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Die „Teufelspratzen" am Kirchengang in Hallstatt.



Die „Teufelspratzen" am Kirchengang in Hallstatt.

von Milli Nowak.

Am Kirchengang vor der katholischen Pfarrkirche zu Hallstatt in Oberösterreich steht eine ganze Gesellschaft meiner Kindheitserinnerungen. Ja, der Kirchengang!

Was für ein Kreuz müssen sie gehabt haben die armen Hallstätter vor Jahrhunderten mit ihrem Kirchenbau! Es ist ihnen wohl die Kirche auf dem Felsvorsprung etwas zu lang geworden, und herum wollten sie halt doch können, also bauten sie den Weg vor der Ostseite der Kirche etwas überhängend, schoben da in die breite Mauer, die den ganzen Felsvorsprung begrenzt, eine leichtere, schmälere, aber etwas höhere ein und so hatten sie den Kirchengang. Die Fenster unserer Kinderstube waren im Markt unter ihm in seiner nächsten Nachbarschaft.

Wie unheimlich war es da bei der Nacht. Da saßen die Eulen vom Kirchenberg droben und schrien; und der schauerliche Gedanke an die „Teufelspratzen"!

Und dann kam der alte Totengräber und Nachtwächter und sang das Stundenlied ­auf die Markthäuser herab und zum Schluß schrie er mit dumpfer Stimme:

„Gelobt sei Jesu Christ! Hat neunö g'schlag'n!"

Diese letzten Worte stieß er immer so vom Kirchengang hinunter.

Zur schönen Zeit und an schönen Tagen aber war der alte Kirchengang gar anziehend. Da gingen die kecksten Buben auf ihm, das heißt sie balancierten auf seiner Mauer und wir Dirndln schauten bewundernd zu und machten diese Übung auf der breiten Friedhofsumrandung. ­ Da hatte man immer so ein kühnes, freies Gefühl. ­ Und bei der kleinen Ölbergkapelle, die sich rücklings an die Mauer lehnt, da wuchs aus einem Spalt zwischen den Quadern auf der Außenseite ein wilder Rosenstrauch.

Er wuchs gerade auf. Ein paar Zweige warf er über die Mauer auf ein Grabkreuz hin, wir aber griffen am liebsten in den Hauptteil seiner grünen Pracht, den er über den Abgrund weit in die Luft hinaus hängen ließ, und brachen daraus die blaßroten, wilden Röslein.

Tief und steil fällt's ab gegen den Weg hinunter — wir aber „trauten" uns! Mein Gott, wir haben halt einfach nicht darangedacht, wie leicht wir auch von der breiteren Mauer fallen und tot am Weg unten zu Füßen der Felsen liegen konnten. Wenn einen von daheim jemand solche Balancier- kunst, besonders auf der Gangmauer üben sah, gab's natürlich immer was — aber man tat's „deswegen" doch immer wieder. Es war so schön! Und wir lachten und schrien lustig über die Gräber unserer Vorfahren hin und haben doch keinen Totenschlaf damit gestört.

Auf der Ostmauer der Hallstätter Kirche, auf derselben, die mit der erhöhten Umfassungsmauer den Kirchengang bildet, befindet sich ein riesiges Bild des heiligen Christoph, wie er das göttliche Kind durchs Wasser trägt. Das Gemälde ist erfrischend in seiner Naivität.

Geradezu erstaunlich sind die Waden des heiligen, aber noch merkwürdiger und höchst sehenswert ist das Getier auf dem Bilde. Da schwimmt einmal ein großer Fisch im Wasser herum mit einem Menschenantlitz, in dessen Mitte eine regelrechte Schnapsnase prangt. Eine vorsündflutlichgroße Schnecke ist da, mit einem Bart, einem Bocksbart.

­Weiters zieht noch ein Geschöpf die Aufmerksamkeit des Beschauers auf sich, es hockt da droben, braun— gerupft! Ist's ein Brathändl oder ist's keines? Sollte der Maler vielleicht doch ein Schalk gewesen sein?

Etwas vor diesem Bild war auf dem Deckstein der alten Gangmauer ein eigentümlicher Eindruck, so wie von einer Tatze, und dieses seltsame Zeichen wurde allgemein die „Teufelspratzen" genannt. Die ist aber folgendermaßen entstanden. An einem Nachmittag im Winter haben einmal zwölf junge Burschen Eis geschossen. Es hat sie so gefreut und sie haben immer weiter gespielt, mit recht einem Eifer. So ist's Abend und dämmrig geworden. Der Meßner hat „Gebet geläutet" — aber die zwölf Burschen haben es überhört vor lauter Eisschießen, haben die Hüt' und Hauben nicht abgetan, nicht gebetet, nicht einmal einen guten Gedanken gefaßt. Endlich, wie's schon finster ist, so daß sie das „Mäuserl' nimmer sehen, haben sie doch mit dem Spiel aufgehört. Über den Kirchengang wollten sie heimgehen und — da sehen sie auf einmal, wie sie durch den Friedhof gehen, daß sie ja ihrer dreizehn sind! Sie haben in der Dämmerung das Gesicht des Dreizehnten nicht mehr recht gesehen und derweil sie noch so schauen und fragen, wer er, der ihnen keine Antwort gibt, denn wär'— kommen sie auf den Kirchengang. Und da, grad ein bischen vor dem Bild vom heiligen Christoph, der das Christkindl auf der Schulter hat, und hinter dem in der Kirche drinn im Altar das Allerheiligste ausbewahrt ist, macht der Dreizehnte einen Satz auf die Mauer und hinunter in die Tiefe, wo er verschwunden ist. Die Zwölfe haben sich bekreuzt und sind ernst und zitternd weitergegangen. Jetzt erst ist's ihnen eingefallen, daß das Gebetläuten ja schon lang vorbei sein hat müssen — und daß sie es überhört haben — und einer hat's leis dem andern gesagt, er wüßt' jetzt schon, warum sie's überhört hätten. Am andern Tag aber war grad an der Stelle, wo der hinunter gesprungen ist, die Spur von einer Tatze, die „Teufelspratzen". Der Teufel war's gewesen, der vor dem hochgeweihten Ort nicht vorbei hat können. Das liebe Tageslicht brennt abergläubische Furcht im Kinderherzen leicht nieder und meine Kinderhände haben oftmals keck auf die „Teufelspratzen" geschlagen.

Jetzt kann ich das nicht mehr, denn die Zeit hat auch die Spur des Teufels verwischt. Die Mauern, die Friedhof und Kirche umfangen, wurden altersschwach. Und vor einigen Jahren drohte alles eines schönen Tages in den Markt hinunter zu kommen. Man mußte kräftig stärken und stützen mit frischen Steinen, Eisen und Zement. Die ganze Mauer wurde überzementiert und durchwegs höher und oben schmäler gemacht, damit sich die schlimmen Kinder nicht mehr so auf sie hinauftrauen. Die „Teufelspratzen" wurde bei dieser Arbeit nicht geschont. Sie liegt unterm Zement begraben. Auch der Rosenstrauch bei der Ölbergkapelle ist nimmer. Aber St. Christophorus watet noch immer unverzagt durchs Wasser, auf der Schulter das Jesulein und zu Füßen das rare Getier — nur tät' er bitten um milde Spenden zu etwas Renovierung!

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