Salzkammergut 1950
- Gerhard Zauner

- 30. März 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Juli 2024
von Günther Nenning
ANNO
Österreichische Nationalbibliothek.

URLAUBSFEUILLETON:
Salzkammergut 1950
Der Übergang aus der sommerfrischlerischen Solidität der Steiermark in den „Goldenen Westen“ von Oberösterreich und Salzburg ist ein allmählicher.
Vollzieht man ihn über den Dachstein, auf dessen Gipfel die drei Bundesländer und zwei „Urlaubsreiche" zusammenstoßen, so ist es überdies einer von ganz besonderer Art.
Ein allmählicher, denn kommt man drüben hinunter nach Hallstatt, so gibt es dort zwar schon Tanzcafés, aber man tanzt noch in Nagelschuhen.
(Menschenfreunde ziehen sie unter dem Tisch vorher aus.)
Ein ganz besonderer, denn wenn könnte die dann entlang der Linie Goisern-—Ischl—Attersee—St. Wolfgang-—Salzburg sich steigernde Eleganz und Internationalität noch imponieren nach der Majestät eines der schönsten Dreitausender unserer Alpen.
Die Ramsau ist voll von Sommerfrischlern von der Gattung‚ die sie seit je hatte.
Jeder Autobus vom Bahnhof Schladming bringt neue Ladungen herauf. Doch in dieser auf seltsame Weise ins Gebirge verschlagenen weiten Ebene, übersät mit Pensionen, Alpenblick und Edelweiß, verlieren sich dann die lodenbemantelten, rucksack- und spazierstockbewehrten Familien.
Der Eindruck echter Ländlichkeit bleibt erhalten. Unten in Schladming gibt es viele italienische Sommergäste. Auf dem winzigen „Hauptplatz“ von Ramsau drängt sich eine erstaunliche Zahl von Autobussen. Aber Autos mit ausländischen Kennzeichen erregen immer noch Aufsehen und Pensionspreise sind immer noch vielfach unter der 20-Schilling-Marke. Vor kaum mehr als zehn Jahren bestand die Speisekarte einer Hütte aus Tee und Erbswurstsuppe. Heute gibt es auf der Dachsteinsüdwandhütte eine Speisekarte, die hinter der keines Gasthofs im Tal zurücksteht. Sie zieht auch Ramsauer Sommerfrisch‘ler an und herauf‚ deren bergsteigerischer Ehrgeiz allein vielleicht nicht ausreichend wäre.
Dennoch herrscht ein Rest „zünftiger“ Atmosphäre.
Unter dem Geläute der als weiße Flecken erkennbaren Kühe unten auf der Brandlalm geht die Sonme unter.
Im Süden löscht ein rotbrennender Gipfel nach dem andern aus, zuletzt der Glockner.
Das Fernrohr vor der Hütte ist aber auf die Südwand gerichtet, die bereits in tiefem Schatten liegt und in Steinwurfweite respekteinflößend senkrecht aufsteigt.
Die Leute rund um das Fernrohr reden von Kaminen und Verschneidungen.
Um halb 4 Uhr früh steckt der erste seinen Kopf durch das kleine Fenster des Schlafraumes und sagt auf die Frage nach dem Wetter: „Bärig!“
Die untere Welt schläft unter einer dicken Decke von Wattewolken.
Hier oben aber gibt es Sterne und erste Helle im Osten.
Wie man höherkommt, zündet die Sonne einen nach dem anderen von den Gipfeln an, die sie gestern auslöschte‚ den Glockner als ersten.
Auf dem Gletscher oben ist Sonnenschein auf dunkelblauem Himmel Orangenschalen und leere Gletschercremedosen sind gerade noch selten genug, um sie ignorieren zu können.
Auf dem Gipfel sind fünfzig Leute, davon vierzig Amerikaner in Lederhosen, Trachtenhüten und jodelnd.
Über den Gletscher hinunter zur Simonyhütte rutschen die Männer auf den Füßen, die Frauen auf breiterer Grundlage.
Dann kommen die weitenbläulichglitzernden Spalten und die Leute werden schweigsamer. Dann kommen die knieschnackerlbereitenden Steine des Weges nach Hallstatt.
Aber schon kann man ab Wiesberghütte seinen Rucksack per Seilbahn befördern.
Schon kommt einem die Straße entgegen, die bis zur Simonyhütte gehen soll und aus ihr ein Grand Hotel Simony mit Gletscherbar und Fünfuhrtee machen wird.
Auf der Hauptstraße Hallstatts entlang des Sees gehen oder hatschen dann die Leute, die vom Dachstein kommen, und halten nach den "Zimmer-frei“-Tafeln Ausschau‚ die auf den alten dunkelbraunen Holzhäuschen hängen. Auf den Bänken entlang des Sees sitzen diejenigen‚ die schon Zimmer haben, mit einem Gemisch aus Mitgefühl und Schadenfreude.
Am Hotel „Grüner Baum“ auf dem Hauptplatz von Hallstatt hängen die Flaggen von einem Dutzend Nationen.
Hauptsächlich sind Schweden‚ Engländer‚ Amerikaner, Franzosen da.
Die Österreicher sind gerade noch in der Mehrheit.
Pensionspreise rund um 25 Schilling. Am Abend im Mondschein am See kämpfen die prachtvollen Silhouetten der Kirchen und Häuser und zwei Waldhornbläser in einem Boot weit draußen mit wechselndem Erfolg gegen ein Grammophon im Strandcafé. Weder Hallstatt, noch Goisern und lschl, noch Atter- und Mondsee haben die perfekte „Fremdenverkehrsatmosphäre“, obwohl es überall viele Ausländer gibt. In lschl fördert ein Besuch in der Konditorei Zauner sogar die lehrreiche Tatsache zutage, daß hier in einem weltbekannten Kurort und einem altberühmten -— und altberühmt soliden —- Lokal die Preise zum Teil sogar niedriger sind als in Graz.
Erst in St Wolfgang ist sie da, die perfekte „Fremdenverkehrsatmosphäre“.
Erst hier sind die Österreicher in hoffnungsloser Minderzahl.
Soweit sie da sind, kommen sie zumeist gerade für ein, zwei Tage, um sich die Sache anzusehen.
Erst hier verstopfen die großen amerikanischen Wagen die engen romantischen Gassen, in denen jedes Haus frisch verputzt und bemalt ist und die Geschäfte bis spätabends offenhalten.
Erst hier kostet ein einfaches, sauberes, aber komfortloses und ungemütliches Zimmer S 33-— die Nacht.
Auf dem Hauptplatz von St. Wolfgang zwängen sich 14 Autos oder genau soviel als irgend Platz haben.
Eines davon hat österreichisches Wiener Kennzeichen.
Am stärksten vertreten sind die Schweizer Sommergäste, dann Amerikaner und Engländer, Italiener und Franzosen.
Auch deutsche Autokennzeichen sind häufig und vor dem "Weißen Rössel“ landen gerade zwei große Autobusse aus München und einer aus dem Rheiniand. Man steht im Dunkeln Vor den Küchenfenstern des „Weißen Rössels“ und hört, wie über dem Getöse mit Töpfen und Tellern eine endlosen Liste von guten Sachen die Bestellungen der Kellner weitergibt.
Weil man sich am goldbetreßten Portier in „österreichischer“ Kleidung nicht vonbeitraut, stiehlt man sich am scheinwerferbeleuchteten Weißen Rössel über dem Haupteingang vorbei und von der Seeseite her auf die große Terrasse.
Man zahlt schon für die Suppe 1.50 Schilling und für ein Gulasch 8 Schilling. In Salzburg ist. dann der Gipfel erreicht. Ein einfaches Zimmer kostet 50 Schilling die Nacht, ein gutes Hotelzimmer 200 Schilling. Eine Festspielkarte, die dem Agioteur im Einkauf 20 Schilling kostete —- bllligste Sitzkategorie! —— bezahlt man beim Hotelportier mit 200 bis 300 Schilling.
Man liegt in einem Boot am Wolfgangsee und nimmt die Symphonie dieses einzigartigen Erdenfleckes in sich auf. Die Lauheit des Wassers und die Mittagssonne über den Felsgipfeln. Über den ineinandergeschachtelten alten Häusern die noblen Umrisse der Kirche‚ in der man den prachtvollen Schnitzaltar weiß. Das Besteckeklappern von der Terrasse des „Weißen Rössels“, das ellenlange Pfeifen der Schafbergbahn, das Tap-tap der Tennisbälle von den Plätzen am Strand, die chromglänzenden Schnauzen der Autos, die ins türkisblaue Wasser starren.
Die Sirene der Weißen Motorboote, die Lautlosigkeit der Weißen Segelboote‚ das lustige Schaufeln des alten Raddampfers und seiner modernen Konkurrenz, der "schwimmenden lnseln“, stundenweise mietbare Mischungen aus Fahrrad, Raddampfer und Strecksessel...
Und man denkt, ob das Salzkammergut nicht auch deswegen rot wurde weil seinen Menschen jeden Sommer erneut der Gedanke aufgezwungen wird, daß es doch nicht allein der Geldsack sein sollte, der den vollen Zugang zu alledem eröffnet.
Günther Nenning.



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