Die Schiffer-Dirne vom Hallstätter See
- Gerhard Zauner

- 14. Juni 2020
- 9 Min. Lesezeit
Von Dr. Emmer.
"Grüaß Gott, Liesel!" Aus zehn Kehlen kam der jubelnde Gruß, zehn Hände streckten sich der braunen Dirne entgegen und in jeder Hand war ein halbgefülltes Glas. Die Liesel nahm lachend das Glas eines Alten und trank ihm zu. "Geh her, Liesel, trink!" rief es von allen Seiten. "Kann's ja schier nöt d'ermachen," gab sie zur Antwort. "Laßt's mein' Buab'n für mi' trinken!"
Sie schob einen weißblonden, halb tölpischen, halb schelmischen Jungen vor. Es war ihr Bruder, kaum 10 Jahre alt, aber kräftig genug, um schon das Ruder zu führen. Der zögerte nicht, dieses Amt eines Stellvertreters zu übernehmen. "Der Sepp is a do? Griaß Gott," sagte die Liesel zu einem Burschen, der in der Ecke saß. Vor sich hatte er eine Zither; er verwandte keinen Blick von ihr. Er allein hatte nicht aufgeschaut, als die Dirne in die dämmrige Stube getreten war, er allein hatte ihr sein Glas, und es war bis zum Rande voll, nicht angeboten. War er so stolz auf sein frisches Milchgesicht und sein blondes, spitzgedrehtes Schnurrbärtchen. Auf den Gruß der Dirne nickte er ein wenig, und auch das sah man nur an der Bewegung der Roblerfeder auf dem Hute.
"Gelt Sepp, du spieltst uns an lustig'n Landler auf" fuhr die Liesel fort. "I mog nöt." "Z'wegn was hast denn die Zithern mitbracht, Du narrischer Bua?" "Z'wegn Dir nöt!"
Die Leute sahen die Beiden verwundert an; der unfreundliche Trotz des Burschen, der neckende Übermuth der Dirne mußten besondere Gründe haben. "Mit Enk ist nöt richtig," meinte der Alte "mir scheint, der Sepp hätt' die Liesel gern zum Schatz hab'n mögen und dös Dirndl hat eahm brav ausg'lacht."
Die Burschen lachten. Der Sepp wurde ein wenig roth und es klang bitterer Ärger aus seiner Antwort: "D'Liesel mei' Schatz? Eh dös g'schicht, müßt do a - " No, no," fiel der Alte ein. "Thu' nöt so schiach. Wärst doch froh um d'Liesel." "Aber i möcht koan traurigen Buab'n," sagte die Dirne. "Mei Schatz muaß a lustig's Gschau hab'n, nöt so z'wider wie der da. Sepp! Wann'st mi amol woanen siehst, dann kaunst bei mir anfragen."
Der Bursch stand auf. "'s gilt," sagte er ruhig und...ging.
Als er draussen war, hörte er, wie Einer in die Saiten der Zither griff, wie die Liesel mit ihrer hellen Stimme ein lustiges Trinklied anstimmte, wie dann die Andern den Jodler mitsangen und mit den Nagelschuhen den Takt dazu stampften.
Gleichmüthig stieg er den Pfad zur Soolenleitung empor, die am Abhange hoch über der dunkelblauen Seefluth hinführt, und wanderte gemächlich hinüber ins Gosauthal.
Als es Abend geworden war, sah man ihn wieder zurückkehren. Wie ein schwarzer Spiegel dehnte sich die Wasserfläche, in der Ferne wälzten sich weißliche Nebel darüber hin; kleine flammende Lichter schienen aus der Tiefe emporzusteigen, es war der Widerschein der Lichter in den Häusern Hallstatts. Über den Schroffen des Hierlats stand der Mond, halbverschleiert von ziehenden Frühlingswolken; murrend schlug das Wasser an die steilen Ufer, wie schwermüthige Klage der Wassergeister, in welche sich das helle Rauschen des niederstürzenden Mühlbaches wie eine übermüthige Antiphonie mischte.
Das weiße Hemd des Burschen war zerrissen, und über die Stirne zog sich eine rote Schramme. In Steeg hatte ein rothhaariger, schielender Bursche Jemanden ein hoffärtige Betteldirne genannt und der Sepp hatte dies nicht leiden wollen.
Die blutige Schramme auf der Stirne war die Unterschrift des Protokolles, welche über den Meinungsstreit aufgenommen worden war.
Unten auf dem See glitt ein Kahn dahin. Der Nachtwind trug die Töne eines Liedes bis zu den Burschen, der stehen blieb, um zu lauschen.
Bin nöt trauri, bin lustig
Uns Schatz brauch i koan
Denn die Buab'n san mir z'deppert
Daß i woanat um Oan.
"Dös Sacra-Diandl!" murmelte der Sepp. Im nächsten Augenblicke schallte es über den See:
Zum Berg braucht ma Stoana
Zum Wald 's Traunaholz
Um oan Buabn bet's Dirndl,
Ist's a' netta so stolz.
Er horchte. Kein Ton drang mehr herauf aus der Tiefe, nur der See murmelte und der Waldbach plätscherte.
Die lustige Liesel war heimgefahren. Ihre Hütte stand drüben am Fuße des Grubberges, der sich dem Amphietheater Hallstatts gegenüber in den See vorstreckt. Dort hauste sie mit ihrer alten Mutter und dem Bruder; der Vater war schon seit langem todt, bein Holzfällen hatte ihn ein umstürzender Baum die Brust zerschmettert. Das alte Häuschen und ein neuer Kahn war Alles, was er seiner Familie hinterlassen hatte. Ein geringes Erbtheil, aber die kräftigen Arme der Liesel verstanden mit dem ererbten Pfunde zu wuchern.
Es war ein prachtiges Mädel, die Liesel. Ob sie schön war? Nun, ein Gerard Dow, ein Mieris oder sonst ein lustiger Niederländer, die hätten mit ihr vorerst ein Tänzchen gemacht und sie dann porträtiert. Volles, kräftiges Leben spricht aus dem Antlitze der Liesel; die reine ursprüngliche Natur mit ihrer gesunden Sinnlichkeit und unzerstörbaren Widerstandskraft ist er in ihren Wesen ausgeprägt. Bräunlich roth, wie die Felszinnen des Dachsteines ist die Farbe der Wangen, in den braunen Augen wetterleuchtet's. Die Liesel ist nunmehr reich genug, um einen schönen, grünen, faltigen Rock, eine blendend weiße Schürze, ein buntes, großblumiges Busentuch und ein schweres seidenes Kopftuch zu tragen. Eine zehnfache Perlenschnur mit reichverzierter Silberschließe schmiegt sich um ihren Hals, ein unförmiger Strohhut, formverwandt mit den Südwestern des nordischen Strandes, schützt die Augen. Frische Lebensfreude ist der Schatz der Liesel. Sie verlangt nichts von der Welt, als die Freiheit lustig zu sein; sie heischt nicht einmal Liebe.
Und doch hat sie schon einen "Schatz" gehabt, einen schneidigen Burschen, den besten Tänzer Hallstatts. Dieser hatte sie eine Zeit lang in die Kirche und auf den Tanzplatz geführt, hatte ihr auf dem Jahrmarkte ein Tuch und einen Lebkuchen gekauft und sie schmückte seinen Hut mit einem "Buschen."
Aber als sie eines Abends von Hallstatt nach Hause fuhr, hörte sie ihren Namen mit angsterfüllter Stimme rufen. Sie kannte diese Stimme; der Ruf kam von einer Stelle her, wo der Sarstein mit schroffen Wänden zum See abstürzt. Sie lenkte den Kahn dorthin, und als sie nahe genug dem Ufer war, sah sie ihren "Schatz" unter einem Baume kauern; Gesicht und Hände waren blutig geschunden und die Kleidung zerrissen. Ohne ein Wort zu sprechen, sprang er in den Kahn und griff nach dem Ruder. Die Büchse in seiner Hand erklärte Alles. Er hatte dort oben gewildert. Die Jäger hatten seine Spur gefunden und es war ihm nichts übrig geblieben, als über die schroffe Wand zu flüchten.
"Hab'n die Jager Dich erkennt?" hatte die Liesel gefragt. Der Bursche hatte bejaht. "Nun, dann schau', daß du heut' noch über die Zwiefel 'nüberkommst. Pfirt Gott." Das war der Abschied gewesen. Der Bursche kam nicht wieder. Seitdem hatte die Liesel keinen Schatz mehr.
Da kam der Frohnleichnamstag.
Viele Freunde waren erschienen, um das Schauspiel der Prozession auf dem See zu sehen. Voran schwamm eine kleine Flottille, dann kam das große weihrauchumhüllte Schiff, auf welchem unter dem Baldachin "Himmel" die Priester sich befanden, dem folgten die beflaggten und bekränzten Nachen; vom Rudolfsthume herab knallten die Böller, die Kirchenglocken erklangen und die Gemeinde sang dazu.
Die Liesel führte einen fremden Herrn, der "die Geschichte mitmachen" wollte. Es war ein schöner stattlicher Mann, von gewaltigem Körperbau und doch dabei elegant ebenmäßig. Der Liesel gefiel sein natürliches Wesen, er gerieth weder vor Entzücken außer sich, noch spottete er über das Schauspiel. Er sprach mit ihr weder in hochmüthigen Tone, noch mit zudringlicher Vertraulichkeit, sondern einfach, wie mit seines Gleichen. Das kam so selten vor, daß sie unwillkürlich sich für den Fremden interessirte. Auch er schien Gefallen an ihr zu finden, denn er plauderte mehr mit ihr, als er den Vorgängen auf dem See Aufmerksamkeit schenkte.
Als die Prozession zu Ende war, kehte auch er zurück nach Hallstatt, bestellte aber die Liesel für den Abend zu einer Spazierfahrt. Auch den nächsten und den dritten Tag ließ er sich von der Liesel Stunden lang auf dem See herumführen. Darauf blieb er einige Tage aus, kam aber wieder und dann waren er und die Liesel fast den ganzen Tag über draußen auf dem See. Das ging so Wochen fort; wurde das Wetter schlecht, reiste der Herr ab; war es wieder schön geworden, fand er sich ein.
Das war aber nicht unbemerkt geblieben, und die Leute in Hallstatt begannen zu flüstern und zu zischeln. Der Liesel sagte noch Niemand ein scheeles Wort. In einer langen Sommernacht aber stand der fremde Herr vor dem Häuschen unter dem Grubberge und das Kammerfenster war offen. Die Liesel sah herab und er redete zu ihr hinauf, was er sprach hat außer ihr kein Mensch gehört.
Da ließ sich plötzlich aus dem Walde her eine Stimme hören:
Wo hast' den Dei' Kranzl?
I schau hinten, schau vorn!
"Mei' Fenster is offen g'wesn
Und da hab' i's verlorn."
Dann war es wieder ruhig. Jetzt aber bog sich die Liesel weit über das Fenster vor und sang zurück:
Mei' Kranzl, das hat mir
No koaner ab'than,
Und wann mei Fenster off'n is,
Geht's di doch nix an.
Dann schlug sie das Fenster zu und ließ den Fremden stehen.
Am nächsten Tage saß die Liesel auf der Lände.
Der Sepp trat zu ihr. "Griaß Gott." "Griaß Gott a!"
"Du Liesel, schau mal dorthin." "Was hat's denn zu schau'n."
Sie sah nach dem Wege, der längs des Ufers hinführte. Dort ging ein Mann, ihm zur Seite eine kleine, blasse Frau, vor ihm lief ein Mädchen mit goldblondem Lockenhaar und blauen Augen. "Kennst ihn? Dös is' sein Frau; sie is in Aussee drüben und nimmt die Bäder, weil's krank is. Und das kleine Dirndl is sein Kind. I hab' Dir's nur sagen woll'n, daß Dich zu richten weißt." Die Leute kamen vorbei, der Herr grüßte; aber etwas seltsam Scheues und Verlegenes lag in der Art des Grußes. "Wer ist dieses Mädchen?" hörte Liesel die blasse Frau sagen. "Ah, eine Schifferdirne, welche mich öfter auf den See hinausruderte;" gab der Mann zur Antwort.
Die Liesel sah ihnen nach; die Linke stützte sich auf die Hüfte, in der Rechten hielt sie das Ruder: so stand sie da, aufrecht wie eine Wettertanne und finster wie diese. Aber nur wenig Augenblicke lag es wie Schatten auf ihrem Gesichte, lachend wandte sie sich, um und sang den Sepp nach:
Mei' kohlschwarzer Kater
Hätt a Zeiserl gern mögn,
Dös hat aber d'Falschheit
An den Krallen dersegn.

Der Sepp schüttelte den Kopf und ging weiter.
"Mama! Schiffchen fahren! Bitte, bitte, Mama!" Die kleine bleiche Frau mit dem blonden Mädchen steht vor der Liesel.
"Fahren Sie uns ein wenig spazieren," sagt die Frau zu dieser.
"Ich glaube, Sie sind ja dasselbe Mädchen, das mir heute Vormittags mein Mann zeigte?" Die Liesel nickt nur, ruft den Hans, der faul im Schatten liegt; hebt dann vorsichtig das Mädchen in den Kahn und hilft der Frau einsteigen. Es ist drücken schwül; sogar dort, wo die Berge ihren Schatten auf den ruhigen Seespiegel werfen. Das kleine, blonde Mädchen ist glücklich, es taucht die Händchen in die laue Fluth und lacht, wenn das Ruder des Hans ihm die Tropfen in das fröhliche Gesicht spritzt. "Mein Mann sagte mir, Sie sängen so hübsch; möchten Sie uns nicht ein Lied singen?" bemerkt die Frau. "Bitte, bitte, singen!" ruft die Kleine.
Die Liesel singt: das Mädchen verwendet kein Auge von ihr und lauscht. Mit einem hellen Jodler endet die Liesel. "O, das ist hübsch! Noch singen, bitte schön, noch singen!" ruft die Kleine. "Wer könnte diesen kindlichen Bitten widerstehen? Die Liesel singt und jodelt und vergisst dabei Alles um sich her und sich selbst.
Nur der Hans schaut von Zeit zu Zeit auf und macht ein bedenkliches Gesicht. Endlich sagt er zur Schwester: "Liesel, i moan es kimmt a Wetter." Die Dirne sieht zum Himmel auf und wird blaß. Das dunkle blau ist verschwunden; über den Hierlats und den Plassenstein wälzen sich schwere, dunkle Wolken, die glatte Fläche kräuselt sich, und jetzt hört man schon hoch oben ein unheimliches Pfeifen. Und der Kahn befindet sich in der Mitte des Sees! "Droht Gefahr?" fragt jetzt auch besorgt die Frau. "Mit Gottes Hilf', werd' ich's noch ermachen, daß wir vor'm Sturm heimkommen." Die Liesel glaubt es selbst nicht, aber sie wagt noch zu hoffen. aber so sehr sie auch sich an das Ruder stemmt, der Kahn gleitet nur langsam vorwärts, es ist als ob das Wasser sich in zähes geschmolzenes Blei verwandelt hätte, welches nun an Ruder und Kiel klebt. Oben auf den Bergen rollt es, fahles Licht zuckt dann und wann über das schwarzgraue Firmament. Es ist ein Wettrennen zwischen dem Schifflein und der Wetterwolke. Schon kann man die Leute auf dem Ufer erkennen, noch zehn, noch fünf Minuten und der Kahn ist geborgen. Doch diese fünf Minuten gönnt der Sturm nicht, der nun von den Bergwänden herunterstürzt, aus den Schluchten hervorbraust, auf das Wasser drückt und preßt, daß es schäumend aufsteigt. Der Hans jammert und fängt zu beten an, er läßt das Ruder fahren, welches die Wellen spielend hin und herschleudern.
Die Liesel bewegt die Lippen nicht; aber noch ist kein heißeres Flehen aus ihrem Herzen zum Himmel emporgedrungen als diesmal. Die Leute auf em Ufer laufen zusammen und schreien. Da stößt ein Kahn vom Lande. Die Wogen werfen ihn zehnmal ans Ufer zurück, endlich trägt ihn eine hinaus. Nur ein einziger Mann steht in dem Kahne, aber er lenkt ihn gewandt durch den Tumult. Bange Minuten vergehen, bis die beiden Nachen sich einander nähern; schon glaubt man, daß sie zusammenstoßen müssen, da trennt sie der Srurm wieder. Endlich kreuzen sich die Schnäbel, der Mann faßt den Nachenrand und schwingt sich hinüber zur Liesel. Eine Viertelstunde später fährt der Kahn an dem Ufer auf und bohrt sich in die aufgeweichte Erde. Die blasse Frau ist ohnmächtig geworden und das Kind zittert vor Angst. Die Leute heben Mutter und Kind aus dem Kahn. Auch die Liesel steigt aus, sie sieht, wie der fremde Herr das Mädchen aufhebt und küßt; wie der Sepp neben ihr das Wasser von seinem Hut schüttelt. Tief athmet sie auf, dann setzt sie sich auf einem Baumstrunk, verhüllt das Gesicht mit ihrer Schürze und schluchzt. Niemand kümmert sich um sie, niemand sieht es! Doch nein, Einer hat es gesehen, und dem war es eben recht.
Als der Herbst ins Land zieht, die Ahornbäume und Buchen sich gelb und roth färben und auf den Schroffen oben hier und da schon weiße Schneeflecken glitzern, da gibt es in Hallstatt eine lustige Hochzeit. Als die Brautleute abends heimfahren, und die Musikanten im anderen Schiffe blasen, daß es nur hallt, jauchzt der Sepp, daß man in ganz Hallstatt es hört. Dann wendet er sich zu seinem jungen Weib. "Warum bist denn du so stad! Hast's Singen verlernt?" "O, Du mei' Sepp! Jetzt bist ja Du lustig, da braucht's mei Singen nöt mehr."



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