Blätter im Winde
- Gerhard Zauner

- 26. Apr. 2021
- 5 Min. Lesezeit

Eine kurze Kostprobe.
Roman von Gustav vom See,
Band 4
1873
s.:188
„Heute habe ich Dir ein kleines Abenteuer zu melden, liebe Mutter, woraus Du ersehen magst, daß es selbst hier in diesem stillen Gebirgswinkel an aufregenden Scenen nicht fehlt."
Ich wohne in einem Dorfe, welches am Ausgange einer ziemlich engen Schlucht liegt, die von einem Bache durchflossen wird. Als ich vor acht Tagen das auf einer kleinen Anhöhe gelegene Wirthshaus bezog, konnte ich den Bach überspringen, jetzt ist er noch immer ein reißender Strom.
Ich will Dich nicht mit langen Schilderungen hinhalten. Anhaltende Regen und ein gestern oben in den Bergen gefallener Wolkenbruch haben diese verderbenbringende Veränderung erzeugt. Das Wasser kam gestern Abend, und von Minute zu Minute wachsend, riß es Brücken und Stege mit sich fort und überschwemmt den niedrig gelegenen Theil des Dorfes.
Als es dunkel geworden, war die Noth, der Schrecken und der Jammer am größten.
Ich hatte mit Anderen schon zwei Stunden gearbeitet und geholfen, so viel es möglich war, als plötzlich die schreckenerregende Kunde kam, die Gosaumühle– unfern am Ende der Schlucht, schon in der Niederung gelegen– stehe bis an das Dach im Wasser und drohe einzustürzen, während sich die Müllerin und vier Kinder noch darin befänden.
Ein Müllerknecht, der sich gerettet, hatte die Kunde gebracht; der Müller war abwesend. Es befand sich dort, wo wir standen, der einzige alte Nachen; man hatte ihn auf das Ufer gezogen, aber Niemand wollte ihn besteigen, Niemand die Fahrt auf dem reißenden, Balken, Bretter und Baumstämme mit sich führenden Strome wagen.
Ich bedachte mich nicht lange; ich kannte die Lage der Mühle genau, ergriff eine Stange und sprang in den Kahn. Nochmals forderte ich die am Ufer Stehenden auf, es möge sich Einer entschließen, mich zu begleiten– vergebens.
Im Begriff abzustoßen, sprang ein Mann in den Nachen– wir flogen pfeilschnell auf dem purzelnden Wasser in der Dunkelheit dahin. Doch ich will kurz sein, es gelang uns nach einiger Zeit aus der Strömung herauszukommen und die Mühle oder vielmehr das Dach zu erreichen. Vorher war der fremde Mann jedoch von dem Aste eines Baumes aus dem rasch darunter hinschießenden Kahne herausgeschleudert worden; ich hatte ihn aber sogleich erfaßt und wieder hineingezogen; unmittelbar darauf leistete er mir den selben Dienst, als der Kahn an einen harten Gegenstand anprallte und ich über Bord fiel.
Wir kamen, wie gesagt, dennoch Beide wohlbehalten, wenn auch ganz durchnäßt, an die Mühle und brachten die fünf Menschen ohne besondere Schwierigkeit an das Land, da hier stilles Wasser war.
Ich eilte sogleich auf mein Zimmer, um die Kleider zu wechseln, und ging dann hinab, denn mich fror und ich verlangte nach Speise und Trank. Der Wirth hatte bereits vorsorglich warmen Wein bereitet und empfing mich mit einem Schwall von Worten. Ich begann eben mir Wein und Speisen schmecken zu lassen, als der Fremde ebenfalls in das Zimmer trat, indem ich jetzt zu meiner größten Ueberraschung– den Fürsten Cartowski erkannte.
„Ah, Sie sind schon bei der Arbeit“ ,sagte er scherzend, „erlauben Sie, daß ich Ihnen auch dabei Gesellschaft leiste.“
Ich sprach meine Verwunderung aus, ihn hier zu sehen; er aber führte die Unterhaltung, während wir aßen und tranken, immer im scherzhaften Tone fort und bemerkte, daß er mich sogleich erkannt habe.
Nachdem wir unsern Hunger gestillt und der Wirth abermals eine Kanne Glühwein gebracht, sich dann entfernt hatte, saß der Fürst eine längere Zeit schweigend da, und sah mich dann plötzlich mit einem eigenthümlichen, ich möchte sagen, verzehrenden Blicke an.
"Auch selbst hier machen wir uns Concurrenz“ ,sagte er dann, „überall kreuzen sich unsere Wege? Es scheint wirklich, als ob für uns Beide zusammen auf dieser Erde kein Raum wäre.“
„Ich wußte nicht, sollte ich das für eine Beleidigung oder für einen Scherz halten, und sah ihn fragend an.
„Ja“, fuhr er fort, „wir haben uns heute Abend gegenseitig aus dem Wasser gezogen, während es gewiß besser gewesen wäre, wenigstens Einer von uns wäre ertrunken. Finden Sie das nicht auch? Man läßt sich eben vom Augenblicke beherrschen.“
„Nein, ich finde das keineswegs, denn ich...“
„Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen“ ,unterbrach er mich, indem er ein Stück Papier ergriff, davon zwei Streifen abriß, sie bis auf die Spitzen verdeckt in die Hand nahm und mir hinhielt:
„Ziehen Sie! Wer das kürzeste Loos erhält, macht seinem Leben in vierundzwanzig Stunden ein Ende!“-
„Empört fuhr ich auf, seine mir hingestreckte Hand zurückstoßend.
„Was soll das? Wollen Sie mich beleidigen? Suchen Sie abermals Händel? Ich stehe Ihnen in jeder Weise zu Diensten, aber Sie werden mich nicht für so albern halten, auf diesen nichtswürdigen, feigen amerikanischen Blödsinn einzugehen.“
„Ueber die Feigheit ließe sich streiten“, sagte er dann, immer in dem selben ruhigen Tone sprechend,
„Sie wollen nicht? Ich kann es Ihnen nicht verdenken, ich würde mich in Ihrer Stelle eben so sperren. Dann also einen andern Vorschlag“, fuhr er, die Papierstreifen fortwerfend und mir die Hand hinhaltend fort, „ich biete Ihnen meine Freundschaft an, meine Freundschaft, für das Leben, für Zeit und Ewigkeit, wenn es eine solche giebt, aber unter einer Bedingung.“
„Freundschaft und Bedingungen“, erwiederte ich mit derselben Indignation, „und welche wären das?“
„Daß Sie sich unweigerlich dem amerikanischen Blödsinn, wie Sie es nennen, fügen, wenn Sie sich des Glückes, das Ihnen zu Theil werden wird, unwürdig machen und ich als Rächer vor Ihnen erscheine– denken Sie an den, welchen jetzt die Nemesis ereilt!“
„Ich verstehe Sie nicht“ ,sagte ich kalt, „aber ich danke auch entschieden für eine solche Freundschaft. Ich werde weder Ihnen noch sonst Jemandem ein Aufsichtsrecht über meine Handlungsweise zuerkennen, übrigens Ihnen, wie ich bereits bemerkt, zu jeder Zeit zu Diensten stehen.“
„Comme vous voulez“, lachte er höhnisch auf, „dadurch wird sich dennoch nichts ändern. Gute Nacht– Sie werden auch müde sein.“
Damit ging er, und ich habe ihn nicht mehr wieder gesehen, denn er war am andern Morgen in aller Frühe fortgeritten. Was sagst Du dazu, liebe Mutter? Ich habe ihn immer für einen exaltirten Menschen gehalten, jetzt zweifle ich fast an seinem gesunden Verstande. Nachdem ich soweit geschrieben, habe ich fast Lust, den Brief wieder zu verbrennen, denn wozu Dir dies Alles mittheilen; doch es wird Dich unterhalten und deshalb mag er abgehen, dem Vater theile ihn besser gar nicht mit.–
Wann ich zurückkehren werde, liegt noch in weiter Ferne, vielleicht erst im Frühjahr immerhin, es muß getragen werden. Ich habe noch nicht eine einzige Studie gemacht. Pinsel und Palette ruhen unberührt. Daß die Comtesse von Zavyga sich bei Euch wohl fühlt, erfüllt mich mit inniger Freude.–
Steht ihr mit Rath und That zur Seite, wenn die Entscheidung kommt, und laßt es mich sogleich wissen. Ich verlasse heute diesen wüst gewordenen Ort des Jammers; meine Adresse unten. Wenn Du es für angemessen hältst, so grüße die Comtesse– es wird mir das immer hin gestattet sein.
Mit herzlicher Liebe.
Dein treuer Sohn Georg.
Sich scheu umsehend, wie Jemand, der sich bewußt ist, ein Unrecht begangen zu haben, faltete Stephanie den Brief wieder zusammen, erhob sich und verließ das Zimmer, um die Einsamkeit des ihrigen aufzusuchen.



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