geben zu müssen, und küßte Herru v. Merk wiederholt die Hand. Er that wohl daran, daß er die Abreise vor diesen Leuten nicht geheim hielt, sondern sie vielmehr als eine mit Herrn Haller abgemachte Sache anordnete. Von den Wirthsleuten, in deren Hause schon die Hühner aufgesessen waren und die mit dem Thorschlusse, der bald erfolgte, diesen gefiederten Geschöpfen gerne nachahmten, hatte man keinen Verrath zu fürchten; und die Dienerschaft wurde durch die Arbeit, die ihre Schwierigkeiten hatte, da sie unvorhergesehen gefordert wurde, so in Athem erhalten, daß sie, hätte sie auch gewollt, nichts verrathen konnte.- Sie war überdies froh, noch ein paar nothdürftige Stunden zum Schlafe zu erübrigen, und war nur verdrießlich, daß sie früh Morgens, als die Sonne noch nicht aus den Federn war, ihr Bett verlassen mußte. Dicht lag der Nebel über dem See, die Luft strich kalt und die ganze Natur lag noch im Schlafe, als Marie und ihr Vater, gefolgt von der Dienerschaft, aus dem Hause gingen. Der Sprichwörterhannes erwartete sie mit seinem Boote und blicke wehmüthig zu Marie auf, der er mit merklichem Ztttern die Hand reichte, um ihr in das Boot zu helfen. „Fürchten Sie nichts", sagte er zu Herrn v. Merk. „Die Sonne wird bald die Nebel zertheilen, der See wird klar und rein werden wie ein Spiegel, den eine emsige Hand gereinigt hat; dann kenne ich ihn auch fast besser als meine Hütte, und ich stehe für die heiterste Fahrt." Marie setzte sich und nahm das Lockenhaupt des kleinen Friedel in den Schooß, der recht seelenvergnügt schien, obgleich ihn der Morgenwind durchfröstelte. Das Boot stieß ab und verschwand im Nebel. Die Wirthin winkte noch lange mit dem Taschentuche, das sie eigens dazu mitgenommen hatte; sie wollte dadurch zeigen, daß sie auch modernen Manieren huldige. Der Knecht und die Magd prüften in der Dämmerung das Geldstück, das ihnen der alte Herr geschenkt hatte, und schienen über die Maßen fröhlich, als sie es gelb flimmern sahen, was ihnen mehr als den Fremden ein Sonnenaufgang galt. „Der Herr Haller", sagte die Wirthin zu ihren Leuten, „wird Augen machen, wenn er hört, daß die Herrschaften auf und davon sind." Ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß etwas dahinter steckt, was ich wissen möchte, wenn ich neugierig wäre; und man könnte es auch erfahren, wenn man es nicht mit dem alten Brummbären zu thun hätte, der es gewiß weiß.“ Damit ging sie mit Knecht und Magd in das Haus, worin der Hahn eben seinen ersten Morgengruß krähte. Man war eine geraume Strecke unterwegs; ein heftiger Windstoß jagte die Wellen; die Berghöhen traten aus dem Nebel hervor und leuchteten bald im wechselnden Farbenspiele; ein Sausen ging durch die Wälder ; die Vögel zwitscherten und die Fische schnellten aus dem Wasser empor; der Nebel verzog sich und seine Flocken kletterten wie weiße Lämmer von Felsen zu Felsen bis zu den Berggipfeln empor; die Sonne war aufgegangen und jetzt blitzten und funkelten die Wellen des Sees. Man hatte wenig gesprochen; Herr v. Merk hatte nur seine Tochter wieder und wieder ermahnt, daß sie sich vor der kalten Morgenluft besser verwahren solle, was sie auch that. Sie that aber noch mehr; sie verbarg, so gut sie es konnte, das innere Frösteln, das sie schüttelte. „Es wird noch Alles gut werden!" Mit diesem einfachen Worte berührte sie einmal das schmerzliche Geheimniß, das die Ursache des allgemeinen Schweigens war. Doch als die Sonne schon ihre wärmenden Strahlen ausgoß, deren Einfluß ihr Vater dadurch offenbarte, daß er seinen Reisemantel zurücklegte, reichte sie ihm die drei Briefe und sagte: „Hier die Aufklärung über mein gestriges Benehmen." Herr v. Merk rief, wie von einer Last befreil aus: „Gott sei Dank!", entfaltete sie und las: „Wien, den 12. August." Dieser Brief trägt ja das Datum unserer Abreise?" sagte er aufblickend. „Nein, wir reisten den Tag darauf." „Ja ganz recht."— „Lieber Friedrich! Wenn ich nicht irre, so schreibt man Talleyrand den Ausspruch zu, daß die menschliche Sprache dazu erfunden sei, die Gedanken der Menschen zu verbergen. Dieser diable boiteux der Politik, der noch nicht seinen Lesage gefunden hat, hat Recht, und Du könntest mir, wenn Du willst, die Freundschaft aufkündigen, wenn Du diesen Brief gelesen hast, mit dem ich frischweg erkläre, daß ich mich von heute an nicht mehr mit der Wahrheit abgeben und es fortan mit der Lüge halten werde. Ich habe ein reiches Capital der Wahrheit auf Zinsen legen wollen, und es hat mir kaum so viel abgeworfen, um mein Leben nothdürftig zu fristen; nun bin ich aber zu blasirt, der Narr meiner Grundsätze zu sein, mit denen ich nicht einmal einen Schneiderconto begleichen kann. Es ist mir öfters als einmal geschehen, daß ich Diesem oder Jenem auf seine Frage: ob er gut singe, oder ob ihm sein Rock gut sitze, mit einem entschiedenen: Nein! geantwortet habe. Diese Antwort, wie geringfügig sie auch erscheinen mag, hatte für mich die nachtheiligsten Folgen. Hätte ich im ersten Falle mein kritisches Gewissen verleugnet, so würde ich an dem Manne mit der schlechten Stimme einen Protector gefunden haben, während mich meine aufrichtige Kritik um eine Stelle brachte, für die nicht meine Befähigung, sondern ein harmloses Zugeständniß an dem eingebildeten Sänger den Ausschlag gab. Würde ich Dir erst erzählen, welche Verdrießlichkeiten mich der meiner Meinung nach schlecht passende Rock eines Anderen ausgesetzt hat, so könntest Du mich auch nicht mehr verdammen, daß ich jetzt der Wahrheit auf tausend Schritte aus dem Wege gehe und mich mit der Lüge auf vertrauten Fuß setze. Freund, man muß mit den Wölfen heulen; denn wenn Du mit den Lämmern blökst, so kann es Dir eben geschehen, daß Du von den Wölfen gefressen wirst. Ich habe nicht den Ehrgeiz, einen Märtyrer der Tugend bei Wasser und Brot abzugeben; ich will vielmehr mit meinem eigenen Gaumen erproben, ob die Champagne wirklich so guten Wein erzeugt, und ob es kein Märchen der Reichen ist. daß die Straßburger die besten Trüffelpasteten zu bereiten wissen. Ich will mir nur den nächstbesten vom Blitze gespaltenen Baum aussuchen, nicht etwa um mich als Wahrzeichen melancholischer Grübeleien zu hängen, sondern um durch ihn meinen Charakter, der sich ernstlich wie eine Schlange häuten will, zu ziehen; und wenn ich es nach Jahr und Tag zu einem Millionär bringe, so honorire ich Dir ein Werk über den moralischen Nutzen der Wahrheit besser als irgend ein Verleger der Welt, doch unter der Bedingung, daß ich nicht bemüssigt sei, daran zu glauben und daß ich es weglegen darf, wenn es mich langweilt. Das sind die letzten Zeilen, in denen ich mich noch, wie ich gewachsen bin, gebe? und Du magst daraus ersehen, wie ich Dir zugethan bin, daß ich Dich nochmals in das Herz und in die Nieren meines Charakters schauen lasse, bevor der Vorhang fällt für Alle, also auch für Dich. Morgen unternehme ich meinen Argonautenzug, mit dem ich, wenn es gut geht, eine Helena von einem steinreichen Vater, Onkel oder Vormund befreien und so das goldene Vließ heimbringen will. Glück auf, zur Fahrt! Mein Reisecostüme ist geschmackvoll und elegant; meine Hauswirthin meint, daß es mir an Eroberungen nicht fehlen könne und in diesem Puncte ist ihr Urtheil nicht zu verwerfen. Mein geistiger Fond's reicht aus für müssige Plaudereien, mit denen ich ein romantisches Herz oder einen nüchternen Verstand umgarnen kann; und ich habe in meinem Handsack Malergeräthe, um einer reichen Erbin von Alt-England trotz dem kümmerlichsten Dilletantismus zu imponiren, und einige Bücher, die eben in der Mode sind, süße Verse mit obligatem religiösen Glockengeläute und gottverlassene gemeinsüchtige Prosa, da ich mich für jeden möglichen Fall vorsehen wollte, um des schönen und zugleich reichen Engels habhaft zu werden, dem ich die Flügel unterbinden will. Wohin ich reise? Nach Oberösterreich. Meine Finanzen reichen nicht zu einem Ausfluge nach der Schweiz oder zu einer Tour durch Europa und ich muß viel Glück haben, wenn ich das goldene Vließ erbeuten soll, bevor sie erschöpft sind. Lebe wohl. Dein Robert Haller.“ Ischl, auf der Post, 16. August. Ich fahre mit glücklichem Winde oder vielmehr, ich habe bei meiner Argonautenfahrt guten Wind gehabt, denn Du siehst aus der Überschrift des Postzeichens, daß ich schon in den Hafen eingelaufen bin. Wenn Dir Jemand sagt, daß er ein Glückspilz ist wie kein Zweiter, so sage ihm, daß er lügt, weil Du einen Freund hast, dem das Glück nachläuft, wie eine mannstolle Zigeunerdirne. Freund, mit der Million, auf die ich einmal versessen bin, hat es seine Richtigkeit, und sollten auch einige Groschen davon fehlen, so geht es doch stark in das Dickicht der Hunderttausend, wenn mich meine Menschenkenntniß nicht betrügt, die überdies durch Equipage und Dienerschaft unterstützt wird. O, ich weiß einen Palast von einer Strohhütte zu unterscheiden. Du kannst vermuthlich aus diesen Zeilen nicht klug werden; Geduld, ich will Dir Alles, Stück für Stück auseinandersetzen; doch vorher: Es lebe die Lüge und nach ihr das Conservations-Lexikon! Ich habe Dir das letzte Mal geschrieben, daß ich nach einer Helena und nach dem goldenen Vließ ausfahre. Ich habe beides gefunden; sie heißt zwar nicht Helena, sondern Marie, doch mit dem Golde ist es richtig, fehlt auch das D'rum und D'ran des Lammfelles. O, sie ist schön, daß nicht nur jede Schwärmerei berechtigt ist, sondern daß man sich wahrhaftig in sie verlieben könnte. Aber mit der Lüge kommt man doch noch weiter. Denke Dir das reizendste Mädchen, das Du gesehen hast und noch alle Poesie dazu, und Du hast meine Helena; und denke Dir den prosaischesten aber fröhlichsten Menschen, so hast Du den Vater dieses Mädchens. Friedrich, in mir steckt ein fertiger Diplomat, das wurde mir nie so klar als in diesen Tagen, und die Regicerungen haben es nur zu ihrem Nachtheile versehen, daß sie mir nicht ein Portefeuille oder wenigstens einen Gesandtschaftsposten anvertrauten. Ich hälts mir nie, obgleich ich immer ein wenig eitel war, diesen bezaubernden Takt des Benehmens zugetraut, mit dem ich sofort und zwar schon in den ersten Stunden Vater und Tochter in mein Garn locke und brachte, nach dem ich sie bald als die einzigen Personen auf dem Dampfschiffe herausgefunden hatte, die eines Interesses werth waren. Dieses Interesse an ihnen steigerte sich, als ich sie in Verbindung eines Dieners in reicher Livree und eines eleganten Reisewagens sah. Ein Reisewagen, das muß ich Dir sagen, gilt mir als faßt aceompli des Reichthumes. Nun ließ ich auch alle Hebel und Räder der Maschine arbeiten. Glaube aber ja nicht, denn Du würdest mich durch eine solche Annahme beleidigen, daß ich jene schüchternen Versuche eines Laien in der Liebe machte, die stets meine Spottlust anregten und für die ich mich selber tüchtig auslachen würde. Ich kann das Märchen „Tausend und eine Nacht" des Don Juan auswendig und weiß, wie man jetzt weich girren und dann wieder kalt wie Marmor sein muß, wenn man zu seinem Ziele gelangen soll. Ich hatte sozusagen keine Augen für die Schönheit des Mädchens oder höchstens die Augen des Künstlers, der sie bewundert ohne sich in sie zu verlieben, und hielt dies für die richtigste Taktik. Doch auf den Herrn Papa hatte ich's abgesehen, um den zog ich meine Netzfäden, an dem mußte ich den Henkel finden, um ihn zu fassen. Der ist nun aber voll Henkel, wie ein Fabrikstopf, und man braucht nur zuzugreifen, um ihn zu haben. Die Ökonomie schien mir auf den ersten Blick das Steckenpferd, das er mit Vorliebe ritt. Freund, habe ich ein Talent zur Oekonomie und wäre ich nicht vielmehr der passendste Mann, um mit einem ergiebigen Fürstenthume abzuwirthschaften? Frage aber Herrn v. Merk, so heißt nämlich der Vater meiner Helena, und er wird Dir sagen, daß ich mehr weiß, als alle landwirthschaftlichen Gesellschaften der Welt zusammen. Nun habe ich aber auch zum Russen, ohne im Grunde mehr zu verstehen als der Töpfer von der Plastik über Koppelwirthschaft, Bienenzucht und über andere Gegenstände gesprochen, das muß mir mein Todfeind nachsagen und meine Abhandlungen waren des Anhörens werth. Es lebe das Conversations-Lexikon! Du hast mich oft getadelt, daß ich mich nicht allen Ernstes auf einen Gegenstand warf, sondern wie ein Schmetterling überall herumnaschte. Jetzt preise ich meine encyklopädische Seichtigkeit, was hätte es mir auch genützt, wenn ich ein tief gründlicher Sprachenforscher wie Du wäre und wenn ich, wie Du den Dante zu commentiren wüßte, als wäre ich mit diesem Florentiner auf Du und Du gestanden, wie sein Freund Guido Cavalcanti und wenn ich trotz alledem nicht über die Schafschur und anderes zu sprechen wüßte? Glaube aber ja nicht, daß ich nur in den praktischen Wissenschaften zu Hause bin. Du hattest nur hören sollen, wie ich über Lüge und Wahrheit perorirte und Du hättest einmal einen leibhaften Sophisten vor Dir gesehen. So zwischen Vater und Tochter, zwischen Prosa und Poesie gestellt, gab ich so recht einen Wegweiser ab der nach beiden Seiten die Arme ausstreckt, von denen man herablesen kann, wo hinaus es in die Welt geht. Ich will nicht darauf schwören, daß die Tochter schon in mich vernarrt ist; für den Vater aber stehe ich ein, daß er seine Reise, die ihn doch aus seinem häuslichen Comfort riß, erst in meiner Gesellschaft angenehm findet. Davon bin ich überzeugt, daß ich ihn unglücklich oder wenigstens verdrießlich gemacht haben würde, wenn ich sein Anerbieten, von Linz aus in seinem Wagen zu fahren, ausgeschlagen hätte. Ich habe es nicht gethan, obgleich ich starke Lust dazu verspürte, um mich graziös zu machen. Man muß sich nicht knall und fall wegwerfen, wenn ein Anderer an uns einen Narren gegessen hat. Schicke alle jungen Leute zu mir, die sich durch eine reiche Partie arangiren wollen, sie können sich ein Muster an mir nehmen, wie man es anzufangen hat, um von dem Strohlager auf schwellende Kissen gebettet zu werden. Freilich, so glücklich wie ich, trifft es Keiner; meine Braut ist nicht allein reich, was für mich die Hauptsache ist, sondern auch schön, was als Nebenumstand immer nicht zu verachten ist. Verwundere Dich nicht über das apodictische Wort: meine Braut; Cäsar und Napoleon waren nicht wählerisch in den Worten, und in diesem Puncte gleiche ich ihnen, wie tief ich auch sonst unter ihnen sichen mag, — ein wenig doch in Sachen des glücklichen Erfolges. Mein Portefeuille wird noch nicht ganz leer sein, obgleich es nicht so bauschig ist, als wenn ich ein Verwandter des Hauses Rothschild wäre, und ich werde schon über das Vermögen meiner steinreichen Marie zu schalten und zu walten habe. So viel beiläufig die Dienerschaft ausplaudert, die ich nicht befrage, wozu Du mich hoffentlich für tactvoll genug halten wirst, so muß das Mädchen eine Mitgift bekommen, über die einem armen Teufel der Kopf schwindeln könnte. Ich kann mir die Namen aller Güter gar nicht merken, in deren Besitz er ist; er kann sich freilich auch noch immer meinen Namen nicht merken, was mir einen Hauptspaß macht, und so sind wir quitt. U Überhaupt ist der alte Herr ein ergötzlicher Patron und wird einen Schwiegervater abgeben, wie man ihn sich nur wünschen kann. Wenn Du fein artig bist und mir keine Vorwürfe über meinen Leichtsinn machst, so lade ich Dich zu meiner Hochzeit ein, und endlich mache ich Dich, wenn Du es anders annimmst, zum Hofmeister meiner Kinder; und Du magst ihnen dann die Liebe zur Wahrheit predigen, was ihr künftiger Vater doch nicht könnte, ohne dabei auflachen zu müssen. Deine Briefe adressire nach Hallstatt."
Hallstatt, am 7. September. Du erhältst keine Einladungskarte zu meiner Hochzeit, das hast Du Dir durch Deinen Brief verscherzt. Sind das Freundesworte, die bei mir verfangen sollen, von dem Du doch weißt, daß er mit der Wahrheit für immer überworfen ist? Predige Du einem Anderen Moral und Grundsätze, wenn Du es durchaus nicht lassen kannst und Dich ein wenig auf den strengen Cato hinausspielen willst; ich kann sie nicht mehr brauchen und habe sie eigentlich nicht mehr nöthig, seitdem ich die Anwartschaft auf ein großes Vermögen durch die Heirat mit meiner Helena oder Marie habe. Die Heirat ist soviel wie gewiß, da ist weiter kein Zweifel. Ich bin aber auch ein Goldmensch, ein wahres Ideal, wie man es nur in einem Romane antreffen kann. Und schwärmen kann ich Dir wie ein Maikäfer! Die Natur mag sich bei mir bedanken, denn sie ist gewiß niemals so belobt worden, als von mir; und wenn ich all' das Schöne niederschriebe, was ich wie ein Verschwender über sie ausspreche, so hätte die Literatur ein Buch über Hallstatt mehr, mit dem sich Heine's Reisebilder, die Harzreise mit inbegriffen, die doch wahrlich nicht von Pappe ist. nicht vergleichen ließen. Wo ich das Alles her habe? Ich weiß es selber nicht und wund're mich oft nicht wenig, wenn es wie Milch und Honig von meinen Lippen träufst. Das aber ist der Humor davon, daß ich eigentlich gar nicht so begeistert von der Natur bin, die ich mit verzückten Phrasen preise, und daß mir der Mond, aufrichtig gesagt, so recht zuwider ist, an den ich schon, ich weiß nicht wie viele schwindelnde Apostrophe richtete. Ich werde zuletzt noch unter die Poeten gehen, wenn ich nicht bald heirate; und dann wehe Euch, Ihr ehrgeizigen Leute, die ihr schon allen Ruhm der Welt dahin zu haben wähnt. Gib genau acht, ich werde jetzt etwas Paradoxes aussprechen, und doch klingt es nur und ist nicht so. Ich bin in das arme reiche Mädchen Marie verliebt ohne verliebt zu sein; das heißt, sie berauscht mich äußerlich, und innerlich regt sich doch nur der Egoismus in mir, der durch ihren Besitz seine Befriedigung sucht. Es ist allerdings wahr, sie gefällt mir mehr als alle anderen Mädchen, mit denen ich flüchtige Liebschaften zum Zeitvertreibe anknüpfte; ich liebe sie aber nicht um das Pünctchen aus dem „I" mehr als diese. Ich glaube wohl, daß sie durch ein solches Geständniß unglücklich sein würde, und ich müßte fürchten, daß dadurch mein ganzes Spiel verloren ginge, denn sie hat einen gewissen adeligen Stolz der Seele, der den Verrath verschmerzen und mit entrüsteter Verachtung vergessen würde. Darum bin ich wieder nicht der Narr. ihr ein solches Geständnits zu machen, vielmehr lüge ich die Sterne vom Himmel herab, um sie ihr als Schmuck in die Haare zu flechten. Das verfängt bei derlei schwärmerischen Wesen, die am melodischen Klange der Wörter hängen; und endlich kommt es doch auf Eins hinaus, ob sie durch eine Lüge oder durch die Wahrheit glücklich wird. Das aber ist sie! Das wäre zu wenig gesagt, sie ist jubelselig und liebt mich mit aller Liebe und Leidenschaft ihres Herzens. Ihr Vater, der jetzt auch schon das Ideal seines Schwiegersohnes in mir gefunden zu haben glaubt, ist kein Hinderniß in dem Wege, auf dem ihr Herz sich meinem Egoismus nähert. Er gefällt mir jetzt ausnehmend, denn er verschafft mir viel Amüsement. Du kannst daraus ersehen, daß ich wie die Forellen in Wildbächen in eitel Freuden schwimme. Doch die Rosen meiner Freude sind nicht ganz dornenlos. So kann ich z.B. unseren alten Bootsmann, der den Spitznamen „Sprichwörterhannes" trägt, weil er mit dummen Sprichwörtern weise zu sein glaubt, nicht leiden. Warum? Nun, gerade herausgesagt, weil er mir zu moralisch vorkommt. Es stören und verwirren mich seine ernsten Augen, die meiner Lüge gleichsam in das Herz sehen wollen. Ich kann ihn aber nicht abschaffen, wie gerne ich es auch möchte, weil mein Schwiegervater ihm zugethan ist und Marie für ihn schwärmt. Noch weniger aber kann ich den Knaben leiden, den der Alte immer mitschleppt, obgleich er Deinen Namen in bäuerlicher Verunstaltung trägt, weil sich Marie zu viel mit diesen ungekämmten Flachshaaren zu schaffen macht. Ich bin kein Freund von solchen idyllischen Wirthschaften; ich bin in diesen Stücken zu sehr Aristokrat ohne Adelsdiplom, um an dieser ungewaschenen Bauerneinfalt Freude zu haben. Ich will wetten, daß dieser Knabe seinen Vater vergebens suchen würde, der vielleicht einmal in die Berge gekommen, um einer schönen Dirne den Kopf heiß zu machen, und dann, als er ihre Liebe satt hatte, auf und davongegangen ist, ohne seinen Namen in das Kirchenbuch von Hallstatt eingetragen zu haben. Doch was kümmert das mich? Sie wäre ja doch schon um acht Jahre älter und gewiß nicht mehr so schön wie damals, wenn sie anders noch am Leben wäre, was nicht der Fall ist, als daß ich ihr den abhanden gekommenen Liebhaber ersetzen könnte, was ich überdies nicht dürfte, weil ich mich jetzt fein tugendhaft geben muß, um in Marie keinen Zweifel über meine Treue wachzurütteln. Ich lebe aber wie ein Puritaner und bin überzeugt, daß alle Leute, welche, wie dumm sie auch sind, doch unser Verhältniß durchschauen, denken und meinen, das schöne Fräulein werde mit Herrn Haller einen Ehemann bekommen, wie keine Andere, die da auf Gottes Erdboden wandelt. Die gute Meinung dieser Leute hilft meiner Liebe noch auf die Beine, und ich unterstütze sie daher durch das gottesfürchtigste Benehmen, und, was bei Ihnen die Hauptsache ist, durch reichliche Trinkgelder. Ich bin sozusagen ein nachgeborener Tartüffe; willst Du mein Moliere werden, so gebe ich mich Dir bis in die innersten Falten meines Charakters zu erkennen, wenn Du Talent für die Bühne hast. Ich habe, glaube ich in meinem ersten Briefe gesagt, daß ich künftig auch gegen Dich nicht mehr wahr sein werde; ich konnte nicht Wort halten, denn ich muß nun einmal Jemand haben, vor dem ich mich ausschütte, dem ich mein ganzes Wesen enthülle; und daß Du es bist, das muß Dich ehren; Du mußt aber auch dafür dankbar sein und darfst mir ein nächstes Mal keine Vorwürfe machen, sonst belüge ich Dich wie alle Welt. In den nächsten Tagen muß ich endlich mit der Farbe heraus und mich als Freier ankündigen. Ich bin überzeugt und meiner Sache sicher, daß Vater und Tochter vor Freude außer sich gerathen werden. Ich hatte schon die Absicht nicht den ersten Schritt zu thun, und lieber den ganzen Handel an mich kommen zu lassen; und es wäre für mich ein Hauptspaß und zugleich ein Triumph gewesen, wenn mir der Alte seine Tochter freiwillig an den Hals geworfen hätte, was er gewiß thun würde, wenn ich nicht selbst bald Ernst mache. Man sieht es ihm an, er steht schon auf Nadeln und es brennt ihm in den Nägeln, meiner Werbung mit seiner Zustimmung entgegenzukommen; vielleicht gönne ich mir noch diesen Spaß. Um aber meinen Leichtsinn, der Dir mißfallen muß, die Spitze zu brechen, gelobe ich Dir feierlichst, daß ich für Marie, wenn sie erst meine Frau ist, jede conventionelle Rücksicht haben werde, und daß ich sie, wenn anders eine solche Rolle nicht zu schwierig ist, durch unsere ganze Ehezeit mit der Lüge meiner Liebe beglücken will, obgleich ich dafür nicht einstehen kann. Mein nächster Brief wird als Einschluß unsere Verlobungskarte enthalten; und wenn Du Deinen Ton änderst, weniger Philosoph und mehr Weltmann bist, so schicke ich Dir vielleicht doch eine Einladung zu unserer Hochzeit. Überlege Dir das wohl und mißgönne nicht einem armen Teufel sein Glück, der für einige lumpige Gulden die Wahrheit verkauft hat, mit der er nichts anzufangen wußte. Adieu, Moralist, ich werde Dir auch die Hofmeisterstelle bei meinen Kindern reserviren. Dein Robert." Herr v. Merk verharrte, nachdem er diese Briefe gelesen hatte, eine Zeit lang in stummem Nachdenken, das seinem Gesichte, auf dem sich gleichsam die Fröhlichkeit unverwischbar ausgeprägt halte, die heilige Weihe des Ernstes verlieh, was wie ein Grabstein zwischen Rosenbüschen anzusehen war. Der Schmerz verklärte diesen Lebemann und seine Augen, in denen das Feuer des beleidigten Stolzes und des angefachten Zornes brannte, leuchteten in hellen Flammen. „Wir haben uns Beide in einem Menschen getäuscht", unterbrach er das Schweigen, „der ein schändliches, gottvergessen abscheuliches Spiel mit unseren kindlichen Herzen getrieben hat. Diese Lehre wäre ausreichend, mich fortan mißtrauisch gegen die Welt zu machen, die mich umgibt; sie wäre ein stichhältiger Grund, künftig das Leben schwerfällig und traurig hinzunehmen, weil mein Leichtsinn und meine egoistische Freude mein Kind an einen schwindelnden Abgrund brachten, wovon ich es abwarnen mußte. Ich könnte so vielmehr mich in die grausame Lehre dieser traurigen Erfahrung zu sehr vertiefend, manches Schöne und Edle übersehen und verachten, was mir noch in den Weg kommen wird, wodurch ich der Lüge ein zu finsteres Recht über mein Leben einräumen würde. Du könntest durch diese einzige Lehre den ganzen Glauben an die Liebe einbüßen, und Niemand dürfte Dich verdammen, wenn Du für Lüge hieltest, was alle Welt für Wahrheit hinnimmt, denn Du hast Dir das Recht zu diesem Urtheile mit dem tiefsten Leiden erkauft. Würdest Du dabei gewinnen? Nein! Du müßtest nur ohne die Religion Deines Herzens zeitlebens elend sein. Du hast nicht in das fromme Antlitz der Liebe geschaut, Du hast nur eine Maske für das genommen, was sie täuschend nachahmte; Dein Irrthum, der umso verzeihlicher war, weil ich ihn nicht rügte, darf Dich nicht ungerecht und unversöhnlich gegen die Wahrheit machen, die nochmals an Dem Herz pochen und Einlaß begehren https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vtl&datum=18810705&seite=7&zoom=33&query=%22Hans%2Balexis%22&ref=anno-search kann. Wir wollen nicht weiter von diesen bitteren Erfahrungen reden, wir wollen den Gedanken, die wir freilich nicht los werden können, nicht noch mit Worten einen stärkeren Halt geben. Vielleicht daß die Wunde, die Dir das Leben geschlagen, schneller vernarbt als Du hoffst. Bis dahin laße uns nicht selber die Wunde grausam betasten, die nicht der eigenen Hand bedarf, um auf ein neues zu bluten. Weine Dich aus an meiner Brust, wenn es Dich gar zu schmerzlich und schwer drückt; mit den Thränen wird, wie auf wilden Gießbächen, manches in die Ferne fortgetragen, was der Sturm zerstört hat. Gib Dich nicht zu nachgiebig der Schwäche hin, traue Dir aber auch nicht zu große Stärke zu. Es könnte mit dem Einen wie mit dem Anderen Deinem Leben Gefahr drohen und das würde auch mir den Todesstoß geben, denn Du bist mein einziges, herzliebes Kind, Marie." Es lag in den Worten und in der Art und Weise, wie sie ausgesprochen wurden, eine so edle Schonung, daß man sie diesem Lebemanne nach seinem früheren Benehmen gar nicht zugetraut hätte. Ein Anderer würde vielleicht den Mann beschimpft haben, der ein solches Spiel mit dem Herzen seiner Tochter und mit ihm trieb, er berechnete aber, wie er sich auch dem Zuge seiner Stimmung überließ, doch mit richtiger Überzeugung, daß er, ob auch die Worte: Windbeutel! Schuft! und andere zornige Ausbrüche seinen Lippen nahestanden, die ihm Niemand verargen könnte, sie dennoch unterdrücken mußte, und sie nicht gegen den Mann schleudern dürfte, dem die Liebe seiner Tochter einen gewissen Werth gab, der von ihm noch nicht gewichen war. Das war auch in Wahrheit so lange nicht der Fall als Maria litt; und daß sie unaussprechlich litt, entging ihm nicht, wie sehr sie es auch zu verbergen suchte. Die letzte traurige Erfahrung lag noch zu nahe; erst wenn sie zum vergangenen Leide wurde, dann konnte er seinen Zorn entfesselt mit allen Verwünschungen austoben lassen. Die Fahrt war vorüber. Herr v. Merk zahlte den Sprichwörterhannes aus und dankte ihm überdies mit so herzlichen Worten, daß ihm das Geld wie eine Centnerlast in die Hand fiel, weil er für die lieben Menschen, die er zum Tode betrüben mußte, für sein Leben, gerne etwas umsonst gethan hätte. Marie band ein Kreuzchen von ihrem Halse los und hing es dem Knaben um, dem das Weinen näher als das Lachen stand und drückte dem Alten so warm und mit einem so innigen Blicke die Hand, ohne ein Wort von Rührung hervorbringen zu können, daß darin die herzlichste Versicherung ihres Dankes für jenen Dienst, der sie für die Zukunft rettete, wenn er sie auch in der Gegenwart namenlos unglücklich machte. Alle außer Friedl begriffen nur zu gut, daß sie zur eigenen Schmerzersparung den Abschied so viel als möglich abkürzen mußten; und so thaten sie es denn, wenn auch widerstrebend. Ein glücklicher Zufall hatte es gefügt, daß eben Fremde mit einem Wagen angerollt kamen; dadurch erhielt der Sprichwörterhannes eine Kundschaft zur Rückfahrt, daran lag ihm aber wenig und er äußerte nur seine Freude, weil nun auch die lieben Menschen schneller nach Ischl kommen konnten, was noth that, wenn sie nicht von einem Nichtswürdigen eingeholt werden sollten. Sie hatten es freilich verabredet gehabt, auf dem Rückwege von der Gosaumühle durch den Gosauzwang eine Wanderung in das Gosauthal an den vorderen und Hinteren See zu machen. Doch der Mensch denkt und Gott lenkt! dachte der Sprichwörterhannes, und: aufgeschoben ist nicht aufgehoben! sie können ja ein anderes Mal, wenn ihre Herzen ruhiger geworden sind, das Versäumte ein bringen. 7. Sie waren nun fort; er stieß nach kurzem Aufenthalte mit seinem Boote ab und fuhr mit taktmäßigen Ruderschlägen heimwärts. Er war traurig und hätte sich gerne nach Herzenslust ausweinen mögen, wie der Friedl, dem die Zähren über die Backen rollten. Die Fremden scherzten und lachten und kümmerten sich nicht um ihn und um das Weinen des Buben, was sie vielleicht verdrießlich gemacht haben würde, wenn er es nicht womöglich versteckt gethan hätte. Zerfleischte ihm gleich der Jubel der Fremden das Herz, wie ihm dies in seinen jungen Jahren geschah, wenn er die Dirne, die er liebte, mit einem Anderen auf dem Tanzboden sah, so war es ihm doch eigentlich recht und er hätte keinem für eine Frage gedankt, die man an ihn richtete ; er würde vielleicht unhöflicher geantwortet haben als es sonst sein Brauch war. Ungefähr in der Mitte des Sees kam ihnen ein anderes Boot entgegen, das absichtlich auf sie zugelenkt wurde, während der Sprichwörterhannes mit allen Kräften ablenkte. Die beiden Boote repräsentirten einen Kampf zwischen zwei Feinden, die sich treffen wollen und zugleich zu vermeiden suchen, um dadurch einander ihren tödlichen Haß an den Tag zu legen. „Haho! sind die Herrschaften schon von dem Landungsplätze weggefahren?" tönte es herüber. Er antwortete nicht, sondern ruderte nur kräftiger, mit abgekehrtem Gesichte weiter; schwere Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne; das Boot flog wie ein Pfeil auf der spiegelglatten Wasserfläche dahin; man konnte nicht mehr deutlich die Worte hören, welche der junge Mann in dem anderen Kahne nachrief. „Wißt Ihr," sagte einer von den Fremden, „daß Ihr recht unhöflich seid? Man hat Euch gefragt und Ihr habt nicht geantwortet." „Keine Antwort ist auch eine Antwort und gehört auch nicht auf alle Fragen eine Antwort," erwiderte er kurzweg. „Das gefällt mir nicht von Euch,“ meinte ein Anderer, „daß Ihr so kurz angebunden seid." „Wer seinen Fuß in eines Anderen Schuh stecken will, muß zuvor das Maß recht nehmen." Mit diesen Worten schnitt er jede weitere Frage ab. Hätten die Fremden gewußt, was in dem Manne vorging, der ihnen unhöflich schien, sie würden ihn nicht so leichthin beurtheilt haben. Das aber wußte Niemand, das wußten selbst jene nicht, die doch eines Geheimnisses werth waren, das sie sich gewissermaßen mit ihrem eigenen Schmerz erkauft hatten. Er hatte Maire drei Briefe gegeben, aber einen vierten zurückbehalten; er konnte dieses mit Fug und Recht, denn der vierte Brief war nicht für sie bestimmt, er war an ihn selber gerichtet. Dieser Brief, den er zurückbehielt und in seiner Brusttasche verwahrte und der zugleich den Schlüssel zu dem Verständnisse der drei anderen bot, lautete also: „Ihr seid ein gottesfürchtiger Mann, der das Fluchen für Sünde hält, und der auf das Haupt der Menschen nicht glühende Kohlen sammeln, sondern den reichsten Segen des Himmels herabbeten möchte; und dennoch weiß ich, daß Ihr dabei eine große Ausnahme macht, und das Ihr einen Menschen bis in den Abgrund der Hölle verfluchet. Euer Fluch, wie schwer er drückt, und wie er in die tiefste Seele brennt, ist gerecht. denn der Mann, den Ihr verfluchet, hat es verdient. Dieser Mann bin ich! Ich fände keine Entschuldigung, wenn ich an die Thüren aller frommen Leute betteln ginge; es gibt keine Gnade und Verzeihung für das Verbrechen das ich im Leichtsinne der Jugend beging und ich kann vor Euren Augen nie gerechtfertigt werden. Ihr habt ein Recht dazu, selbst meine Reue, die, Gott weiß es, eine wahre ist, für eine Lüge zu halten, denn ich habe nichts gethan so lange es noch Zeit war meine Schuld geringer zu machen, wodurch ich mir den finsteren Namen eines Verbrechers erspart hätte. Meine Reue taugt nicht als Spaten, mit dem ich einem braven Vater sein einziges Kind aus der Erde scharren kann, in die es vor der Zeit eine Sünde brachte, der es traumhaft verfiel, wie es selber kindlich aufrichtig und gut war, um an die Lüge der Menschen glauben zu können, und die ihm das Leben kosten mußte, weil es seinen Glauben, sein Vertrauen und seine Liebe frevelhaft mißbraucht sah. Glaubt mir, der diese Worte mit der schmerzlichsten Qual eines bösen Gewissens im Herzen niederschreibt; ...ich habe meine Jugend verflucht, die mich im wilden Taumel der Leidenschaft zu einer Schuld verleitete und hinriß,.... die jetzt wie ein drohendes Gespenst vor meines Entschlüssen steht und ihre Ausführung schon im Keime erstickt, daß mein Leben unbrauchbar und elend geworden ist um dem ärmen Bettler nicht des Tausches werth erscheinen zu muffen. Unzählige Male war ich bereit, mich der vollen Vernichtung Eures Zornes auszusetzen. Ich hätte nur gethan, wozu ein Verbrecher getrieben wird, wenn die Verfolgung auf seinen Fersen, endlich sein Gewissen zur verzweifelten Selbstanklage hetzt. Ich habe es nicht gethan, nicht, weil ich noch feiger als ein solcher Verbrecher war, sondern weil ich die begründete Furcht hätte, Euch selber zum Verbrecher vor dem Gesetze zu mächen. Ich muß gesthen, daß ich erst vor wenigen Tagen Alles erfuhr, oder vielmehr errieth, was seit jener unglückseligen Schuld meiner Jugend geschah. Ich will mich mit diesem Bekenntnisse nicht entschuldigen und reinigen; ich gestehe damit noch meine Feigheit ein, mit der ich trotz der tiefsten Reue und trotz den ehrlichsten Vorsätzen, die zeitweise in mir erwachten, dennoch meiner Erinnerung zu entfliehen suchte. Die Briefe eines Freundes, die ich für eine Schickung des Himmels nehmen muß, haben mir die grausamste Aufklärung über Alles gegeben; ich hatte keine Ahnung, daß es so entsetzlich schwer für Euch durch meine Schuld kam. Diese Zeilen, die ich hier an Euch richte, sollen nicht für mich, sondern für ein Mädchen bei Euch Fürsprache einlegen, das fast in dem gleichen Falle wie Eure Tochter, nur in anderer Weise ist, das in derselben Gefahr schwebt, durch eine schöne Lüge unglücklich und zu Grunde gerichtet zu werden. Das Mädchen, das ihr mit seinem Vater und einem jungen Manne auf Eurem Boote führt, steht an einem Abgrunde; ich gebe es in Eure Hand es zurückzureißen. Marie verdient nach der brieflichen Schilderung ein besseres Los, und auch ihr Vater darf und soll wegen seiner Herzensgüte nicht einem Nichtswürdigen zum Spotte fallen. Gebt ihr die drei Briefe, die ich beigeschlossen habe, und sie wird von einer Liebe geheilt, durch die ihr junges Herz getäuscht und verrathen wird. Ihr werdet, wenn Ihr es thut, dem Andenken Eurer Tochter wohlthun, die zu ihrem Verderben Niemand fand, der ein Gleiches für sie gethan hätte. Ihr werdet Euch vielleicht verwundern, daß ich das Vertrauen eines Freundes mißbrauche. Dies Vertrauen ist wieder nur eine Anklage gegen mich und mein eigenes Betragen, das Anderen das Recht zugesteht, mir die Fäden ihres Lügengewebes in die Hand zu geben. Er ist weiters nicht mein Freund; ich Hasse und verfluche in ihm meine eigene Vergangenheit und möchte diese, wenn auch nur ein klein wenig sühnen, indem ich ein treues Wesen, das dem verrathenen Engel meiner Jugend gleicht, aus den Netzen dieses teuflischen Versuchers rette. Ich finde meine Hand für ein solches Werk zu unheilig; Eure Hand kann es aber und ich lege das Werkzeug in Eure Hand, mit dem Ihr es vollbringen könnt und werdet. Ich stelle es Euch frei und fürchte es nicht, daß Ihr an ihn verrathet, von wem der Schlag gekommen ist; mir ist nicht bange vor einem Todfeinde, wenn ich nur die Zuversicht habe, daß Ihr thut, um was ich Euch bitte. Mein Leben hat von jetzt an doch eine Hoffnung, die ich nur andeuten darf, obgleich ich sie freudig zitternd verrathen möchte, weil sie mir doch als ausgesprochene Bitte von Euch abgeschlagen werden könnte. Wenn es für mich noch ein segensvolles Glück geben und wenn ich in diesem Leben noch etwas erreichen kann, so weiß ich jetzt für wen ich unermüdet wachen und schaffen muß; und wenn ich meinen Namen noch zu Ehren bringen kann, so will ich es für Jemand thun, der ihn tragen kann. Friedrich Dorn." http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vtl&datum=18810706&query=%22Hans+alexis%22&ref=anno-search&seite=7
8.
Ende September fuhr wieder einmal der „Erzherzog Stephan" von Linz ab; derselbe Steuermann drehte aufmerksam das Rad und blies dabei die Rauchwölkchen seiner kurzen Pfeife von sich. Er hatte Anfangs nicht bemerkt, daß sich ein Mädchen wie mit Abficht ganz in seine Nähe drängte, endlich fiel es ihm auf, er sah genauer, und seine erste Begrüßung war der Ausruf: „Jesus Maria", denn er wollte kaum seinen Augen trauert, daß sich ein Christenmensch in kurzer Zeit so verändern könne. Wären dieselben Passagiere wie damals auf dem Dampfer gewesen, sie würden sich wie der Steuermann verwundert haben, wenn sie vielleicht auch nicht die nämliche herzinnige Theilnahme für das Mädchen gehabt hätten, die sich zwar nur in der schlichten Frage:
„Fräulein, sind Sie krank gewesen ?" äußerte, der aber sozusagen die Thränen in den Augen standen.
„Ja, ich war einige Tage bettlägerig in Linz; nun geht es aber schon um Vieles besser," antwortete sie.
„Das mag der Himmel fügen; weiß Gott, es schneidet mir wie ein Messer in das Herz, daß ich nicht mehr die rothen Röslein auf Ihren Wangen sehen soll, die mir damals, um es doch gerade herauszusagen, so viel Freude machten. Aber es wird schon wieder werden, nur nicht verzagt; es ist nicht mehr die rechte Zeit für die Röslein, doch im Frühjahre und noch eher werden sie schon wieder kommen. Wenn ich wüßte, daß Sie etwas auf Hausmittel halten, so möchte ich Ihnen rathen . .. —"
„Danke recht herzlich," entgegnete Marie lachend, „ich bin wirklich fest gesund."
„Und wo haben Sie sich die ver... Krankheit geholt?"
Er wurde verlegen, als er diesen Fluch ausgestoßen hatte; er war nun aber einmal heraus; er konnte nicht anders und mußte immer fluchen, wenn er sein Mitleid recht auffällig bezeigen wollte.
„In Hallstatt," erwiderte Marie.
„Ja, ich habe es immer gesagt, es ist dort ein wenig zu strenge. Was habe ich meinem Bruder zugeredet, um ihn aus den Bergen zu locken; hätte ihm. eine gute Stelle bei der Dampfschifffahrt verschafft, der ist aber nicht mit einem Schiffzug von dort herauszubringen. Das hat freilich seine Ursache und ich verdenke es ihm eigentlich nicht; sehne ich mich doch manchmal selber nach diesem einsamen Bergkessel zurück, wo ich meine Jugend zubrachte und wo unser Jubeln aus allen Schluchten nachhallte, daß es noch einmal so freudig klang ; und es wäre mir oft so gelegen wie einem Hungerigen ein Stück Fleisch, wenn ich wieder einmal eine Zither erklingen und eine Geige dreinwinseln hörte; Unsereins kann die scharfe Lust wohl ertragen, das schadet einem groben Klotz nicht und der braucht sie eigenlich von Rechtswegen; aber einem so seinen Fräulein mußte sie schädlich sein; und ich bin jetzt meiner Heimat, die ich doch rechtschaffen lieb habe, ein wenig gram, daß das arme gute Fräulein dort krank geworden ist. Haben Sie meinen Bruder gesehen?"
„Ja, und der hat mich eigentlich geheilt".
Nach dieser Antwort erwachte in dem Steuermann der ganze Stolz.
„So? Das ist mir lieb zu hören; nicht wahr, Sie sind auf meine Worte gekommen, das ist ein Prachtmensch. Und Alles kann er! Jetzt dociert er sogar! Das hätte ich ihm mein Lebtag nicht zugemuthet, aber er griff nie etwas verkehrt an und wurde mit Allem fertig. Ich bin überzeugt, er wird dem Bader in Hallstatt das Handwerk legen, daß in Kurzem kein Mensch mehr zu ihm kommen wird. Also mein Bruder hat Sie curirt? Gott sei Dank!
Hannes, dafür kaufe ich Dir, wenn ich nach Wien komme, ein Stück Tuch auf eine neue Jacke, in der Du Dich prächtig ausnehmen sollst und dem Friedl kaufe ich die schönsten Hosenträger, die ich auftreiben kann. — Fräulein er hat sich doch nicht dafür bezahlen lassen, das würde mich verdrießen; doch das hat er nicht gethan, ich will darauf wetten."
„Ich könnte ihn auch nicht mit allem Gelde der Erde bezahlen und kein Arzt der Erde hätte mir geholfen wie er."
Die Augen des Steuermannes leuchteten vor Freude.
„Fräulein," sagte er mit bewegter Stimme, und er hätte zugleich lachen und weinen können, „loben Sie meinen Bruder nicht zu sehr, sonst fahre ich heute an der Brücke in Stein an, oder es geschieht mir sonst vor lauter Glück ein Unglück".
Er fuhr nicht an der Brücke an, er war vielmehr trotz dieser Aeußerung wennmöglich aufmerksamer als sonst; als er in Nußdorf im Bogen zuwendete, kam Marie, bevor sie ausstieg, noch einmal zu ihm, ihn zum Abschiede zu grüßen, wobei er sagte:
„Fürchten Sie nichts Fräulein, Sie werden ihre rothen Röslein bald wieder auf den Wangen haben wie ehedem; dafür stehe ich gut, denn mein Bruder hat sie geheilt."
10.
So war es auch. Marie hatte zum seligen Entzücken ihres Vaters ihre Frische und ihre Freude wiedergewonnen; ihre Wunden waren vernarbt, sie hatte sich auf immer von diesem Schmerze losgesagt. Vierzehn Tage nach ihrer Ankunft in Wien schrieb sie an eine Freundin:
„Theure Anna!
Wenn Du mir vielleicht ein Hochzeitsgeschenk machen wolltest, es thut mir leid, daß sich Deine Hände umsonst angestrengt haben. Ich komme diesmal noch nicht unter die Haube. Du wunderst Dich, wie ich dies mit so leichtfertigen Worten hinschreiben kann? Es hat aber auch seine Zeit gebraucht, bis ich das Lachen fertig brachte, und es setzte Thränen über die Massen. Aus meinen Briefen von Hallstatt wirst Du ersehen haben, daß ich bis über die Ohren verliebt, in einen Roman verwickelt war, aus dessen labyrintisch verschlungenen Gängen ich mich fast nicht herausgefunden hätte, weil mir eben der Faden der Ariadne fehlte, wenn nicht der Held dieses Romanes ein Nichtswürdiger gewesen wäre.
Erstaune und entsetze Dich nicht, daß ich mit einem so harten Worte von dem Manne meiner ersten Liebe spreche. Ich würde es vielleicht nicht von dem sündhaftesten Verbrecher, der sich mit einer Blutschuld befleckt hätte, und mein Herz würde ihn, der alle Welt verflucht, noch auf dem Richtplatze vertheidigen, wenn nur seine Liebe für mich wahr gewesen wäre. Ich habe für einen berechnenden Egoisten, der nur nach meiner Aussteuer lüstern war, nachgerade keinen milderen Namen gefunden und ich habe eigentlich auch nicht lange danach gesucht. Ich machte freilich die traurige Erfahrung, die mich verdüstert, daß man mit dem Heiligsten so fertig lügen könne, daß ein gläubiges Herz diese Lüge für Wahrheit halten muß. Glaube nicht, und ich will mich damit nicht etwa rühmen, daß ich mit dem Handumdrehen so stark wurde, wie ich mich jetzt vor Dir zeige. Ich hielt eine Zeitlang, und länger als es recht war, für einen schweren Verlust, was ich jetzt für den reichsten Gewinn halte. Ich war so schwach, wie es nur eine sinnverwirrte Romanleserin sein kann; nun aber bin ich wieder stark und ich verkündige Dir jubelnd meine Stärke. Man hat mich um meine erste Liebe betrogen; wie süß wäre es gewesen, wenn mein schöner Traum sich verwirklicht hätte; ich sollte es nicht so gut haben, wie jene Auserwählten, die auf ihrem ersten Wege ein treues und das rechte Herz antreffen. Dafür soll man mich aber auch nicht ein zweites Mal betrügen:
Ich habe erfahren, wie weit es die Lüge bringen kann; ich habe den Meister aller Lügner von Angesicht zu Angesicht und in allen seinem Handeln gesehen; alle Übrigen können nur Stümper gegen ihn sein und es wird kein Anderer mehr eine Macht über mich gewinnen.
Ich habe überdies auch schon einen ziemlichen Theil Verachtung für das sogenannte starke Geschlecht, das um dreißig Silberlinge das Heiligste verkauft.
Gott Lob habe ich mich nicht mit dem kleinsten Kusse verrathen oder vergangen und bin sicher, daß ich nicht so schnell wieder in das Garn laufe. Man hat mir oft gesagt, daß ich erträglich hübsch sei; das kümmerte mich wenig und ich ward nicht eitel, jetzt aber macht es mir Freude, wenn ich mein Bild frisch und gesund aus dem Spiegel herausblicken sehe; und ich bin recht bitterböse, daß ich mich auch nur die kürzeste Zeit um eine Lüge abhärmen und dadurch meinem guten Vater Kummer machen konnte, der seit meiner Genesung vor Jubel außer sich ist.
Ich glaube, ich könnte dem Manne, der mit meiner Liebe ein verwerfliches Spiel trieb, ohne Herzklopfen unter die Augen treten; ich weiß aber nicht, wie ich meiner Verachtung Ausdruck geben würde; vielleicht würde ich meinen Vater laut bitten, ihm eine Summe zu schenken, mit der er sich in Stand setzen könne, das erbärmliche Glück, das er mit seinem Egoismus sucht, wenigstens elegant in der Welt zu machen.
Ach wie tief kann ein Mann fallen, der sich und seine Genüsse allein vor Augen hat, und wie unglücklich kann ein Weib werden, das einem solchen Manne verfällt. Mich schaudert bei dem Gedanken, daß ich nahe genug an dem Abgrunde dieses Unglückes stand. Es mag Dir ein wenig prosaisch vorkommen, daß ich so kalten Blutes meine Liebe zergliedern kann; ich müßte mich eben verachten, wenn ich es nicht könnte, und ich will lieber weniger poetisch als vollends verächtlich sein.
Ich will damit nicht sagen, daß ich die Hoffnung auf das Glück aufgegeben habe; ich werde es finden, wenn mich der Himmel lieb hat und eigentlich habe ich es mir auch durch Schmerzen erkauft. Mein Herz ist deshalb noch nicht für die Liebe abgestorben und ich stehe für die jubelndsten Gefühle ein, wenn sich der Rechte zeigt und wäre er auch ein Bettler, doch ein Solcher, der nicht meinen Reichthum, der mich allein um meiner selbst willen liebt. Ich will bis dahin fröhlich und gut sein; ich habe recht liebe Sorgen und Gedanken, die mich beschäftigen und in Athem erhalten und ich schwärme vor Allem für den schlichten Mann in Hallstadt, der mich mit drei Briefen geheilt hat. Wüßte ich, daß ich ihn mit meinem ganzen Vermögen glücklich machen könnte, ich würde mich rasch und freudig der Armuth unterwerfen, denn er hat für mich gethan, was keinem Anderen gelungen wäre.
Da hast Du die Beichte Deiner Freundin, die sich nur deshalb sündhaft erklärt, weil sie eine Lüge für Wahrheit hielt, die aber wachen, beten und Buße thun wird, daß sie diese Sünde nicht ein zweites Mal begehe und die ihrem Schöpfer dankt, daß er sie von der Schwäche befreit und ihr jene Stärke verlieh, die sie jetzt hat, um mit fester Handschrift hinzuschreiben, was Du in diesem Briefe gelesen hast.
Lebe wohl bis auf Wiedersehen.
Deine Marie.“
Ich fand es nöthig, meinen Lesern noch diese Metamorphose des Mädchens, für das sie vielleicht einige Theilnahme faßten, mitzutheilen. Habe ich es nicht nach ihrem romantischen Gelüste gemacht, so ist dies nicht meine Schuld; ich theile nur mit, was ich erfuhr, gestehe aber offen meine Freude über diese Metamorphose ein, die vielleicht Mancher unwahr nennen und deshalb nicht billigen wird. Die Züge dieses Geschöpfes, das ich zu schildern versucht, sind nicht von meiner Hand; ich habe sie dem Leben abgeborgt und dies Leben, das sich weiters stolz und scheu entfaltete, wäre noch einer neuen Aufzeichnung werth.
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