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Christkinds Geschenk


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Bei diesem Text war dieses Bild dabei. Es könnte sein, dass Gisela Ratzinger darauf ist.





Christkinds Geschenk

von Gisela Ratzinger, Steeg am Hallstätter See.

Salzkammergut-Familien-Kalender 1933

Adventzeit! Wer kennt und liebt nicht diese Wochen, die erfüllt sind von viel, viel Liebe, von leisen Wünschen und Hoff- nungen und geschäftiger Heimlichkeit.

Die Natur draußen hat sich zum großen Schlafe hingelegt und sich geduldig vom allerweißesten Leichentuch zudecken lassen. Sie ist wohl die einzige, die nie gegen ihr Schicksal aufbegehrt. Freudig trägt sie die schönen und die traurigen Tage und fügt sich wunderbar in den Kreislauf des Geschehens. Wie könnten die Menschen von ihr lernen!

Versonnen denkt es auch die junge Frau, die beim Fenster eines kleinen Stübchens sitzt und voll Schwermut dem endlosen Schneeflockentanz zusieht. Schrecklich ist es, wenn einem alle Freude, alles Helle, Lebenwollende so zugeschüttet wird! Können denn je wieder Blumen blühen, wo solche Kälte hingeschauert hat?! — Wird mein Leben nun immer so bleiben — ein zorni- ges — banges Warten?! — Nun sind es bald zwei Jahre, daß Fritz, ihr Mann, sie und das Kind verlassen hat, um in der Welt draußen das Glück, den Erfolg — Geld zu finden, weil all dies in der Heimat so schwer, so spärlich zu erhaschen war.

Seit seine Lieder und Melodien, die doch so innig und leben- dig klangen, gar keinen Absatz, keine Anerkennung mehr finden wollten und sie selbst mit ihren geschickten Schneiderhänden fast allein den kleinen Haushalt bestritt, seitdem hielt es der Mann nicht mehr aus. Es quälte und demütigte ihn, daß sein heißes Mühen nicht einmal so viel vermochte, zwei geliebte Menschen und sich selbst vor Not zu schützen. Wie oft sah sie ihn mit Tränen in den Augen und geballten Fäusten vorm Klavier sitzen, ganz verloren vor sich hinstarrend — und dann quoll doch plötzlich wieder eine süße, neue Melodie unter seinen Fingern hervor, daß sie hingehen mußte, die Tränen fortzuküssen. Sie konnte es oft selbst nicht fassen, wie es möglich war, daß all dies Schöne, Reiche keinen Lohn finden sollte. — Aber sie waren halt so fremd hier in der großen Stadt, so ohne Beziehungen — und das wußten sie nun beide schon, die Kunst des Könnens allein tut es nicht.

Und doch war es so schön, trotz aller Sorgen und Arbeit, als der geliebte Mann noch bei ihnen war und sie und Klein-Vronerl nicht gar so einsam, so schrecklich einsam sein mußten! — Wie stolz war sie doch immer auf jedes selbstverdiente Geld, das wieder ein bisserl Freude und Wohlsein brachte — und konnte nicht verstehen, warum ihr Mann da jedesmal so finster und traurig dreinschaute. Die Ehe ist doch die schönste Gemeinsamkeit, die es gibt, wo es doch so leicht und selbstverständlich ist, zu geben, zu teilen und zu helfen!


Immer steht noch jene bittere Stunde vor ihr, als Fritz mit zerquältem, aber entschlossenen Gesicht ihr mitteilte, das Schicksal herauszufordern und das Glück in der Welt draußen zu suchen, erst dann wiederzukehren, wenn er sie alle durch ein schönes Le- ben führen kann. Er will es nicht mehr sehen, wie meine Hände sich für alle plagen. Vroni und ich werden ja mit meiner Arbeit immer durchfinden. Und — „ich komme, komme ja bald wieder, hörst du, — bald, — euch zu holen, zu einem neuen, himmlischen Glück. Verzeih' mir, und glaub' an mich und vertraue mir, dann werd' ich immer das Rechte tun — laß Vronerl für den Vater beten, daß seine Arbeit gesegnet sei!" — das waren seine Abschiedsworte.-

Und nun hat sie schon bald zwei Jahre in Angst und Sehn- sucht verwartet! Sie kann es gar nicht mehr glauben, daß er je wiederkommt und dann ist es, als ob eine kalte Hand auf ihrem Herzen läge und der Tod ihr einen Gruß gesandt.

Nur wenn das Kind, ihr lieber Sonnenschein, gläubig und fromm betet: „Lieber Gott, segne meinen lieben, guten Vater und lass' ihn bald zu uns zurückfinden,' und bitte Schutzengelein paß recht gut auf, hüll' ihn in deine Flügel ein, daß ihm nichts Böses geschehen kann", da war auch sie ruhig und fühlte es zutiefst, Fritz lebt noch und denkt an uns und schafft für uns.-

Fünf Jahre ist nun ihr Mädel schon alt und hat einen so fernen, fernen Vater!

Das Jauchzen ihres Kindes weckt sie aus den schweren Ge- danken. „Schau, Mutti, schau, ist so das Jesukind in der Krippe gelegen — und hat es so sein Mütterchen beschützt?" — Lächelnd geht sie in die Spielecke des Kindes und sieht glücklich, was die Kleine sich ausgedacht hat. Aus Watte und Seidenfleckerln, die es ja so reich und bunt von Muttern bekommt, hat Vronerl ein Nestchen gebaut und darin das Christkind gebettet, das sie voriges Jahr zu Weihnachten bekommen. Selbst hat sich das Kind Mut- ters dunkles Tuch geholt, über den Kopf geschlagen und hält die Enden wie einen Wiegenvorhang über das Jesukind.

„Gelt Muttl, nun wird das Christkind bestimmt zu mir kommen, weil ich ihm schon so ein schönes Betterl hergerichtet habe — und den Vater wird es uns mitbringen, glaubst du nicht auch?!"

Mit einem festen Kuß schloß die Mutter den Plaudermund. Als das Kind abends in seinem Nestchen lag, bettelte es immer wieder um eine Geschichte vom Christkind und den schönen Engelein, daß sich die Mutter hinsetzte und ihrem Liebling zärt- lich ins Ohr flüsterte:

„Wenn Weihnachten kommt, gibt es im Himmel die aller- meiste Arbeit des ganzen Jahres, da werden alle Englein auf die Welt geschickt, um jedem Menschenkind ins Herz zu sehen, ob es auch gut und würdig ist, vom Christkind besucht und beschenkt zu werden.

Jeder Engel hat einen Stern als Laternchen mit und damit leuchten sie in jedes Fensterlein und sehen und hören alles, was

die Menschen tun, ob die Kinder alle brav sind und beten können. Die vielen, vielen Heiligen und Seligen des Himmels müssen in diesen Tagen die ganze Himmelsarbeit allein verrichten, die sonst von den fleißigen Engeln besorgt wird.

Und die heißesten Wünsche all der lieben Menschenkinder werden aufgeschrieben und dem Christkind vorgelegt, damit es in seiner großen Güte das richtige Glück für jeden einzelnen aus

suche. Wenn es nach dem Christkind ginge, das würde ja am liebsten zu allen Wünschen „Ja" sagen, aber der himmlische Vater weiß schon, was für seine Kinder das Beste ist. Wer gar zu un- bescheiden ist, der muß erst lernen, demütig zu werden und die Freude auch im Kleinen finden zu können.

Da war aber einmal ein Englein darunter, dem es mit sei- nem Laternchen auf der Welt so gut gefiel, daß es vor lauter


Staunen und Schauen nicht fertig wurde und die Tage und die Stunden vertrödelte, ohne seines hohen Auftrages zu gedenken. Es war wie verzaubert! So kam der Heilige Abend, aber das Englein hat auf alles vergessen, so betört war es von der bunten Welt und dem Treiben der Menschen. Da durfte es die schöne, selige Reise mit dem Christkind, die doch die höchste Freude für jedes Englein ist, nicht mitmachen, sondern wurde zur Strafe für seine Neugier und Pflichtvergessenheit vom lieben Gott in eine Schneeflocke verwandelt. Nun konnte es in der Welt herumwir- beln, so viel es wollte, aber nie mehr zurück in den Himmel hin- auf gelangen. Wie bitter erschrak das Englein, als es auf einmal keine Flügel mehr hatte, ach — und es tat ihm so leid, ungehor- sam und leichtsinnig gewesen zu sein und alle Seligkeiten ver- scherzt zu haben. Wie sehnte es sich zurück in die himmlischen Gefilde, zu seinen Gefährten, und das Traurigste war, nicht mehr in Gottes Angesicht schauen zu können.

Müde und verwirrt segelte es in der Luft herum — nun gefiel ihm die Welt gar nicht mehr — und setzte sich endlich auf die Mütze eines Kindes, um ein wenig auszuruhen. Das Kind aber war auf dem Weg zur Kirche, um das Christkind in seiner Krippe zu sehen und zu begrüßen. Tief neigte es sich über das schlafende Jesukind, dabei verlor die Schneeflocke ihren Halt, fing zu taumeln an und fiel dem Christkind mitten auf's Auge. —

Schmerz und Reue und Sehnsucht waren auf einmal so heiß in den Engleins Herzen, daß die Flocke zerfloß und wie ein paar Tränen an den seinen Wangen hing. Erstaunt schaute das betende Kind auf die hellen Tropfen — ja, weinte denn das Jesulein — dann küßte es behutsam die Tränen fort und ging verträumt lächelnd aus der Kirche.

Das Englein aber war von seiner Strafe erlöst, fühlte auf einmal, daß es wieder Flügel hatte, die es von selbst zurück in den Himmel trugen.

Nicht mehr lang, Vronerl, dann ist das Christkind auch bei dir." —

„Ja", sagt die Kleine schon halb im Schlaf, „und bringt uns den Vater mit!" —

Da schlingen sich die Frauenhände fester zum Gebet als sonst und eine stürmische Bitte stieg zu Gottes Thron .

Die nächsten Tage hat die Mutter einen längeren Geschäfts- gang und gibt Vronerl für ein paar Stunden zu einer gefälligen Nachbarin. — Alle im Haus haben ja das kleine Mädel lieb, und hören gern dem Plaudermund zu. —

Vronerl darf mitgehen zu einer kleinen Besorgung und am Heimweg suchen sie noch eine Kirche auf.

Vor einem Marienaltar kniet die Frau hin, um der all- gütigen Mutter ihre Sorgen vorzubringen. Sie ist so vertieft im Gebete, daß sie es gar nicht fühlt, wie ihr Vronerl aus der Hand gleitet und leise durch die dämmerige Kirche trippelt. Den Altar sucht sie, wo das rote Lichtlein brennt, von dem Mutti sagt,

daß es wie ein treues Auge Tag und Nacht Wache hält, weil hinter

jener kleinen, leuchtenden Türe der liebe Gott wohnt.


Zufällig ist das Gitter offen, das sonst immer diesen heilig-

sten, kostbarsten Teil verschlossen hält. Blitzschnell schlüpft das

Kind hindurch und nähert sich zaghaft dem Altar. Da lehnt die

kleine Treppe, die der Priester während des Gottesdienstes be-

nützt, um den Allerhöchsten auf seinen gldenem Thron zu heben.

Scheu und furchtsam erklettert das Kind die paar Stufen und

kauert sich nun ganz zum Tabernakel hin, klopft mit ihren klei-

nen Fingern an die goldene Pforte und flüstert aufgeregt:

"Jesulein, Jesulein, bist du da-?" Dann

legt es lachend das Köpfchen an das winzige Schlüsselloch,

lächelt selig und betet: "Du liebes gutes Jesulein, bitte hör' mich

an, wenn du diesmal an deinem Geburtstag zu mir kommst,

Bring' mir und Mutti den Vater mit, daß wir nicht mehr so allein

sind. Ich will schon dein braves Kind dafür sein! Leb' wohl, süßes Jesulein, und vergiß deine kleine Vroni nicht."

Noch einmal lauscht das Kind ganz versunken zum Taber- nakel hin, winkt mit den Patschhändchen und huscht wieder zu seiner Beschützerin zurück.

Die hat gerade erstaunt und erschrocken nach der kleinen Ausreißerin Umschau gehalten. Vronerl ist nun ganz ungeduldig, heimzukommen, vielleicht ist der Vater schon da. —

Abends im Betterl tut die Kleine dann sehr zärtlich mit ihrer Mama und will gar nicht einschlafen. Beim letzten Kuß tuschelt sie der Mutter ins Ohr: „Mutti, das Christkind schickt uns bestimmt den Vater, daß du nicht mehr weinen mußt, heut' in der Kirche hat mir's das Jesulein versprochen." Lächelnd streichelte die Mutter ihr Kind in Schlaf und denkt mehr denn je an den fernen, geliebten Mann.-

So kam der Heilige Abend! Vronerl wartet aufgeregt in der Küche, weil Mutti.Ausschau nach dem Christkind halten muß. — Dann kommt sie und holt ihr Kind zum strahlenden Baum, zu aller Freude, die ein warmes Mutterherz bereiten kann. —

Aber nur einen Blick wirft das Kind auf die Herrlichkeiten, dann ruft es: „Und wo ist Papa, wo ist Papa?" Ungläubig schaut es in alle Winkel, so wie es sonst seine verlorengegangenen Pup- pen; sucht.

Traurig mit nassen Augen schüttelt die Mutter den Kopf, nimmt ihren Liebling bei der Hand, der all die bunten Dinge gar nicht sehen will, die sie ihm aufgebaut hat. Mit leiser behender Stimme singt sie das alte, liebe Trösterlied „Stille Nacht, heilige Nacht . " Vronerl hilft redlich mit. — — Da stockt der Frau das Herz, — das Klavier fängt sanft zu klingen an, die liebe, liebe Melodie, — ja gibt es das — ist das des Himmels Musik, die sie trösten soll?!

Zitternd stürzt sie in ihr Arbeitsstübchen, wo der so lange stumm gewesene Flügel steht.

Eine dunkle Gestalt löst sich von den Tasten und — „Fritz, — Fritzl, du, -ruft die Frau, dann liegt sie schon begraben in zwei Armen, die sie fest, fest umschlingen. „Weihnachten mußt' ich bei euch sein", murmelt der Mann und fühlt nach langem wieder den Herzschlag seines geliebten Weibes. „Nun wird ja alles wieder gut!"

Da schlüpft das Kind der Mutter nach, staunt erst erschreckt, und lacht und jauchzt „Papa, Papa, — das Christkind!" mehr hört man nicht mehr. Der Vater hat sein so schwer entbehrtes Kind voll Seligkeit ans Herz gezogen. —

Diesmal werden das Christkind und seine himmlischen Hel- fer wohl zufrieden gelächelt haben, als sie dieses Weihnachtsglück sahen. So viel Freude gibt es ja auch nicht oft zu verschenken!


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