Der Fex im Steg.
- Gerhard Zauner

- 2. Feb. 2021
- 15 Min. Lesezeit
Oesterreichischer Volkskalender (Volkscalender) für das Jahr 1852
Hrsg. von Johann Nep(omuk) Vogl
Wien: Strauß's Witwe & Sommer, 1844
Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rep/109B6189
von Dr. Johann Nep. Vogl.
Wenn man von Ischl die Tour nach Hallstadt macht, so gelangt man durch das lebendige Pfarrdorf Goisern, und nachdem man hierauf die steierische Poststraße in der kleinen Ortschaft Au verlassen und den Seitenweg eingeschlagen hat, zu dem am schwarzwogigten Hallstädtersee gelegenen Stegwirthshaus, gewöhniglich: im Steg“ genannt.
Zur Zeit als diese Gegend seltener von den fashionablen Ischlergästen besucht wurde, und daher noch mehr ihren eigenthümlichen Charakter behauptete, führte mich der Zufall mit einem Freunde in dieselbe.
Ermüdet von den Fatiquen der Sommerreise, traten wir in die geräumige, Kühle bietende Schenkstube des Stegwirthshauses und bestellten frisches Bier für unsere ausgetrockneten Kehlen, während wir uns in die rohgezimmerten Lehnsessel warfen und die Stube musterten.-
Diese bildete ein längliches Gevierte mit zwei Fenstern, in welchen zwei Levkoienstöcke standen, die einen aromatischen Duft in der Stube verbreiteten, so oft ein Windhauch vom See ihre Blätter durchsäuselte. Ein schwarzberußtes Kruzifix mit einem geweihten Palmstrauch hing in der rechten Stubenecke, ihm gegenüber eine Zither und ein Vogelbauer mit einer gelbschnablichten Amsel, während den Fond des Gemaches ein Gestelle, mit Geschirren und Krügen angefüllt, einnahm.
Einige Schränke aus Eichenholz und drei bis vier derbe Bauerntische mit Stühlen umgeben, vollendeten die übrige Einrichtung.
In der Stube selbst befand sich Niemand als die Kellnerin, welche uns die Bierkrüge hinstellte, und an einem der Tische lümmelte ein ziemlich junger Bursche, der nachlässig seinen Filz rückte, als wir eintraten, und ein geleertes Branntweinglas und einen Pfeifenstummel vor sich hatte.
Der Bursche hatte hängendes blondes Haar, proportionirte Gesichtszüge und ausnehmend treuherzige blaugraue Augen. Sein Anzug bestand in der gewöhnlichen Bauerntracht, war aber bedeutend abgenützt. Da ein Anblick nichts Besonderes darbot, so vermochte er natürlich unsere Aufmerksamkeit nicht lange zu fesseln, zog dieselbe jedoch bald durch das darauf fogende Gespräch wieder auf sich.-
„Nani!“ rief er der Kellnerin.
„Nani, hört nicht?“
„Na, was gibt's denn?- schnurrte diese.
„Schenk mir noch ein Glasel Fusel ein, lallte er.
„Hast schon g'nug,“ antwortete die Kellnerin.
„Ist nicht wahr, rief der Bursche, „hab' noch lang" nicht g'nug.“
„Kurzum, du kriegst nichts mehr,“ versetzte die Kellnerin.

„Nichts, wenn man blechen kann, das will ich seh'n. Ich muß noch einen Fusel haben!“
„Und du kriegst keinen, denn du bist ohnedieß schon betrunken.“
„Was! Ich betrunken“...
„Raisonir" nicht, Hois, sonst ruf' ich den Stegwirth, du kennt ihn!“
Mit diesen Worten kehrte sie ihm den Rücken zu und wendete sich zu uns, während der Bursche den Kopf wieder schlaftrunken auf die Tischplatte sinken ließ, und einzuschlafen schien.
„Was hast du denn mit dem Burschen?“ fragte mein Reisegefährte.
„Ah," erwiederte sie, „der Mensch ist ein Fex.“
„Was?" fragten wir Beide.-
„Ein Fex. Ha ha ha, wissen Sie nicht was ein Fex ist?“
„Nicht im Mindesten."-
„Ach, das ist merkwürdig," rief das Mädchen und krümmte sich vor Lachen.
„Jetzt wissen die nicht einmal was ein Fex ist."
„Nun so belehre uns doch," nahm ich das Wort, „jeder kann nicht Alles wissen, und zumal ein Fremder."
»Ja, freilich,“ sagte sie, „aber g'spaßig bleibt es d'rum doch. Ein Fex ist– ist halt so ein– so ein Lesch."
„Was?“, riefen wir aus einem Munde. „Ein Leich? Was ist denn das wieder?-
„Ha ha ha,“ lachte Nani, „was ein Lesch ist?–
Ein Lesch ist das, was man im Salzburgischen einen Depp nennt.“
„Du lieber Himmel!" rief ich, „wir gerathen ja in ein ganzes Labyrinth von Nationalismen. Eben so gut verstehen wir was ein Fex ist, als wir begreifen, was ein Lesch oder ein Depp ist."-
„Na,“ sagte Nani, und schlug die Hände zusammen, „das ist aber doch gar zu lustig. Das weiß bei uns ein jedes kleines Kind. Ein Lesch und ein Depp ist ein schläfriger tölplichter Mensch und das ist der Fex auch. Ein Mensch, der nicht recht gescheidt und nicht ganz närrisch ist, der von den Anderen bei allen Gelegenheiten gefoppt und zum Besten gehalten wird. Ein Fex thut eine Zeit lang gut, wie dieser da, und eine Zeit lang wieder gar nicht, gerad' wie dieser da. Jetzt ist er gerad' im besten Nichtgutthun begriffen."-
„Und gibt es bei Euch viele solcher Fech– Fech“..
„Fexen,“ ergänzte sie, das glaub' ich, „Die meisten aber sind im Salzburgischen, da ist fast keine Familie, die nicht einen Fex hat. Dieser da, den Sie dort sitzen seh'n, hatte von Kindheit auf schon einen Brand, aber seit zwei Jahren ist er ein ganz ausnehmender Fex geworden.“
„Und worin besteht. Dasjenige, was ihm diese Bezeichnung zugezogen?“
„Das besteht darin, daß er plötzlich aufhört zu arbeiten, auf einen Berg hinaufsteigt und tagelang in die Wolken schaut, oder daß er sich zu uns in's Stegwirthshaus setzt und nicht mehr fortzubringen ist. Ja, schafft man ihn auch mit Gewalt hinaus, so geht er hinüber nach Au oder Goisern und setzt sich in einer anderen Schenke fest, wo er so lange verbleibt bis der letzte Heller in der Tasche vertrunken ist, was oft wochenlange dauert.---“
„Und was hat diesen Hang in ihm herbeigeführt?“
„Eine unglückliche Liebschaft und späterhin wohl auch das schwere Tragen des Kernsalzes, denn er arbeitet im Salzberg.“
„Ei, so erzähle doch, du siehst, er ist am Tische eingeschlafen und kann dich nicht hören.“-
„Wenn es Sie nicht langeweilt, will ich Ihnen schon zu Willen seyn,“ sagte Nani, rückte einen Stuhl zu unserem Tische, setzte sich, die Hände in ihre Schürze gewickelt, und begann:--
„Vier Wegstunden von hier, in der Nähe des Dachsteins, liegen einzelne Holzhütten in Gräben zerstreut, welche rings von wilden Gebirgen und Felsen umgeben sind. Die Bewohner derselben leben ausschließlich vom Holzschlag und den Arbeiten an den Holzriesen und oft vergehen Monate, bevor einer derselben aus seiner Waldwildniß herauskommt und ein Nachbardorf zu sehen kriegt. In einer dieser Keuschen nun lebte auch unser Hois als ein rüstiger und fleißiger Holzknecht, und da er von Jugend auf an die harte Arbeit, die schlechte Kost und die Entbehrung gewohnt war, welche mit seinem Stande verbunden ist, so fiel ihm das Loos eben nicht schwer, obgleich er aller Geselligkeit entbehrte, deren sich die Andern zu erfreuen hatten. An diesem aber trug vorzüglich seine Schweigsamkeit und das träumerische Wesen, zu dem er von Kindheit auf einen großen Hang hatte, die Schuld.
„Er mochte bereits schon mehrere Jahre dort zugebracht haben, als eine weitschichtige Anverwandte des Kobelbauers, eines Nachbarn des Hois, zu ihm in den Graben kam. Es war ein junges blutarmes Dirnchen, welches buchstäblich nichts sonst besaß, als was es auf dem Leibe hatte, denn zum Überfluß ward ihr die kleine Habseligkeit, die sie noch in einem leichten Bündel mit sich trug, auf der Reise gestohlen worden.
„Wie sehr Marei darüber auch betrübt war, so tröstete sie sich doch in kurzer Zeit und arbeitete wacker und unverdrossen darauf los, um so bald als möglich wieder in den Besitz des mangelnden Gewandes zu kommen.--
„Sowohl die Jugendfrische als der fröhliche Muth Mareis hatten auf Hois alsogleich einen mächtigen Eindruck gemacht, und es zog ihn immer in die Nähe des Nachbarhauses, wenn er sie, trällernd und singend, um dasselbe herumhantieren sah.„
Aber auch der Marei gefiel der junge tannenstämmige Bursche, so linkisch er sich auch benehmen mochte, und oftmals nahm sie eine Parthie gegen die übrigen Holzschläger, wenn diese ihn zu derb aufzogen, oder maritzten, wie man dort zu sagen pflegt, was Hois mit einem tiefen Dankbarkeitsgefühle gegen sie erfüllte, ihr aber nicht selten den Spott der übrigen Dirnen und Burschen zuzog.-
„Darauf aber wenig achtend, lebte sie froh und guter Dinge und arbeitete mit solch regem Fleiße und solcher Aus-

dauer, daß sich der Kobelbauer nur Glück wünschen konnte, diese Perle in das Haus bekommen zu haben.
So mochten mehrere Monate vergangen seyn, als am Vorabend eines hohen Festtages der Hois zum Anwesen kam, wo sie eben am Brunnen die Holzgeschirre scheuerte.
„Grüß Gott, Marei,“ sagte Hois.
„Dank," erwiederte sie, „schon vom Holzschlag?“
„Ja, s'ist Feierabend, bei dir noch nicht?"
„Noch lang" nicht, s'gibt noch viel z'schaffen.“
„Hör' Marei, ich möcht' dir was sagen.“
„Und das wär'?“-
„Ich möcht' dich morgen ins Dorf n'über führen, zum Bäcker und ins Wirthshaus, wenn du mir dawider hätt'st.“
„Ah, ins Dorf möcht' ich schon n'über aus dem ewigen Einerlei hier, aber du hast ja kein Geld und ich auch nicht."
„So viel um Wecken und Bier zu zahlen, hab' ich schon an Erspartem," sagte er.“--
„Auch hab' ich mir anzuzieh'n, und schau doch gar z'schlecht aus, um mit einem Burschen in einen Bäckerladen zu geh'n, oder mich vor den Dirnen in Dorf sehn zu lassen."
„Ei, was liegt an denen? die werden dir doch keinen Wams und keinen Rock kaufen. Sag' nur, daß du willst und ich hol' dich im Zwielicht ab.“
„Wenn du gerad so generos seyn willst," sagte Marei, „so bin ich schon dabei,“ und die helle Freude blitzte ihr aus den Augen, denn zu den größten Vergnügungen der Dirnen in den einsamen Gehöften, gehört es, wenn sie von einem, Burschen in das nächste Kirchdorf geführt und dort vorerst mit feineren Brote und darauf mit Bier traktiert werden.
„So schlaf" indeß' wohl," sagte Hois, „nicht minder erfreut durch ihre Zusage, obgleich er wohl wußte, daß er sich ein ganzes halbes Jahr an Tabak und Branntwein das Ersparte, was er auszugeben Willens war, abkargen mußte, und ging darauf seines Weges. Der Zeiger der hölzernen Wanduhr in der Stube seines Dienstgebers zeigte auf „Drei“ nach Mitternacht als sich Hois bereits auf dem Wege zum Kobelbauer befand, und an das kleine Fensterchen klopfte, welches von der Rückseite des Hauses nach der Leiten hinausging. Nicht lange so stand auch Marei reisefertig vor ihm, das heißt, sie hatte hierzu ein Wollentuch von einer Freundin entlehnt, mittelst welchem sie sich vor dem rauhen Morgenwinde schützte."
Den kleinen Finger in den ihrigen gehäkelt, gingen nun Hois und Marei rüstig durch die lautlose Waldstille fort, über welche noch dichte Dunkelheit gelagert war.

Hois schwamm in einem Meere von Seligkeit, wirklich war es auch der schönste Augenblick seines Lebens, in dessen Erinnerung er noch oftmals schwelgt und darüber das Branntweinglas vergißt. Kein unreiner Gedanke beschlich jedoch ein Herz, keine Besorgniß kam in das der Marei.
Mit der Unschuld der Kinder gingen Beide einem seltenen freudigen Feste entgegen.
Der helle Tag hatte bereits ein Goldnetz über die Waldwipfel gespannt, und die Kirchenglocken klangen melodisch durch die feierliche Stille, als sie das Dorf erreichten.
Lautlos, ohne sich früher hierüber besprochen zu haben, stiegen die beiden Wanderer die ausgetretenen Stufen zum alten Kirchlein hinauf, und traten, nachdem sie sich bekreuzt hatten, in das bereits mit Andächtigen gefüllte Innere.
Die Frühmesse war beendet. Alt und Jung wogte aus dem Gotteshause und zerstreute sich, je nach seinen Verhältnissen in der Umgegend.
Hois aber führte Marei, wie er versprochen hatte, zu dem Bäcker, gleichwie ein Wiener-Galant eine Dame zu Dehne oder sonst einem Conditor, und setzte sich mit ihr in dem Laden an eines jener kleinen Tischchen, welche rings zu diesem Behufe an den Wänden herum angebracht sind, und gerade zweien Personen Raum geben, sich an denselben niederzulassen.
Bald auch fanden sich mehrere Pärchen, theils aus dem Dorfe, theils aus den herumliegenden Bauerngehöften ein, und nahmen ebenfalls ihre Plätze an den noch leerstehenden Wandtischchen.
Gleich darauf erschien der wohlbeleibte Bäcker in Schlappschuhen, das bestäubte Käppchen auf dem Kopfe, mit einem großen Vortuch vor den Schmerbauch gebunden und schüttete den ganzen Inhalt vor Hois und Marei auf das Tischchen hin, welches Manöver er darauf an jedem Tischchen wiederholte, an dem ein Pärchen Platz genommen hatte.
„Ach, wie da Marei das Herz lachte, als sie, die das ganze Jahr hindurch nur Haferbrot, aus welchem das Stroh herausstach, und sonst nur Kraut und schwarze Knödel zu essen bekam, die schönen braunen Wecke, aus Roggen- und Waizenmehl gebacken, vor sich ausgebreitet erblickte.
Hois munterte sie auf zuzugreifen, indem er sich selbst einen Weck aneignete, und hatte seine Herzensfreude daran, als er einen Weck nach dem andern verschwinden sah.
Beinahe war der Inhalt der Bäckerschürze aufgezehrt, als Hois zum Aufbruch mahnte, um nun in das Wirthshaus zu gehen.
War es geräuschlos und stille in der Bäckerstube, so machte sich hingegen hier schon ein regeres Leben geltend.
Die Stube war schon größtentheils mit Kirchengängern gefüllt, welche ihre Andacht bereits verrichtet hatten, oder warteten, bis das Glockengeläute die nächste Messe ankündigen würde, doch fänd unser Pärchen noch ein ziemlich trauliches Plätzchen. Nun rief Hois die Kellnerin und ließ einen Stein, das ist eine Maß Bier, vom Besten bringen.

Bald stand das schäumende Getränke vor ihnen, und hatten Marei erst die braunen Wecke behagt, so behagte ihr nicht minder der braune Gerstensaft. Bereits war der Krug zum viertenmal gefüllt und leer geworden, als Hois auf das Zureden Mareis denselben umlegte, ein allgemein bekanntes Zeichen in Oberösterreich, daß die Kellnerin nichts Frisches mehr zu bringen habe.
Ihre Festtagsfreude hatte ihr Ende erreicht.
Wohlgesättigt und erfrischt und in vollkommener Zufriedenheit verließen sie hierauf die Dorfschenke, machten sich wohlgemuth auf den Weg, und gelangten kurz vor Mittag wieder in das Gäu zu ihren Dienstgebern.
Ein warmer Händedruck. Mareis und die Worte:
„Ich dank' dir, Hois, du hast mir eine rechte Freude g'macht, Gott vergelt’ dir's!" besiegelte die schuldlos verlebte Freude der Armuth, die wohl kein Reicher sich erkaufen kann.
War Marei schon früher, dem Hois zugethan, so war sie es, seit er sie zum Bäcker geführt hatte, nur noch mehr, und hatte Hois früher Wohlgefallen an Marei gefunden, so fühlte er nun, daß er ohne sie gar nicht leben könne.
Häufiger noch als früher kam er daher zum Kobelbauer hinüber, und freundlicher als ehedem ward er jedesmal von der muntern Marei empfangen.
Bald aber sollte sich Etwas ereignen, was diese beiden Herzen die so schuldlos und warm für einander fühlten, für immer trennte.
Es mochte in der Mitte des Monats August sein, und zwar da sich Hois eben auf einem entfernten Holzschlag befand, als ein reisender Wollenzeugmacher aus Steier in den Graben kam und beim Kobelbauer, als einem früheren Bekannten, Zusprache hielt.
Es war ein Mann, so was man sagt, in den besten Jahren, Witwer und lebenslustig, der sich für sein Leben gern wieder verheirathet hätte, da drei mutterlose Kinder daheim einer Pflegerin bedurften, wenn es nur ein Geschäft zugelassen hätte, ein Weib zu suchen, denn von der Straße mochte er sich eben auch keine auflesen.-
Er war in Erbschaftsangelegenheiten nach einer mühevollen Wanderung in den Graben gekommen, und hatte beschloffen einen Tag dort auszurasten, um desto gestärkter seine Heimreise fortsetzen zu können.
Das rührige lustige Wesen Mareis und ihr unausgesetztes Schaffen und Walten in Haus und Stall, Küche und Boden, fesselten alsobald die Aufmerksamkeit des betriebsamen Gewerbsmannes und machten einen nachhältigen Eindruck auf sein Gemüth, so, daß er sich des Gedankens nicht erwehren konnte: Das wäre für dich eine Häuserin und für deine Kinder eine Mutter.-
Nach kurzem Überlegen vertraute er sich auch dem Kobelbauer, und dieser, es als ein Glück für Marei betrachtend, rief sie gleich darauf in die Stube und eröffnete ihr den Entschluß seines Gastes.

Marei stand von Glut übergossen und konnte keines Wortes mächtig werden, als ihr aber der Kobelbauer die ganze Sache umständlicher auseinander setzte und zu ihr sagte:
„Schau, stoß' dein Glück nicht mit den Füßen weg. Du bist nur ein schlechtes Dirndl und hast auf nix z'hoffen, und kannst jetzt eine hausg'seß'ne Frau werden, denn der Wollenzeugmacher ist ein Mann, der ein paar Batzen hat, und auf dem Land spinnen und weben läßt, und in der Stadt d' Färberei treibt.
Es ist ein Glück, um das dich tausend Dirnen, die mehr haben als du, neiden werden." Als er so zu ihr sprach brach sie plötzlich in beftiges Schluchzen aus sind lief davon, ohne ihm eine Antwort zu geben.

Der Kobelbauer schrieb dieses Benehmen der ersten Überraschung und jener holden Scham zu, welche den einfachen Naturkindern jener Gegend noch eigen ist, und machte seinem Gaste die beste Hoffnung. Auf dieses hin paßte der Wollenzeugmacher auf eine schickliche Gelegenheit und brachte nun seine Bewerbung bei Marei selber vor.
Marei war in einen Seelenzustand versetzt, von dem sie nie geträumt hatte, die Aussicht die Frau eines bemittelten Mannes zu werden, auf der einen Seite, auf der andern dem ehrlichen guten Hois, der mit ganzer Seele an ihr hing, für immer entsagen zu sollen, überhäufte sie mit einem Wechsel von Gefühlen, von denen ihr Herz auf eine grausame Weise zerrissen wurde.-
Der Wollenzeugmacher, ein erfahrener Praktikus, der wohl wußte, daß man einen Baum nicht mit einem Schlage umhauen könne, sagte ihr, daß sie es sich gut überlegen möge und er ihr daher noch Zeit bis zum nächsten Tag gönne, da er an demselben wieder fort müsse, jedenfalls aber die Entscheidung mit sich nehmen wolle.
Es war nahe an Mitternacht und Marei wälzte sich noch immer schlaflos und offenen Auges in ihrem Bette, als es ans Fenster pochte. „Da ist der Hois auch noch!" seufzte sie erschrocken. Es war das erstemal daß sie vor Hois erschrack.
Wirklich war er es auch, der es sich nicht versagen konnte, von seiner Arbeit im Holzschlag heimgekommen, von Marei eine: »gute Nacht« zu holen.
Rasch hatte Marei ihr Röckchen umgeworfen und befand sich bald bei Hois, der am Stiegel, jener Stelle des Zaunes, der zum Hinübersteigen gemacht ist, ihrer harrte.
„Da bist du ja," flüsterte er freudig, als sich Marei ihm näherte. „Aber– setzte er hinzu, was zittert du denn? Du lieber Himmel, dein Gesicht ist ja badenaß vom Weinen? Was ist vorgefallen?"
„Ach, Hois.“ schluchzte Marei...
„So red' doch.“ drängte Hois.
„Ach, ich kann es dir gar nicht sagen, was vorgefallen ist.“
„Hat dich Jemand beleidigt, so soll ihn das Donnerwetter,“ brauste Hois auf und ballte die Hand an der er den Stoßring trug.
„Nicht doch, ach, es ist ganz etwas anderes.“
„So red', red'!"
„Es hat ein Wollenzeugmacher aus Steier bei uns zugesprochen, ein bemittelter Mann und ...“
„Nun, und weiter.“
„Und der will mich durchaus zu einer Gspannini haben, und der Kobelbauer meint, ich solle mein Glück nicht mit Füßen von mir stoßen, da ich eine hausg'seßne Frau werden könnte!“
„Meint der Kobelbauer, und,“ frug Hois nach einer langen Pause, in der er mühsam Athem holte, „und was meint denn du?“
„Ich“– sagte Marei, in namenloser Angst, welche ihr die Schweißperlen aus der Stirne trieb, „ich möchte wohl

nicht gern“– aber, platzte sie mit einmal unter Schluchzen heraus, „wir Beide sind doch gar zu arm, als daß es jemals etwas mit uns werden könnt'!“
„So,“– erwiederte Hois, mit einem Tone, der wie kaltes Eisen das Herz Mareis durchdrang, dann fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und wendete sich zum Gehen.
„Hois! Hois!“ rief Marei, „ich habe ja noch nicht Ja g'sagt!“
„Aber Hois wendete sich nicht wieder um, und war bald in der Dunkelheit der Nacht verschwunden. Von diesem Augenblicke sah sie Hois nicht wieder.
„Er schnürte in aller Frühe, ohne Jemand etwas zu sagen, seinen Bündel, schnitt sich aus einer Haselhecke einen Stecken und verschwand darauf spurlos aus dem Graben.
„Mit nächstem Tage wurde auch Marei wieder von dem Kobelbauer und dem Wollenzeugmacher angegangen, ihre Gesinnung auszusprechen, aber ihre Aufregung war noch immer zu groß, als daß sie hätte eine bestimmte Antwort geben können.
Da sagte der Wollenzeugmacher, daß er nun nicht länger mehr verweilen könne, aber noch bis kommenden Lätare zu warten und nach dieser Frist noch einmal vorsprechen wolle, da er die volle Überzeugung hege, daß Marei und er ganz für einander geschaffen wären.
„Hois war indessen auf Gerathewohl fortgewandert und sah sich, als die Sonne schon im Sinken war, in einer rauhen unwirthbaren Gegend, in welcher nur Leckenstauden und Gestein zu sehen war. Dort streckte er sich nieder und sah in die

Luft, wie die Wolken vorüberzogen, bis ihn endlich der Hunger mahnte, abermals einen Stecken zu ergreifen.
Nach langem mühsamen Wandern die Kreuz und Quer, über Koppen und Gerölle, durch Schluchten und Thäler, gelangte er endlich nach Hallstadt, wo er seine letzten Kreuzer im Wirthshaus verzehrte und sich sodann als Salzträger verdingte.
So lebte er nun in einer Berghütte am Hallstädtersee, als einer der unermüdlichsten Arbeiter, mit seinen Kameraden verträglich, nur daß er zu Zeiten plötzlich verschwand, und entweder von Bergjägern auf irgend einem Felsen gesehen wurde, von dem er in die Wolken schaute, oder von einem durstigen Gesellen in einer Schenke getroffen ward, wo er dem Branntwein nach Kräften zusprach.
Marei aber, welche vergebens nach Hois geforscht hatte, fügte sich auf das Zureden des Kobelbauers am Ende in die Umstände, und als zu Lätare der Wollenzeugmacher abermals beim Kobelbauer zusprach, folgte sie ihm als seine Gespannin nach Steier.
Zwei unscheinbare, aber in ihrer Wirkung auf das Gemüth des armen Hois unglückselige Zufälle sollten kurz darauf beitragen, denselben zu einem vollständigen Fex zu machen.
Als einst der Hois im Stege saß, hatten sich auch mehrere Pongauer daselbst eingefunden, welche sich bei Bier und Zitherspiel vergnügten und ihre üblichen Schnadahipfl absangen, die zufälligerweise dießmal das Thema weiblicher Falschheit behandelten.
Hois hörte ihnen, seinen Pfeifenstummel im Munde, eine lange Zeit mit scheinbarem Gleichmuthe zu, nur runzelte sich öfters seine Stirne, wenn sie in heimliches Gekicher oder gar in lautes Gelächter ausbrachen, oder wenn ihre Blicke dem seinigen begegneten, denn er meinte nichts anderes, als daß es die Pongauer auf ihn gemünzt hätten, und ihn mit seiner unglückseligen Liebschaft aufziehen wollten.
Die arglosen Pongauer aber, welche nichts weniger als dieses im Sinne hatten, beachteten kaum den Aufgeregten und sangen fröhlich weiter.
„A Katz hat mi z'krailt
Af an afönga' Fleck,
I möcht' thoan was i wollt,
Brächt" den Kraila nit wög.
I han mi amal
Hintr' an Oacha vastöckt,
Und da hat mi a giftögö
Gallwespen g'höckt.
Und üba das Schindviach
Voll Gift und in Zoarn
Bin i aft mit da Zeit
Gar a Gallapfel woarn.“
Da ergriff Hois alle Krüge und was ihm sonst in die Hände kam und warf es auf Sänger und Zitherspieler, daß

diese blutend unter den Tisch fielen, und als hierauf die Andern über ihn herstürzten, schlug er mit seinem Stoßring zwei derselben derart zu Boden, daß sie erst nach ein paar Stunden wieder zur Besinnung gebracht werden konnten, und Niemand ihn zu verfolgen gedachte.
Seit dieser Begebenheit hatte jedoch Alles vor seiner riesigen Körperkraft, die er bei einem sonstigen friedlichen und duldsamen Wesen noch nie zur Geltung gebracht hatte, einen bedeutenden Respect.
Die zweite Begebenheit aber, welche nicht minder nachtheilig auf Hois einwirkte, war folgende:
Es mochten ein paar Monathe vergangen feyn, daß Hois nicht im Steg gesehen ward, als er mit einmal wieder ganz fromm und unbefangen, als ob niemals etwas Schlimmes vorgefallen, an einer Tischecke saß und aus seinem Pfeifenstummel schmauchte.
Gerade zu derselben Zeit führte der Zufall einen jungen Maler, mit Strohhut und Kapuzinerbart, Farbenkästchen und Regenschirm, wie sie in der schönen Jahreszeit zu Duzenden das Salzkammergut besuchen, in die Gaststube des Stegwirthshauses.
Es war ein froher gewandter und sprechlustiger junger Mensch, von frischem Äußeren, der der Stegwirthin sogleich erzählte, daß er beinahe schon ganz Oberösterreich durchreist habe, um Porträte zu malen und Studien zu machen, und auch sie aufforderte, sich von ihm malen zu lassen.
Zur größeren Anreizung hierzu und zur Bethätigung seiner Kunstfertigkeit öffnete er seine Mappe und zeigte ihr einige weibliche Aquarellgemälde, die er für sich kopiert hatte.
Hois, welcher sonst eben keine besondere Neugierde besaß, war dießmal von seinem Stuhle aufgestanden, und als ein ungerufener Zuschauer an den Tisch getreten, auf welchem der junge Maler seine Bildnisse auskramte.
Da entfuhr mit einem Male ein Schrei der Überraschung seinem Munde, und bevor sich noch der Bildermann und die Stegwirthin nach der Ursache desselben erkundigen konnten, war Hois aus der Stube verschwunden.
Der Mahler hatte zu Steier auch die Frau des Wollenzeugmachers gemalt, und hielt die Kopie ihres Porträts in seinen Händen.
Seit diesen beiden Begebenheiten war es um jede moralische Kraft des armen Hois geschehen, und er überließ sich nun ganz rücksichtslos seinem Hange auf einem Berge nach den Wolken zu schauen, oder sich im Fusel besinnungslos zu trinken.

Dieß ist die Geschichte von zwei Herzen, welche die Liebe für einander bestimmt hatte, und die leidige Armuth von einander riß.
Also schloß die Kellnerin ihre Mittheilung.
Wir fühlten uns sowohl von der rührenden Begebenheit, als dem ungeschminkten Vortrage wehmüthig ergriffen und konnten, als uns der Fährmann abrief, um den Kahn, der uns nach Hallstadt bringen sollte, zu besteigen, das Schenkhaus nicht verlassen, ohne noch einen theilnehmenden Blick- auf den armen Fex geworfen zu haben.
Wie ich auf spätere Erkundigungen nach ihm vernahm, hatte er eines Tages wieder einen Fels erklommen, und in die Wolken geschaut, sei aber wahrscheinlich auf demselben von einem Nebel überrascht worden, und da er nicht mehr zum Vorscheine gekommen, unbezweifelt in einer Schlucht verunglückt.-




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