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Mysterien der Polizei.

Das schwarze Cabinet

oder Mysterien der Polizei.

1873




Das ist eine Kurze Kostprobe aus dem dritten Kapitel.


Unsere Leser jedoch, die Lord Stewart bereits näher kennen, wissen, daß derselbe sich die Verfolgung eines staatswissenschaftlichen Zweckes zur Hauptaufgabe seines Lebens gemacht hatte und nehmen sicher an derlei müßigem Badegeträtsche keine Rücksicht und sollen ungeschmälert das Vergnügen haben, Seine Lordschaft auf einen Ausflug nach Hallstadt zu begleiten.

Hallstädter-See!

Du wundervoller dunkelblauer Juwel, eingefaßt von smaragdenen Bergen, wie reizend, wie unendlich reizend bist Du mit Deiner tiefblauen Spiegelfläche, über welche nur manchmal ein Kahn mit hochgebogenem Schnabel wie ein Schwan dahingleitet!

Wie tief bist Du und wie still, gleich eines träumenden Poeten liebekranken Herzen, stehen die alten Berge ringsum Dich, drohende Wächter, die eines Kindes Schlaf bewachen; wie schimmern sie im Abendgold in tausend purpurnen, goldenen, violetten und himmelblauen Tinten, wie gleiten die Strahlen gleich geschmolzener Lava an ihrem Rücken hinab in den See, wo sie fortzuleben scheinen im Wiederschein der zitternden Fluth, die ein leichter Windhauch vom Rudolfsthurm eher oder der Ruderschlag einer schönen Hallstädterin in kräuselnde Bewegung bringt; und Du, Hallstadt! reizende Oase in der Bergwüste, mit Deinen Häusern die bald an den Felsen kleben, wie Schwalbennester, bald in den See hineintauchen, wie vorwitzige Buben beim Baden, mit Deinem alterthümlichen Kirchlein, mit Deinem stillernsten evangelischen Bethause, mit Deinem Wasserfall, den sie zwischen Mauern eingeschlossen haben, als wollten sie ihn nicht zu übermüthig werden lassen; mit Deinen Rosen, mit Deinen frischen, üppigen, aus jeder Felsspalte hervordrängenden Rosen, mit Deinen kräftigen Männern, Deinen blühenden Mädchen und auch – mit DeinenTrotteln.


Sei mir gegrüßt in der Erinnerung – Hallstadt und Hallstädter-See!

Wer Euch gesehen, vergißt Euch nicht!


Alle diese Bemerkungen machte Lord Stewart – der am untern Ufer der Gosaumühle soeben in einen Kahn gestiegen war, welcher von zwei kräftigen Trotteln gerudert wurde – auf viel kürzere Weise.

Denn als er nach seiner Abfahrt vom Gosau-Wirthshaus bereits so weit in den See hingekommen war, daß alle die Gottesherrlichkeiten, die wir lang und dennoch viel zu kurz geschildert, mit einem Male vor seinem entzückten Auge auftauchten, da faßte er alle diese herrlichen gewaltigen Eindrücke zusammen, wie Strahlen im Focus eines Brennspiegels und rief aus:

„Goddam!“-

Unsere Leser wissen, wie viel ein Engländer mit einem Goddam auszudrücken vermag. Nachdem Lord Stewart beim Seewirth in Hallstadt gelandet und sich eine Jause von Kalbfleisch, Fischen u.s.w. bestellt hatte, nahm er einen Führer und wanderte hinauf zum Wasserfall Waldbach-Strubb.

Der Weg durch den Wald an jener rosenumflochtenen Klausnerhütte vorbei, wo ein frommer Mann im Mittelalter gehaust haben soll, über die sammtgrünen Alpenwiesen, die von himmelshohen Tannen und noch höheren Felswänden eingefriedet sind, wohl einer der reizendsten auf Gottes Erdboden.

Auch Lord Stewart empfand diese Wunder der Schöpfung; für ihn hatten sie nur das eine Unangenehme, daß in dieser waldigen Einöde, wo blos der Waldbach braust und die Amsel singt, aber auch nicht die geringste Spur von einer geheimen Polizei zu erwarten war und er folglich zur Förderung seines wissenschaftlichen Zweckes gar nichts thun konnte.


Nachdem der Lord den Wasserfall in seiner Herrlichkeit angestaunt hatte, machte er sich auf den Rückweg, und es ließ sich aus den raschen Schritten, die Seine Lordschaft einschlug, sowie aus einem gewissen Schnalzen der Zunge gegen die Zähne entnehmen, daß Lord Stewart sich bereits eines gewaltigen, echt englischen Appetits erfreute und der vom Seewirth bereiteten Jause alle Ehre wiederfahren lassen würde.


Auf dem grünen Flecke vor dem Hause, zwischen Wirthshaus und See, war für den Lord gedeckt. Als derselbe heranschritt, entfuhr seinen Lippen ein freudiger Ruf der Ueberraschung, denn – an einem Tische daneben saß niemand Anderer, als der junge Fremde, der zweite Engländer, wenigstens hielt ihn der Lord dafür, dessen Bekanntschaft derselbe auf dem Dampfschiffe gemacht hatte, und der sich eben mit stoischer Ruhe ein riesiges Stück Schwarzbrod mit Butter bestrich.

„Gott zum Gruß, und England for ever!"

rief der Lord, der hocherfreut war, abermals Jemand gefunden zu haben, mit dem er seine Ideen in der Muttersprache austauschen konnte.

„Seien Sie mir gegrüßt, Mylord, im Lande der unverfälschten Milch,“

erwiderte der junge Mann, dem Britten herzlich die Hand reichend,

„wie finden Sie die hiesige Gegend?“

„Wunderbar! nur hat sie einen Fehler–“

„Ei, und der wäre?"

„Nun, Ihnen ist ja meine Passion bekannt–"

„Richtig, ich erinnere mich, für die geheime Polizei.“

„So ist es; aber leider ist in diesen Bergen auch nicht die geringste Spur einer solchen zu finden.“

„Wer weiß, vielleicht sind Sie in einer halben Stunde anderer Meinung," sagte der Fremde, sich ein Stück Butterbrod abschneidend und es mit demselben Behagen zum Munde führend, wie ein Gourmand eine frischgeöffnete Auster.

„Ah, pah!“

brummte der Lord, „ich sage Ihnen, es ist nichts zu machen hier in Oberösterreich; das Land ist viel zu idyllisch für eine geheime Polizei.“

„Haben Sie denn in Ischl gar keine Versuche gemacht?"

„Das wohl, aber ich bin schön dabei angekommen; vergebens machte ich alle möglichen Erkennungszeichen, vergebens flüsterte ich

„Naderer da!"

in allen Tonarten; es nützte nichts; die Einen hielten mich für verrückt und gingen mir scheu aus dem Wege, die Anderen glaubten, ich wolle sie beleidigen und thaten mir alle möglichen Grobheiten an. Seit ich einen zu Ruh gesetzten Fleischhauer aus Wien für einen geheimen Polizeiagenten gehalten, habe ich auf die Förderung meines Zweckes in Ischl Verzicht geleistet. Doch, da trägt man die Jause auf. Sie essen doch eine Forelle mit mir? Bei der Gelegenheit theilen Sie mir vielleicht auch gleich mit, was mir das besondere Vergnügen verschafft, Sie an diesem reizenden Seeufer zu finden.“


„Ich hoffe Eure Lordschaft in beiden Beziehungen zufrieden zu stellen," antwortete der junge Fremde, indem er eine silbergraue Forelle mit köstlich rothen Puncten herausstach.

„Ich hatte sehr interessante Geschäfte in Linz, mit denen ich unerwartet schnell fertig wurde und so erlaubte ich mir einen kleinen Ausflug nach Hallstadt, um dieselben hier vollends in's Reine zu bringen, denn es blieb noch eine Kleinigkeit zu besorgenüber, die eigentlich einen Andern mehr angeht, als mich.“

„Schön, vortrefflich. Ist Ihnen ein Glas Wein gefällig?“

Die Art und Weise, mit welcher der Andere auf die Sitte des englischen Anstoßens Bescheid that, ließen den Lord, selbst wenn er noch den geringsten Zweifel gehabt hätte, keine Ahnung mehr übrig, daß sein Reisegefährte kein Britte sei.

„Sie fahren doch in meinem Kahn über den See, und dann in meinem Wagen nach Ischl zurück?“

„Mylord, Sie erweisen sich so gütig gegen mich –“

„Pah ,machen Sie doch von solchen Kleinigkeiten kein Aufhebens, es ist abgemacht, Sie reisen mit mir.“


Nach vollendetem Mahle stiegen die Herren in den Kahn, setzten sich einander gegenüber, wie dies zur Erhaltung des Gleichgewichtes nothwendig ist, die Schiffer legten aus und der Kahn flog vorwärts über die spiegelglatte, dunkelblaue Fluth.- Der Blick des book-worm, wie ihn der Lord genannt hatte, ruhte auf dem freundlichen, vom Verdauungsfieber gerötheten Antlitzs eines Gegenübers.

„Mylord,“ begann er nach einer Pause, „Sie haben mich heute mit so viel Freundlichkeiten überhäuft, daß ich mich gerne dankbar bezeigen möchte.“

„Ah, pah, fangen Sie schon wieder damit an?“

„Ein Dienst ist des andern werth – measure for measure sagt Shakespeare. Vielleicht bin ich im Stande, Ihnen zur Förderung Ihres Zweckes, der Bekanntschaft mit der geheimen Polizei, einigenützliche Andeutungen zu geben.“-

„Ei, das wäre!“

„Wann verließen Sie Ischl?“

„Gestern Morgens.“

„Ließen Sie im Hotel Tallachini nicht in Ihrem Schreibtische ein Portefeuille zurück?“

Lord Stewart stutzte.

„Allerdings,“ versetzte er.

„Dieses Portefeuille ist ziemlich groß, von lichtbraunem Leder, mit silbernem Verschluß; auf der Vorderseite desselben befindet sich Ihr Wappen sammt Namenszug, auf der Rückseite eine Abbildung Ihres Schlosses Stewarthouse in Gold gepreßt.“

„Ganz richtig!“ rief der Lord, immermehr und mehr überrascht.

„Im Innern befinden sich vier Fächer.“

„Ja, ja, – jedoch, wie können Sie –“

„Erlauben Sie, daß ich ausrede. Im Fache Nummer Eins liegen Ihre Reisedocumente, im Fache Nummer Zwei Skizzen, Entwürfe und Notizen über die geheime Polizei, im Fache Nummer Drei Empfehlungsbriefe, worunter auch der an Seine Exzellenz den Herrn Grafen Sedlnitzky, im Fache Nummer Vier endlich eine Summe von zehntausend Pfund Sterling in Creditbriefen und Wechseln auf Arnstein & Eskeles in Wien."

Lord Stewart war versteinert.-

„Anschließend an dieses vierte Fach,“ fuhr der junge Mann ruhig fort, „befindet sich noch ein Fünftes, geheimes; in diesem verborgen ruht ein Aquarell, darstellend die reizende Lady Mary Harrowsmith, nebst Briefen besagter Lady und eine Locke ihres seidenen, blonden Lockenhaares.“

Lord Stewart fuhr bei dieser Eröffnung mit solcher Vehemenz in die Höhe, daß der Kahn in's Schwanken gerieth und um geschlagen hätte, wären die Schiffer nicht mit aller Kraftanstrengung bemüht gewesen, denselben im Gleichgewichte zu erhalten.

„Herr, sind Sie ein Dämon der Hölle!?“

rief er aus.


„Dieses wohl nicht,“ lächelte der Andere.-

„Wie kommen Sie dazu, Geheimnisse zu wissen, die ich nur mir allein bekannt glaubte? Wie können Sie Kenntniß von jener Brieftasche haben, die gegenwärtig im Hotel Tallachini in meinem Schreibtische, zudem ich allein den Schlüssel habe, liegt?“

„Hm,“ bemerkte kaltblütig der Andere, „was will das sagen, daß Sie den Schlüssel in der Tasche tragen; mittlerweile konnte Ihr Schreibtisch zehnmal erbrochen und die Brieftasche daraus – entwendet worden sein.“

„Herr, machen Sie keinen solchen Scherz,“ rief der Lord, der merklich die Farbe veränderte.

„Ich bin allerdings sehr reich, aber zehntausend Pfund sind denn doch kein Pappenstiel. Und dann“ – setzte er leiser hinzu – „ihre Briefe, ihr Bild, ihre Locke, wenn dies ein unrechte Hände kämen...“

„Beruhigen Sie sich darüber, Mylord,“ sprach der junge Mann, „und damit Sie nicht etwa mich für den Dieb halten, bin ich so frei, Ihnen das bewußte Portefeuille einzuhändigen.“

Und wirklich zog er die vorhin beschriebene Brieftasche aus dem Rocksacke und legte sie in die Hände des Lords. Dieser verharrte starr, wie eine Salzsäule; dann machte er plötzlich eine Bewegung, das Portefeuille zu öffnen, besann sich aber, daß dies eine offenbare Beleidigung für den Ueberbringer wäre und sagte, demselben die Handreichend:

„Herr, wie soll ich Ihnen meinen Dank ausdrücken! Aber nun, erklären Sie mir–“


„Mit Vergnügen. Sie haben in Straßburg einen Secretär aufgenommen, der seine angerühmte Kenntniß von der Wiener Polizei wohl nur dem Umstande verdankte, daß er bereits einige Male in deren Hände gewesen. Mit ihm zog ein Dämchen höchst zweideutiger Art, gleichfalls eine „gerichtsbekannte“ Persönlichkeit. Das ehrenwerthe Paar hatte es auf Ihr Portefeuille abgesehen, fand aber nirgends Gelegenheits einen Plan mit Sicherheit auszuführen, bis gestern Morgens, wo Sie Ischl verließen und einen zweitägigen Ausflug ankündigten.

Zufälligerweise war aber aus besonderen Gründen anderer Art die geheime Polizei fortwährend hinter dem Pärchen her–“

Lord Stewart riß die Augen weit auf.


„Master Hard, wie Sie ihn nennen, in Wahrheit führt er aber einen ganz anderen Namen, der übrigens hier nichts zur Sache thut; Master Hard“– fuhr der junge Mann fort – „gedachte über Salzburg und Tirolin die Schweiz zu flüchten, scheint aber nicht weit gekommen zu sein, da mir ein guter Freund heute Vormittags elf Uhr bereits dieses Portefeuille nach Ischl geschickt hat, nebst einem Zettel, worin er die Einlieferung des Pärchens nach der Gosaumühle um sechs Uhr Abends verspricht."

„Ja, zum Henker, wer –“

„Entschuldigen Sie, wir landen eben am Wirthshause; es ist sechs Uhr und die Vollendung des Berichtes können Sie von dem Betreffenden selbst bekommen.“-

Richtig stand, als man landete, am Landungsplatze vor dem Wirthshaus zwischen drei Mann Infanterie mit aufgepflanzten Gewehren das bleiche Diebespaar in Ketten, mit niedergeschlagenen Blicken, und bei ihnen ein Herr mit einem schwarzen Backenbarte, der, sobald man gelandet war, auf Lord Stewart's Begleiter zutrat, tief den Hut zog und ehrerbietig rapportirte:

„Heute Morgens um sechs Uhr habe ich die beiden Inquisiten in Abtenau arretirt, die ihnen abgenommene Brieftasche sogleich durch einen Expressen nach Ischl geschickt, in Abtenau Protokol laufgenommen und sodann mit requirirter Militärbedeckung den Weg durch's Gosauthal hierher angetreten.“

„Es ist gut,“ sprach der junge Mann, „escortiren Sie die Arrestanten nach Ischl, dort werden Sie meine weiteren Befehle erhalten.

"Der traurige Zug marschirte ab.


„Herr,“ rief Lord Stewart, „Sie sprechen ja Oesterreichisch wie ein Eingeborner, sind Sie denn kein Engländer?“

„Allerdings nicht, Mylord, und ich bin nie früher dazu gekommen, Sie über Ihren Irrthum aufzuklären, als eben jetzt.“

„Ja, wer sind Sie denn eigentlich?"

Der junge Mann überreichte dem Lord eine elegante Karte, auf welcher stand:

„Eduard von Felsenthal, k.k. Polizei-Commissär.“

„Wie,“ rief der Lord, „Sie wären–“

„Einer von denen, die Sie suchen, ein Mitglied der österreichischen geheimen Hermandad - wie Sie sich auszudrücken beliebten – und ich hoffe, Sie werden mit dem Beweise unseres Wirkens zufrieden sein, den Ihnen Seine Excellenz der Polizei-Präsident soeben in der Person des allerjüngsten seiner Diener gegeben hat.–

Aber nun gehen wir, Sie sehen, es ist nichts mit dem

„Naderer da,“

dem Erkennungsmittel der Spione.“

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