Der Waldmensch
- Gerhard Zauner

- 4. Juni 2021
- 20 Min. Lesezeit

Roman aus dem Salzkammergute.
Von Adolf Schirmer.
ZweiterBand.
1873.
ErstesKapitel.
Bei der Gosau-Mühle.
Der Morgen war wunderbar schön. Kein Lüftchen regte sich, die Sonne warf ihre goldigsten Strahlen auf die steil und kühn den Hallstädter See umragenden Felswände und hauchte liebliche Schlaglichter auf das Dunkelgrün der Nadelholzforste hin.
Hoch am tiefblauen Aether schwebten regungslos, in phantastischer Gestaltung, hier und da zarte Federwölkchen, gleichden steinernen, waldbewachsenen Bergriesen sich in der krystallhellen Fluth abspiegelnd. Der oft so stürmischbewegte See lag glatt und eben, vom Sonnenglanze verklärt da; seine ruhige, glitzernde Oberfläche ließ nicht ahnen, wie gewaltige Wogen er emporzuschleudern vermag, wenn die Windsbraut darüber hinsaust, die Strömungen der Luft sich an den Buchten und Vorgebirgen brechen oder ein Wetter sich über den Höhen zusammenzieht und mit wilder Machtentladet, falbe Blitze das düstere Fluthgetümmel noch unheimlicher erscheinen lassen und die schroffen Felswände rings im Echo das Rollen des Donners mit verstärktem Krachen zurückwerfen.
Der Hallstädter See, der meistens einen melancholischen, den Beschauer ernst und wehmüthig stimmenden Charakter hat, denn der Winter dauert hier länger als sonstwo im Gebirge, und trübeTage, Nebel und Regen sind in dieser, von himmelhohem Gesteinein gezwängten, Wasserschlucht häufiger als Sonnenblicke, gewährte an jenemTage, an welchem die uns wohlbekannten Ischler Sommergäste sich entschlossen hatten, seine Gestade aufzusuchen, einen zauberhaften, erhabenen, aller Beschreibung spottenden Anblick.
Etwa anderthalb Stunden vor der Zeit, zu welcher das Frohnleichnamsfest feierlich auf dem See sollte abgehalten werden, trafen die erwähnten Gäste in drei Wagen bei der am Westufer malerisch gelegenen Gosau-Mühle ein, voran eine elegante offene Kalesche der Starnheims, der zwei Ischler Lohnfuhrwerke folgten.
Ein betreßter Lakai sprang vom Kutschersitze der Kalesche und öffnete den Schlag derselben, Graf Norbert, seine Gemahlin, Leontine und eine Baronesse Hellbrunn, eine reizende, blonde kleine Dame, die nicht älter als die Comtesse war, stiegen aus.
Den beiden Lohnwagen entquollen– wenigstens kann man sich so in Bezug auf die Damen ausdrücken– die alte Gräfin Reinthal und ihre alternden Töchter, der alle zeit dienstfertige Baron Egern, der unterwegs nothgedrungen als Cavalier fungirt hatte und ihnen auch jetzt beim Aussteigen behülflich war, ferner der Rittmeister von Sternhof und der allezeit mit dem Monocle bewaffnete BaronTrost.
Die kleine Gesellschaft– Günther hatte es abgelehnt, an dem AusflugeTheil zu nehmen, und ein Kopfweh vorgeschützt– fand sich vor dem Wirthshause zusammen;
man war in vortrefflicher Laune;
die kaum zweistündige Fahrt von Ischl hierher durch das wunderbar romantische Traunthal hatte Alle in eine angenehme Stimmung versetzt, der Graf und die Gräfin Starnheim zeigten sich minder abgemessen als sonst, über die Damen Reinthal sogar war in dieser Morgenfrische und heiligen Ruhe der erhabenen Natur, die sie umgab, auch wohl in Erwartung des frommen Festes, zu dem sie ausgezogen, etwas wie Rührung und Weihe gekommen, so daß ihre gewöhnlich scharfen Zungen heute des giftigen Stachels beraubt schienen, das junge Völkchen aber gab sich, bis auf den etwas blasirten und ironischen Monoclejüngling, der sein eigenes „Ich“unter keinen Umständen zu vergessen pflegte, freudig angeregt und ungezwungen den Eindrücken hin, die es empfing.
Man hätte nicht nöthig gehabt, bis zur Gosau Mühle zu fahren, sondern an dem Norden des Sees bei Steg das zwischen dort und Hallstadt verkehrende kleine Dampfboot besteigen können, doch war man einige Tage zuvor schon übereingekommen, daß es, falls die Fluth sich nicht sonderlich bewegt zeige, weit anmuthiger sei, die kaum halbstündige Wasserfahrt im Kahne und von der genannten Mühle aus, neben welcher der Gosaubach aus dem Gebirgspasse hervor in den See schäumt, zu unternehmen.
Baron Egern hatte demgemäß auf alle Fälle am Abende vor dem Ausfluge einen Boten an den Mühlenwirth abgesendet und ein umfangreiches Fahrzeug für die Gesellschaft bestellt. Er hatte sehr wohl daran gethan, denn unsere aristokratischen Ausflügler fanden bei ihrem Eintreffen bereits eine ganz leidliche Anzahl Ischler Kurgäste vor dem Wirthshause versammelt, die sämmtlich nach Hallstadt befördert sein wollten und für welche die am Ufer vorhandenen Kähne der auf Spekulation hierher geruderten Schiffer der Umgegend kaum auszureichen schienen.
Ein buntes, unterhaltendes Durcheinander herrschte am Strande; hier erkletterten Glückliche eine eroberte Zille, dort ward noch mit den Schiffern unterhandelt ,Damen hielten in kleinen Gruppen zu einander, während ihre Herren geschäftig hin und her schossen oder den von ihnen selbst aus der Schenke herbeigeholten säuerlichen Wein– denn auf die Mägde, die vollauf zu thun hatten, ließ sich nicht warten– ihren Touristinnen credenzten, vor dem Wirthshause und in der großen Gaststube zechten Kohlenbrenner, Jäger, Waldknechte, Bergleute, Sudarbeiter, alle in ihrer Sonntagstracht, und schmucke Dirnen, stämmige Bäuerinnen und alte runzelige Weiblein, festlich herausgeputzt, den Buschen (Blumenstrauß), das Gebetbüchel und die Beten (Rosenkranz) in der Hand, die Gugl (Kopftuch) mit den breiten, herabhängenden Schleifen geschickt um das Haupt geschlungen. Die Wohlhabenderen von ihnen im mit Goldflittern verzierten Sammetspenserl, dicke Kropfperlen am Halse, standen dort im Knäuel beisammen, starrten die eleganten Toiletten der „nobligen Stadtleut'“ an, die ihnen bisweilen recht „g'spassig“ vorkommen mochten, da sich leise aus dem Knäuel ein halbunterdrücktes Kichern vernehmbar machte, wenn eine „gar curios Aufgewichste“ an den munteren Dirndln vorüberrauschte, und ließen sich von den Burschen zu trinken oder mahnten zum Aufbruch: „daß mer's nit versamt!“
Und damit in dem buntscheckigen heiteren Gewirre am Strande auch die düstere Kehrseite des Gebirgsvolkslebens nicht ganz unvertreten sei, watschelten häßliche, kropfbehaftete, in Lumpen gehüllte und unsaubere Trotteln von einer Gruppe der Ischler Gäste zur anderen, aufdringlich mit abscheulichen Grimassen, dumpfem Grunzen oder in unartikulirten, heiseren Fisteltönen ein Almosen begehrend.
Graf Norbert ließ den Blick mit einiger Unruhe über das Gewühl ringsum schweifen. Er dachte sofort an das für den Moment Wichtigste.
„Lieber Egern,“ sagte er, „ich sehe da recht viele Leute, die alle nach Hallstadt wollen. Sie wissen doch ganz bestimmt, daß der Wirth Ihren Auftrag ausgeführt hat?“
„Die Sache ist in Ordnung,“ versetzte der Baron, „Sie können sich darauf verlassen. Ich habe auch beim Seeauer in Hallstadt ein Extrazimmer bestellt, denn wir werden doch wohl dort nach Beendigung der Procession ein kleines Dejeuner einnehmen?“-
„Sehr gut!“ bemerkte die Gräfin Starnheim, indem sie durch ihre Lorgnette die Gruppe der sich um das Ufer Schaarenden musterte.
„Sie denken doch an Alles!“
„Ja, und er weiß auch Alles!“ näselte die alte Reinthal, die sich doch nicht eines kleinen Ausfalles enthalten konnte.
„Er hat uns während der Fahrt hierher die ganze Geschichte von Hallstadt aufgetischt, uns über die in den Kelten-Gräbern dieser Berge aufgefundenen Münzen und Waffen eine lange Rede gehalten, uns die Märchen von „wilden Jungfrauen“ am Waldbach Strub, den Gnomen, Venedigern und Wichtelmännchen, oder wie die Gespenster der Hallstädter Berge noch sonst heißen mögen, nicht erlassen. Nur war zu bedauern, daß wir das Alles bereits wußten!“
Der Baron lachte gutmüthig.
„Man kann so interessante Dinge nie genug hören, gnädige Frau!“ antwortete er.
„Ich wäre im Stande–“
„Bester Egern,“ unterbrach ihn der Graf, „möchten Sie nicht die Gefälligkeit haben, meinen Diener nach dem Wirthshause zu schicken, damit er unsere Ankunft melde? Ich denke, wir halten uns hier nicht länger auf, als dringend nöthigist. Auch werde ich nicht eher beruhigt sein, als bis–“
„Bitte sehr, Herr Graf, ich besorge die Sache selbst. In fünf Minuten schwimmen wir lustig auf dem See!“
„Nur nicht in demselben,“ bemerkte der Rittmeister lächelnd, indem er seinen Schnurrbart drehte, „ich bin ein schlechter Schwimmer und könnte keine der Damen retten.“
„Himmel!“ stammelten die Comtessen Adeline und Thekla.
„Wir halten uns sämmtlich an Egern,“ warf der Baron Trost hin, während er eine der schmucken Bäuerinnen an gelegentlich durch sein Augenglas betrachtete, „der kann nicht untergehen, denn sonst wäre er längst zu Grunde gegangen!“
Eger konnte diese etwas zweideutige Bemerkung nicht mit gleicher Münze zurückzahlen, da er bereits hastig der Schenke zusteuerte.
„Aber werden wir denn in einem einzigen Kahne Platz haben?“ fragte Comtesse Thekla ängstlich.
„Wir sind, glaube ich, mindestens zehn Personen–!“
„Mit den Ruderern jedenfalls zwölf!“ ergänzte ihre Mutter.
„Das wird köstlich!“ lachte die kleine blonde Hellbrunn.
„Je mehr, desto besser!“
„Egern wird das schon arrangiren!“ sagte der Graf. „Vielleicht weiß er noch einen Nachen aufzutreiben.“-
„Ah!“ ließ sich seine Gemahlin, die noch immer umher lorgnettirte, plötzlich leise vernehmen. Dieses „Ah!“ war von der Gräfin Starnheim nur gehaucht worden, dennoch hatte die alte Reinthal es vernommen, da sie dicht neben ihrer sogenannten „theuren Freundin“ stand.
„Wie sagten Sie, liebe Gräfin?“ fragte sie.
Der kleine Baron Egern stieß mit geschäftiger Miene zu seiner aristokratischen Gesellschaft. Etwa zwanzig Schritt von dieser entfernt stand der junge Mann, dessen Erscheinung der Gräfin Starnheim ein leises, unfreiwilliges „Ah!“ entlockt und der dem zufolge auch die Aufmerksamkeit der jederzeit argwöhnischen alten Reinthal erregt hatte.
Dieser Blondin, dessen Schönheit die muthmaßlich in solchen Dingen erfahrene blaublütige Mumie so sehr gerühmt hatte, war in der That unser Maler Eduard. Er befand sich nicht allein, sein Freund Max stand neben ihm. Teuffert war der Veranlasser dieses ihres Ausfluges gewesen, denn er hatte den noch immer etwas Schwermüthigen aufgestachelt und ihm gesagt:
„Man muß immer praktisch sein, selbst in der Kunst, und stets nach dem greifen, was an der Tagesordnung ist, gleichsam in der Luft liegt. Du wirst Dir also den See, Hallstadt, die Procession anschauen und dann ein Bild malen, das Aufsehen erregen muß, wenn Du Dein ganzes Talent daransetzest. Ich aber werde dieses Bild durch die Photographie vervielfältigen, und dann ist uns Beiden geholfen.“
Das hatte dem Maler eingeleuchtet, und so waren sie denn schon sehr zeitig von Ischl zu Fuß aufgebrochen, mit ihnen nicht nur der lange Rath Wurzinger, der ein besonderes Wohlgefallen an den Künstlern fand, sondern auch der kleine dicke Nasenkönig, Herr Pusemann, dem man so lange zugesetzt, bis er wohl oder übel hatte einwilligen müssen, an einer für ihn so riesigen Fußpartie theilzunehmen. Und jetzt saß der umfangreiche Privatier und Wiener Hauseigenthümer schachmatt und noch immer keuchend, wie eine in langsame Bewegung gesetzte Locomotive, bereits in dem kleinen „Seelentränker, den der praktische Mar für sich und seine Gesellschaft erbeutet hatte.
Pusemann stellte eigentlich den Hüter des Fahrzeuges vor, denn der Rath, der heute vom Kopf bis zu den Füßen in die Farbe der Unschuld gekleidet war, verweilte noch in dem Wirthshause, von jenem Weine zu kosten, der geeignet war, seinen ohnehin dürren Körper noch mehr zusammen zu ziehen, Eduard und Teuffert aber hatten sich durch den malerischen Anblick der Gruppen am Strande bewogen gefühlt, dort die Rückkunft des Langen abzuwarten.
„Wahrhaftig,“ sagte Mar, sich lächelnd an den Freund wendend, „das Schicksal scheint es zuwollen, daß Du überall Herminens Gebieterin oder richtiger Deiner Königin von gestern begegnest. Ist sie Dir nicht etwa auch die vergangene Nacht im Traume erschienen? Es sollte mich Wunder nehmen, wenn dem nicht so wäre, denn Du hast gestern Abend mehr von der Gräfin Starnheim geschwatzt, als von Deiner Freundin!“
„Nenne doch nicht den Namen so laut, die Dame könnte Dich ja hören!“ murmelte Eduard verlegen, indem er einen scheuen Blick nach der Gruppe warf, deren Mittelpunkt die erwähnte Gräfin bildete.
„Das wäre doch wohl kein Unglück für Dich, sollt' ich meinen!“ versetzte Mar belustigt.
„So stolz auch die Blaublütigen sind, verschmähen sie doch nicht die Bewunderung der gewöhnlichen Menschensorte von bürgerlicher Abkunft. Wenn sie mit einem Viergespann kutschiren, sich vor der Welt mit allem erdenklichen Luxus umgeben, Lakaien auf der Gasse hinter sich hertraben lassen, ihre Parks dem Publikum eröffnen, auf die Vorgärten ihrer Villen den reichsten Blumenflor verschwenden, warum geschiehtes im Grunde? Weil sie gerade so gut wie eitle, um jeden Preis nach dem Beifalle der Menge haschende Schauspieler um die Bewunderung und den Neid des Volkes buhlen, auf das sie wohl mit der Miene der Geringschätzung herabblicken, dessen sie aber dennoch dringend zur Folie ihrer Hochmuths-und Eitelkeitsbefriedigung bedürfen. Sie sind in diesem Punkt nicht um ein Haar anders,als die an der Börse reich gewordenen jüdischen Parvenus!“
„Ich bitte Dich, sei ruhig, Max! Hast Du mich hier her gelockt, von Dir Betrachtungen über sociale Zustände anzuhören?“
Der Photograph lachte herzlich.
„Nein, das ist wahr,“antwortete er.
„Du sollst hier Studien zu reizenden Bildern machen, und ich bin, weiß Gott, am wenigsten gesonnen, Dich daran zu verhindern. Die ganze Menschheit ist, beim Lichte besehen, nicht so viel werth, als ein einziger solcher Frühlingsmorgen im Gebirge, wieder heutige! Willst Du aber ernstlich zu Deiner nächsten Seelandschaft auch Genrestudien machen, so möchte ich Dir denn doch rathen, die Gräfin Starnheim und ihre Gesellschaft etwas weniger scharf in's Auge zu fassen und Deine Aufmerksamkeit auch jenen urwüchsigen
Gruppen zuzuwenden, die eine weit passendere Staffage für einen romantischen Gebirgssee sein dürften, als diese elegante Welt. Sieh' Dir nur die beiden prächtigen braunen Burschen an, die dort unter der Thür der Schenke neben dem wackeren Gosauer Schmied stehen, dem ich vorhin die Hand geschüttelt habe,– sie müssen Brüder sein, diese Burschen, obgleich der in der Jägerjoppe so blauschwarzes Haar hat, wie ein Zigeuner, während der Andere mit dem vielknöpfigen rothen Leibl, dem Masernkopf (Pfeife) in der Faust und dem verwegen aufgesetzten Hut, an dem er neben den Spielhahnfedern ja einen ganzen Wald von Blumen stecken hat, fast lichtblond ist. Ja, ja, Brüder sind's, ihre kühnen Züge deuten das an, und sie haben auch die gleichen dunklen Augen, den selben scharfen Blick, dasselbe fast verächtlich trotzige Aufwerfen der Oberlippe– und da komme ich auch wohl einem kleinen Romane auf die Spur, denn sieh’ nur, wie die beiden Burschen von Zeit zu Zeit verstohlen nach der blonden bildhübschen Dirne schielen, die dort etwas abseits von den übrigen Bäuerinnen steht, und wie sie dann, nach jedem solcher heimlichen Blicke, einander mißtrauisch anblinzeln, als ob Einer den Anderen überwache und Jeder fürchte, seine wohl noch sorgfältig verborgen gehaltene Leidenschaft dem Anderen zu verrathen.“
„Wahrhaftig,“ fuhr der Photograph in seiner Schilderung fort, „diese beiden wetterharten und anscheinend heißblütigen Gebirgssöhne sehen mir ganz so aus, als ob sie sich darnach sehnten, je eher desto lieber in irgend einer düsteren Schlucht der Donnerkogeln oder auf einsamem Felsplateau in ihrer Weise Schiller's „Feindliche Brüder“ in Scene zu setzen. Und jene blonde Schönheit hat in der That etwas von einer „Braut von Messina“, scheint mir, weiß Gott, eines Kampfes auf Leben und Tod werth. Schau' Dir nur das Mädchen genau an – Du wirst mir als Maler zugestehen müssen, daß in ihrer ganzen Erscheinung etwas Sinniges, ja Poetisches liegt, daß dieses feine blasse Antlitz mit den großen schwermüthigen Augen eigenthümlich– ich möchte sagen vornehmen– gegen die rosigen, vollen und meist derben Gesichter der übrigen Dirnen absticht, so daß man meinen könnte, ein zierliches Stadtdämchen habe sich in die kleidsame Tracht der Bäuerinnen des Salzkammergutes gesteckt.“
Eduard sah sich die Dirne, von welcher Max, der doch im Grunde so etwas wie ein Weiberfeind war, so ungewöhnlich lebhaft sprach, jetzt aufmerksamer an. Sie hatte in der That überraschend edle und feine Züge, es war eine Lieblichkeit und Sanftmuth darüber gehaucht, die einen wohlthuenden Eindruck machten, es lag aber auch eine Festigkeit und Ruhe darin, die auf einen selbstständigen, sicher ausgeprägten Charakter schließen ließen.
Vor Allem auffallend war an diesem Mädchen die natürliche Grazie ihrer schlanken Gestalt, eine Anmuth, deren sich die schöne, ungefähr achtzehnjährige Blondine jedenfalls ganz und gar nicht bewußt war und die sich in jeder Bewegung bemerkbar machte. Sie war nicht so stattlich herausgeputzt, wie die Mehrzahl der anderen Dirnen, von denen diese besser Gekleideten sich absichtlich fern von ihr zu halten schienen; ihr Sammetspenserl und der übrige Anzug waren bescheiden, ein wenig abgetragen, nicht ganz für einen Sonntagsstaat geeignet, aber Alles war reinlich und nett an ihr, und sie sah doch in ihrer unscheinbaren Tracht bei Weitem hübscher und anziehender aus, als alle die Anderen.
„Nun, was sagst Du?“ fragte Mar etwas Adolf Schirmer ungeduldig, denn der junge Maler schwieg ihm zulange.
„Das Mädchen ist wirklich ungewöhnlich!“ versetzte Eduard.
„Aber sie sieht etwas kummervoll aus!“
„Auf den Bergen giebt es nicht nur Alpenrosen, sondern auch Edelweiß, mein Freund!“
„Sie scheint arm zu sein, und darum wohl nehmen die anderen Dirnen kaum Notiz von ihr. Geld und Gut spielen auch im armseligsten Walddorfe eine Rolle. Das arme Ding wird darunter zu leiden haben!“
„Ja,ja, aber ich wittere noch Allerlei! Glaubst Du nicht, daß ich meinen Beruf verfehlt habe und eigentlich Romanschriftsteller hätte werden sollen? Jedenfalls hab' ich mehrTalent dazu, als Du, denn mein erfahrener Blick läßt mich Menschen und Lebensverhältnisse doch vielleicht richtiger beurtheilen. Ich denke mir nun, das Mädel dort macht sich aus ihrer Armuth nichts, und die anderen Dirnen weichen ihr auch nicht wegen dieser Armuth aus – denn Manche von ihnen wird wohl nicht mehr besitzen, als sie – aber hassen werden sie die schöne Kleine um der beiden Burschen willen, die s ich dort nebenn dem Gosau-Schmied gleichgültig zu sein, denn sie beachtet dieselben gar nicht, sondern hat ihren wehmüthigen Blick beständig auf das Ufer gerichtet, wie es scheint–“
Der junge Maler unterbrach sich und machte eine halbe Wendung nach dem Strande. Auch Mar sah sich darnach um. Und nun gewahrten sie den Gegenstand, auf dem, aller Wahrscheinlichkeit nach, das Auge des blassen Mädchens mit dem Ausdrucke einer gewissen schmerzlichen Demuth haftete.-
„Hoho,“ flüsterte Eduard dem Freunde zu, „wer kann denn Jener wohl sein?“
Auf einer kleinen Erhöhung des Ufers stand ein Mann, dessen Erscheinung sich in der That dazu eignete, Neugier zu erwecken. Sein Wuchs war mittelgroß, eher untersetzt als schlank, der ganze wohlproportionirte Körperbau deutete auf herkulische Kraft. Dieser Mann trug einen breitkrämpigen, zerknitterten Hut ohne Aufputz von Gamsbart, Federn oder Blumen, ein leichtes kurzes steirisches Schaikl (Jacket) ohne die daran üblichen grünen Aufschläge, knapp anliegende und durch einen schmalen Gürtel gehaltene lederne Kniehosen, grüne Strümpfe und derbe, eisenbeschlagene Bundschuhe. Diese Tracht, die seinen muskulösen Gliederbau und seine prallen Waden vortheilhaft sehen ließ, war ziemlich vernachlässigt und abgetragen und es war nichts sonderlich Auffallendes daran, denn sie verkündete so ziemlich den gewöhnlichen Bergsteiger. Wohl aber konnte es einigermaßen befremden, daß unter dem grauen geöffneten Jacket ein schneeweißes Hemd von feinster Leinwand hervorschaute. Mehr aber noch als dieser Umstand bildeten Haltung und Züge des Mannes einen in die Augen springenden Gegensatz zu seinem groben, bäuerischen Anzuge. Es lag ein eigenthümlicher Stolz, etwas vornehm Abweisendes in dieser Haltung und in dem wettergebräunten Antlitze, das zur Hälfte durch einen starken dunkelbraunen Vollbart versteckt wurde. Was man von den Zügen sah, war überraschend edel und schöngeformt und hatte einen stolzen, doch düsteren Ausdruck, wie die dunklen großen Augen des Mannes. Die Nase war leicht gebogen, die Stirn hoch, das lange braune Haar hing wirr um die Schläfen; um den Mund, den der Bart verdeckte, zog sich unzweifelhaft ein herber Zug von Menschenverachtung, denn diese ging deutlich aus dem ganzen Wesen des seltsamen Mannes hervor, der die Arme vor der breiten Brust gekreuzt hatte und von dem eleganten Treiben in seiner Nähe nicht die geringste Notiz nahm, sondern immer nur auf den See hinausstarrte. So seine Umgebung nicht beachtend und regungslos gleich einer Statue dastehend, bot er in seiner Erscheinung ein sonderbar Gemisch von Verwilderung und edlem Anstand, hatte dieser Mann, dessen Alter sich auf sechs- oder achtunddreißig Jahre schätzen ließ, etwas Geheimnißvolles und Imponirendes an sich, das an einem Menschen überraschen mußte, der, nach seiner Kleidung zu schließen, doch nur ein gewöhnlicher Waldhüter, ein Holzknecht oder Gebirgsbauer sein konnte, obwohl sein Costüm nicht in allen Einzelnheiten der üblichen Landestracht entsprach.
„Was Teufel,“ murmelte Mar, „das ist eineigenthümlicher Kerl! Er steht da, wie einer der kühnen Recken, die Kaulbach auf die Leinwand gezaubert hat, oder wie eine der abenteuerlich wilden Gestalten Salvator Rosa's!“
„Sieh' nur, wie Profil und Haltung sind,“ antwortete Eduard leise, „er sieht aus wie ein entthronter stolzer Fürst, und ist doch nur ein Bauer. Ich habe dergleichen nur beim italienischen Landvolke gefunden– sind denn in der Gosau solche Prachtmodelle heimisch?“
„Ich war lange nicht in jener Gegend, aber es ist ja möglich, daß die Natur sich auch dort vergriffen und einem armen Teufel das Aussehen eines Edelmannes gegeben hat! Dieser alte Bursche sieht übrigens aus, wie ein trotziger, jede Gefahr verachtender Wilderer (Wildschütz), er wird es auch wohl sein!“
„Er ist noch nicht so alt!“
„Nun ja, aber er hat sicher in seiner Art mehr durchgemacht, als wir Beide zusammengenommen! Ich wundere mich nur, daß er, wenn er wirklich ein Wilderer sein sollte, sich hierher wagen konnte,– die Jägerburschen vor der Schenke müssen ihn doch sehen!“
Der Mann, von dem die Rede war, strich jetzt mit seiner Rechten langsam über den Bart und verschränkte dann wieder die Arme. Eduard stieß den Freund an.
„Sahst Du die weiße, zierliche Hand?“ flüsterte er.
„Jener Mensch ist jedenfalls kein hart arbeitender Holzbauer!“
„Das bestätigt meine Meinung von ihm!“ entgegnete Mar.
„Aber die Wilderer haben wohl auch sonnverbrannte Hände und tragen sicher keine Handschuhe. Und fällt Dir nicht auch die feine weiße Wäsche des Mannes auf? Ein Bauer pflegt doch nicht auf dergleichen etwas zu geben. Ich werde aus Diesem da nicht recht klug!“
„Mich interessirt er, erkundige Dich doch bei dem Gosauer Schmied, den Du ja von früher her kennst–“
„Dort steigt schon der Rath einher, wir werden aufbrechen müssen. Wer weiß, von woher jener Mensch, der auch mir Interesse einflößt, in diese Berge verschlagen ist. Ein Wilderer ist er gewiß, und dann ist mir auch klar, warum die schöne blasse Dirne dort so trübe nach ihm schaut– sie liebt ihn und fürchtet für ihn. Oder sollte er ihr Vater sein? Doch so alt ist er wohl nicht– und er nimmt auch von dem Mädel so wenig Notiz, wie sie von den beiden Burschen, die ich für Brüder halte. Zerbrechen wir uns nicht den Kopf darüber–und laß Dir's genügen, Eduard, daß Du zwei famose Gestalten für Dein neues Bild hast, weder die Dirne noch jener muthmaßliche Wildschütz dürfen darauf fehlen, das sag' ich Dir! Schaue sie Dir noch einmal recht an und dann gehen wir. Wir werden doch wohl bald einen Ausflug in's Gosauthal unternehmen, dann mag der Schmied uns nähere Auskunft über sie geben und liefert sie Dir auch vielleicht als Modelle!“
Max lachte und begab sich zu dem langen Rathe, der wie ein weißes Gespenst in einiger Entfernung vorüber stelzte und seinen Gefährten zuwinkte, sich nach dem „Seelentränker“ zu verfügen.
Eduard blieb noch einige Augenblicke auf seinem Platze, abwechselnd nachdem räthselhaften Manne, dem blonden Mädchen und– eigentlich am angelegentlichsten– nach jenerAristokratengruppe blinzelnd, in deren Nähe er sich befand.-
Noch bevor der Baron Egern die vorerwähnte Magd und den Ruderknecht in der Mühle aufgetrieben, hatte sich die Comtesse Leontine ein wenig von ihrer Gesellschaft abgesondert und war zu der selben wellenförmigen Erhöhung des Gestades geschlendert, auf welcher jener Mensch stand, dessen Wesen so seltsam zu seiner groben Kleidung contrastirte. Ohne ihn zu beachten, war sie ihm bis auf wenigeSchritte nahe getreten und an der Böschung des Ufers stehen geblieben, einen Blick über den See zu werfen.
Auf diesem ist der Verkehr gewöhnlich ein sehr lebhafter, denn die Zahl der Schiffe, welche den See befahren und mit Salz, Holz und Steinen befrachtet sind, ist ziemlich ansehnlich. Diese langen Fahrzeuge, die ihren Weg durch die im Norden des Sees gelegene Klause (Wasserwehr) nehmen, von wo sie auf der Traun und über den Gmundner See hin ihre werthvolle Ladung nach der Eisenbahn befördern, waren heute nirgends auf dem tiefblauen ruhigen Wasserspiegel zu erblicken, denn jegliche Arbeit war für die Dauer diesesTages eingestellt worden. Und was von großen Salzbarken zur Verfügung war, hatte das Salinenamt heute wohl den Hallstädtern zu ihrer Procession überlassen. Statt dieser Fahrzeuge belebten größere und kleinere Boote den See, sogenannte „Traunerl“ und „Einbäuml“. Und diese Kähne, die von verschiedenen Richtungen aus über die krystallhelle Fluth hinglitten und mit sonntäglich geputzten Landleuten angefüllt waren, hatten insgesammt ein gleiches Ziel– das in romantischer Abgeschlossenheit an der steilen, südwestlichen Bergwand des Sees gelegene Hallstadt.
Von der Stelle aus, auf der Leontine stand,konnte sie das seltsame Städtchen nicht sehen, denn es liegt an der Südseite eines sich in die Fluth hinausschiebenden Vorgebirges, aber sie vernahm von dort her deutlich das Glockengeläute, das die Andächtigen von Nah und Fern zu der Feier rief, und die Klänge zitterten wundersam über den See daher und es war, als ob sie der Tiefe desselben entstiegen. Unwillkürlich mußte Leontine der reizenden Sage von der in einen See versunkenen Königsstadt gedenken, welche der einsam von seinem Nachen in die dämmerige Fluth hinabspähende Schiffer, falls er ein Sonntagskind ist, mit ihrenThürmen, Straßen, Marktplätzen und dem Treiben ihrer gespensterhaften Bevölkerung erblickt, die in alterthümlicher Tracht dort unten auf kühlem Seegrunde zum verwitterten Dome wallt, während von diesem Orgelton und Glockenklang leise, traumhaft hervordringen bis an die Oberfläche des Sees und an das Ohr des Lauschenden,der sich bekreuzigt und mit unheimlichem Bangen seinen Kahn dem Ufer wieder zulenkt.
Auch Leontine fühlte sich jetzt eigenthümlich
nach ihrer Gesellschaft zurückzukehren, und doch blieb sie wie festgebannt stehen.-
Das Profil des Mannes, der kaum drei Schritte von ihr, mit auf der Brust gekreuzten Armen und augenscheinlich Alles um sich her vergessend, über den See hin starrte, war so edel, seine Züge hatten einen so kummervollen Ausdruck, und doch lag in seiner Haltung eine so entschieden ausgesprochene Mannhaftigkeit, mit so unleugbarer Noblesse verbunden, daß Leontine über diesem Allen die grobe bäuerische Kleidung jenes Menschen vergaß und unwillkürlich ein Interesse für ihn empfand.-
Die junge Comtesse war ja noch nicht durch das egoistische Treiben der modernen Gesellschaft gegen die natürlichen Regungen eines unverdorbenen Menschenherzens abgestumpft; sie hatte soeben, im Angesichte einer großartigen, friedenvollen Natur, jenen freudigen und läuternden Empfindungen sich uneingeschränkt überlassen, die das Gemüth erheben und weit über die kleinlichen Schranken hinweg führen, denen es im gewöhnlichen Leben Rechnung tragen muß. Welch’ Wunder also, daß Leontine jetzt momentan und unwillkürlich von einem Gefühle beherrscht ward, um dessentwillen ihre Mutter, die es unbegreiflich würde gefunden haben, sie sicherlich hart getadelt hätte, wäre es zu ihrer Kenntniß gelangt.
Die Comtesse Starnheim empfand Mitleid und Theilnahme für einen ihr wildfremden Menschen, der obendrein nach seiner Kleidung zur niedrigsten Klasse der menschlichen Gesellschaft gehörte, und dies Alles, weil er geseufzt und edle Züge hatte, die auf ein höheres Seelenleben schließen ließen, als man bei den unglücklichen Parias der Welt zu finden pflegt,– die Gräfin würde sich über solche Regung entsetzt und ihrer Tochter erklärt haben:
„Man wirft dem Pöbel ein Almosen hin, aber man beachtet ihn nicht weiter!“
Doch hätte Leontine diesem Manne, der augenscheinlich seine Armuth mit solchem Stolze trug, unaufgefordert eine Gabe reichen können? Sie dachte nicht einmal daran, es kam ihr gar nicht in den Sinn, daß er um materieller Noth willen geseufzt haben könne, sie las etwas ganz Anderes aus diesen wettergebräunten, feingeschnittenen und geistvollen Zügen heraus, gleich beim ersten Anblicke derselben drängte sich ihr die Ueberzeugung auf, daß Dieser kein Bauer sei. Und was dann? Ein unverschuldet in's Elend Gestürzter, oder eine ursprünglich edle, auf Abwege gerathene Natur, jedenfalls ein Unglücklicher, der wohl bessere Tage gekannt und den seine Dürftigkeit, seine niedrige Existenz schwerlich so drücke, wie ein unendlich moralisches Weh, ein gewaltiger Seelenschmerz. Und während Leontine so dachte, nahm ihr liebliches sanftes Antlitz unwillkürlich den Ausdruck einer rührenden Theilnahme an, hefteten sich ihre schönen tiefblauen Augen mitleidig auf die verdüsterten Züge des fremden Mannes.
Dieser stand völlig in sich verloren da. Und nun lächelte er schmerzlich vor sich hin, indem seine breite Brust sich ungestüm hob und senkte. Dann ward seine Miene wieder ernst und verächtlich, sie schien der Schwäche zu spotten, die ihm einen Seufzer entlockt hatte. Im nächsten Augenblicke aber schien sich der Mann bewußt zu werden, daß ihn Jemand von nächster Nähe aus beobachte. Mit rascher Bewegung wandte er das Haupt zur Seite. Sein Blick fiel auf die vornehme junge Dame; es war der Blick eines Adlers, leuchtend, kühn, durchdringend.
Leontine ward davon bis in's Herz hinein getroffen. Sie wußte nicht, wie es kam, sie fühlte sich befangen, fühlte, wie das Blut ihr in die Wangen schoß. Die anmuthige hochgeborne Comtesse stand einen Moment, gleich einer ertappten Sünderin, verwirrt vor dem in schlechte Bauerntracht gekleideten Manne. Aber auch dieser zuckte kaum merklich zusammen und erschrak. Ohne Zweifel war ihm der theilnahmsvolle, mitleidige Ausdruck nicht entgangen, der in Blick und Zügen der jungen schönen Atistokratin noch soeben gelegen, bevor Befangenheit sich ihrer bemeisterte. Er mußte sich also sagen, daß diese Dame seinen Seufzer vernommen, die schwach verhehlte Kundgebung seines Schmerzes bemerkt habe. Eine jähe Zorneswallung schien bei dieser Wahrnehmung in ihm aufzubrausen, doch wie nun die schöne Dame, die flüchtig den Blick vor seinen glänzenden Adleraugen gesenkt hatte, wieder zu ihm aufschaute und aus dem tiefblauen Sternenpaar Leontinen sein unschuldvolles, jeder aristokratischen Herablassung fremdes Mitgefühl ihm entgegen leuchtete, da wurden die düsteren, eisernen Züge des bärtigen Mannes weicher, da schimmerte in seinen Augen etwas wie freudige Ueberraschung und wehmüthige Dankbarkeit.
Aber das Herz des Mannes mochte wohl zu lange in wildem Trotz gegen die Menschheit gegrollt haben, er mochte von Seiten der vornehmen jungen Dame irgendeine Frage oder eine mitleidige Handlung befürchten, die durch sein Aussehen, seinen Kummer gerechtfertigt schien, ihn selbst aber wohl tief gedemüthigt hätte, denn plötzlich richtete er sich stolz auf, sein Antlitz nahm einen harten, hochmüthigen Ausdruck an, sein Blick ward eisig und abweisend. Und so wandte er sich langsam ab und schritt, Hoheit in Miene und Haltung, von der Rasenerhöhung des Ufers hinweg, an den Gruppen der Ischler Gäste vorüber, die ihn so wenig beachteten, wie er sie.
Dieses ganze kleine Begegniß an der Böschung des Gestades war die Sache weniger Augenblicke gewesen und von Niemandem bemerkt worden, denn der Maler Eduard hatte sich bereits nach dem „Seelentränker“ zu seinen Gefährten begeben, und alle übrigen vornehmen und geringen Leute, welche den Strand vor der Gosau-Mühle belebten waren zu sehr mit ihrem Aufbruche nach Hallstadt beschäftigt, als daß sie sich um etwas Anderes hätten bekümmern können.
Leontine stand einen Moment betroffen da. Unwillkürlich folgte sie mit den Augen dem befremdlichen Menschen, der sich fast mit Ostentation aus ihrer Nähe entfernt hatte. Er schritt der Mühle zu. Die Landleute, welche sich nach den ihrer harrenden Zillen begaben und an ihm vorüberkamen, grüßten ihn, die Männer mit einem unverkennbaren Respect, die Mädchen und Weiber gewissermaßen scheu; er dankte stumm, nur durch ein flüchtiges Neigen des Hauptes oder eine leichte Handbewegung, wie große Herren einen Gruß ihnen nicht Ebenbürtiger zu erwidern pflegen. Niemand redete ihn an oder forderte ihn auf, die Fahrt über den See nach Hallstadt mitzumachen. Aber auch er blieb nicht stehen, ein Wort mit Diesem oder Jenem auszutauschen.
Nun mußte er an der blassen schönen Dirne vorbei, welche zuvor die Aufmerksamkeit des Photographen und seines Freundes Eduard erregt hatte. Sie stand nicht mehr so verlassen und gemieden da, eingrauhaariger, kümmerlich und dürftig aussehender Alter befand sich neben ihr und schien sie aufzufordern, ihm nach dem Ufer zu folgen. Bei diesem Paare machte der absonderliche Mensch denn doch einen Augenblick Halt, sagte der Dirne, die errötheteund die Augen niederschlug, ein paar Worte, reichte dem Greise die Hand und ging dann weiter. Er lenkte nicht nach der Mühle ein, sondern schritt seitwärts an derselben vorüber.
Der Gosau-Schmied war schon nach den Kähnen gegangen, aber die beiden stattlichen Burschen, die Mar für Brüder erklärt hatte, standen noch vor der Schenke bei einigen Jägern. Die Letzteren grüßten den Vorbeischreitenden höflich, während der blonde Bursche sich verdrießlich abwandte und der Andere mit der Jägerjuppe und dem schwarzen Haar ihm einen trotzigen, herausfordernden Blick zuwarf und ihm finster nachstarrte, bis er seitwärts von der Mühle im Gestrüpp verschwand.
Der Comtesse Leontine war der größteTheil dieser hier aufgezählten Details entgangen, aber sie hatte wohl bemerkt, welche Wirkung auf das Bauernvolk die Erscheinung jenes finsteren Mannes machte, den sie wenige Minuten zuvor neben sich mit einem augenscheinlich tiefen Schmerze hatte ringen sehen. Sie schüttelte das reizende Haupt, doch es blieb ihr keine Zeit, über den Gegenstand ihres Befremdens nachzudenken, denn schon nahten zwei ihrer Verehrer, der Rittmeister und der Monoclemann, sie davon in Kenntniß zu setzen, daß nun Alles zur Abfahrt bereit sei.
Die Gesellschaft Leontinens verfügte sich nach einem großen und breiten Fahrzeuge, das sonst als Lastschiff diente und der Gosau-Müller von Hallstadt hatte kommen lassen; es war in aller Eile mit ziemlich primitiven Sitzbrettern versehen worden und reichte gerade hin, die Starnheims und ihren Anhang aufzunehmen. Unter munterem Geplauder und Lachen bestiegen die Herrschaften das Schiff, und machten es sich, so gut es gehen wollte, darin bequem. Schon waren Alle auf ihren Sitzen,– selbst der Starnheim'sche Livréediener, der mit Plaids und Paletots bepackt war, hatte neben der Mühldirne und dem Ruderknechte seinen Platz gefunden, – als der BaronTrost plötzlich durch eine trockene Bemerkung einen Theil der Gesellschaft in Verlegenheit brachte.
„Sieh'da,“ sagte er laut, sich von seiner Bank erhebend „das ist ja ganz allerliebst– wir sind dreizehn Personen im Schiffe!“
,,Dreizehn?" fragte der Graf, von der Bemerkung sichtlich unangenehm berührt.
„Sie werden sich geirrt haben, Baron!"
,,Ich bitte nach zu zählen!" entgegnete Trost und fügte sarkastisch hinzu.
„Ich setze voraus, daß Sie jene Magd, den Knecht dort und Ihren Diener auch zu Personen rechnen."
,,Dreizehn!“ lachte die lustige kleine Baronesse Hellbrunn auf.
„Was thut das zur Sache? Ich denke, wir sind wohl aufgeklärt genug, uns nicht vor Ammenmärchen zufürchten!"
„Allerdings! " bemerkte der Rittmeister.
„Wir haben, meine Kameraden und ich, einmal kurz vor der Schlacht zu Dreizehn gespeist, und Sie sehen mich dennoch frisch und munter!"
,,Das will nichts sagen!" ließ sich die alte Gräfin Keinthal lebhaft und etwas beunruhigt vernehmen.
,,Und Ihre Kameraden?"
,,Sechs derselben wurdenTags darauf vom Feinde niedergemacht," antwortete der Rittmeister bedächtig, „doch ist es schwer zu bestimmen, ob der Dreizehnte dabei war!"
Die Gesellschaft lachte, bis auf den Grafen Starnheim und die Mumiengräfin.
"Ich bin durchaus nicht abergläubisch," sagte diese Dame, „aber was die Zahl Dreizehn anbelangt, so habe ich schon mehr als einmal den Beweis erhalten, daß sie von schlechter Vorbedeutung für mich ist.“



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