Christkindl im Schnee
- Gerhard Zauner

- 15. Dez. 2021
- 46 Min. Lesezeit
Gosauer Dorfgeschichte
Oesterreichischer Volkskalender 1873
Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rep/10389D2B


I. Vom Lindenhof
Den Lindenhof kennen alle Leute. Wer nur ein
einzigesmal in der Gegend gewesen, mußte vorüberfahren oder
vorüberwandern und das stattliche Haus sehen, vor dessen Thor
an der rechten Seite eine mächtige Linde steht und um das
sich noch andere Lindenbäume reihen, mit hochaufragenden
dunklen Stämmen und mächtigen Kronen.
Von einzelnen Linden sagten die Leute, sie seien Jahr-
hunderte alt. Und namentlich die eine am Thore, um welche
eine Art Wall, Stein- und Grasmauer gebaut ist, worauf
oben rundum ein Eichenbrett liegt, das Spuren lang-lang- jähriger Abnützung an sich trägt, soll viele Geschlechter bereits durch das Thor ein- und ausziehen gesehen haben, neue Wiegen und Särge, Taufmünzen und Grabkreuze, kurz seine Blätter hergegeben haben zu vielem Freud und Leid, wie sie im Menschenleben vorkommen. Die herzförmigen Blätter der Linde haben die Leute ja so gern! Herz muß bei Allem sein, und bei Geschehendem wo das Herz nichts mitspricht, ist kein Segen, oder es schlägt nicht zum Guten aus. Deshalb nahmen die Leute beim Lin- denbauer oder Lindhofer, sobald die alten, schwarzen, knor- rigen Gesellen, welche den grüngeschmückten gewaltigen Kopf so hoch tragen, nur ein bischen Blätter hergeben konnten, immer solche mit, wenn sie zu Markt und Kirche, zu Sonn- tagsvergnügen und fröhlichen Festen, auch wenn sie einem Gange nach gingen, an dessen Ende stets ein Häuflein frisch aufgegrabener Erde liegt, dabei eine Schaufel nicht fehlt und zuletzt ein paar Thränen ungesehen bleiben. Die Hausleute des Lindenhofer, so wie dieser selbst, schmückten sich gerne; sie wollten haben, man solle sie als vom Hofe erkennen, um welchen die Linden stehen; sie setzten ordentlich einen Stolz darein. Und warum nicht? War einer besser bestellt? Sah einer stattlicher, reiner, herrischer aus? Kamen zu einem im Thale und in der Gegend mehr Leute von allen Orten herbei? Hatte einer mehr Feld und Wiesen, ja eigentlich mehr Handel und Wandel als der Lindenhof? War der Lindenhofer, hinter dessen Thalmulde und Thalumkreis sofort der Wald emporstieg, nämlich sein Wald, nicht der Herr und Meister der sämmtlichen Wälder ringsum? Er hatte den Holzhandel der ganzen Gegend förmlich an sich gebracht. Wo Einer im Thale– und das ging weit- aus– Holz im Waldeigenthum schlagen wollte, oder auf gut Glück schon gefällt hatte, meinte er sicher den Handel mit dem Lindhofer abzumachen, oder der Lindhofer stand eines Tages vor ihm, mit der einen Hand in der Tasche, mit der andern an der Pfeife und sagte ihm: »Na, meinst ich leb' nimmer? Oder was ist's denn mit uns? Hast einen ehrlichen Handel, so findst mich und ich Dich. Aus ist's!«
Und so gingen die Beiden bald in die Stube, oder fanden sich beim Wirth. Daheim war der Lindhofer auch nicht karg und ließ sich nicht spotten; deshalb wollte man mit dem Nach- bar keine Schererei, keine Verdrießlichkeiten haben und macht seine Sache nach Recht und Gebühr mit dem Lind- bauer ab. O, klug, das heißt sparsam und rechnend war er! Er gab keinen Pfifferling ohne Nothwendigkeit her. Aber was sein mußte, das mußte eben sein und er kannte seine Grenze zwischen Respekteinflößen und Geschäftswandel. Wenn er nicht so gethan hätte, wenn er freigebig gewesen wäre und leicht beim Verschwenden, so würden die Leut gemeint haben, er mache aus jedem Holzscheite und jedem Stamm nur pures Silber, oder eben so lange Banknotenreihen. Deswegen hielt er seine Tasche fest zu, wie seinen Kasten und sein ganzes Haus- und Hofwesen. Nur in Einem war ihm nichts zu viel, in Einem ging ihm nichts zu hoch hinaus und kannte er keine Grenzen der Verschwendung. Das war: wenn es darauf ankam zu ver- nehmen, wer seine künftige Sippschaft sein sollte; wenn er drauf und dran ging zu sagen, was er von seiner Schwieger- schaft hoffe und wünsche, wie so ein Mensch aussehen, welcher Leute Kind so Einer sein müßte, der sich irgend ein Anrecht auf Haus und Hof, den Lindenhof erwerben wollte! Denn einen Sohn hatte der Lindhofer; dieser Sohn aber sollte Feldmesserei und höhere Bewirthschaftung und Handels- gelahrtheit in der Stadt erlernen, ehe er einmal den Lindenhof übernehme. Jedoch der Junge hatte sich mit ganz anderen Dingen übernommen; und auf einmal war er krank, recht krank, alle Stadt-, Geld- und Rathsweisheit nützte ihm nichts, und es wurde ihm ein sechs Schuh langes, drei Schuh breites Stück Erde zugewiesen, ein Handel mit dem Gemeinderathe als Friedhofbesitzer abgeschlossen, und sein Höchstes war das Kreuz auf dem Leichenstein! Vorüber wars seit Jahren. Und verwürgt hatte es der Mann, der Vater. Die eine Tochter ward von ihm (und damals war der Sohn noch klein und seine stolze Hoffnung) weit weggegeben, an einen gutbemittelten Mann verheiratet, welcher in einem Markte, weit, weit weg von der Gegend des Lindhofes wohnte und im Jahre einmal kam, um Holzhandel abzuschließen. Mit diesem Schwiegersohne und der ganzen Familie war der Lindhofer seit einer Reihe von Jahren nur mehr gewohnt recht von weitem und spärlich zu verkehren und sich brieflich zeitweise sagen zu lassen, wie es gehe, was man treibe, was an Nachwuchs vorhanden, und so weiter.. Wenn er einmal hinreiste, stellte er seinen Großpapa in Ehren. Aber er sehnte sich immer wieder heim nach dem Lindenhof. Und wenn er die Küsse, die Händewinkerei und alles Herzbewegende hinter sich hatte, so machte ihm doch jedes Stück, welches die Pferde vorwärts trabten, das Herz leichter mit dem Bewußtsein: jetzt geht's zum Thal, wo mein Lindenhof liegt! Und die Jüngste war daheim. Diese sollte dem Lind- hofer in den Lindenhof einen Mann bringen, stramm wie die beste Linde, frisch und kräftig wie sie. Und so viele Thaler sollte der Mann haben, wie der Baum Blätter, so viele ehren- werthe Sippschaft, wie der Baum Aeste, und sein Name sollte im Lande angenehm sein, wie der Duft der Blüthe, wenn's zur schönsten Zeit aller Jahreszeiten kommt! II. Maaß und Uebermaaß. Daheim im Lindenhofe war nur die Eine, die Jüngste. Die Jüngste! Wer ist gut genug für sie, eigentlich den Lindhofer und den Hof? Stehen nicht die Holzklafter mit den harzig duftenden Scheitern oft ringsum in den massigsten Reihen und Vierecken und Gassen? Liegen nicht oft die dicken Stämme zu Bergen angehäuft und hoch geschichtet da und dort? Die Jüngste! Sie ist's und bleibt's allerdings unter dies Lindhofer's Kindern; aber wie jung, wie alt ist sie denn eigentlich Die Leute zählen die hin und wieder auf den Fingern ab und berechnen das nach allerlei Wind-Ereignissen, guten Erntejahren, nach den Mädeln und Buben, welche mit ihr in die Schule gingen... und damals war das Dirndl so oder so groß, so oder so alt... und wenn die Rechnung
beisammen war und man für den lieben Herrgott den Schaden besah, so war die Jungheit nicht gar so erschreckend und be- drückend, daß man auf's Abwarten und Lindentheetrinken hätte weisen müssen; sondern die Jüngste war eben nur die Jüngste des Lindenhofers, aber keineswegs unter den Dirnln des Ortes und der Gegend! Ein ordentliches Brautkranzl wäre ihr keineswegs bis zur Nase herabgefallen wegen zu vieler Jugend und Kleinheit; hinaufreichen konnte sie schon lange, wie an den Vater, auch an jeden andern Mann; und wenn man sie, seitdem sie zum erstenmale Zubraut bei anderer Mädchen Hochzeit gewesen, schon hätte heiraten lassen, nun so... nun so wäre Manches anders und manche andere kleine und größere Welt im Lindenhof! Aber dieser Vater, mit dem Kopfe und dem Willen hart wie zähes Buchenholz, der wollte nicht. Er wollte eigent- lich... aber was, das wissen wir! Und so ging und lebte das Mädel dahin. O... gerade närrisch hat sie alle Buben nicht gemacht, die sie sahen! So schön wie die Schreiberleute derlei gerne in den Büchern schildern, war sie nicht. Die Spatzen blieben nicht im Fluge erschreckt und erstaunt plötzlich über ihr, die Finken sangen ihr nicht separat vom Baume zu und die Katzen guckten ihr nicht eigens ins Fenster. Aber übel war sie auch nicht. Nein, wahrhaftig nicht! Ein gut gewachsenes, gesundes Mädl, mit hellen grauen Augen, grad so recht und so weiblich lieb, wie sich's jeder Mann fürs Haus und an den Tisch und neben die Wiege wünschen kann. Wahrhaftig, es konnten sie Viele mit ihren Weibern oder Liebsten vergleichen, und die Nandl, die Anna des Lindhofer wäre noch immer geschmackiger ge- wesen, begehrenswerther; das heißt, wenn das Begehren mit gerade gewesen wäre, wie das Ansuchen um den Mondschein oder einen Stern! Also, das läßt man gut sein und denkt nicht daran, oder gewöhnt sich's ab. Aber, ob sich das Nandl auch das Begehren nach einem andern Herzen, nach einem Mann überhaupt abge- wöhnen konnte? Ein Hauswesen hatte sie allerdings, und Das, wonach sich so viele Weibsleute sehnen, nämlich so recht einmal her-
umwirthschaften, über Kessel und Löffel und Trog und Ge- schirre und allerlei Kram einmal befehlen zu können nach Belieben, das fehlte ihr schon jetzt nicht vollauf. Die Knechte des Lindenhofes wollten zur Zeit gespeist, die Thiere gefüttert und die schweren Schüsseln zu bestimmter Stunde gefüllt und geleert sein.--- Aber der größte Kupferkessel oder der riesigste Löffel hat doch nicht ein kleinstes Bischen Herz; und wenn man zwischen den Tischen umhergeht, an denen Alte und Junge sitzen, und man sieht, daß man ihnen und in der Welt eigentlich nur eine wandelnde Fütterungsmaschine, so thut das einem weib- lichen Herzen auch nicht wohl. Und all das "Gelt's Gott« beim Löffelniederlegen der alten und jungen Knechte, das hat keinen rechten Klang. Anders hört sich das an der Seite des Hausvaters, wenn man sein Weib und die »Frau Mutter« ist, anders, wenn man sitzt und guckt und wirthschaftet in die blaue Zukunft hinein, für weiß Gott Wen... kurz, wenn man ein Mädl ist, das schon lange Mädl und nicht erst wie ein kleines Gluck- hühnl in die Welt schaut! Aeußerlich wußte Nandl allerdings so zu thun, als gäb's neben dem Vater keinen Mann in der Welt. Sie mußte das thun; und seit Jahren hatte sie's erlernt, gut erlernt. Aber, ob wirklich alle Männerleute ihr nur galten wie die Holz- stämme und Scheite, die an's Haus kamen und wieder fort gelangten, wie es der Lindhofer haben wollte? Wie oft hatte sie heimlich aus Fensterchen und Thür- spalten, selbst Bodenlucken geguckt, auch sündhaft gehorcht, wenn ein Mann zum Vater kam, der mit ihm von einem Buben auf einem Hofe, von einem gesetzten Witwer, kurz von der Heiratssache sprach. Aber war da mit dem Vater zu reden? Im Handumdrehen hatten dabei jener Hof und jener Bub und jener Witwer und seine ganze Sippschaft ihren Klaps weg und waren zu schlecht, kurz mit recht und gerecht genug für den Lindenhof. »Ich geb Waldklafter und Uebermaaß,“ pflegte der Alte zu sagen, »und nicht so nothige Schlicht. Also ich will's auch mit Uebermaaß!“ Und »aus ist's!« war seine Red, wenn's zu lange
dauerte; dann jedoch konnte Einer noch immer von anderen
Dingen reden.

Aber »aus ist's!“ konnte Nandl nicht zu sich selber sagen. Bei den Weiberherzen ist's am schwersten aus. Sie wollte nicht, daß es mit ihr und ihrem Herzen aus sei. Kein Uebermaaß, nur rechtes Maaß. Und was ist dem Menschen- herzen zugemessen? Und da hätte auch sollen der Vater eines der dicksten Bretter von seiner Sägemühle dem Mädl vor die Augen legen, daß es nicht sehe, welch hübsches Gesicht dieser oder jener Bursch hat, welchen schlanken aufrechten Gang, welche Festigkeit und Kraft in allen Bewegungen. Der Lindhofer hatte in seiner Jugend erzählen gehört von Königstöchtern, die sich im Wandersleut und Köhler- knechte verliebt, von Prinzen, die zu Jägerstöchtern kamen und zu Schäferinnen; aber derlei hielt er für Märchen, für Alteweibergeschichten, auf kleine Kinder berechnet und aus Zeiten, wo die Welt von einer Christenheit und rechten Ord- nung eigentlich noch gar nichts gewußt, kurz die gar nicht recht denkbar waren. Deshalb dachte er auch gar nicht daran, Nandl könnte einmal einen Menschen und Mann schöner und lieber finden als den noch ganz unbekannten Haus- und Hof-Sohn, den er ihr bisher gar nicht ausgesucht, aber vorläufig wachsen lasse, hochauf, wie eine Tanne im Wald, oder wie die Linden am Hof. Jedoch für die Nandl wuchs einer heran, wirklich ganz nahe und hoch und schlank und stark wie eine Linde am Hof. Und so viele Thaler wie Blätter hatte er nicht, gerade nicht einmal so viele Kreuzer wie Zweige am Baume hingen. War nur eines kleinen Bauers Sohn und der dritte der Buben, sogar in der Geschwisterzahl der fünfte, und hatte an seines Vaters, später seines ältesten Bruders Gütl nur so viel Theil, als er herausgezahlt bekam, was er ganz leicht davontragen und für eine nette Gewandung verwenden konnte. Mit dem Lindenhofer hatte er Geschäfte, ging ab und zu, wußte diesen und jenen kleinen Holzhandel, übernahm manchmal eine Paßführung, nämlich die Führung einer Paß (zusammengepaßte) Holzknechte und griff auch mit Axt und Keil und Griesbeil zu, wo es sein mußte, war flink und stark im Wald und an den Schwemmklausen. So sahen sich Nandl und Tobi öfter. Sie konnten mit einander scherzen, denn sie waren in eine und dieselbe Schule und zu gleicher Zeit, wenn auch in verschiedene Klassen, doch zu demselben Schulmeister gegangen. Sie kannten sich von Kindheit auf, waren nachbarlicher Leute Kinder und durften sich schon etwas erlauben. Der Schmied fürchtet das Feuer und das heiße Eisen weniger als jeder Andere, der Fischer das Wasser und die Schiffe weniger als irgend Einer auf dem trocknen Lande. Deshalb fürchtete der Lindhofer die ihm Nahen, die Burschen ringsherum weniger; sie sollten ja wissen mit wem und was sie es zu thun hatten. Also achtete er ihrer wenig. Aber Nandl war ein Mädl und ein reif's Mädl und hatte keine Rechentafel, kein Holzscheit und kein Grundbuch im Herzen. Deshalb wehrte sie einmal und auch nicht gar gewaltsam ab, als sie der Tobi scherzhaft um die Hüfte nahm. Und nach dem Umdiehüftenehmen kam einmal ein Kuß. Da fehlte ein Schrei nicht! Eine Mauer riß dieser Schrei nicht um, und wie Feuer- ruf galt er auch nicht. Es blieb alles im Hause und Walde ruhig. So ward aus dem einen Kuß noch einer;– und waren erst einige gefolgt, sah Nandl einmal gerne aus Fenster oder Thür, wenn Tobi ins Haus kam, oder sie von seinem Kommen im Vorhinein wußte; so war's auch um das Herz des armen, vereinsamten Mädls geschehen, welches das Butterfaß und den Backtrog oder den Kochkessel lieber haben sollte, als alle Menschen und namentlich Burschen auf der Welt! falsch Des Lindhofers Rechnung und Handel waren gefehlt, falsch. Junge Herzen geben sich der Liebe hin, wie man sich überhaupt hingibt an Etwas, was dem ganzen Wesen behagt, ohne weiter vorwärts zu denken. Man läßt den lieben Gott und die gute Weile sorgen, und so hatten beide Herzen, das der Nandl und des Tobi, sich zusammengefunden, blieben ein- ander gut und fest und treu, ohne weiter darüber zu reden, sich bestimmte Fristen zu setzen und über Zukunft oder Ende nachzudenken. (Titelbild)
III. Wald und Waldstimmen. Hinter dem Hause des Lindhofers geht der Wald empor. Zuerst liegt ein Hausgarten von ziemlich weiter Ausdehnung, dann streckt sich eine große breite Wiese entlang. Dann hebt sich die Berglehne sanft und wellig, läßt da Raum für Alles was man säen will. Und obenüber liegen die herabgestürzten Steinblöcke, ragen einige schroffe Felsstücke und es beginnt ein Gehölz mit Gesträuch gemengt, das hochauf zu Berg steigt als ein stattlicher Forst in die Himmelslüfte. Der Lindhofer setzte einen Stolz darein, hier nicht aus- zuforsten und den Leuten zu zeigen, daß er nicht etwa geizig und habsüchtig jedem Stamme nachgehe, um das Mark aus dem Leibe und die Glieder zu Scheiten zu schlagen, damit er gleich Geld daraus mache. Die Leute sollten sehen, er liebe den Wald wie den Acker, welchen kein Vernünftiger bis auf das Letzte aussaugen und mißbrauchen werde. Er ließ manchen
Stamm stehen, welcher schon das Schlagen werth und dazu reif gewesen wäre. Aber durchgeforst mußte doch einmal werden, und hoch oben waren schadhafte und immer schlechter werdende Bäume, da mußte man einmal ans Holzmachen gehen. Für die Arbeit hatte der Bauer ein kleines Häuflein Holzknechte zusammengestellt, und der Tobi war dieser Paß- führer. Dieser hatte nicht gerade selbst zu arbeiten. Er konnte thun wie er wollte. Er verstand gar wohl sogleich bei jedem Baum, wozu dieser tauglich, was mit seinem Stamme zu machen, in welcher Länge Schaft und Anderes geschnitten oder wozu sie verkleinert werden sollten. Deshalb ward vom Lind- hofer die Arbeit dem Tobi übergeben. Droben stand eine alte Hütte. Sie enthielt manchmal Streu, sie diente zuweilen im Herbste als Schutz für Demjenigen, welcher ausgetriebene Hausthiere weidete, sie konnte auch Holzknechten zur Koch- und Schlafstelle dienen. So nahe dem Hause verwendete man auch ein und dem andern Knecht für den Wald und diese mußten Essen haben. Deswegen beschloß man im Lindhof, das Essen zur Mittags- zeit den Leuten hinauf zu tragen und ihnen für wackere Arbeit aneifernd auch gut geschehen zu lassen. Nandl brachte immer ihre Zeit im Hause zu. Wenn sie einen Tag weg gewesen wäre, würde der Vater gemeint haben, das ganze Wirthschaftszeug verderbe. Daher kam sie außer am Sonntage zur Kirche und Kirchenfahrt mit dem Vater gar nirgends hin. Wenn man aber dem Menschen ein goldenes Haus gibt, sehnt er sich nach einem hölzernen, und gibt man ihm Kuchen, will er Brot, oder umgekehrt. Abwechslung muß im Leben sein, so wie es in der Natur nicht immer eine Jahreszeit, noch weniger eine Tageszeit und einerlei Wit- terung gibt. Das Mädl wollte auch einmal um Essens- oder Mittags- zeit außer Haus! Sie wollte hinauf in den grünen, frischen Wald, sie wollte sehen wie es den Leuten nach der harten Arbeit recht mundet, und sie wollte sich freuen, wenn sie loben, was man im nahen Haus unten so gut bereitet. Eine Magd und ein Bub hatten das Essen zu tragen, konnten es leicht in einer guten Viertel- oder halben Stunde
hinaufbringen– der Vater war noch nicht daheim– wollte erst später kommen– und so schloß sich Nandl der Magd an und machte sich auf dem Weg, empor zur nahen Höhe.- Ob sie vielleicht einen besonders guten Bissen in den Korb gelegt für den Tobi? Ob sie ihm's besonders gut ver- meint, nämlich sich zu zeigen, daß es ihm schmecke, oder ob sie sehen wollte, wie es ihm behagt, oder auch ob sie blos so hinaufgegangen, weil Weiberherzen zuweilen einer Laune nachfolgen, als ob sie von derselben an der Leine gezogen würden? Sie schritt empor und war lustig. Der kleine Bursch nahm die Last auf den Kopf und sang dabei, jodelte seiner Haustochter ein bischen vor. Die Magd fühlte sich versucht im heiteren Dahinschreiten ein Liedlein anzustimmen und Nandl sang dann selbst:
"Im Sommer im grün' Wald, Such ich allweg mein Freud, Wenn d'Vögel schön singen Und der Kukuk schon schreit!“ Der Weg war ein lustiger, und es schreitet der Mensch oft einen lustig dahin, dessen Ernst er gar nicht zu ermessen, zu ahnen vermag. Ja wenn man immer wüßte, was am Ende des Weges, würde man manchen nicht antreten. Aber es ist gut, wenn man einen hin und wieder rüstig beginnt, mit Bedacht; und wenn's am Ende schlimmer kommt, als man geahnt, denn doch muthig und rastlos weiter schreitet, natürlich nur zum Guten. So schritt Nandl in der Begleitung dahin. Und endlich waren sie allzusammen oben. Die Vögel sangen wohl nicht mehr, es war Mittag, sie rasteten und duckten sich im Schatten. Nur ein Staarpärchen zankte und kreischte. Und endlich ertönte ein Juhschrei der hungerigen Knechte. Sie sahen was da anlangte! Bald saßen sie an der Schüssel, bald griffen sie munter zu und es wechselte Scherz mit dem Hungerstillen. Dem Tobi leuchteten die Augen. Er verfolgte jede Bewegung des Mädls; wie es sich hinabbückte und Alles ordnete; wie die kräftigen braunen
Arme sich rührten; wie die Hüfte sich im stärkeren Bogen
ausweitete, wenn sie gelenke Bewegungen machte.
"Meiner Seel!“ dachte er, "wär's nur eines Holzknechts
Dirnl, mein müßt es sein und keines Andern! Wär ich eines
reichen Hausers Sohn, ich holte sie und wäre sie weit weg
vom da!“
Da sang Einer:
"Wenn die Kirschen zeitig sein, Fallens vom Baum Und daß mir mein Dirnl treu, Das glaub ih kaum!“ Es war Einer der Knechte, welcher die glutigen Augen bemerkte, die Tobi nach dem Mädl warf und der seiner Laune Luft machen wollte. Und die Hausdirne setzte sich auch ins Gras zu den Knechten; bald gab es Scherze und Munterkeit, wie sie lange nicht so ein Holzknechtsmahl im Wald gewürzt. Als abgegessen war, hierauf mit Schüsseln und Körben, Krug und allerlei Kleinigkeiten zu thun blieb, begab sich Nandl zur Hütte, welche oben stand und den besten Sonnenschutz, das beste Gelaß für die kleine nöthige Geschäftigkeit bot. Die Hausdirne blieb umrungen und im Geschwätze ver- halten von den Knechten, der Bub half auch mit, und so gewann Tobi Zeit und Gelegenheit sich rasch zur Hütte zu schleichen. An der Schmalseitenwand im Freien traf er Nandl. Und er reichte ihr die Hand und sagte ihr ein "Gelt's Gott“, weil es ihm heute gar so gut geschmeckt! Er hatte eine Hacke am langen Stiele in der Hand, weil er beim Wegschleichen so thun wollte, als hätte er wegen des Werkzeuges in der Hütte etwas zu schaffen. Er schritt mit dieser langen Hacke, als wäre sie ein Spazierstock herbei; und wie schlank ging er, wie kräftig und leicht bewegte er sich, wie glänzten seine Augen!- Nandl sah das. Auch ihre Augen leuchteten und die seinen sahen tief und tiefer hinein. Endlich hatte er den Muth, ihre eine Hand zu ergreifen. Diese zitterte bald ein wenig
Tobi stellte die Hacke an die Wand, an das Bänkchen,
welche dort angebracht war.

Wer weiß das alles, was sich Liebsleut oder verliebte Leute sagen, ehe sie in ein zusammenhängendes Jammer- gespräch oder in eine Sinn habende Freudigkeit des Wort- wechsels gelangen! Genug... bald lag Tobi's Lippe an Nandl's und bald griff er ihr ans Kinn, um ihr das Gesicht emporzuhalten und so recht herzig und treu sehnsüchtig hinein zu gucken. „O mein Nandl,« sagte er endlich, »wärst nit Du... und ich ein ganz Anderer!“ Das war schlicht und einfach gesagt; andere Leute hätten es wol nicht verstanden; aber für die Beiden war's mehr als eine lange schöne Rede, als ein ganzes Buch. Wer kann's wissen, was es gewesen... der grüne Wald, die liebe Einsamkeit... daß sie den Burschen so hart an der Arbeit gesehen bei den Holzknechten... daß sie gerad recht inne ward, sie könnten sich nicht besitzen und
gehörten zusammen wie Fisch und Vogel... das junge Blut, welches heiß geworden im Emporsteigen... sie sagte gar nichts und bald lag sie an seinem Halse... und bald war's ihr, als sollte sie schluchzen... doch das durfte sie nicht hier und die Augenblicke waren gezählte, von Leuten bewacht... sie lag an seinem Nacken, auf seiner Schulter mit ihrem Gesicht, und er umschlang sie noch viel fester, noch viel inniger als sie ihn! So blieben sie eine Weile, selig und herzbetrübt. Plötzlich schrie's: »Scheiter und Balken! Mord und Todtschlag!« Welche Stimme? »Himmelkreuztürkendonnerwetter!“ Das war die kreischende, wüthige Stimme des Vaters! IV. Zwiesel. Der Lindhofer hatte heute Geschäfte abzumachen mit dem Mühlbauer. Des Mühlbauers Waldtheil lag in demselben Gebirgs- striche wie jener zum Lindenhofe gehörige. Die beiden Männer hatten öfter Geschäfte mitsammen, und jetzt handelte es sich um Rechnung und Gegenrechnung, bei welcher Holz und Mehl und Kleien und derlei in Anbetracht zu kommen hatten. Der Mühlbauer hatte gerne Geschäfte mit dem Lind- hofer. Nicht als ob dieser die Hand immer so weit offen ge- habt hätte, daß ihm leicht etwas herauszunehmen gewesen wäre, oder als ob er den Mann selbst gar so lieb gehabt haben würde. Dennoch war es dem Mühlbauer recht, wenn es oft allerlei herüber und hinüber gab und er war oft weicher und nachgiebiger als seine Rechentafel, auf die er die Ziffern gestellt. Denn daheim im Mühlengute waren zwei erwachsene Söhne. Und wenn der Herrgott einmal einen recht schönen Tag gäbe und es käme wer weiß wie, so könnte doch noch einmal aus einem Mühlbäuerlein ein stattlicher Lindenhofer werden! Zwar der Alte, der jetzige im Lindenhofe, wollte nichts davon wissen. Es war schon die Rede davon. Und immer sagte der
Lindenhofer: »Lassen wir die Linden noch wachsen... ein andermal.. .'s hat Zeit!« Aber die Nandl ward alt und älter, und der Prinz von Kornsack oder Fürst von Holzblock hatte sich noch immer nicht gefunden. Also könnte doch noch einmal ein Tag ins Land kommen, an dem des Mühlbauers Sohn sich nicht von Kleie oder von Graupen erwiese und seinen Mann für den Hof zu stellen vermöchte trotz alledem! Heute gingen die Männer in des Mühlbauers Wald, und da sie einmal oben waren, so schritten sie mitsammen auf dem Bergrücken entlang, von da in des Lindhofers Waldstück, um dann zu seinem Hause abwärts zu steigen. Der letztere Alte sah gleichzeitig ein wenig bei seinen Arbeitsleuten nach und der Erstere konnte auf dem Wege Allerlei zur Zwiesprach bringen. Der Lindhofer war stark, stämmig, der Mühlbauer kleiner, viel magerer und hatte unruhige, kluge, wenn man will pfiffige oder verschmitzte Augen. Seine Söhne waren ihm nachgeartet und glichen ihm in der Weise. Als die beiden Alten so auf der Höhe gingen, auf eine Lichtung hinaus gelangt waren, auf eine Waldwiese und wieder ins Holz abzubiegen hatten, da sah der Mühlbauer nahebei einen »Zwiesel“, einen zwiefachen Baum, das heißt einen Stammstock, welcher sich nahe am Boden gabelförmig theilt und so von da ab statt einen, zwei Stämme in die Höhe streckt. »Da schau!“ rief der Mühlbauer. Der Lindhofer sah den Doppelwuchs an und nickte nur mit dem Kopfe, ihm war dabei nicht so seltsam. »Was denkst Du denn, wenn Du so was siehst?« sagte der Mühlbauer nicht ohne Pfiffigkeit. »Ich denk mir, das gibt ein zwiefaches Holz,“ sagte der Gefragte ruhig. „Mir fallt was Anderes dabei ein,« sagte der Erste. Aha! dachte der Lindhofer auch nicht dumm; da gibt's Anspielung auf etwas. Ich begreif schon. Und schnell sagte er: »Na... das bist Du und Deine beiden Söhn. Gelt?«
»Hast auch Recht,“ sagte der Mühlbauer, welcher nicht gerade dies erwartet hatte. »Aber ich denk eigentlich doch was Anders. Siehst, das ist ein Paarl, wie Mannl und Weibl. Der Eine ist nit ganz so stark wie der Andere. Und der Baum steht gerad so zwischen unseren Waldtheilen, und da denk ich mir immer, das wär ein Zeichen, daß zwischen uns auch so a Paarl aufkommen sollt.“ »Meinst von meinen Enkelkindern? Die sind noch zu jung; bis dahin sind Deine Söhne längst verheirat!“ »Lindhofer! Mach keinen Spaß! Du könntests be- reuen!« rief der Mühlbauer auf, welchen dies erboste, denn so spaßhaft und doch so herb hatte er's nicht erwartet. »Ich sag Dir was und Du nimmst's mir nit übel,“ sagte der Lindbauer nun ernst und fest. »Ich hab meinen Kopf aufgesetzt; und es ist nit Deinetwegen, sondern wegen der Leut in der ganzen Gegend. Meine Nandl ist für Keinen da gewachsen!“ »So? Keinen!«- »Und wenn ich einmal zur Hochzeit einspannen laß, so muß der Nam' von dem Burschen einen Schall haben, so stark wie ein Pöller und noch stärker und noch mehr weitaus ins Land hallen! Aus ist s!« »Hm, hm.. .!“ sagte der Mühlbauer und nichts Anderes und riß von einem Strauch, an dem sie vorbei- kamen, ein Blatt, steckte es zwischen die Zähne und kaute daran. Stumm gingen sie dann eine Strecke nebeneinander. »Nix für ungut,“ sagte endlich der Lindbauer. »Du magst sagen, ich hab meinen Dickschädel. Ich hab ihn, ja. Und das sitzt einmal drin. Du hast gewiß auch in einer Sache Deine Dickköpfigkeit. So hab ich die meine und so bleib ich dabei!« *. »Hm, hm.. .!“ sagte nun wieder der Mühlbauer und sie gingen wieder stumm miteinander. »Aber nix für ungut,“ sagte wieder nach einer Weile der Lindhofer, »denn das geht Dich nit besonders an, es ist keine Ausnahm für Dich!«- »So, so... ja, ja!« Das war Alles, was der Andere sagte. Pfiffig schweigen, dachte er, ist oft noch besser, als pfiffig reden.
So kamen sie Beide, tief erregt, wenn auch schweigsam, wieder an den Waldesrand. Jeder hatte seine Gedanken und wollte sie dem Andern nicht recht sagen. Aber einen Wald von Gedanken hatte ein Jeder. Als sie nun der Lichtung nahe kamen, welche zu des Lindenhofer's Platz führte, auf welchem nun gefällt und ge- arbeitet ward, so sah der Letztere durch die vordersten Baum- gruppen hindurch, gegen die Holzhütte hin. Da bemerkte er von der Ferne und nicht ganz kennbar deutlich, zwei Gestalten nebeneinander, eine weibliche und die eines Mannes. Während der nächsten Schritte vorwärts hatten sich jene Beiden umarmt, geküßt, gehalst. »Schau, schau!« sagte der Mühlbauer. »Bei Dir geht's verliebt zu.«- »Sie sollen arbeiten und nit speanzeln!“ sagte der Lindbauer. »Warst auch einmal jung,“ sagte der Mühlbauer, »willst es aber vergessen!“ »Jung... jung.. .“ sagte nun der Andere und wollte weiter sprechen; aber bei dem nächsten Schritte brach er plötzlich wie stumm geworden ab... seine Zunge wollte nicht weiter... dort lagen sich Zwei selig und gerührt am Halse... hielten sich, die ganze Welt vergessend, umschlum- gen... seine Augen starrten... er erkannte seine Tochter... den Buben... da sprang er hinzu, außer sich vor Wuth... er wäre bald über Bäume gestürzt... er schrie schon aus Ferne sein »Scheiter und Balken! Mord und Todt- schlag!“ »Du elendiger Bub! Du nixnutzige Dirn!“ rief er gleich darauf. Der Mühlbauer blieb stehen, rührte sich nicht vom Flecke. Wer das Gesicht des pfiffigen Mannes gerade jetzt genau angesehen hätte! Die beiden Liebesleut im seligen Traumleben befangen, weltvergessen, fuhren auseinander und sahen wieder vor sich die furchtbare Welt, die schreckliche Wirklichkeit! Der Vater war jetzt ganz nahe herangekommen und stand mit furchtbar drohender Miene, mit flammenden Augen und geballten Fäusten.
Der Bursch stand wie festgebannt. Das Mädl stand auch entsetzt, schrie nicht auf, sondern schlug die Augen zu Boden, suchte nach dem Schürzensaume, aber rührte sich nicht vom Punkte. "Elendiger Bub!« rief der Alte nochmals, und dabei, in diesem Augenblicke erfaßte er die Hacke mit dem langen Stiel, welche nahebei angelehnt stand und hob sie wie zum Todtschlage empor. Sollten die Beiden sich fürchten? So wild, so rasend werde er doch nicht sein und Einem die Hacke in den Schädel schmettern! Er sah nach der Tochter, indem er die Hacke erhob, und ihr war's als sollte sie rufen: »Vater, laß sie auf mich niederfallen, mir ist's sogleich lieber todt als lebendig!« Doch er wendete sich wieder an den Tobi, als könnte er den Anblick des Mädels nicht aushalten, und Jenem, als dem Verführer donnerte er zu: »Du lotteriger Bub... Du.. .!« Er sagte ein elendes, ein gemeines, entwürdigendes Schimpfwort, das man seinem lieben Haushund nicht gibt. Und da stiegen dem Tobi der Zorn und der Mannesmuth aus dem Herzen bis an die Kehle und er rief: "Das bin ich nit! Ich bin ein Mann, ein ehrlicher Mensch, und Dein Dirndl ist auch aus Fleisch und Blut!« Der Mühlbauer hörte genau. Ihm kam auch der Zwiesel in den Sinn. "Du wagst Dich noch mir zu stellen und mir ins Gesicht Keckheiten zu sagen!... Du!“ Und er hob die Hacke und ließ sie auf Tobi nieder- fallen. Aber ganz konnte er die Hacke nicht niederfallen lassen, denn Nandl stürzte sich zwischen ihn und den Geliebten, deckte diesen und hielt den Streich so auf, daß er keines von Beiden recht traf. Der Tobi machte eine Gegenbewegung nach vorwärts; doch er griff sich rasch an die Brust, als wollte er sich selbst zurückhalten, und blieb stehen. Der Lindhofer ward nun noch wüthiger und hob die
Hacke zum zweitenmale. Aber Nandl war muthiger und fühlte,
daß Tobi noch weniger Schuld habe als sie.
Deshalb breitete sie beide Hände, deckte des Tobi Leib
und rief dem Vater zu:
»Willst Du tödten, so tödte mich!«

In diesem Augenblicke, wo Tobi bedroht war, fühlte sie ganz wie sie ihn liebe, und seine Demuth fachte ihren Muth, das Bewußtsein zu ihm halten zu müssen noch mehr an. »Willst Du tödten, so tödte mich!« rief sie und sie fügte hinzu: »Vater, halt mich nit für mehr schuldig, als ich bin; aber wenn ich einen Menschen gern hab, ist's ja gerad als hätt ich wider alle Natur gesündigt. Willst mich vermauern oder verkaufen? Ich bin alt genug, um ein Herz haben zu dürfen und Du bist reich genug, um einen braven Menschen glücklich zu machen!“ »So, so? Das hat er Dir gelernt? Alt genug und reich genug? Ich leb Euch zu lang und Ihr wollt mich lebendig beerben? Ihr theilt schon und raubt schon an meinem leben- digen Leib? Geh, Du kannst gehen mit Deinem Knecht, mit Deinem Hungerleider. Geh von da mit ihm, aber nimmer in den Lindenhof, hörst Du, nimmer in mein Haus... die Schand will ich nit drin, die jetzt alle Leut.. .“ O, der Mühlbauer stand da und hörte gerade jetzt, nach dem Vorhergegangenen! »Alle Knecht,« fuhr der Lindhofer fort, »und alle Dirnen weit und breit erzählen werden! Fort, wie Du gehst und stehst. Er soll Dich ernähren! Er soll Dir Kleider und Haus geben. Nimmer in meines! Und eh geht der Wald vorwärts in mein Haus, als Du! Ich will nichts mehr von Dir wissen, auf die ich all mein Hoffen gesetzt... fort, fort... ich ver- stoß Dich von mir!« So sagte der ergrimmte Vater. Er nahm die Hacke und schleuderte sie mit dem Worte »Aus ist's!« an die Balken der Hütte, daß diese dumpf dröhnte. Doch er traf Niemanden und wollte Niemanden treffen. Er wendete sich zum Gehen. Die Beiden des Paares standen einen Augenblick stumm und starr, sahen bald dem Vater nach, bald sich gegenseitig in die Augen. Dann, nach einer kurzen sinnenden Weile rührte sich Tobi, ging zu Nandl hin, streckte die Hand aus, als böte er sie zum Einschlagen und Nehmen. Nandl zögerte nur einem Augenblick. Es war ein großer, gewaltiger Kampf in ihr. Endlich hob sie ihre Hand, endlich schlug sie damit in die gebotene ein und ließ sie in Tobi's liegen. Sie umarmten sich nicht, sie küßten sich nicht, sie sagten nichts von: »Ich bin Dein und Du mein,“ sie sahen sich nur in die Augen, sie verstanden sich, und gut war's. Die Andern, welche herzugeeilt waren, sahen das und es gab ein Staunen. Bald gab's ein Flüstern. Nicht lange nachher ein lebhaftes, lautes Besprechen. Denn
Tobi nahm seine Axt, welche der Lindhofer fallen gelassen, über die Schulter und seinen langen Bergstock in die Hand. Nandl schritt neben ihm. Sie hielten sich nicht, sie führten sich nicht, sie geleiteten sich nur gegenseitig und gingen ein Weg hinab ins Thal, einen andern als jenen, welcher zum Lindenhof führt. Sie verschwanden auf diesem Wege in den Wald.
V. Wie Zeit und Botschaft gehen. Die Linden des Hofes standen und rauschten im Sommer. Sie ließen die Blätter im Herbst fallen und dieselben mit den bunten Farben vor sich im Winde den Kreistanz ausführen. Sie trugen Schnee und die Eiszapfen und die krächzenden Raben, wie sie zuvor alle die Singvöglein getragen. Der Lindhofer schaute sie an. Müßte sich etwas bei und mit ihnen geändert haben? Nein! Im Sommer und Herbst war wol weniger Lustbarkeit bei der runden Bank am Haus- thore, wurde weniger Sang und Scherz von da aus in die Ferne getragen und die Leute ringsum konnten weniger meinen, das sei ein gutes, reichliches, fröhlich stimmendes Haus.– Nur ein dürrer Zweig fiel dem Lindhofer am großen Baume auf. Doch er erinnerte sich, daß derselbe schon da gewesen zuvor. Es hatte sich nichts geändert. Sollte der Lindhofer sich ändern? Der Mühlbauer hatte ihn damals abwärts begleitet. So begleitet wie der Tobi die Nandl. Weniger zärtlich gingen die Beiden allerdings den gleichen Weg. Aber der pfiffige Mühlbauer redete wenig. Er hätte wol sagen können: »Siehst Du! Gerade heute und jetzt... Aus ist's doch nit!« und noch Allerlei! Aber er schwieg Je schweigsamer er war, desto zorniger, ingrimmiger war der betroffene Lindhofer. Er hat damals alle Schwüre gethan; er hat sich's erst recht in den Kopf gesetzt; und gerade weil der Mühlbauer wieder an einem Blattstängel kauete, schwur er nur immer höher und fester, sein Wort sei ein Wort und es bleibe Alles was er gesagt!
Die Linden blieben wie sie waren. Sollte der Lind- hofer anders werden? Ach, die »Sichel-Leg“, der Erntekranz freuten ihn nicht wie sonst. Das Flachsbrecheln im Herbst nicht, keine »Har- braut“ zu Spiel und Tanz war da. Die Schwalben waren fortgezogen, nachdem sie sich wie sonst auf dem Dachfirste gesammelt. »Niklo“ war gekommen, und keines Mädchens Hand hatte zum Scherze den Großen und Kleinen Aepfel, Nüsse und derlei vor die Fenster gelegt. Auch Weihnachten zogen ein. Wie waren diese vormals erquicklich im Lindenhofe, wie waren sie jetzt einsam verbracht und freudenleer! Anstrengte sich der Lindenhofer wohl sehr. Er wollte sich den Leuten zeigen, das heißt er wollte beweisen, welcher feste Mensch er sei. Fest und stark und starr wie die Linden! Wenn er aber in die Kirche ging, wenn er vor anderer Leute Fenster vorbeikam und ihm das innige Leben von Groß und Klein in die Augen fiel, so dachte er: könntest es auch haben, hast es aber nicht! Wenn er die Mädl neben den Eltern gehen sah, wenn er gar von einem glücklichen Braut- paar und einer Hochzeit hörte, da war es aus in seinem Innern! In seinem Innern, aber nicht in seinem Aeußern. Dennoch that er mit und riß den Leuten so förmlich die Augen auf, sie sollten sagen: »Is das ein Mensch der Lindhofer! wie seine Linden!« Wenn Nandl nur wieder käme! Wenn sie nur Derlei thäte, daß man ringsum zu sagen vermöchte, sie habe ihm das Herz weich gemacht mit Bitten und Thränen! Trotz seines Widerstandes! Aber sie kam nicht. Sie war wie verschollen. Gerne hätte ihm Mancher die Wahrheit gesagt. Wer durfte es aber wagen, ihm davon zu sprechen? Vielleicht erfuhr er etwas. Vielleicht auch nicht. Nandl war großjährig, voll- und großjährig, der Vater hatte also keine Macht über sie. Begehren mochte sie nichts von ihm. Ihre Papiere vom Amte konnte sie haben, wann und wie sie wollte.
Die Jüngste vom Lindbauer war alt genug zu allem Selbstständigen in der Welt... die Jüngste! Das war's; darin lag der schwerste Vorwurf, den er sich selbst machte! Aber jetzt mußte es gehen wie es ging, und der Lind- hofer mußte bleiben wie er war. Was konnte kommen? Nichts kam als ein Tag nach dem andern, ein fröhlich Fest der Leute nach dem andern, aber keines so recht für den Einsamen. Der Frühling und das Aussäen und wieder das lustige Springen des Baches, welcher eine Weile still und träg ge- wesen, und wieder Erntezeit und wieder Fortziehen der gekommenen Schwalben... erst kürzlich gekommen; wie doch die Zeit vergeht!... Die Nebel senkten sich, Reif lag auf Allem, auch auf den Zweigen der abermals blätterlos gewordenen Linden, und endlich trugen sie gar Schneeflocken. Die Flocken wirbelten wieder um die Fenster des Lindenhofes. Innen war's heiß, gut geheizt; aber der Alte konnte nicht erwarmen, ihm war's als fröstle es ihn im Innern. Dann überkam es ihn wieder, als wär's doch viel zu schwül in seinen Zimmern und in seinem ganzen Gehöfte. Er mußte hinaus, ins Freie und Frische, und der winterliche Wald war ihm lustig. Wenn der Specht an den Bäumen hackte, wie ein Holzknecht und man von oben bis unten genau an Bäumen sehen konnte, was sie werth waren und Maß an sich hatten! Und wenn die Aexte schallten, die Stämme dumpf dröhnend zerkliebt auseinander fielen; wenn das Holz donnernd hin- unterrollte, jagte und rasete über die Holzriesen... im win- terlichen Walde sah es für den Lindhofer lustig aus, in seinem Geschäfte und Handel lag Zerstreuung; und er wollte sie haben. Er fuhr aus dem Lindenhof fort, landein, wo es Handel und derlei Geschäfte gab, sei es wohin immer! Es war vor den Weihnachtstagen. Im Gebirge lag der Schnee dicht und schwer. Aus einzelnen Engpässen und Thälern konnte man gar nicht heraus. Der Wind hatte streckenweise den Schnee so hoch zusammengewirbelt, daß Roß und Schlitten darin stecken geblieben wären, daß sie eher sich durchzugraben, als d'rüber zu kommen vermocht hätten. Wo
der Wind über einen niederen Bergsattel oder durch eine Felsengasse seitwärts ins enge Thal konnte, trieb er mit den Schneeflocken ein unbeschreibbar Unwesen, und von den Berg- geländen ging's weiß bis zu den zerklüfteten Abgründen hinab, in denen auch zuweilen ein Wässerchen rauschte, als wär von oben bis tief unten nur ein einziger glatter Abhang ohne Absatz und Unebenheit. Nur ein Postwagen mußte zuweilen eine Strecke coura- girt vorwärts und sich Leute dingen zum Ausschaufeln und nothhaften Wegmachen. Aber der Wagen konnte auch nur einen Hauptweg fahren, gewiß nicht in die engen Gräben und Bergwege, in denen noch immer Hütten lagen, sowie einzelne zerstreute Höfe im Wald- und Berggebiete, auch armer Leute geringe Keusche! In einer solchen wohnte Nandl. Das war fast zwei Tagfahrten weit weg vom Lindenhofe. Wohnte Nandl mit ihrem Tobi.. .? Ei doch nicht! Wenn sie immer mit ihm gewohnt hätte, wäre es gut ge- wesen. Aber er war noch militärpflichtig. Und im letzten Herbst hatten sie ihm einberufen zum nothwendigen Exercieren. Trotzdem er gemeint, in einigen Wochen werde er wieder da sein, vergingen mehr als diese. Es schlichen die Monate dahin. Draußen in der wunderlichen weiten Welt hatten die Kaiser und Könige wieder einen Krakehl mit einander, und so wußte man nicht, sollen die Menschen sich wieder ge- setzlich Kugeln in den Leib jagen, niederkartätschen und nie- derdonnern mit Kanonen oder nicht. So behielt man die uniformirten Leute, welche beisammen waren, noch immer in den Kasernen; und ob sie bald todt auf einem Schlachtfelde liegen oder gesund heim wandern werden, wußte man nicht. Der Tobi war dabei und mußte aushaltend bleiben, ob ihm auch das Herz schier brach. Denn daheim hatte er ein Weib. O, welches liebe, liebe Weib war die Nandl! Und das war noch nicht Alles. Wie doppelt schön, kräftig und gut sah sie aus mit dem kleinen Sepperl auf dem Arm! Was das Kind für Augen hatte! Die größten schwarzen Kirschen waren nichts dagegen. Es war eine Glut und ein Schauen und ein Lieb- und Frohsein darinnen... Er konnte es seinen Kameraden und Landsleuten hunderte male sagen, eigentlich sagen wollen, sie begriffen's doch nicht, und er hatte
nicht die wahren Worte dafür und kein Mensch kann das, welcher Vater ist! Er mag nur daran denken in der Ferne und sich's vorstellen, wie in einem Geisterspiegel; und er will zuweilen die Hände ausstrecken nach dem Kleinen, ihn vom Mutterarme nehmen und mit gespitzten Lippen küssen; aber es geht nicht! Man greift in die Luft, ins Nichts; man hält mit halber Bewegung inne und möchte weinen! Aber man darf nicht. Selbst die feuchten Augen bemerken die Leute; und Kasernen haben am allerwenigsten Platz und Zu- laß für Thränen. So ging's dem Tobi auch. Und die Weihnachten kamen. Ach, ein Weihnachten ohne Lichterglanz, ohne Christ- baum und Christbescherung für die Mutter und das kleine Kind! Doch schrieb er einen Brief:
Herzliebst's Nandl! Ich grüß Dich und den klein Seppel. Was macht der klein Seppel? Redt 'r schon viel und plauscht vom Tata? O mein Gott, Weihnachten ohne Euch! Kein Christkindl für den kleinen Seppel und Dich. Noth leidst Du doch nit, keine Noth, nit wahr nein? Die Nachbarn helfen Dir doch aus, und von meinem Geding ist auch noch was da. Und Du verdienst noch, Du gute Seel', die so gut wie unser kleine Seppel! Laßt ihm sicher nix nit abgehen. Und wir haben auf der Schießstatt ein Scheiben- schießen gehabt, und der Hauptmann hat Beste gegeben, und ich hab ein paar Gulden aus dem Schwarzen geschossen. Und ich schick Dir dafür Christkindl zu Weihnachten. Herzgutes Nandl, Du holst Dir's. Nit wahr, Dir und dem klein' Seppel? O könnt ich bei der Freud sein! Ich käm selbst wie das Christkindl. Aber draußen schneibt's und ist's sakrisch kalt und windig. Zieh Dich nur recht warm an, wenn Du auf die Station gehst und das Kistl holst. Ist ein gar ein weiter Weg. Vielleicht geht ein Anderer für Dich. Gehst Du aber, so kriegst Du's sicherlich, und grüß alle Leut daheim. Aber den klein Sepperl, den beiß in die Wang für mich, hörst, thu ihm nit zu weh, aber es schadt ihm nix! Ich thät ja auch beißen. Zerküß mir ihn und sag ihm nur, das is Alles von seinem Tata. Aber ich muß schließen, ich weine zu viel und mir lacht doch das Herz, und seid recht
glückselig, recht gesegnete Weihnachten. Auch ein Glück zu Neujahr, so groß wie die Kasern oder der Wildkogl daheim. Daheim, wo Du bist, arm' Nandl und der kleine Sepperl, ich bin und bleib ja noch immer in Ewigkeit Euer Tobi.

So lautete der Brief. So kam er ins verschneite Thal. Der Bot hatte zu viel um diese Zeit im nächsten Ort drau- ßen zu thun und mußte lange hin- und herwandern. Er trat sogleich in den Spuren nach, welche schon Andere strecken- weise gegangen waren. Der endlich anlangende Brief aber war ein Labsal für Jung und Alt in den zerstreuten Hütten ringsum. Er war- wie eine Zeitung aus der großen Welt! Und wie schön der Tobi schreiben konnte! So zu Herzen ging's, wie manchmal der Pfarrer reden konnte, aber nur in guten Stunden. Wenn nur der Tobi schon wieder daheim wäre! Und lang kann's nimmer dauern. Der Eine versprach ein bißl Mehl, der Andere frischbackenes Brot, und die Witwe,
welche selbst zwei Kinder hatte, sagte sogar, von ihrem Rauchfleisch sollte zu Weihnacht ein Schnittl in der Hütte des Tobi nit fehlen und Nandl und der kleine Sepperl sollten daran sich gut satt essen beim Christkindl vom Tata! VI. Im Schnee. Der Christkindl-Tag kam. Huh! wie draußen die Schneeflocken flogen! Nandl hatte sich recht warm eingehüllt und die hohen wollenen Strümpfe starrten um ihre Fußknöchel wie ein dich- ter weißer Pelz. Das Kopftuch band sie fest und warm ver- hüllend um, dann schlug sie noch ein weiß Tüchlein wie einem Kragen außen ringsherum und band es vorne mit einem Knoten, damit ihr der Wind nicht das Ganze vom Kopfe wehe, auch der Hals besser verwahrt sei. In gestrickte Fäustlinge eingehüllt hatte sie die Hände und hintennach zog sie ein klein Schlittlein, wie es der Tobi zum Hausbedarf schon längst gezimmert. Einen hänfenen schmalen Gurt hatte sie vorn ans Schlittlein befestigt und durch dessen Schlinge schlüpfte sie mit dem Kopfe, legte sich dieselbe dann um eine Schulter und steckte mit der Brust d'rin, daß sie recht ziehen und mit weniger Beschwer vorwärts kommen konnte. Früh Morgen, recht frühzeitig, als es graute, zog sie aus. Zum Sepperl hatte sich daheim indessen ein altes Spinnweibl gesetzt, und das gute alte Leut wird schon recht seine Liebespflicht thun! So stampfte Nandl in den Schnee hinein. Neblig war's und allmälig endlich heller und immer fort ging's, hinaus. Der Schlitten tummelte sich seltsam hinter ihr. Leicht war er und schlenkerte also bald auf, bald ab, tanzte bald auf der gefrornen Schneerinde seinen eigenen Tanz, eilte bald zu rasch auf die Ferse nach, oder glitt abwärts und mußte wieder hinaufgehoben werden, wie ein todter Vogel an einem Fuß. Es war ein seltsamer Weg zur Weihnachtszeit, so recht im bittern, kalten und schneereichen Winter.
Ein Liedlein davon oder über derlei ward der Nandl nicht vorgesungen an der Wiege im Lindenhofe daheim. Da ging's einst anders her. Und sie hätte gemeint, zu Weihnacht könne sie als Bäuerin einspannen lassen, müßte es sein mit Vieren, und ein Schellengeklingel dazu haben, daß alle Leute im Markte verwundert aufgucken und horchen sollten! Jetzt klingelte und klirrte nur ein Eiszapfen und nicht gar so hell, wenn er mit seiner ganzen Schwere von einem überhängenden Felsstücke brach und auf gefrorne Schnee- decke fiel. Aber gab's im Lindenhof einen Sepperl? Konnte der Lindenhofer für all sein Hab und Gut nur einen Blick vom Kinde haben? Diese großen schwarzen Kohlenaugen und das Milchweiß, in welchem sie lagen! So etwas war noch nit da! sagte sich Nandl. Und ich wäre nie eine so glückliche Mutter im Lindenhof geworden. Ich hätte keinen Menschen so gern gehabt und kein solches Kind hätt' mir der liebe Herrgott auch nit geschenkt. Nein, den Sepperl zahlt kein Wald aus und keine reichste Holztrift, nit einmal ein ganzer Berg, in welchem Brillanten gegraben werden! Das belebte sie mit Muth im Vorwärtsschreiten und Stampfen, und sie sah jede Weile im Geiste vor sich, was der Kleine und das Spinnerweibl daheim machen werden; sogar sah sie, wie der Kleine schlief und dabei die kleinen Händchen mit den rosigen, wunderzarten Fingerchen, an denen die dünnen Nägel waren, ballte, und wie er mit den Lippen wetzte, ludelte und sich zuweilen lächelnd schüttelte. Das kleine Rothkehlchen, welches jede Fliege in der Stube wegfing, wird wol heute auch im Loche zunächst der Stu- bendecke und dem Wandgesimse sitzen und lustig hinaus oder in die Stube hereinpfeifen. Trost gab ihr das und Freude, und immer vorwärts ging's. Zuweilen pfiff der Wind und wollte sie förmlich anhalten; aber trotz dem eisigen weißen Staub, welchen er aufwirbelte, ging's doch vorwärts. Und so war ihr inner- lich zuweilen recht warm, wenn auch auf ihrem Tuche der Reif lag um den Mund herum und sich auch Eis bildete. So kam sie nach mehreren Stunden, müd' und durch die Länge der Zeit doch durchfroren, an der Station an.
In der Stube, wo die Päcke und Kisten ausgefolgt wurden, ging aber das nicht so eilig, als Nandl geglaubt hatte. Da gab's andere Leute, die auch etwas haben wollten, und die schwerfälligen Menschen ließen sich allseits Zeit, als käme Weihnacht erst in Ewigkeit. Einmal drängte sie der Expeditor zurück und rief: "Na, na!“ Das anderemal hatte er ein falsches Nummer, das drittemal gab's etwas wegzu- schicken statt herzugeben, und endlich bekam Nandl ihre Sach’. Wie groß war die Kiste! Und was stand Alles auf dem Frachtbrief. Da lautete es von einem Tuch, dann von einem Mützlein, weiter von Schuhen; Aepfel und Nüsse, die im Gebirg doch rar blieben, waren auch darin. Zuletzt hatte der Tobi allerlei Spielzeug geschnitzt, in lauter Langeweil oder zum besten Zeitvertreib in der Kaserne, und ein Kamerad hatte ihm auch geholfen. Das lag in einer Kiste, welche ein- mal zu Munition gedient hatte, wol leicht geschenkt war, und darauf war groß mit schwarzen Buchstaben gemalt N und S, und das sollte heißen Nandl und Sepperl! Nandl lachte und hätte hüpfen und weinen mögen! Ihr trocken Brod schmeckte wie Kuchen, als sie es auf dem Steine des Hausthores beim Expedit sitzend aß, und sie legte die Kiste mit Vorsicht und Bedacht auf den Schlitten, band noch ein Stückchen Strick darüber, murmelte halblaut, als müßte sie es doch Jemandem – wenn Niemandem, so doch der Kiste – sagen: "Wie gut ist er!“ Und ein "Gelt's Gott!“ schickte sie und grüßte sie dem Tobi in die Lüfte hinein, dann auf und fort ging's im Trab! heim zur Hütte, wo der Sepperl und jetzt noch das Spinnweib! Spät war's geworden, später, als sie gemeint hätt'. Eile that nun noth, daß man heimkomme, bevor am so kurzem Tage der Abend hereinbreche; und der Weg war weit. Wenn es gut ging, war sie zu rechter Zeit daheim. "Zieh an, mein Schimmel!“ sagte sie sich, beugte den Oberleib recht vorwärts und trabte aus; der folgsame Schlit- ten mit der guten Kiste kam jetzt regelmäßiger hinterher; die Last ordnete das. Ueber's breite Thal hinaus war sie in drei Viertelstun- den, dann rückten die Berge enger zusammen und es ging
keinen geraden Weg mehr, sondern hin und her und ein wenigl auf-, dann wieder ein wenigl abwärts. Hu! wie da der Wind herausbrauste aus der Enge und förmlich einen aufgestellten Trichter von Schnee in einer Mulde aufwirbelte! Er hatte sich nachmittägig gewendet. Immer vorwärts zum kleinen lieben Buben und ihm sein Christkindl beschert! War sie einmal durch den Wirbel vor der Enge, so ging's in dieser besser. Der Wind mäßigte sich eine Weile und da war's ruhiger. Aber kalt! kalt! Bitterkalt! So ein ganzer Tag im Freien legt sich doch in die Rip- pen und gar, wenn man Früh auszog, nichts Warmes über die Lippen brachte. Die Augenwimpern überzogen sich mit Reif, und wenn Nandl die Augendeckel auf- und niederschlug, so sah sie's weiß, flimmerte eine Art Schleier. Fuhr sie mit der Hand übers Gesicht, so spürte sie, wie an den Haaren sich Eis angelegt hatte, und in den Falten des Kopftuches war Schnee eingeweht. Er schmolz nicht, bildete sich nur eine Eisdecke. Der Himmel lag schwergrau und tief. Vorneaus im der Ferne sah sich's nebliger und immer nebliger an. Der Morgenhelle und dem Mittag waren sonnenlose Nebel gefolgt. Zuweilen fing Schnee zu treiben an. Und schüttelte sich Nandl nach einer Weile ab, so konnte sie's bald wieder thun, so fort, bis das Getreibe aufhörte. Windstöße von der Seite über die Berglehnen wirbelten einen Schneestaub auf, daß man gar nicht vor sich sah und sich Gesicht und Augen auf Minuten mit der Hand verdecken, we- nigstens frei machen mußte. Dann fiel der Schneestaub nieder und man sah– und Nandl trabte und zog vorwärts, zum Buben daheim in der Hütte. Sie war wieder eine Stunde gegangen, und da hörte sie Peitschengeknall, und es dauerte nicht lange, so war der Post- schlitten ihr nahe. Ei, hätte er ihren Weg! Aber der fuhr nur mehr eine Strecke, vielleicht eine halbe Stunde mit ihr, dann hatte er abzubiegen. Der Post-Franzl war ein guter Knecht und er sah das Weib auf dem Wege vor sich. Sie bog der Post aus und drückte sich sammt dem Schlitten recht an die Seite. Ei, wenn
ich fahren könnte! dachte sie wehmüthig. Sie neidete fast die in Pelze vermummten Männer, welche im Schlitten saßen, und ihn stieg's in der Kälte weich und wehleidig zu Herzen. Der Post-Franzl, welcher unter seinem Hut eine Mütze tief über die Ohren gezogen hatte, sagte: »Du hätt'st auch ge- scheider gethan, heut daheim zu bleiben. Ich komm ja mit Rossen nit weiter und Du ziehst noch. Platz hab ich kein, das siehst, ich sitz kaum neben all dem Packwerk. Aber bind Dein Schlitten hinten an, setz Dich drauf und fahr so weit Du magst!“ Das Weib machte sogleich von der Gutthat Gebrauch, zog ihren Schlitten herbei, hielt sich erst mit den Händen fest am Gefährte hinten, dann befestigte sie dabei ihren Strick, und fort ging's mit der Post.- Lustiges Christkindl im Schnee! Mit der Post zum Sepperl! Wer hätte das gedacht? Und sie lachte schier hell auf, wie sie auf der Kiste saß und sich's bequem einrichtete. Aber der Handschlitten hatte nicht das Geleise des gro- ßen, und was dieser auffurchte, kam dem kleinen nicht immer gut an. Und so wurde er hin und her geschüttelt, wenn's rascher ging, in eine tiefe Furche hineingeschleift, dann wieder herausgerissen und über Schneehügel. Das that nicht gut. Und im raschen Fahren schnitt die Kälte noch mehr ins Ge- sicht. Wenn man einen Tag lang im Freien in Winterskälte zugebracht, spürt man's. Roth war Nandl wie der dunkelste Apfel auf der Sonnenseite. Und einmal gab's einen Ruck und einen Krach, und wo sie den Strick ihres Schlittleins geknüpft hatte, ging's los, sie stürzte beinahe in den tiefen Schnee, hielt sich aber noch. Aber ihr Fahrzeug stand und der Post-Franzl fuhr vor- wärts, merkte nichts. Als er nach einer längeren Weile umsah, fehlte ihm der kleine Schlitten und das Weib. Aber er dachte, denen hat's nicht gut gethan, und er peitschte vorwärts. Nandl sprang wieder auf ihre Füße. Aber die waren verdammt steif. Nandl packte den Strick und richtete Alles wieder. Aber die Finger waren ungelenk. Nur rasch vor- wärts im Trab, es wird wieder Gelenkigkeit und Wärme in die Glieder kommen! Wie war's einsam. Kein Mensch weit und breit zur
Hilfe. Alles war nahe seinen Hütten. Die Nebel sanken
immer mehr.
Nandl hauchte in die Fäustlinge hinein, daß die Hände
und Finger ein wenig Wärme bekämen.

Sie stampfte fest auf, sie war wieder in die Schlinge geschlüpft und zog vorwärts. Vorne breitete sich Nebel, Nebel, Nebel! Nach einer schweren Weile senkte er sich wie zu Boden, man konnte oben durchsehen, aber bald fiel aus der Helle der Schnee in dichten Flocken nieder. Da sollte es wol bald wärmer werden. Aber es kam bei einer Biegung, wo's breiter ward und das Gebirg zerklüfteter, ein Wind herbeigesaust, welcher durch Mark und Bein fuhr. Eisig hauchte und brauste er. Er hob von der Tiefe aus der Schneedecke ganze schwere Wol- ken, verdünnte sie immer mehr in der Luft, und es war, als ob er sie als Eisnadeln treiben, wieder von der Höhe fallen oder von der Seite peitschen lasse.
Es stach im Gesicht, als hätte man eine ganze Larve von Stecknadelspitzen geformt und darauf geworfen. Die Augen wurden schier kalt, so scharf war der Frost. Bei einem Windbrausen verlegte es den Athem, wenn Nandl vorwärts zu kommen suchte. Der Wind hatte jetzt wieder ungefrorenen Schnee erwischt und der gab einen förm- lichen Staub, man konnte sich seiner nicht wehren, er hüllte ein. Nandl sah nicht zwei Schritte weit vorwärts. Sie mußte Minuten lange stehen und halten, damit sie nicht beim Ab- wenden den Weg verliere und in den Abgrund gerathe, daß nicht etwa der Schlitten vom Abhange über sie laufe, die Kiste sie treffe und niederschmettere. Das ging zu Herzen. Ah, die Kälte! Die Füße waren schwer. Es stieg ihr in der Brust gar so schwer auf, sie fühlte eine Beklemmung. Ihr war's, als müßte sie sich setzen. Aber sie wußte, man solle sich nicht in der Kälte setzen. Sie steckte eine starre Hand nach der andern hinter das Busentuch zum Erwärmen. Aber kalt blieb kalt und der Wind ging durch Bein und Mark, der Schnee auf dem Tuche nahm das letzte bischen Wärme aus dem Leibe. Wie frostig! Sie schauerte! Sie zog und zog vorwärts. Aber endlich wurde das Ziehen immer langsamer und der Schlitten lastete immer schwerer, bleierner, das Band beengte schier die Brust. Inwendig ward es Nandl weich und wehe. Wenn nur ein barmherziger Mensch in der Nähe wäre. Keine Seele! Nicht einmal die Raben und Krähen krächzten mehr, die hatten sich irgendwo untergeduckt und waren schon zur Ruhe. Es wurde merkwürdig dunkel. Nandl mußte halten, stehen und verschnaufen. Sie lehnte sich an die Kiste. Ach, es war so verführerisch, sich nur ein bischen zu setzen. Sie setzte sich endlich ein wenig vorne, auf das Brett- chen des Schlittens. Sie dachte, sogleich wieder aufzustehen. Aber es that wohl und der Leib schüttelte sich einmal. »Sepperl, Sepperl, weinst Du schon daheim?“ Und sie wollte auf. Noch ein bischen verlockte es sie
zum Sitzen. Sie blies sich wieder in die Hände. Sie begann die Arme auszustrecken, die Hände kreuzweise an die Brust- seiten und Schultern zu schlagen, daß sie Wärme und Leben bekämen. Da pfiff sie's eiskalt an, ein Windstoß sauste und zischte fast. Sie sprang auf. Aber die Füße fühlten sich ihr wie nochmals so dick, förmlich wie Baumstämme, so umfangreich und ungelenk. Sie zog am Strick. Es ging schwer. Sie keuchte. Es überlief ihr Herz einmal siedend, dann rasch wieder eisig; es war jetzt, als erstarre Wasser auf ihrem Körper. Es wurde ihr weich, wehe und müde. Es nützte nichts, sie mußte sich setzen. Wehe! wehe! Sie fühlte, um was es sich handle. Sie durfte sich nicht der Müdigkeit überlassen. Sie durfte kein Auge schließen. Es war ja sonst der Tod, welcher sie antrat. Daheim war das Kind ohne Mutter und ohne Vater! Jesus! heiliger Christ, hilf! Christkindl, im Schnee verderben, im einsamen Wald zu Grunde gehen, erfrieren! Ich hab's meinem Kind zu lieb gethan. Christkindl, das Du heut durchs Land gehst, sieh mich, erbarm Dich mein! Hab's ja um ein Kind, so unschuldig wie Du, gethan. Laß mich um meines Christkindls willen nit verderben. Christkindl, hilf! Sie senkte den Kopf. Ihr kamen Thränen. Sie froren unter den Augen an der Wange. Im Schluchzen und Sinnen schien ihr doch wohler zu werden. Das Kauern schien ihre Glieder zu einander näher und deshalb mehr Wärme zu bringen. Sie athmete so stark und doch war's ihr leichter. Sie schloß ein wenig die Augen. Da war's ihr, als hätte sie geträumt. Sie hatte Fun- ken und Licht gesehen. Sie riß die Augen weit auf, und ringsum gab's keinen Funken, kein Licht, nein, nur noch mehr Dunkel. Der Abend dämmerte stark herein. Sie hatte noch mehr als eine Stunde ... die Nacht trat mit jeder Winterminute näher, und dann Nacht... ewige Nacht... Schneeleuchten! Nandl riß sich empor. Es war Uebermacht, mit der sie an dem Schlitten zerrte und ihn einige Schritte vorwärts brachte; dann saß sie wieder, lehnte ihr Haupt an die Kiste und hauchte mit der Wehmuth ihr Leben dahin. Ah, in den Thälern draußen flammten schon die Lichter. Auch in den Holzknechtshütten wird es jetzt schon leuchten und die kleinen Hände schlagen vor Freude ineinander! Alte und Junge singen, lachen, scherzen am lodernden Feuer... leuchtende Christbäume... sprühende Oefen und Herdfeuer...

der Sepperl lachte, streckte die Hände aus... Nandl fühlte ihn in ihren Armen... sie hatte keinen Schmerz mehr... sie fühlte sich wie gehoben... es war wie ein wohliges Schwe- ben mit ihm zur Höhe... schöner Traum... sie schwebte wie die Mutter Gottes auf dem goldigen Bilde in den licht- vollen Raum.. .unendlich seliges Licht umglänzte, umschloß sie ganz... und ihr kleiner Bub neigte sich hinab zu jenem im purpurnen Talar mit goldener Spange und einem mondi- gen süßmilden Glanze um's Haupt und im herzinnig be- glückenden Lächeln... das war's Christkindl selber... es reichte dem ihren einen goldenen Apfel, und die Beiden neigten sich
gegeneinander und küßten sich. Seligkeit... Seligkeit am Christkindlfeste... im Himmel oder auf Erden. Himmlischer Traum, irdischer Tod! Die Mutter lag erfrierend in eisiger Winterlandschaft. versunken im Schnee, verlassen, allein... schlafend ausath- mend, schwächer und schwächer... sterbend. Um der Mutterliebe, um der Kindesliebe willen... am Weihnachtsabende! VII. Christkindl. Himmelhoch jauchzend, das Herz voll Seligkeit, schritt ein Mann mit dem grünen Hut auf dem Haupte, darunter eine Militärmütze über die Ohren gezogen, und den grauen Soldatenmantel fest zugeknöpft, aber ganz unmilitärisch noch den Hals in einen dichten, von Frauenhänden buntgestickten Schal eingehüllt, durch den winterlichen, schneebedeckten, eisig durchhauchten und durchsausten Bergwald. "Friede!“ lautete es allerorten aus Kommandanten- Munde, aus Zeitungen; es tönte von allen Bänken wieder, wo Leute sich zum Gespräche zusammengefunden; es sagte dies freudig jeder Mund in Palast und Hütte wieder; alle Herzen waren betheiligt. Die hohen Herren hatten draußen in der großen Welt Frieden miteinander gemacht. Und von dem Herrn aller Herren läuteten die Weihnachtsglocken Frieden ins Land! Der Kaiser hatte gesagt: Da es nun so gut geht und Alles in Ordnung ist, so lassen wir unsere Leute heim, zu rechter Zeit in ihre Heimat und daß sie zu den Lieben ihres Familienkreises kehren. Marsch! heim! Und noch recht zur lieben Weihnachtszeit. Segne Gott die Freud'! Und so gab's ein Hin- und Herrücken von Regimentern und ein Entlassen und Heimwandern auf allen Straßen. Dem Tobi hatte der Hauptmann, dessen Schützenbeste er gewonnen, auch gesagt: Nun ist's aus mit der Sehnsucht nach der Hütte im Gebirg und nach Weib und Kind. Weih- nacht daheim. Ei, so ist's doch ein gut Marschiren und Exer- ziren? Bin ja selbst Vater. Und behüt Gott, bleibt gesund und treu!
Die beiden Männer legten stramm die Hand salutirend an die Mütze, sahen sich noch einmal in die Augen, und sie schieden. Jetzt schritt der Tobi auf dem Wege seiner Heimat zu. Das Heimgelangen war etwas weniger rasch gegangen als er gemeint. Bis man nach dem Depot rückt, dann in alle die Stationen kommt bis zu seiner lieben engsten Heimats- gegend, das hat so manchmal seine Schwierigkeiten und Hin- dernisse, von denen sich Niemand etwas zuvor einbildet. Und da war auch noch wegen des hohen und tiefen Schnees Verzögerung, Verspätung und Säumniß und Auf- enthalt aller Orten.- Aber was thut's? dachte Tobi. Zuletzt ist mein »Christ- kindl« schon daheim und mein Weib sitzt bei dem Buben, scherzt und lacht! Ei, wenn ich pochen werde an die beleuch- tete Scheibe! Oder wenn ich gar die Thür offen finde, heim- lich einschleiche und auf einmal dastehe... Herrgott, die Freud'! Ob sie sich wol recht verschrecken wird? Ob sie aufschreit? Ob's ihr schad't? Hallo, so schwach sind wir nicht im Wald und Berg... wenn das Blut zu Herzen schießt, so schießt's auch gleich wieder heraus... und sie fallt mir um den Hals, juchezt und weint in Einem... und der Sepperl! der Sepperl! Er stimmte ein Liedl an und wollte juchezen!... aber Sapperment, das ist eine Kälten! Der Ton gefror ihm schier in dem Munde. Er setzte den Stock, welchen er in der Hand trug, fest in den Schnee, schüttelte sich die weiße Schichte vom Mantel ab, welche darauf geweht und gefallen war, rüttelte sich mit einem »Brrr! Huh!“ und schritt aus. Spät ist's, sagte er sich; und er hätt' nit gemeint, so spät erst heimzukommen. Aber der Tag vergeht. Und erwär- men, sich kräftigen mit Speis und Trank war auch nöthig auf der Station. Der Abend dunkelt, die Nacht ist eigentlich da; und sollte der Mond nit ein bißl herauskommen und aushelfen? Christnacht steht im Kalender und Mondschein dazu; da muß er kommen! Und wie der Wind sausete und die Kälte schnitt, der Schnee staubte, sagte sich der Tobi, welcher ausgeruht und kräftig war: Nur zu, kenn das schon. Das geht vor dem
Mond daher. Und wenn der Herrgott seine Leutl nur ein bißl gern hat und uns gerad heut bedenkt, so schiebt er den Nebel weg und laßt den Mond heraus, ich hätt's wenigstens so gut und so gern! Tobi trabte fest auf und mußte zuweilen an den Hut flink greifen, daß ihn der sausende Wind nicht weghebe und weiter trage. Ging's mit heim, sagte sich Tobi, meiner Treu, es wäre besser, wo eingekehrt und bessere Zeit abgewartet. Aber der Sepperl leidt's nit und Nandl auch nit. Ich grüß euch, ich komm... Christkindl. Schon wieder eine Bescherung, sagte er bald nach der ersten Gemüthsbewegung heiter. Und er hatte das Gesicht voll Schneestaub und mußte rütteln, pusten und blasen, um sich hell und die Augen klar zu machen. Der halbe Weg ist hinter mir, und das Stündl werd' ich's noch aushalten! lachte er trotz Beschwer und Widerwär- tigkeit und Frost in sich. Muß Alles verdient sein. Ich mag's verdienen und aus ist's nit. Nit aus! wie mein Schwieger sagt. Was der Alt wol machen wird? Jetzt sitzen und protzen, schmausen und pfnotzen! Mag's sein. Kein Sepperl hat er doch nit und so eine Christbescherung nit, und Herz- Nandl ist bei mir! Der Alte könnt's besser haben. Ich auch? Ich nit! Ist schon so gut. Man soll vom Hergott nit gleich Alles begehren; es macht's fast schreckbar, wenn Alles Glück auf der Welt beisammen ist. Und ich hab mir mein' Sach verdient, das ist auch eine Freud'! Wenn ich recht gehört... wär's wirklich oder klingelt's mir nur in den Ohren?... so käm' noch ein Schlitten hinter mir. Ei, der will auf der Fahrstraßen fort in den nächsten Ort. Nützt mir nichts, wenn's einer ist; ich bin ja schon den Weg fast ganz ausgegangen. Horchte und horchte wieder. Er blieb sogar einen Augen- blick stehen. Das Schallen schwieg. Aber er war mit sich selbst unzufrieden und dachte, du mußt weiter, sollst dich mit mit derlei aufhalten, was dir gleich sein kann. Und mit raschen Bewegungen war er wieder vorwärts. Schritt und stampfte, schritt und stampfte. Droben auf dem Himmel theilten sich die Nebel wirklich, wurden weißer und durchscheinender mit jeder Minute, und endlich blitzte aus
Wolken ein Stück Mond heraus, unter dem es noch immer zog
und flüchtete in dichten Nebelballen.

Und das Schallen und Klingeln kam nach einer Weile wieder näher, immer näher. Zweifellos, es war ein Schlitten im Engpaß. Nachdem das kalte Sausen nicht nachgelassen aber auch nicht aufgehört hatte vorwärts zu dringen, kam das Fahrzeug immer näher, endlich für den Wandernden, welcher einmal umgeschaut hatte, sichtbar heran und gleich- zeitig hörte er ein Schreien und Rufen. Gings ihn an? Ja, es ging ihn an. Er hielt, und der Schlitten fuhr ganz heran. Vorne saß ein Kutscher und hatte eine Laterne neben sich stehen. Er sah ganz stumpf drein, eingehüllt in seinen Mantel, und es blieb unklar ob er dumm, schläfrig war, oder etwas im Kopfe zu viel trug. Auf dem Herrensitze im Schlitten saß ein Mann in einen Pelz gehüllt. Mond und Laternenschein
fielen auf ihn. Er hatte sich aber noch nicht genug ausgeschält, um kennbar zu sein. "He, Mann!“ sagte jetzt der Fremde. "Der Weg ist doch recht zum Scheibenleitner? Wo steht der Hof? Und ist die Holzlände, welche zuvor kommen soll, bald erreicht?“ Welche Stimme? Hatte Tobi recht gehört? Sie klang so bekannt. Tobi starrte fest hin. Der Mann reckte sich jetzt mehr aus dem Pelz heraus, und die Lichtstrahlen fielen mehr auf ihn. »Der Scheibenleitner.. .“ sagte Tobi mit stockender Stimm. »Ja der ist in einer guten halben Stund erreicht; fahrt nur zu, nur zu, dem Geleis nach und dann rechts um den Felsen an der Bachkrümmung fort... und zuletzt bei der Holzlände über eine Brücke.. .“ Die Stimme stockte, denn der Mann im Schlitten sah auch fester nach dem Manne, welcher das Gesicht immer freier aus seiner Hüllung herausgestreckt hatte, und endlich hob sich der Mann im Schlitten, nahm die Laterne in die Hand und leuchtete in des Auskunftsgebers Gesicht... er war selbst- dadurch stark beleuchtet... Himmel! die Männer erkannten sich; kein Zweifel, der Lindhofer und... und... »Was machst denn Du da, und wie kommst Du hieher?« rief der Lindhofer zuerst. »Was ich mach? Heim marschir ich zu Weib und Kind, zu Nandl und zum Sepperl!“ »Du, Du da... mit Weib und Kind wohnst da?“ »Ein rechter, gerechter Waldarbeiter und ein ehrlicher Mensch.« »Meine Tochter und mein Enigl im Wald, in Holzknecht- ütten.. .“ »Und Christkindl ist beschert, und jetzt leuchtet's daheim; ich komm vom Regiment mit Abschied und bin glücklich...“ »Fahr zu, fahr zu! Kutscher fahr zu. Zum Scheiben- leitner. Seid glücklich ohne mich. Ich bin's auch. Aus ist's!“ Und fort zogen die Pferde, nach den ersten Peitschen- hieb, den Schlitten, und fort zog der Tobi den schweren frostigen Weg zu Weib und Kind. Sei nur glücklich, murmelte Tobi ihm nach. Ich bin's
auch. Sag mir so herzlich „Gesegen's Dir Gott, so wie ich Dir's nachsagen kann, Lindhofer, und gut ist's! So schritt er fort, in Kälte, Schnee und Eisnadeltreiben. Der Mond kämpfte oben im Wandeln mit Hindernissen wie der Mann unten. Und endlich war dieser wieder eine Stund gegangen und verfolgte immer die Spuren von kleinen Schlittenkufen, dabei denkend, wer hat da noch so spät gezogen? Und immer trau- licher grüßten ihn die bekannten Stellen, die einzelnen wie Silber behangenen Stämme auf der Höhe der Felsspitzen, wo der Mond hintreffen konnte, die Felsen und Abhänge... und immer näher kam er seiner Heimat Und endlich sah er von weitem etwas auf dem Wege stehen und wußte noch nicht, war's ein abgerollter Stein, welcher überschneit wurde, oder sonst ein seltsam Ding. Und endlich stand er fast hart an einem Schlittlein, auf dem eine Kiste lag. Sie war bereits stark mit Schnee überweht. Und wie er dachte, wer mag das verlassen haben und hier stecken geblieben, oder allein weiter gegangen sein... da sah er mehr nach vorne. Es schien ihm, als wäre ein Decktuch herab- gefallen und läge von Schnee überschüttet. Aber dahin tastete er. Himmel! es war ein menschliches Wesen. Er griff auf einen Leib! Er warf den Stock weg, kniete hin, schleuderte und scharrte den Schnee vom Kopfe und Gesichte der zusammengekauert hockenden Gestalt. Er rief sie an. Keine Antwort. Er griff nach den Händen, sie waren kalt; er tastete nach dem Halse. Er war noch weich und nicht ganz starr. Er hob den Kopf der Weibsgestalt zur Höhe, nach dem Mondenlichte. Welche Züge! Wars Traum? War's Wirklichkeit? Er schaute nochmals fest hin. Und mit dem Aufschrei: »Mein Nandl, mein Weib, Nandl!« stürzte er über sie, küßte ihre Lippen, ihre Augen, hauchte sie an, hauchte ihr in die Lippen, drückte sie an seine Brust, deckte sie mit seinem Mantel, rieb ihre Arme...er legte sein Ohr an
ihr Herz, ihm war's als hörte er noch ein leises Schlagen.
er hob sie auf, trug sie wie ein Kind auf seinen Armen, und
die Riesenkraft, welche ihm die Noth, die Verzweiflung und
die Hoffnung gaben, machte, daß er mit ihr im tiefen Schnee
vorwärts kam.

Einige hundert Schritte war er gegangen. Da sah er Laternen leuchten und hin und wieder einen Kienspan auf- zucken von der Ferne. Dem Spinnweibl in der Hütte beim Sepperl waren die Stunden zu lang und das Ausbleiben zu bang, auch das Wetter zu arg. Und sie ging zu den nächsten Hütten ihr
Bangen und ihre Besorgniß um die Nandl auszusprechen. Und die Nachbarn meinten, es sei Menschenpflicht nachzusehen. Heute sei die Nacht des Herrn. So schritten mit Laternen und Kienspänen einige Männer und Weiber in die Christnacht hinaus, und so fanden sie den Tobi mit seiner Last. Und Nandl lag mit dem Kopfe an dem warmen Leben, an Hals und Schulter Tobi's. Sein schwer tragender und vorwärts arbeitender Leib war fast glühend heiß, in Schweiß gebadet. Er spürte, wie die Glieder, die er trug, gelenker und weicher wurden. Er spürte einen Hauch an seinem Halse. Mehr Hoffnung wünschte er noch nicht vom lieben Gott! Nandl lag in Ohnmacht befangen, aber noch lebend. Und so halfen alle Nachbarn zusammen, zogen auch noch den stehen gebliebenen Schlitten heimwärts. So kamen sie in der Hütte an. Der kleine Sepperl weinte nur und streckte die Händ- chen nach der Mutter aus. Aber diese mußte zum Leben ge- bracht werden. Und endlich schlug sie die Augen auf, sah um sich in ihrer Hütte, sah ihr Kind, sah ihren geliebten, geliebten Mann, der sie vom Tode gerettet! Schwach und mühselig war sie im warmen, weichen Bette. Aber ihre Augen glänzten fast um die Wette mit dem Sepperl. Und noch Nachts wurde der Tisch an das Bett gerückt, in welchem sie aufrecht saß, und das Christbäumlein, welches sie vorgerichtet, wurde angezündet. Aber das Weib wollte die Freude voll machen. Nandl wollte in den großen Lehnstuhl, den sich Tobi gezimmert und den sie gepolstert. So geschah's und am beleuchteteten Weihnachtstische. Der Sepperl hatte schon einmal ausgeschlafen und er tanzte auf dem Arme des Tata. Die Spielsachen, das Mützchen, die Aepfel und Nüsse aus der Kiste, alle waren sie da! Alle Nachbarn hatten sich entfernt, nur das Spinnweibl nicht, das reichliche Lieb und Bescherung erhielt. Das Spinn- weiberl am Ofen hörte ein Reden und Stampfen von Leuten und endlich ein Pochen an der Außenthüre zu allererst.
Und es begab sich hinaus und dachte, ob wol die sorg-
lichen Nachbarn gar einen Bader unnützerweis hergebracht?
Und die Thüre ward aufgethan,... in der Thüre stand
der Lindhofer, verstört und selig, doch leibhaftig der
Lindhofer.
Und Nandl erhob sich mühselig, aber doch mit einem
Schrei vom Lehnsessel, stürzte auf den Vater zu, umhalsete
und küßte ihn.

Er that desgleichen seiner Tochter. Beim Scheibenleitner hat's ihn doch nicht gelitten. Und wie dieser auch von Klaftern, Schwemm und Stämmen sprach und wie dessen Braten auch dufteten, dessen Weine auch blinkten, der Lindhofer sah vor sich im Geiste und vor seinen inneren Augen den armen Mann im Schnee, der heimstampfte zu Weib und Kind, und dies Weib und Kind in der armen Hütte sein Fleisch und Blut, seine Tochter und sein Enigl... am Christkindelfeste... und er schob Alles weg, und sagte: »Ich muß fort zu den Leuten, nach denen ich mich bei Euch gerad erkundigt... Scheibenleitner, hilf mir, ich muß zu meinen Kindern im Wald, in der Nähe!“ Und so ward trotz allem Staunen wieder angespannt und so brachte man den Lindhofer vorwärts zu Schlitten und zu Fuße, und so genoß er in Seligkeit einen Weihnachts- abend... Christkindl im Schnee! Sie gingen nicht Alle zusammen von der Holzknechts- hütte nach Weihnachten weg, sondern die bewohnenden Leutl blieben. Als der Lindenhofer heim gekommen war, hörte er, daß der Schnee und ein durch das Eis abgesprengtes Felsstück eine Gruppe Wald ins Rutschen und Vorwärtsgehen gebracht. Hatte er nicht gesagt, ehe geht der Wald vorwärts...? Da war's. War's Zufall? Der Mensch kann sich von heimlichem Grauen und Ahnen und mancher Abergläubigkeit nie los machen. Da war's. Und als die Linden die Blätter wieder an- setzten, war ein neues Einziehen in den Lindenhof Jetzt sagte der Mühlbauer einmal: »Aus ist s!“ Es lebt sich gut dort im Lindenhof, s'ist Alles lustig, man hört wieder singen bei der Rundbank. Der Sepperl ist ein Bursch, der sich sehen lassen kann. Und wenn der Lindhofer steinalt, mein Lindenalt wird und der Schwiegersohn, welcher weit und breit in Respekt steht, den Hof nicht übernehmen sollte, sicher wird's der Sepperl, und es bleibt beim Alten, denn der Lindhofer heißt ja auch so.- Aber Christkindl im Schnee gibts dort jährlich, wie nirgends weit und breit, wol für lange Zeiten. Für ewige?



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