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Um Allerseelen.


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Um Allerseelen.

Von Anna Schwarz


Vom See herauf steigen die schweren, feuchten Nebel in dicken, wunderlich gestalteten Wolken, es tropft und rieselt von jedem noch übrigen gelben Blatt, von jeder verwelkten Ranke, von jedem kümmerlichen Zweige... Allüberall graufahles Dämmerlicht und todtenstille Ruhe— so geht der Allerseelentag zur Neige...


Mit vielen kleinen, an den Felsen geklebten Schwalbennestern könnte man das Dörfchen Hallstatt am Hallstätter-See vergleichen. Hohe, steile, bis zum Gipfel hinauf dunkel bewaldete Bergeshäupter schließen den See zu ihren Füßen ein, der seltsam melancholisch, dunkel und düster wie die Wälder, die ihm umsäumen, zu ihren Füßen liegt.

Regellos verstreut liegen auf dem rechten Ufer hinansteigend, oft steil übereinander, die kleinen Häuschen und Hütten Hallstatts und schaaren sich, gleich wie die Küchlein um die Henne, und die uralte Kirche, die in halber Bergeshöhe auf einem terassenartigen Vorsprung gelegen, über dem sich im Grunde ausbreitenden See dominiert. Rings um die Kirche schmiegt sich der Friedhof, ein schmales, dürftiges Streifchen Land, das dem Felsenboden abgerungen, trotzdem noch immer viel zu klein ist, um denen, die in Hallstatt sterben, ein Fleckchen für die ewige Ruhe zu gönnen. Drum ist es dort ein seit Jahren und aber Jahren geübter, uralter Brauch, dass die Todten nicht länger denn sieben Jahre in dem kühlen Grunde schlafen dürfen. Nach dieser Frist holt man hervor, was von ihnen noch übrig ist und schichtet die Knochen in dem kleinen Beinhaus, einem Gewölbe unter der Kirche, auf— das Grab steht dann wieder offen, um andere Tode aufzunehmen.

Die Überlebenden aber, die nun nicht, wie andernorts, einen Hügel haben, wo sie beten können und den sie schmücken dürfen zu Gedenk- und Sterbetagen, die mussten sich anders zu behelfen trachten, und so ist es denn der Todtenkopf geworden, der, wieder aus der Erde geholt, das letzte Überbleibsel ist, an dem sie ihre Pietät ausüben können! Im Beinhaus von Hallslatt stehen sie reihenweise nebeneinander und übereinander in peinlichster Ordnung aufgestellt, all die vielen grinsenden Todtenschädel und sie tragen in schwarzer Schrift auf der bleichen Stirn den Namen, Geburts und Todestag dessen, der sie einst gewesen, so wie das anderswo auf den Grabsteinen geschrieben steht!


Der Fremde, der Hallstatt im Sommer besucht und den Zauber seiner melancholisch finsteren Schönheit auf sich einwirken lässt, geht auch in das Beinhaus hinein. Seine Neugier überläufts manchmal wie rieselnder Schauer, wenn er sich in der stummen, hohläugigen Gesellschaft umschaut und da und dort einen Blumenkranz um die beinernen Schläfe gewahrt und vor dem Todtenkopf betend ein Mensch kniet, vielleicht ein Kind vor seinem Vater oder ein Gatte vor der Gattin, der, weil er kein Grab und keinen Grabhügel zu schmücken hat, am Todestage des Verstorbenen einen Kranz um dessen blassen Schädel legt — dem Fremden überschauderts — der Hallstätter findet nichts seltsames dabei. Er ist es so gewöhnt, seit Hallstatt selbst besteht und seit er dem felsigen Boden dort seine karge Existenz abringt, dem Boden, den er liebt und der ihm doch nicht einmal ein immer während Grab im Tode gewährt.

Zu Allerseelen, wenn überall, wo ein christliches Herz schlägt, ein Flämmchen am Hügel theurer Todten brennt, da zünden dann die Hallstätter ihr Allerseelenlichtlein vor dem mit den letzten Blumen geschmückten Todtenkopf an und nur diejenigen, deren Angehörigen noch in der Erde ruhen, wo die gesetzlichen sieben Jahre noch nicht um sind, die man den Todten zugesteht, ehe sie den kargen Platz wieder räumen müssen, für andere, nachfolgende, nur die können draußen auf dem kleinen Friedhof ihre Andacht am Hügel verrichten und ein Lichtlein verbrennen!


Vom See herauf wallen und kreisen die Nebel... Ein scharfer, eisig-kalter Hauch weht von den Bergen herunter und pfeift um den alten, massigen Kirchthurm und raunt und raschelt in dem dürren Laub des kleinen Kirchhofes. Die zeitliche, trostlose Dämmerung des beginnenden Winters hat sich über das kleine Dorf und seine dunklen Bergesriesen gesenkt, die schon den ersten Schnee am Scheitel tragen — und aus dem Friedhof weilt kein Mensch mehr...

Sie haben den Todten ihren Tribut ja gezahlt, sie haben im Beinhaus den ganzen Tag Kerzen und Öllichtlein gebrannt, haben auf den schmalen Grabhügeln Hagebutten- und Vogelbeerkränze und Sträuße aus Immergrünlaub niedergelegt — nun ist der Allerseelentag zu Ende gegangen und die Menschen heim in ihre Häuser und Hütten...

Still, ganz still ist's jetzt da draußen...

Der eiskalte Wind nur streicht um die Mauern und der See im Grunde stößt ab und zu mit leisem Plätschern gegen die Planken einer Schiffshütte am Ufer... Sonst regt sich nichts. Nicht einmal ein Hund bellt im Orte, sogar der hat sich scheu in sein Stroh verkrochen und tiefer und tiefer bricht die Dunkelheit herein! — Da plötzlich ein Geräusch! Schwere, schlürfende, tastende Schritte kommen langsam die steile, in den Felsen gehauene Kirchhofstreppe empor, Schritte, denen man es schon von weitem anhört, wie gebeugt und mühselig der daher kommt, von dem sie herrühren . . . und dann leise, zaghaft klinkt die verrostete eiserne Gitterthür auf und eine kleine, gebeugte Frauengestalt, den Kopf und Oberleib mit einem dicken Wolltuch verhüllt schleicht scheu in den dunkelnden Friedhof herein...

Sie trägt etwas über den linken Arm gehängt, indes die rechte Hand sich auf den Stock stützt — ein Kranz ist es — ein wundervoller Kranz aus lauter Edelweißblüten und getrockneten Erikenzweiglein sorgsam gebunden und die alte Frau schaut sich spähend um...

Ja, sie ist allein, ganz allein auf dem kleinen Friedhof, kein Mensch ist mehr hier, alle sind sie schon fortgegangen, kein Mensch wird sie sehen, wenn sie jetzt auf dem Fleckchen Erde dahinten im Winkel zwischen der Kirchenwand und der Friedhofsmauer niederknien wird, um zu beten, zu beten für die verdammte Seele dessen, der dereinst sich selber und sein Andenken verflucht hat, kein Mensch wird sich darum bekümmern, dass sie ein Kerzchen anzünden wird, auf der Stelle, die trotzdem, dass einer drunter begraben liegt, kein Hügel ziert und kein Kreuz, die Stelle, die einzige Stelle auf dem ganzen Hallstätter Friedhof, die keinem anderen Todten mehr zur Ruhe dienen darf, weil sie eine ungesegnete, verfluchte geworden ist, seit sie damals, heut' vor so und so viel Jahren, einen Vatermörder ohne Gebet und Glockenklang darunter verscharrten.


Um den Thurm pfeift der Wind seine Weisen und erst nach schwerem Kampfe mit dem losen Gesellen ist's der alten Frau gelungen, eine kleine Wachskerze unter dem Schutze ihres vorgehaltenen Wolltuches zu entzünden. In dem engen Winkel, wo sie auf der Erde kniet, gibt's viel Gestrüpp, verwelkte Brennnesselstauden und allerlei Rankenwerk. davon baut sie sich mit zitternden Händen so eine Art Dach zusammen und darunter bohrt sie die Kerze in den Boden, damit sie nicht umfällt. Die Stauden halten den Wind etwas ab und wenn auch zuckend und unstät — das Licht brennt doch weiter! Da legt sie noch den Kranz vor sich hin und ganz zuletzt kauert sich die verhärmte, müde Greisengestalt auf den Knieen zusammen und hebt an, leise murmelnd, ein Vaterunser zu beten. Doch noch ist sie nicht über die ersten drei Bitten hinausgekommen, so unterbricht sie sich schon selber.

„Geheiliget werde Dein Name... Franzl, mein armer Franzl, sag', hast es recht kalt da drunten, druckt's Di halt rechtschaffen schwer aufs Herz, dö viele, viele ung'weichte Erden, was auf Dich g'schaufelt haben?

Mei Bua, mein armer, armer Bua, ja, gelt, so lang' die Kuni no lebt, so lang' bist do net ganz vergessen, die bringt Dir's alle Jahr um Allerseelen, Dein Kranzel und Dein Lichtl, und so lang s' no die Kraft zum Reden hat, so lang' bet s' für Dein arme Seel' im Fegfeuer a Vater unser, und so lang' kummt s' zu Dir her, zu Dein Grab ohne Kreuzerl und Hügel, und bitt Dich, was s' nur bitten kann: Verzeih' mir's Franzl, was i damalen so Sündhaftes ang'stellt hab', verzeih' ina mein Stolz und mei Hoffarth, verzeih' ma mei Untreu — Franzl — um Gottes Barmherzigkeit willen, verzeih' ma's!"

Immer leiser ist die flüsternde Stimme geworden, dann packt sie ein Hustenanfall, der die ganze armselige, gebrechliche Gestalt unbarmherzig rüttelt, bis zur Athemlosigkeit, und endlich starren die glanzlosen Augen wieder unter Thränen angstvoll in das rastlos zuckende, vibrierende Licht: „Jesus, Maria, so viel Jahr', was i schon bet' und bet' um Dein ewige Ruh', und no allweil hat Dir's unser Herrgott net g'schenkt, no allweil thut's sickern und flackern, das Lichtl, und no allweil hat Dein' arme Seel kan Frieden net g'funden... kalt is's, gar so viel kalt, Franzl" und zusammenschauernd unter einem Windstoß, der mit erneuter Wuth von den Bergen herabweht, duckt sie sich enger und enger gegen die Friedhofsmauer, die dort mit der Rückwand der Kirche einen spitzen Winkel bildet.

Da klingt es dröhnend laut aus den Schallöchern des Thurmes, drei dumpfe, schwere Glockenschläge zittern hinaus über den dunklen See, und wecken den fernen Wiederhall der Berge... Die alte Frau schlägt ein Kreuz — „drei ­ viertel auf Neun — kalt is's, Franzl, kalt is — — Gott geb' Dir die ewige Ruh! Heut vor fünfunddreißig Jahren, gelt ja, do bist ham kema von der Stadt und vom Militär, und hast mi g'funden, daham beim Vater, Franzl, mein Gott, i hab's nia net vergessen kinna, wia Du g'want hast damals, weil i Dir die Treu' net hab' g'halten, und wia's dann weiter g'wesen is, wias Euch Ham g'sucht im See, und den Vater ham's net g'funden, nur di allani — — und wia's Di dann eingrab'n hab'n, da hier auf dem Platzl, was ka geistlicher Herr hat g'weiht, und was verflucht is seitdem dass Du drein liegst, Du, der seinen Vater umgebracht hat — — — und i, wia i dann furt bin, in d' Welt hinaus, wias mi hat umananda g'jagt, die Angst, die Reu' und 's böse G'wiffen, dass i ninderst a Ruah und a Rast mehr hab' g'funden, z'weg'n meiner Sünd', die was do alles verschuld't hat g'habt! O, Franzl, bereut hab' is, dös is g'wiss, und was a Menschenaug' woana kann an tausend Thränen, dös meine, Franzl, dös meine hat's than. Und wann i heut' stirb, in derselbigen Nacht, Franzl, und i find' droben net Dein Vergeben, was soll i dann thuan? Mei Bua, mein Franzl, verzeih' mir, um unsern Herrgott sein Leiden und Sterben willen, i bitt' Di verzeih'mir!"

— — — Da war das Licht schier zum Boden gebrannt und bereit zum verlöschen. Die Alte aber murmelte nicht mehr, sie hatte den zitternden Kopf an die Steinwand gelehnt und schauerte in sich zusammen. . . und vor ihr hob sich riesengroß, lebendig die Vergangenheit empor, eine trübe, traurige Zeit...


In einer hellen, kalten Mondnacht zu Ende Oktober waren einst droben am Wegkreuz vorm Waldesrand zwei junge Liebesleut' beieinander gestanden, um Abschied zu nehmen, einen langen, traurigen Abschied.

Der Bursch, eine hohe, stämmige Gestalt in der landesüblichen Jägertracht, hatte den bunten Rekrutenstrauß neben dem Gemsbart am Hute stecken gehabt und schlecht wollte das zu dem blassen, traurigen Gesichte, über ein weinendes Mädchen in lustige Flitterwerk passen das sich tief herabneigte über ein weinendes Mädchen in seinen Armen.

Das war des Roithambauern einziger Sohn, der Franzl, gewesen, der jetzt auf drei Jahre einrücken musste zum Militär, und das Mädel war sein Schatz, die „schöne Kuni", wie sie in der Gegend hieß, ein armes Ding, ohne Eltern und Heimat, das im Hallstätter Pfarrhofe im Dienste stand...

„Geh' — sei g'scheidt, Kuni — wan net so arg," hatte der Bursche sie getröstet, und dabei selber an den aufsteigenden Thränen gewürgt, „sei g'scheit, mei Dirndl, all's auf der Welt geht amal do vorüber, nix dauert ewig, wer'n mir die sauern paar Jahr' halt auch übertauchen, und treu musst mir bleiben — versprich mir s, Kuni — und dann, wann i z'ruckkomm', dann mach' i's richti mit mein' Vatern — und Du wirst mein Weib!"

Und als er sie nachher zum letztenmal an's Herz gedrückt und geküsst hatte, heiß und lang', als ob er sie gar nimmer loslassen wollte, da hatte sie ihm's in die Hand hinein geschworen, brav und treu zu bleiben und unbeirrt auf ihn zu warten... bis sie zu End' sein würden, die „sauern drei Jahr'"!


„Geschworen war's leicht, Kuni — gelt ja — aber halten?... Wenn's einen halt auf einmal so anpackt, der Stolz und die Hoffärtigkeit und das Großthun, und d'rüber die Lieb' und Treu' ins Vergessen geräth?"


Die Aufhauter Kuni war jung und schön! Ein Mädel, so frisch und roth, wie Milch und Blut, und die schwarzen Zöpfe lagen ihr um das feine Köpfchen, wie eine dunkle Krone aus Ebenholz! Aber arm war sie halt, wie eine Kirchenmaus... Ihren Vater hatte sie nie gekannt, als sie zur Welt kam, stand ihre arme Mutter schon allein und verlassen da, und treu und redlich suchte sie durch ihrer Hände Arbeit das Kind zu ernähren, das ja nichts dafür konnte, für alles Leid und alle Schand', die es über die arme Mutter brachte, bei seinem Eintritte in die Welt!

Eine freudlose Kindheit — eine freudlose Schulzeit — und eine freudlose Jugend, voll Armut und Noth, das war ihr Leben gewesen.

Und nachher starb die Mutter! Ein abgearbeitetes, vor der Zeit alt gewordenes, vergrämtes und verbittertes Weib, trugen sie im schmucklosen Brettersarg aus dem Armenhaus hinaus, in dem sie schon seit zwei Jahren mit einem unheilbaren Leiden Zuflucht hatte suchen müssen, und der, die so welk und bleich im Sarge lag, sah es wohl keiner mehr an, dass sie auch einst jung und schön gewesen war, und der Liebe Lust und Leid getragen hatte...

Die Kuni aber gieng in den Dienst! Eine gewisse Härte und Schroffheit hatte das junge Ding von der Mutter angezogen, die jeden Tag benutzte, um es vor der Tücke und Falschheit der Männer zu warnen, und die wohl hundertmal gesagt hatte:

„Hüt' Dich, Dirndl, hüt' Dich! Bist jung und sauba, und dös is a Unglück für so a armes, verlassenes Madl, wie Du aus bist!" — Sie kam in den Pfarrhof, wo die alte Haushälterin ein strenges Regiment führte und keinem von allen Burschen und Männern die ihr nachstellten, gelang es, mit „der hantigen Wildkatz'", wie sie sie nachher nannten, anzubandeln; die arme Kuni war just so stolz, als sie schön war und sie verstand, sich zu halten!

Saß doch hinter der weißen Stirn auch ein gut Theil kalt rechnender Verstand, der es gleich begriff, wie trostlos so eine Liebschaft sich anlasten würde zwischen dem armen Mädel und irgend einem armen Jäger oder Holzknechtburschen...

„I hab' halt ka Herz," hatte sie oft lachend gesagt... bis einer kam — wo sie halt doch weich wurde! Das war der Roitham Franzl, der einzige, reiche Bauerssohn im Ort, zu dessen Vaters Anwesen alle die fetten, schönen Almen bis hoch zur Simonyhütte hinauf gehörten...

Hübsch war der auch — und ein braver Bursch, und eh' die Kuni sein Schatz wurde, hatte er ihr hoch und heilig die Eh' versprochen! Nun sie sich im Geist schon als Roitham-Bäuerin auf dem schönen Hof sitzen sah — nun sagte sie's längst nicht mehr, dass sie „halt kein Herz habe" ...und wie er so lieb und gut und treuherzig war gegen sie, da glaubte sie 's zuletzt selber, dass sie ihn gern habe, wahr und wahrhaftig und auch richtig gern.

Ein halbes Jahr war so ins Land gegangen, da kam die Zeit, dass der Franzl einrücken musste, um dem Kaiser seine drei Jahre abzudienen! D'rum waren sie damals in der Mondnacht droben beim Wegkreuz gestanden, und wie der Bursch in seinem Schmerz so ganz erstarrt schien, da war auch die Kuni in bitteres Weinen ausgebrochen, wenn sie daran dachte, wie er jetzt drei ganze, lange Jahre fern von ihr bleiben müsse und was sich halt alles begeben könne in der langen Zeit....

Dann war er endlich fortgcwandert — mit ihrem letzten Kuss auf den Lippen und mit dem Glauben an ihre Lieb' und Treu' im Herzen...

Sie aber war noch lang unter dem Kreuz gestanden, die Hände und Arme frierend vor dem kalten Wind unter der Schürze versteckend, und mitten durch das Staunen und Rascheln des dürren Laubes am Boden klang ihr sein Abschiedswort durch den Sinn:

„Um Allerseelen über drei Jahre bin ich wieder z'ruck mit Gottes Hilf' — und dann mach' i's richtig mit mein Vatern — und du wirst mei' Weib!"

Wenn sie damals geahnt hätte, wie es kommen würde „um Allerseelen drei Jahre darauf"? Wär' sie dann treu geblieben — hätt' der böse Geist keine Gewalt bekommen über sie? — Aber damals, als sie sich endlich heimzu wandte — damals hatte ihr nichts noch geahnt.

Der Winter war vergangen und in den Bergen droben fieng auf einsamen Almwiesen der blaugesternte Frühlings-Enzian zu blühen an:

Die Kuni wusste nichts vom Franzl, seit er fort ­ gezogen war, nur einmal hatte ihr ein Knecht vom Roithamerhof heimlich verrathen, das Regiment, bei dem der Bauerssohn diene, sei kürzlich bis an die entfernteste südliche Grenze Österreichs commandiert worden — — sonst hatte sie nichts von ihm gehört...

An einem Samstag abend im späten Frühjahr war die Kuni einmal von der Grottneralm, die zum Pfarrhof gehörte, nachhause gekommen mit glühenden Wangen und seltsam verstörten Augen... Den anderen Mägden, die sie fragten, was ihr denn passiert sei, gab sie keine Antwort — und schloss sich in ihr Kämmerlein ein — ja, und da drinnen war sie vor dem holzgeschnitzten Christus, der an der Wand hieng, auf die Knie gefallen und hatte beten wollen, und doch nicht können, denn wie ein Mühlrad gieng's ihr ihm Kopf herum...



Droben im Wald war ihr einer begegnet, ein schon in Jahren stehender, aber noch immer stattlicher Mann — und kein geringerer, als der alte Roithambauer selber... Vor vierzehn Tagen hatte er sie zum erstenmal auf dem schmalen Wiesensteig getroffen, der zur Grottenalm führte, und wohin Kuni der erkrankten Sennerin verschiedene Lebensmittel trug... Er hatte mit ihr ein Gespräch angefangen — sie zurück begleitet, bis zum Waldesrand — und seitdem fast jeden Abend, dass die Kuni hinaufgieng, waren sie zusammengekommen...

Sie hatte es wohl gemerkt, dass sie dem Bauer gefallen hatte, und wie sie ja stets hoch hinaus den Sinn trug, hatte er ihr geschmeichelt...

Er war ein Mann gegen fünfzig — noch immer stattlich, rüstig, ja fast jünger aussehend, als er war — und er war der reichste Mann im Ort...

Er wusste nichts von ihrem Verhältnis zu seinem Sohne — sie aber spekulierte mit echter Bauernschlauheit sofort daraus, sich dem Vater geneigt zu machen, um später leichteren Kaufes als Schwiegertochter aufgenommen zu werden. — Da war auf einmal ein jäher Strich gezogen worden, durch ihre feine Rechnung...


Und wie sie in ihrem Kämmerlein am Boden kniete, und die Hände presste gegen das Herz, das ihr wild und heiß schlug, wie noch nie — da sah sie ihn wieder vor sich stehen, den Roithambauern, und sah sein Auge mit seltsam begehrlichem Glanz ihr Gesicht suchen, und hörte ihn wieder und immer wieder sagen:

„Du g'fallst mir halt, Kuni, i kann nix dafür, und so alt und z'wieder mag i do no net sein, dass a sauber's, jung's Diandl mi net nehma thät', wann i's fragat, ob's mei Weib, ob's die Roithambäuerin werden wollt'!" „Aber, Bauer!" hatte sie nachher mit halberstickter Stimme hervorgestoßen, „Bauer, Ihr denkt's ja net, wia arm als i bin, und dass i destentwegen scho net passen möcht für Euch, und Ihr denkt's ja net an Euern Sohn — an den Franzl — ob's dem auch recht sein that'?"

Da hatte er aufgelacht: „Arm — dass D' arm bist, Diandl. dös is ka Schand' net — und der Roithamer braucht net z' fragen danach, wann ane ihm g'fallt, denn er hat selber Geld und Grund gnua! Mei selig's Weib is todt, scho über sieben Jahr, und der Franzl, der Bua, der hat no nia nix dreinreden derfen in mein Willen, denn Herr im Haus bin i — und i thua was ma g'fallt — aber er is ja a weit g'nua weg jetzt, und bis dass seine drei Jahrln aus sein, bist längst scho mei Weib — und er kann mix mehr ändern an der Sach' und muss' nehmen wia's is!"

So hatte der Bauer gesprochen, und das zitternde Mädchen, dem es wie Feuer..brannte in Hirn und Herzen, war dann endlich nachhause geeilt, mit dem Versprechen, sie wolle ihm heute über drei Tage die Antwort sagen auf seine Werbung...

Da kniete sie nun im Zimmer, und es sauste und brauste ihr vor den Ohren... Da lag es vor ihr — Stolz, Ansehen, Glück und Reichthum — alles, wonach sie ja gestrebt und getrachtet-, sie brauchte nur die Hand auszustrecken und es gehörte alles ihr, aber dazwischen lag auch ein gebrochenes Wort, gebrochene Lieb' und Treue, und mahnend wie ein Gespenst stand das Wort vor ihrem Geiste:

„Um Allerseelen über drei Jahr', wenn i wiederum kommi'!"

Aber kommt er auch wieder? Drei Jahre sind lang, und vieles kann sich unterdessen ereignen, und wenn er kommt, wird er auch noch so denken, wie zur Zeit, als er Abschied nahm — wird er sie noch zum Weibe begehren? Kann man's denn wissen? Drei Jahre sind gar lang... und die Kuni stöhnte dumpf auf in ihrer Qual.

Dann gieng wieder eine Spanne Zeit dahin und vom Hallstätter Kirchthurme läuteten es die Glocken hinaus über den in der mittäglichen Sommerhitze dahinbrütenden See, dass die schöne Aufhauter Kuni des Roithambauern Bäuerin geworden war. Im Dorfe steckten sie die Köpfe zusammen und munkelten — gewiss wusste niemand etwas, denn nur ganz heimlich war die Liebschaft gewesen, zwischen dem Franzl und der Kuni — aber sie redeten wenigstens darüber, wie der reiche Bauer so ein armes Mädel nahm, wenn's auch die Schönste war im Gau — und dann, als der Zug aus der Kirche kam, waren sie alle verstummt.

Der Bauer hatte das massige Haupt mit dem schon in's Graue spielenden Haare gar hoch getragen und stolz auf das junge Weib geschaut, das in der schwarzen Flechtenkrone so seltsam blass und bleich aussah, trotzdem auch in ihren Augen ein Ausdruck tief befriedigten Stolzes geleuchtet hatte...

Wohl war es ihr vorgeschwebt, als sie am Altare gestanden, wie damals der Franzl zum letztenmal so heiß ihre Lippen geküsst und sie gebeten hatte: „Bleib' mir treu!", wohl war's ihr in's Ohr geklungen, das Wort: „Um Allerseelen über drei Jahr', wann i wiederkomm'" und dennoch hatte sie mit fester Stimme, laut und deutlich ihr „Ja" gesprochen — und nun sie an ihres Mannes seite zur Kirche hinausschritt und die Glocken über den See klangen, nun gieng all' das mahnende Gewissen unter, in dem überflutenden stolzen Bewusssein, dass sie, das arme, vaterlose Geschöpf, nun doch geworden war, was keiner je geglaubt und geahnt hatte: die reiche, angesehene Roithambäuerin von Hallstatt.

Dass sie ein böses Gewissen und ein gar bange klopfendes Herz im Innern trug — das wusste auch keiner — nicht einmal ihr Mann...

Und über drei Jahre, da kam's denn, was sie so lang' gefürchtet hatte, da stand es dann greifbar deutlich vor ihr, was es heißt, ein Leben zu gründen auf einem Treubruch...

Am Allerseelentage, so gegen Abend war's gewesen, der Bauer war just vom Friedhofe heimgekehrt, da traf er den so lange ferngewesenen Sohn im Hofe.

Die blaue Montur hatte er schon mit dem Civil vertauscht gehabt, nur die Mililärmütze trug er noch auf dem kurzgeschnittenen Haar, und gar braun und fremd schien sein Gesicht geworden. Die junge Bäuerin, drinnen in der Stube, hatte ihn kommen sehen und ein „Jesus Maria!" war ihr halberstickt über die Lippen geglitten, als sie die Hand auf das auf einmal in Todesangst klopfende Herz presste.

„Du wirst halt manches verändert finden," hatte sie draußen am Vorplatz den Alten sagen hören — „ob's Dir g'rad recht sein wird, kann i net sagen, aber hoffen thua i's indessen! — Dass D' es halt glei weißt: G'heirat' hab' i wieder, Franzl, vor zwa und an halben Jahr, und mei Wunsch is,' dass Du Di guat stellst zu Deiner Muatter..."

Dann war es still geworden — der Heim gekehrte hatte nichts geantwortet, nur sein Herz hatte gepocht und geklopft wie ein Schmiedehammer — da hob der Alte nochmals an:

„Gott g'seg'n halt Dein Eingang, Bua, und i hoff', die Mutter wird net z'klagen hab'n über den Sohn." — Dann war die Thüre aufgegangen und Beide hereingetreten.


... Fünfunddreißig Jahre sind eine lange Zeit, aber sie war nicht lange genug, um die Roithambäuerin den Schrei vergessen zu lassen, mit dem damals der junge Bauer auf sie zugestürzt war, die leichenblass und bebend am Tischeck lehnte: „Kuni, mein Dirndl, Du bist mei Muatta wor'n?"

Und wie sie den Schrei nicht vergessen konnte, so vergaß sie auch nicht, wie er sich auf den Vater geworfen und ihn bei den Schultern gepackt hatte: „Und Du, Du, hast mir's g'stohl'n, mei Liabst's was i g'habt hab — derweil i furt war, hast Du mir's abspenstig g'macht, hast mir g'nommen, was mein hat g'hört — Du, der Vater, Du hast dem Sohn sein Dirndl g'freit?!"

Da war der Alte furchtbar aufgefahren und schier grausig war er anzusehen gewesen in seiner Wuth: „Dein Schatz war's — Dein Diandl? Ja, Höll und Teufel, hab' i dös g'wusst? Hat sie mir's leicht g'sagt? Die mag Dir's ernst g'mant hab'n mit ihrer Treu, wenn's mir so schnell hat Ja g'sagt und hat net a Wörtel erwähnt von Dir! Halt ja, Bäuerin wer'n, dös war net so ohne, gelt ja Kuni, so red' doch, was stehst denn da, wia a hölzernes Bild? “ Aber sie war dem eisernen Griff seiner Fäuste entschlüpft, zu Tod geängstigt von all dem, was über sie hereinbrach, war sie hinausgestürmt über den Hof, in die dunkelnde Nacht hinein, ziellos, planlos, dem See entgegen. Und hinter ihr waren die beiden Männer gefolgt, der Junge wie toll in seiner Raserei, taub für die Worte des Alten, nur immerfort wiederholend: „Du hast mir's g'stohlen. Du haft mir's g'nommen, mei Dirndl, mei anzige Freud!"

Am Wcgkrcuz, hart am See, hatten sie einander dann wieder erreicht, und zitternd und bebend war das junge Weib vor dem Gatten in die Knie gestürzt, dieselben wie hilfeflehend fest umfassend: „Du musst mir net zürnen, i kann nix dafür, i hob ihm die Treu ja broch'n z'weg'n Deiner, jetzt schütz mi vor sein Zorn!" Und der alte, in ihre junge Schönheit noch immer verliebte Mann, hatte den Arm um sie gelegt, bereit, ihr aufzuhelfen, ihr zu verzeihen... da war bei diesem Anblick die Wuth des Verrathenen zur hellen Raserei gestiegen: „Na, na, du sollst es net haben, in des Teufels Namen, mein g'hört's ja, und bist a Du mein Vater, sie soll net mei Mutter sein, nia net, so lang' i leb'! — Lass' los, last' los!" und mit verzweifelter Wuth drang er auf den Alten ein, um ihm das geängstigte Weib aus den Armen zu reißen. Der wehrte ihn ab, so gut es gieng: „Zurück, Franzl, oder i vergiss was i thua," hatte er einmal gekeucht und der Andere in sinnloser Leidenschaft erwidert: „Last' aus, oder ­es reut uns alle zwa!" und hatte den Vater knapp an das Ufer gedrängt.

Die Kuni war zu Boden gesunken, vor ihren Augen sah sie im sterbenden Dämmerlicht nur zwei keuchende, ringende Gestalten, dann brach ein markerschütternder Schrei von ihren Lippen, ein aufrauschendes, dumpfes Plätschern folgte ihm, und der Platz, wo die Beiden gerungen halten, war leer gewesen... Die paar Leute aber, die durch das Lärmen und Schreien erschreckt, auch nachgelaufen waren, stürmten umsonst mit dem Entsetzungsruf: Jesus, Maria, er hat den Vater in See 'nunterg'stoßen!" die Böschung hinab... Es war zu spät!

Der Franzl halte den verhängnisvollen Stoß geführt, aber stürzend hatte der Alte ihn mitgerissen in fürchterlicher Umklammerung. Ein Rauschen und Gurgeln im Wasser — dann war es still! Bis sie mit den Zillen und Fackeln hinausruderten, war längst nichts mehr von den Beiden zu sehen! Der Hallstätter See ist schwarz und tief, und gibt seine Todten nur selten zurück . . .

So hatte jener Allerseelentag geendet vor fünfunddreißig Jahren. Ein kurzes, düsteres Nachspiel nur war ihm gefolgt...

Die Leiche des Sohnes trieb drei Tage später am Ufer an, blutig, zerkratzt und zerschunden, die Kleider zerfetzt und zerrissen: „Den hot selbst der See nicht derleiden kinna," sagten die Leute, als sie die Leiche bargen... „wo a Vatermörder liegt, is Grund und Boden verflucht und ohne Segen!" Und im Winkel zwischen Kirche und Friedhofswand betteten sie ihn ohne Sarg und Glockenklang in die Erde... Die Brennessel sind später über sein Grab gewachsen und es blieb unberührt, die Stelle nahm keinen andern auf, seit er sie entweihte... Den Leichnam des alten Bauern fand man nicht, er blieb verschwunden, ihn hat der See behalten! Die Kuni aber ist nimmer zurück auf den Roithauerhof! Wohin sie geflüchtet ist, hat man damals nicht erfahren, der Hof ist an entfernte Anverwandte gekommen, die ihn schlecht bewirtschaftet haben, und zuletzt ist er auf der Gant versteigert worden... Es war kein Segen mehr darauf, seit Treubruch'und Mord unter seinem Dach geweilt hatten. Aber Jahr um Jahr zu Allerseelen fanden sie am andern Morgen einen Edelweißkranz und ein verkohltes Lichtstümpfchen in dem Winkel, wo der Franz begraben lag, und wenn auch die Kuni nicht mehr im Orte weilte, die Leute dachten doch, wer das gebracht haben konnte, und redeten nicht darüber! Sie mochte im Elend herumirren, wer fragte danach? War sie doch Schuld gewesen in ihrem hoffärtigen Stolz und ihrer Treulosigkeit, dass wegen ihr ein Mensch die Hand erhoben hatte in sinnloser Leidenschaft gegen einen anderen Menschen, noch dazu gegen den eigenen Vater...

Vom See heraus kreisen die Nebel und kalt weht's von den Bergen herab... Die alten, welken Lippen, die seit fünfunddreißig Jahren in heißer Reue die Bitte um Verzeihung gestammelt haben, vor einem verwilderten Fleck Erde — sind still geworden, sie murmeln nicht mehr... Das Licht ist längst verbrannt und zu Ende, aber die müde, gebrochene Gestalt hockt noch im Winkel, ohne sich zu regen. Sie schleicht nicht scheu und furchtsam im Dunkel davon, wie sie sonst wohl gethan, sie kauert an die Wand gelehnt, und der Wind zerrt und reißt an ihrem Tuch, ohne dass sie es achtet...

Am andern Morgen fand der Todtengräber wie alljährlich den Krauz im Winkel, aber daneben hockte eine alte, gebeugte Gestalt und rührte sich nicht — — — das war die Kuni, die nach jahrelanger Reue und Buße, zur selben Zeit gestorben war, wie einstens der Franz und ihr Mann — — — um Allerseelen.

Man hat ihr ein Plätzchen eingeräumt, nicht weit von dem, den sie einst betrogen und der um ihre Schuld zum Mörder wurde — — — ein armes, altes, heimatloses Weib, dessen Geschichte klingt, wie das Commentar zu des Dichters ewigem Wort:

„Denn alle Schuld rächt sich auf Erden“.



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