Der schlaue Seppl.
- Gerhard Zauner
- 24. Feb. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Feb. 2021

Fliegende Blätter — 146. 1917 (Nr. 3728-3753)
Seite: 21
DOI Heft: https://doi.org/10.11588/diglit.4162.2 DOI Seite: https://doi.org/10.11588/diglit.4162#0027 Zitierlink: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/fb146/0027

Eine Ferienerinnerung von Hamlet
von A. Roeseler

Der erste schöne Tag, den ich im Salzkammergut erleben sollte, dämmerte herauf. ich hatte mich in der langen Schnürlregenzeit sorgfältig aus das freudige Ereignis des Wetterumschlags vorbereitet und begann daher, schon um 6 Uhr das überaus schwierige Werk des Erweckens meiner Frau. Mit Geduld und deutscher Ausdauer brachte ich es dahin, daß sie bereits um halb 9 Uhr im Frühstückszimmer des Hotels erschien. Ich fragte inzwischen den Zahlkellner nach einem verlässigen Führer auf den Saarstein. Der Schwalbenschwänzige führte mich in die Schwemme und deutete auf einen kleinen dicken Mann mit aufgedunsenem Gesicht, der eben der Kellnerin den Maßkrug zur erneuten Füllung reichte. Mein Zutrauen war nicht sehr groß, aber bescheiden fragte ich:
„Wollen sie uns auf den Saarstein führen?"

Statt einerAntwort musterte Seppl — so hieß der Wackere mit einem verächtlichen Blick meine fünf Kilo schweren Bergschuhe und bemerkte dazu:
„Mit dene Schuacherl woll'n S’ am Saarstoa geh'n?" —
Erlauben Sie mir," wendete ich entrüstet ein, „die sind vom ersten Bergstiefelschuster und haben vierundsiebzig Mark gekostet!"
"No, ja, i' han ja aa' nua so g'moant", beschwichtigte mich der Seppl, der wohl merkte, daß meine Stiefel meine Achillesferse waren.
Er leerte den Maßkrug, langte nach dem an der wand hängem Eispickel und sagte trocken:
„Alsdann geh'n ma halt in Gott's Nam'!"
Als wir die Stube verließen, gewahrte ich, wie die Kellnerin eigentümlich mit den Augen zwinkerte, dachte mir aber nichts Böses dabei.

Um 10 Uhr standen wir am Fuße des 2000 Meter hohen Saarsteins. Der Aufstieg begann. Unser Führer, der schon beim Beginn des Marsches ziemlich wortkarg war, schwieg nun vollends.
Immer höher stieg die Sonne, immer heißer wurde es. Unser'm Seppl wurde es sichtlich ungemütlich. Dicke Schweißtropfen rannen ihm über Gesicht und Hals; sein Marschtempo wurde immer langsamer. Als wir etwa eine Stunde gegangen waren, kratzte sich Seppl hinter'm Ohr und brach das Schweigen:
„Teifi, Teifi, jetzt han i' erscht recht dös Vabandzeug vagess'n!" —
„Welches Verbandszeug denn?" fragte meine Frau ängstlich.
„No, dös zum Vabind'n halt!"
„Ja, wen wollen Sie denn verbinden?"
„No, Sö, wenn S' vielleicht abipurz'ln sollt'n,"
Meiner Frau stockte der Atem, mir wurde der Halskragen zu eng.
„Geschehen denn hier häufig Unglücksfälle?"
„Woll, woll, erscht unlängst, wia i’ mit dem Herrn vo' Müller 'ganga bi', hat er si' dös Schlüss'lboa' und no' irgend an' Knoch'n brocha."
Ich klammerte mich an einen letzten Hoffnungsstrahl:
„Der Herr war wohl sehr unvorsichtig?"
„Na, na, dös war er nit; no, weil ma halt g'rad' davo' red'n, fallt mir der Herr Professer Englhart aus München ei'. Sie san ja eh von durt, da wer'n S' eahm sicher kenna, gel'n S'?"
Da ich verneinte, brummte er ärgerlich vor sich hin: „Und da moant ma Wunder wia g'scheit als d' Stadtleut' san. I' kenn' a jed's Kind dees i' auf der Straß'n siech, und Sie kenna net amal an Professer, der bei Eahna dahoam is."
„Nun, was ist denn mit dem Professor?" drängte meine Frau.
„Ja, ja, i' sag's eh scho'; alsdann, mir san halt so 'ganga, i', da Professer und sei' Familie, war sonst a feiner Mann, der Professer. Da hat si' nix g'feit. All',veil lusti' und fidel und guat mit’n Geld beinand'."
„Was geht denn das uns an?" unterbrach ich ungeduldig diese Lobeshymne unseres Führers.
„Ja, ja, lass'n S' Eahna no' Zeit, ma' woaß ja gar net, wo ma' o'fanga soll! Alsdann, wia mir halt so 'ganga san, da bin i', weil i' do' alleweil so schnell geh', so a vierz'g, fuchz'g Meter voranganga und der Professer is nachkemma."
Ich hatte zwar noch nicht bemerkt, daß unser Seppl so schnell zu gehen gewohnt war, aber um endlich die Geschichte von dem Professor zu erfahren, unterließ ich jede weitere Einwendung.

„Der Herr Professer hat g'rad' g'red't über die Verpflanzung des Edelweiß in die Ebene. Alsdann, hat er g'sagt — —"
Da riß mir doch die Geduld.
„Das ist mir doch ganz gleich, was der Professor gesagt hat, ich will nur wissen, wie er verunglückt ist."
Eine Zeitlang schwieg der Mann gekränkt.
„No wia mir halt so 'ganga san", hub er endlich wieder an, „und der Herr Professor so g'red't hat, da san ma zu an' Abgrund kemma, rechts is der Weg g'wes'n und links is's pfeilg'rad' abi'ganga. Wozua soll i's Eahna eigentli' no' beschreib'n? Mir kemma ja eh glei' hi' zu dera Stell'! Alsdanu da geht g'rad' hinter mir a Stoaschlag nieder, und an Professor reißt's glei' mitsamt seiner Familie abi. War'n alle auf der Stell' tot."
Eine Weile schwiegen wir ganz bedrückt, und je weiter wir hinaufkamen, der gefährlichen Stelle zu, desto schwüler wurde uns. Meine Frau war totenblaß geworden. Wir wechselten einen verständnisvollen Blick.
Dann sagte ich:
„Meinst Du nicht, Schatz, daß wir umkehren sollten? Wir sind schon sehr spät daran heute, und es ist furchtbar heiß."
Der Seppl blieb auch gleich stehen und meinte:
„Ja mei', wia die Herrschaft'n woll'nl"
Dabei lachte er aber verschmitzt, als wollte er sagen:
„Ich weiß schon, daß Ihr nicht wegen der Hitze umkehrt!"
Als wir glücklich wieder unten angekommen waren, kratzte er sich verlegen hinter'm Ohr und meinte trübsinnig:
„Dees hat ma' davo', wenn ma' d' Leut' warnt und eahna d' Wahrheit sagt, na' genga s' nimma auffi und i' kumm' um mein' ganz'n Führerlohn."

„Darüber machen Sie sich keine Sorgen", sagte meine Frau voll Dankbarkeit für seine uneigennützige Aufrichtigkeit. Ich zog meinen Beutel und gab dem Mann außer dem bedingten Führerlohn noch ein ansehnliches Trinkgeld.
Als wir am ander'n Morgen nach Hallstadt weiter reisten, trafen wir dort einen guten alten Bekannten.
„Sie haben doch sicher den hohen Saarstein bestiegen", war seine erste Frage.
„Ja, beinahe", sagte ich und lachte meine Frau an, die dann die ganze Geschichte erzählte. Unser Freund lachte gerade hinaus.
„Also Sie sind auch auf diesen Gauner hereingefallen." — „Entschuldigen Sie", sagte ich ganz befremdet, „ich finde es im Gegenteil höchst uneigennützig und anständig von ihm, daß er uns vor einer Tour, der wir nicht gewachsen waren, abriet."
Aber unser Bekannter lachte nur noch viel kräftiger.

„Wenn Sie wüßten, daß dieser Mensch weder je auf dem Saarstein, noch auf einem Gipfel jemals gewesen ist. Er ist nichts als ein verlumpter, ehemaliger Salinenarbeiter, der die Fremdenindustrie ausnützt und den harmlosen Leuten, die sich seiner Führung anvertrauen, die furchtbarsten Schauergeschichten erzählt. Er kommt dadurch immer ohne Mühe zu seinem festgesetzten Führerlohn und kriegt meist noch ein gutes Trinkgeld obendrein."
Meine Frau und ich schauten uns einen Augenblick entsetzt und beschämt an, dann aber stimmten wir, von unser'm Freund angesteckt, herzhaft in das schallende Gelächter ein.

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