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In der Obertraun


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In der Obertraun.

Aus den kleinen, in unserem herrlichen, vielbesuchten und berühmten Salzkammergute gelegenen, beinahe vergessenen Dorfe dieses Namens habe ich heuer recht liebe Erinnerungen in die Stadt mit heimgetragen.

Dr. Pommer und ich hatten wieder einmal so recht Gelegenheit, ­unser Jodeln — „Ludeln" sagt man in der Obertraun — mit dem bodenständigen Singen der Eingeborenen zu vergleichen und uns zu überzeugen, dass wir von der volksechten Sangweise, noch nicht abgewichen sind.

Der dort gesprochene Dialekt heimelte mich, besonders an, wie die ganze treuherzige und biedere Art der Leute. Eine Reihe von Sprachwendungen ist mir aufgefallen und ich halte dieselben für bemerkens- und mitteilenswert.

„Übern Hoart g'ehn" heißt über den festen, traghaften Schnee gehen. So ist der Übergang ­ über den „Stein", den Dachsteinstock zwischen Obertraun und der Schladminger Ramsau, über „den Hoart" viel leichter zu machen, als zu jeder anderen Zeit, da die unübersehbare, schwer zu überschreitende Reihe von Vertiefungen, Karenfeldern usw, vom Schnee ausgefüllt bedeutend leichter passirbar wird. Auch das Holz wird übern „Hoart" nach Hause gebracht.

Eine befreundete Wöchnerin besuchen und ihr ein kleines Geschenk mitbringen heißt: „in's Weisert geh'n"; eine schöne Sitte, die in der Obertraun noch allgemein geübt wird. Nicht allzuselten kommt es vor, dass der Älpler durch Nebel und „grobes" Wetter verhindert wird, den Heimweg zu finden und unter einer Wettertanne übernachten muss, es heißt dann „er hat bei der Feicht'n-Ahndl übernacht'."

Ähnlich in Wien: „bei der grünen Bettfrau übernachten".

Beim Abstiege von, hohen Krippenstein, den ich mit meinem Hausherrn, einem Obertrauner Wirtschaftsbesitzer und Salzberg-Arbeiter, besucht hatte, schlug er eine Natter nieder. Dieselbe lag bereits regungslos, und ich wollte sie eben näher betrachten; „sie schalkt nur" meinte mein Begleiter warnend, d, h. sie verstellt sich nur, sie stellt sich nur tot, worauf er sie erst vollends tötete.

Ein Schmetterling heißt: „Fleimälter". —

Die Alpenblumen tragen ganz eigene Namen:

„Alpenrosen — Leka-Röserln;

Kohlröserln — Küabüabln;

der große blaue Enzian — Fingerhüseln;

die Alpen-Schafgarbe — Schäwä, (letztere wird besonders geschätzt).

Ein allgemein und sehr häufig gebrauchter Verwunderungs-Ausdruck ist „aus is". Das Wörtchen „ge" wird als Füllwort ungefähr so angewendet, wie das niederöstorreichische „halt".


Die Schafe, die den Sommer über auf den, „Stein" sich selbst überlassen bleiben, wie das Gemswild jeder Witterung in der Höhe ausgesetzt, und nur von Zeit zu Zeit durch Salzverabreichung an die Menschen gewöhnt werden, locken die Obertrauner mit dem lauten, weit über die Steinwüste klingenden, scharfen Ruf: „test", „test", test"—; wenn die Tiere dann oft aus großer Ferne heran gestürmt kommen, wird zärtlicher und schmeichelnd „tuka", „tuka", „tuka" gerufen, dann stürzen sie den Locker beinahe um, in ihrer Hast, zu dem in seinen Händen befindlichen .Salz oder Brot zu kommen.

Die Ramsauer, deren Schafe gleichfalls auf dem Stein weiden, oft mehr als einen Tagesmarsch von ihrem Heimatsstalle entfernt, locken mit: „hiaza", „hiaza", „hiaza" und dann „hitschala", „hitschala", „hitschala".


Keine größere Lust für die heranwachsenden Bübl'n zwischen 12— 15 Jahren als das „Schafsuachn in der Höh", eine mühselige, ja selbst nicht ungefährliche Beschäftigung, bei welcher die Buben oft nur mit einer dürren Wurst und einem Stück Brot im Rucksack am Tage 12— 15 Stunden auf härtestem Felsboden laufen müssen.

Nicht alle Schafe werden im Herbste wieder heimgebracht. Bei frühem, hohem Schnee gehen viele zu Grunde, Da stellt sich die Herde enggedrängt zusammen, Tier an Tier, den Kopf unter dem Bauch des Nebenstehenden, und läßt sich vollständig einschneien. Wird der Schnee zu hoch und dauert das schlechte Wetter an, so erstickt die ganze Herde. Die Schafe tragen an den Ohren als Hausmarken verschiedene geformte Einschnitte. Was ein richtiger Obertrauner-Bub ist, wie der Hans von unseren Hausleuten, der kennt jedes Schaf an seinem Aussehen, seiner Kopfform usw, und weiß die Hauszugehörigkeit jedes Einzelnen. Im Frühjahr werden die Schafe auf den Sarstein getrieben, dann, wenn es hei wird, von dort geholt und auf der Seite gegen den Stein zu ausgelassen, worauf sie selbst, aus eigenem Antrieb, der Höhe zustreben.

Es war bald im Orte bekannt geworden, dass Freund Pommer und ich uns sehr für Lieder und Jodler interessieren; die Leute wurden daraufhin sehr mitteilsam. Einmal, es war früh am Nachmittage, fand ich unsere Hausfrau, die Frau „Lina", im Gespräch mit einem alten, eisgrauen Manne, dem Gams-Sepp. Derselbe sagte ihr eben, dass er einen alten dreistimmigen „Ludler" wisse, den niemand mehr kenne außer ihm, und den auch keiner mehr erlernen könne. Ich verständigte sofort Dr. Pommer und bald saßen wir in meiner Wohnung bei einem Glase Stainzer „Schilcher" selbdritt beisammen.

Der Gamssepp ging bei der Mitteilung seines Jodlers ganz methodisch vor: zuerst sang er mit seiner alten, zitternden Stimme, aber sehr gut vernehmlich, die führende Stimme vor, hier die mittlere. Dr. Pommer konnte den Jodler umso leichter nachsingen, als uns ein ganz ähnlicher als „Lassinger Eisschützen-Jodler" (444 Jodler und Juchezer", Nr. 106) bekannt war. Pommer sang nun diese Stimme und unser Gast hierzu den Überschlag. Dann übernahm ich diesen Überschlag und der Gamssepp sang dazu die dritte, tiefste Stimme. Der Jodler klang gleich recht gut', Pommer hatte denselben auch baldigst zu Papier gebracht und durch wiederholtes Durchsingen genau festgestellt. Der „Dreistimmige" war in dieser Art uns ganz neu und recht originell. Geradezu köstlich, nach Dialekt und Redeweise, waren die Bemerkungen des 85 jährigen Sängers, nebenbei bemerkt, des ältesten Mannes in der Obertraun. Den mitgeteilten Jodler hat er in seiner Jugend „in" Koppenret bei d' Menscha dalost', d. h. auf dem Almboden um die Hütten auf dem Koppen von den Diandln gehört.

Dort befinden sich an 20 Almhütten. Sie stehen heute meist leer, damals muss es aber recht lustig umgegangen sein, denn dort haben sie oft „den Menschern die Kidl ausgstaubt", d. h. getanzt.

Auch im Thal herunten war die Geselligkeit recht rege, da aber das Geld „kluag" war, so kamen sie nicht im Wirtshause, sondern in den verschiedenen Bauernhäusern zusammen, und haben da „Tabak brennt und g'Iudlt".

Ist der Gedanke nicht anheimelnd, wie sie da in alter Zeit beisammen saßen, Weiblein und Männlein, ohne Alkohol, nur am Gesänge sich erfreuend?

Auch Naturbeobachtungen teilte er uns mit. Als er gehört hatte, dass ich auf dem hohen Krippenstein gewesen war, meinte er: „beim Sunnaufgang do siagt ma oben d' Sunn z'erscht groß wia a Wäg'nwand und dann wird's allweil kloaner, und am Abend beim Untergang is's umkehrt".

Als wir ihm einige Jodler vorsangen, meinte er: „Das is a schen's Gsang" und über mich: „Der Herr kann über alle hin"; bezüglich Dr. Pommers beim Jodler-Aufschreiben bemerkte er: „gschwind seid's bei da Fedan". Es lag eine ganz eigene Poesie darin, als die Zeit so um die vierziger Jahre herum durch den Mund des noch ganz lebensfrischen Greises zu uns sprach; die mit ihm verlebte Stunde war interessant und unvergesslich.

Wir hatten zweimal die Männer und Burschen der Obertraun an einem Sonntag-Abend im Wirtshaus zusammen gebracht, um von ihnen Lieder und Jodler zu hören und sie von uns Jodler und Lieder hören zu lassen. Dabei ging es recht lebhaft, lustig und urgemütlich ­zu und die Beute war eine ganz ergiebige. Die Schnadahüpfln werden von einem Einzelnen vorgesungen und darauf wird von der ganzen Gesellschaft gepascht (mit den Händen geklatscht); dabei hat jeder Einzelne seine besondere Art zu klatschen und das Ganze klappt sehr gut zusammen: scharf und gleichzeitig wird angefangen und ebenso aufgehört. Sie unterscheiden je nach dem Takte (2/4, 3/4), ein „landlerisches" und ein „steirisches" Paschen. Immer ist die ganze Runde mit voller Seele und leuchtenden Augen bei diesem „paschen".

Der Lebhafteste in der Gesellschaft ist der „Grägern-Wöß", ein junger, etwa 24 jähriger Bursch, der beste Jodler und Sänger der Obertraun, in dem jede Faser lebt, und der die Schnadahüpfln nur so ans dem Ärmel schüttelt. Auf sein Dierndl, die Nani heißt und jetzt als Sennrin hoch oben auf der Lanfried-AIm weilt, singt er folgenden Vierzeiler:

Mein Diandl hoaßt Nani, Nani, Nani, was s' ma gab, nahm i, nahm i, nahm i, Netta koan Heandreck, Den nahm i, nahm i, nahm i net.


Lied um Lied, Jodler um Jodler, ein-, zwei- und dreistimmig, erklang da, von Jung und Alt in beinahe ununterbrochener Reihenfolge. Wie sie so dasaßen, alle in der Tracht, mit dem grünen Steirerhut und dem Gamsbart drauf, gab es ein prächtiges Bild. Kein rohes Wort war zu hören, trotz der ausgelassenen Fröhlichkeit und singend wurde endlich — nicht gar zu spät — aufgebrochen, singend durch die Dorfstraße den einzelnen Gehöften zugezogen. Lange noch klang es durch den nachtstillen Kessel den schweigenden Wald und die starren Felswände hinan.

Kronfuß.


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