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Frau Phantasie





Frau Phantasie.

Von Ludmilla Nowak.

Ich wohne im vierten Stocke, Ich wohne luftig und hoch, Und wohnt' ich noch etwas höher, So säh' ich durch's Bodenloch.

Und aus des Daches Giebel, Da wär' es erst lustig und schön, Da könnt' ich weit übers Städtchen Die heimischen Berge beseh'n.

Und hätt' ich dann ein Fernrohr, Ein gutes, bei der Hand, Ich säh' die Leut' erklettern Manch steile, stolze Wand.

Das wäre gewiß ein Vergnügen, aber da zur Erreichung dessen auf dem Hausgiebel doch wenigstens so eine Art Tauben­haus errichtet werden müßte, wovon der Hausherr nichts wissen will, bleibt es für mich halt nur ein reizender Traum. Von einem Festsetzen in unserem Bodenraum will wieder meine Mutter nichts wissen, Dachkammerln gibt es in unserem Hause leider nicht; so muß ich schon wohl oder übel in meinem Vierten bleiben.

Die geehrte Leserschaft wird bereits bemerken, daß ich sehr hochmütig bin, ich will nur immer höher hinauf und sogar hinaus und absolut nicht tiefer hinabsteigen.

Da ich nun so hoch wohne und mich, wie gesagt, so ungern hinunterbegebe, habe ich wenig Bekannte und es kommt selten jemand zu mir herauf.

"Einsam sind die Höchsten ", las ich jüngst irgendwo in einem Gedicht. Ich finde diesen Satz sehr richtig und wahr. Entschieden gehöre ich doch zu den oberen Zehntausend.

Troz alledem— Eine steigt tagtäglich die vier Stiegen zu mir hinauf und sie verlangt niemals einen Gegenbesuch. Sie ist meine Freundin vom ersten Gedanken an: Frau Phantasie.

Abends nach getaner Arbeit stellt sie sich immer ein. Sie klopft nicht an, die Tür springt lautlos auf und meine Freundin wirft sich mir an den Hals und küßt mich.

Und dann breitet sie ihren Mantel aus und wir sitzen auf und wir fliegen und fliegen. Wohin wir wollen, in ferne, ferne Länder und oft nur ins nächste Haus. Am nachtschwarzen Himmel geh'n der Mond und die Sterne spazieren, aber wenn ich's will, löscht sie Frau Phantasie aus und zündet mir die Sonne an und wir haben hellen Tag. Und dann lassen wir die Menschen danach tun und wirken, wenn sie auch grad kanonenschußfest schlafen. Und wir wecken die längst Vergangenen und fernst Zukünftigen.

Und einmal hatt' ich Heimweh. „Wo willst du hin?" frug sie mich. „Heim! Heim, in meine goldene alte Hallstatt!" Und wir flogen heim durch die fliederdurchduftete, sternengesegnete, süße dunkle Frühlingsnacht.

Und als der heimatliche See zu uns heraufschimmerte, ein weites, schwarzes Seidentuch, bestickt mit tausend feinen, goldenen Perlen, den Spiegelbildern der Sterne, da bat ich: „O gib die klare Zeit der Genzianen mit all' ihrem hellgoldenen Sonnenschein!"

Und so tat Frau Phantasie.

Es war ein Sonntagmorgen. So still. Wir durchwandelten die Heimat, wir schritten schnell, aber wir sahen doch alles so genau, und an meinen Lieblingsplätzen blieben wir steh'n.

Und als ich so vom Kirchengang übern See hin Schloß Grub anschaute— da wollte ich auf einmal ganz ohne Müh' und Plage da drüben sein. Ich sagte es meiner Freundin. Natürlich standen wir gleich darauf vor Schloß Grub.

Langsam gingen wir durch die Gärten— durch den Grubwald. „Privatbesitz. Das Landen ist hier nicht gestattet", steht bei jeder Zufuhr am See, so weit der Grubwald ist und rundum verbietet ein gewaltiger, stachelbewehrter Drahtzaun jeden Eintritt— uns beanständete niemand, trotzdem wir ganz ohne Erlaubnis herinnen waren.

Blauäugig blüh'n die Genzianen— rosig schimmert die Erika im grünen Kraut. Und zwischen den Bäumen schauen die Berge her, mit leichtem blauen Duft verschleiert die strengen, goldenen Steingesichter. Und manchmal seh'n wir in den See hinunter. Da liegt der gleißende Sonnenfleck breit drinnen und wärmt das Wasser und große schlanke Fische zieh'n spielend durch die tiefgrüne Flut. Seltsam herb weht die sommerliche Vorherbst­luft. Hinter uns aber steht felsig und waldig der geheimnisvolle Grubberg.

Es dämmert in mir und plötzlich fallen mir die Sagen ein, die am Grubberg daheim sind— und ich lege meine Hand in die der Frau Phantasie und erzähl' sie ihr.

„Da vom Keller des Schloßes Grub ist einmal ein unter­irdischer Gang aufgegangen. Ein alter Mann, ich weiß nicht mehr wer, ich glaube aber der alte Kefer Bäck, den meine Mutter noch kannte, ist noch drinn gewesen. So zwanzig Stufen ist er noch hinaufgestiegen— dann war alles verschüttet. Jetzt ist der Eingang vermauert. Der unterirdische Gang hat aber einmal vor langer, langer Zeit hinaufgeführt bis auf den Grubberg. Und droben ist eine Burg gestanden; drum heißt's jetzt noch dort „in der Burgau". Man hat vor Zeiten noch die Mauerreste geseh'n — aber unlängst waren ein paar junge Burschen droben, die haben nichts mehr gefunden. Waldkraut hat's wohl ganz übersponnen. Einmal hat auch einer ein Hufeisen droben gefunden, ein richtiges— ist aber schon recht lang her. Auch ein ganz ebener Fleck soll droben sein, ein ganzes Stück lang, wie der Rest von einer Straße. Und weißt du, warum die Burg so ganz verfallen ist? Da war ein schreckbar jähzorniger Bugherr, der hat sich einmal über sein Kind geärgert und hat's genommen bei den zarten Füßen und hat's um die Burgmauer geschlagen, daß die Steine blutig waren und das Kindlein tot war.

Darum mußt' sein Geschlecht zu Grunde gehn' und die Burg zerbröckeln. Das Blut des armen, unschuldigen Kindes starrte aber noch immer von den Trümmern— kein Regen, kein thauender Schnee vermocht' es wegzuwaschen. In der Gruft der Hallstätter Pfarrkirche ruht ein Ritter von Eiselsberg, für den jetzt noch immer Messen gelesen werden. Und als Kinder erzählten wir uns immer mit Grausen und doch so gern, einmal hätten sie seinen Sarg aufgetan. Da sei der alte Ritter noch drin gelegen, so wie er hineingelegt worden war, aber wie sie ihn berührt hätten, wär' er ganz in Staub zerfallen. Und das sei der letzte des Geschlechtes von der Burg am Grubberg gewesen. Das ist die Burgmär.— Eine alte Frau aber hat mir das letzte Mal, als ich da war, noch merkwürdigeres berichtet. Wir haben uns als Kinder immer erzählt, es wär' einmal eine Stadt statt dem See gestanden. Von ihr erfuhr ich aber jetzt erst: vom Grubberg bis zum Salzberg und in die Hirschau wäre alles gleich hoch und eben gewesen und drei Städte wären drauf­ gestanden, eine beim Grubberg, eine beim Salzberg und eine in der Hirschau. Sie sagte, wie wären sonst die vielen alten Kelten­gräber da auf den Salzberg hinaufgekommen?

Sag einmal— das ist doch ganz unmöglich und einmal zu „enterisch".---

Da lächelte Frau Phantasie gar schalkhaft und sagte nichts. Aber sie nahm mich fest bei der Hand. Und— plötzlich standen wir in einer sonderbaren Stadt. Klein. Sonderbare Häuser, dichtgedrängt. Seltsame Menschen, bewehrt mit jenen merkwürdigen Waffen, die man aus dem Keltengräberfeld des Salzbergs scharrt. Und hinter der Stadt war gleich der Plassen. Frau Phantasie führte mich weiter. Da gab's noch eine Stadt, hinter der der Rauchkogl aufstieg, und noch eine am Sarstein, alle bewohnt von jenem seltsamen Volk.

Und dann ein plötzliches, wütendes Getöse— ein Schrei— ein Brüllen. Die Wasser brachen los, die Wasser!

Ich verbarg schauernd mein Gesicht in dem faltenreichen, losen Gewand der Frau Phantasie, und trotzdem drückte sich all' das Wimmern, all' das Krachen in meine Ohren. Endlich Stille, Grabesstille

Ich wagte aufzuseh'n.— Vor uns lag der See, noch leicht wallend,— die kahlen, zerrissenen Wände der Hirschau, des Salzbergs und des Grubbergs schauten uns an und über allem lagerte— Grabesstille.

Frau Phantasie strich mir über die Augen. Im nächsten Augenblick standen wir vor einem sogenannten „Stöckl", einem alleinstehenden, festen, stattlichen einstöckigen Haus mit steilgiebeligem Dach. Traumhaft ging es mir durch den Sinn, daß das jetzige Schloß Grub zu meiner Mutter Jugendzeit auch noch ein solches „Stöckl" gewesen sei. Wir gingen in das Haus. Durch das Vorhaus direkt in den Keller, dessen Tür offen stand. Mir war sehr unheimlich zu Mute. Alles war so still, und diese Stille schrie mir so zu, daß alles, was ich sah, so vergangen, verschollen, gewesen war.



Ein schlechtes Lämplein brannte im Keller. Ein Knecht in alter Kleidung saß davor auf einem Faß und starrte sinnend in das Flämmchen. Ihm gegenüber war eine kleine starke Eichentür. Die öffnete Frau Phantasie.

Eine Reihe Stufen sah ich in ungewissem Schein vor mir. Meine Freundin fing an aufzusteigen und zog mich nach; ich folgte willig und neugierig.

Immer ging's steil aufwärts im Dunkel an der Hand der Frau Phantasie. Endlich schimmerte uns der weiße Stern des Tageslichtes entgegen. Er wurde größer und größer, endlich zu einem Stück blauen Himmels und wir stiegen aus der Finsternis. Wir traten in den Hof einer kleinen, aber festen, steinernen Burg.

Es war Abend, über allem lag schon Schatten, nur der Himmel war noch sonnig. An der Mauer spielte ein holdes, goldlockiges Büblein mit lauter blauen Genzianen, indem es die Blumenkelche wie Fingerhüte an die rosigen Fingerlein steckte.

Ein Mann nahte sich, finster, verdrossen und man sah ihm an, daß er nie ein anderes Gesicht machen konnte. Mir schauerte. Sollte ich hier die Greueltat mit anseh'n? Nein!— Schon stand der Unhold bei dem Kinde.


„Bring' mich fort", flehte ich meine Freundin an. „Ich möcht' wieder in mein kleines Zimmer in der Stadt zurück." Frau Phantasie nickte und breitete schnell ihren Mantel aus und eilends flogen wir von dannen.

Gott Lob, der finst're Mann stand noch friedlich bei dem Bübchen, und das lächelte noch, als es meinen letzten Blick nach ihnen hinzog!

Wir schwebten über die nächtlichen Gipfelwälder der heimischen Berge dahin. Ein schläfriger Wind schlich unter uns. Und in den Ästen der stolzen Tannen, der biegsamen Lärchen und der stämmigen Zirben flüsterte und seufzte es, erst ganz leise, dann stärker, heftiger, dann wieder leis ersterbend, wie der letzte, klanglose Widerhall von den Akkorden einer längstverschollenen Weise. „Ist es wahr, was ich geseh'n?" frug ich bang Frau Phantasie.

„Liebes Kind", sagte sie ruhig, „das Werd ich dir nicht sagen, denn wo man auf die Wahrheit kommt, ist es immer mit meiner besten Freude vorbei."——— Einsam sitz ich in meinem Kämmerlein, grübelnd in dem Grubbergrätsel, weit von Ort und Stelle weg. Merkwürdig, daß ich nie hinaufkam auf den sagenvollen Berg, als ich noch daheim war.—

Draußen rauscht der Sommerregen durch die Nacht. Und ich gedenke jener Frühlingsnacht, wo ich zur Zeit der Genzianen mit Frau Phantasie den Grubberg bestieg und so Wundersames schaute. Was war da Wahres daran?

Keine Sage ist aus nichts entstanden. Eine Burg in solcher Höhe, was den Verkehr so erschwerte, wär' von den alten Herr­schaften eigentlich ein Unsinn gewesen, den sie meiner Meinung nach nicht begangen hätten. Sollte vielleicht hinter allem ein waldverborgener heidnischer Opferplatz stecken, dem dann, als die alten Götter in Verruf kamen, so eine üble Sage angedichtet wurde? Und die noch ältere Mär von den drei Städten?

„Uns ist in alten maeren Wunders viel gefeit— —".

Jawohl!— Nüchtern betrachtet könnte mir das alles gleichgültig sein, denn was geht's mich an? Meine Stammburg war die auf dem Grubberg ja nicht.— Aber— ich sinne doch gern in den alten, geheimnisvollen, schauerigen Heimatsagen.

Manchmal denke ich mir: „Fahr' heim auf ein paar Tag' und schau hinauf auf den alten Grubberg."— Aber warum die mir so lästige Eisenbahnfahrerei— wenn ich so mit Frau Phantasie schon droben war!?


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